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Lichtschatten
Das Ende der Geschichte ist auf allgemeine Ablehnung gestoßen, also habe ich unten die Geschichte entsprechend verändert. Ich hoffe das Ende funktioniert jetzt besser, oder überhaupt. Die neuste Version findet ihr also unten. Nur sind die Veränderungen so gravierend und die Posts der netten, fleißigen Kritiker wohl nur noch so vage nachzuvollziehen, dass ich mich entschlossen habe die veränderte Geschichte unten noch einmal zu posten und die Orginalfassung hier zu erhalten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?p=282079#post282079
Vor zwei Wochen war er Vater geworden. Er hatte sich immer gefragt, wie das ist, Vater zu sein. Es ist, als ob man ein Teil von sich selbst in die Welt entlässt, dachte er. Er lag in seinem Bett und hatte die Augen geöffnet, stocherte in der Dunkelheit mit ihnen herum. Irgendwie hatte er das Gefühl, schon viele Male so dagelegen zu haben, seine schnaufende Frau neben sich im Bett und sein Kind im Nebenzimmer.
Wenn er so drüber nachdachte war das Leben ein ständiger Wechsel zwischen wunderbaren, unbegreiflichen Eindrücken und einem sich an sie Gewöhnen und sie Verdrängen. Die Augen vor ihnen verschließen. Weil man nicht in der Lage ist zu leben, wenn man sich an ihnen aufhält. Man ist tagsüber nicht wach und kann nicht zur Arbeit gehen und Geld ranschaffen, wenn man Nachts wach liegt und über die Wunder des Lebens nachdenkt und sich an den Lichtschatten der Autoscheinwerfer erfreut, die an die an der Zimmerdecke entlang wandern und die starren Geister der Dunkelheit einen Moment lang überblenden.
Man wird seine Tochter im Nebenzimmer nicht erziehen können, wenn man sieht, wie sich in ihren Augen die Welt spiegelt. So, wie man an allen Dingen zugrunde gehen muss, die einem so viel bedeuten, dass sie das Leben ausmachen.Wahrscheinlich wird ihn seine Frau irgendwann verstoßen.
Irgendwie wusste er, dass er sich sein ganzes Leben an diesen Moment erinnern wird. Dieser Moment, in dem ihm, nach zwei Wochen Dauerstress rund um die einschneidenden Veränderungen, die plötzlich sein Leben bestimmten, endlich Zeit blieb, die grellen Lichtschatten an der Decke zu beobachten und sich über seine Situation klar zu werden.
Neben ihm lag seine schniefende Frau. Ob er sie wirklich liebte, wusste er nicht. Sie war die beste gewesen, die ihn ohne große Anstrengungen genommen hatte. Doch hatte er nicht das Gefühl wirklich er selbst zu sein, wenn sie in der Nähe war. Sie beschämte ihn auf eine unangenehme Weise, er schämte sich für sie. Als er jung war, hatte er so viele Träume, es schienen sich ihm so viele Gelegenheiten geboten zu haben, die am Ende ungenutzt blieben oder durch den Zufall vereitelt wurden. Er glaubte nicht an Schicksal und er wusste, dass es falsch war, aber insgeheim machte er seine Frau dafür verantwortlich, dass er nie glücklich geworden war. Oder war er glücklich?
Im Nebenzimmer lag seine kleine Tochter. Sie konnte noch nicht sprechen oder denken, sie konnte nur brüllen. Sie war ja auch erst zwei Wochen alt. Sie hatte noch so viel vor sich. Sie war, wie ein weißes Blatt Papier, dass erst noch bemalt werden wollte. Er war immer schlecht im Malen gewesen.
Sie hatte noch so viele Möglichkeiten, war von keiner schnaufenden Frau an die Wand gedrückt und eingeengt. Er schlug die Bettdecke zur Seite und stand aus dem Bett auf. Seine Frau gab ein seufzendes Geräusch ab und öffnete die Augen: „Wo gehst du hin?“. „Ich hole mir ein Glas Wasser“. „Bringst du mir eins mit?“ „Mach ich.“, antwortete er.
Das war das schlimme an ihr, sie zwang einen immer dazu Dinge zu tun, die man nicht wollte. Nicht, dass sie es mit Absicht tat. Sie tat es aus Dummheit und diese Dummheit wiegte schwerer als jede Bosheit, weil man ihr nicht böse sein durfte. Er war es trotzdem.
Er wollte sich kein Wasser holen. Er wollte aufstehen, um ein Wunder zu betrachten. Er schloss die Schlafzimmertür in der Hoffnung, seine Frau werde wieder einschlafen, leise. Dann öffnete er die Tür zum Kinderzimmer, wo das kleine Bettchen stand, in dem seine Tochter schlief. Er konnte sich immer noch nicht recht vorstellen, dass dieses kleine Wesen, wie es dort in seinem Bettchen lag, seine Tochter war. Nicht, dass es unglaublicher war, als die meisten Dinge im Leben, aber die zwei Wochen hatten noch nicht gereicht sich daran zu gewöhnen. Im Alter lernt man langsamer. Sachte machte er die Tür zum Kinderzimmer wieder zu.
Dann ging er in die Küche und nahm sich zwei Gläser aus dem neuen Küchenschrank. Sie waren erst vor einem halben Jahr in die gemeinsame Wohnung gezogen. Vorher hatte er noch bei seinen Eltern gewohnt und sie in einer WG. Wenn man ein Kind kriegt, müssen die Eltern zusammen leben, da waren sich alle Beteiligten einig gewesen. Erst seit er mit seiner Frau in einem Bett schlief, wusste er aber, wie satt er sie hatte. Natürlich gab es Momente, wo er ihr dankbar war, wo er sich freute sie zu sehen oder sie sogar begehrte, aber das waren nur Lichtschatten, die ihn verhöhnten.
Er hielt ein Glas und ließ Wasser einlaufen. Bis oben hin. Dann trank er es in drei Schlücken aus. Der neutrale Mineralgeschmack klebte in seinem Mund. Er bekam eine Gänsehaut, als er spürte, wie das kalte Wasser, seine Speiseröhre hinunterfloss. Er hatte nichts trinken wollen.
Er stellte sein Glas verkehrt herum in die Spüle und füllte das zweite Glas mit Wasser und kippte es wieder aus.
Der bloße Gedanke, wie sie sich im Bett aufrichtete, um in ihren nippenden, kleinen Schlücken das Glas mühsam zu leeren, widerte ihn an.
Er würde sie heute Nacht verlassen. Sie war nicht mehr tragbar. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihre krummen Zähne, ihr ständiges Gejammer, ihre bleiche Haut, ihre betonte Ordnung und Sauberkeit, überhaupt ihr ganzes, maßvoll abschätzendes Wesen, waren nicht mehr tragbar. Er wollte Leben und Leben konnte er mit ihr nicht.
Dort war die Tür. Er brauchte nur zu gehen und dieser ganze Alptraum wäre vorbei. Er würde wieder zu seinen Eltern in sein altes Kinderzimmer ziehen. Seine Eltern wären betrübt, er würde sich wieder wie ein Außenseiter vorkommen, wie ein Muttersöhnchen. Aber wenn die Alternative ewige Nächte mit der dunklen Zimmerdecke waren, bedrückende Tage mit einer Frau, die er nur aus Heuchelei ihr und der ganzen Menschheit gegenüber geheiratet hatte. Um sich zu binden und als normal zu gelten, hatte eine weitere groteske Situation konstruiert und das eigene Leben noch grotesker gemacht. Dort war die Haustür in die Freiheit, da der Balkon in die ewige Sorglosigkeit und dann war da noch die andere Tür zurück ins Schlafzimmer zu den Lichtschatten.
Er würde seine Tochter mitnehmen. Sie in seinem kleinen Kinderzimmer zu versorgen gestaltete sich schwer, aber er würde es schon schaffen. Doch eine nasskalte Herbstnacht klopfte gegen das Fenster und in den abfließenden Regentropfen, meinte er plötzlich das eigene Leben zu erkennen. Nein, jetzt konnte er nicht fliehen.
Er ging zurück ins Bett, legte sich auf die noch warme Stelle und schlug die Bettdecke wieder über sich. „Hast du das Wasser? Ich habe riesigen Durst.“, sagte sie. „Nein, das habe ich vergessen, soll ich es holen?“ „Nein, es ist schon in Ordnung, ich hole es selbst.“
Sie stand auf und machte das Licht im Flur an. Er glaubte das Hauptproblem an ihr war, dass er sie nicht anbeten konnte. Er war nicht religiös oder so, aber er hatte sein Leben lang irgendwelche Mädchen vergöttert und jetzt fand er sich plötzlich jeglicher Illusionen beraubt und Illusionen gibt man sich hin, wenn man Mädchen anbetet.
Er hockte mit dieser Frau in einer Wohnung in der er sich fremd fühlte und jetzt lag er wach und wartete darauf, dass sie endlich wieder ins Bett kam und das Licht im Flur ausmachte, das ihn am Einschlafen hinderte. Morgen würde dieser Alptraum vorbei sein. Im Schlaf fliegt die Zeit und im Flur brennt das Licht.
Endlich machte sie das Licht aus, machte die Tür zu und legte sich ins Bett. „Unser Püppchen schläft tief und fest.“, sagte sie. „Hmmhmm.“, brummte er. „Ich bin so stolz auf dich, dass du dich so gut mit deiner Vaterrolle zurechtfindest“. „Danke und gute Nacht.“, antwortete er. Auf allgemeines Geschwätz hatte er überhaupt keine Lust. „Du bist auch eine gute Mutter.“, setzte er noch nach, denn das war sie, das war das einzige, was sie war. „Ich glaube unser Püppchen wird ein großartiges Kind!“, sagte sie. „Und ich glaube, wir sollten jetzt schlafen!“, sagte er. „Ich habe dich lieb!“, sagte sie. Er tat, als schlafe er schon, indem er kräftig durch die Nase einatmete und einen leichten Schnarchton erzeugte. Sie hatte einmal gesagt, er schnarche etwas.
So bekam er mit, wie sie sich langsam und leise aus dem Bett drückte und in den Flur schlich. Dort machte sie die Tür zum Schlafzimmer zu. „Die Schlampe verlässt dich und lässt dich mit der Göre allein!“, sagte er sich. Er sprang aus dem Bett auf und machte die Schlafzimmertür einen Spalt auf, grade noch, um zu sehen, wie sie auf Klo ging.
Er atmete erleichtert auf und schaute an die Decke, wo grade ein Lichtschatten an der Zimmerlampe entlang schlich.
Am nächsten Morgen war ihr Bett leer. Er streckte sich aus und stand auf. Die Klotür war abgeschlossen. Er hämmerte dagegen: „Mach auf, ich muss dringend pissen!“. Als sich nichts rührte, schlug er stärker zu. „Wenn du nicht sofort die Tür aufmachst, kannst du was erleben!“. Und dann: „Okey du blöde Fotze, du wirst schon sehen, was du davon hast!“. Dann rammte er mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, die ihm nachgab.
„Scheiße, was machst du für eine Scheiße?“, fragte er, als er mit vor Wut blutrotem Kopf, die weiße Leiche seiner Frau sah, die in ihrem eigenen Blut zu schwimmen schien. Aber sie antwortete ihm nicht mehr.