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Lichtschatten

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09.06.2003
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Lichtschatten

Das Ende der Geschichte ist auf allgemeine Ablehnung gestoßen, also habe ich unten die Geschichte entsprechend verändert. Ich hoffe das Ende funktioniert jetzt besser, oder überhaupt. Die neuste Version findet ihr also unten. Nur sind die Veränderungen so gravierend und die Posts der netten, fleißigen Kritiker wohl nur noch so vage nachzuvollziehen, dass ich mich entschlossen habe die veränderte Geschichte unten noch einmal zu posten und die Orginalfassung hier zu erhalten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?p=282079#post282079

Vor zwei Wochen war er Vater geworden. Er hatte sich immer gefragt, wie das ist, Vater zu sein. Es ist, als ob man ein Teil von sich selbst in die Welt entlässt, dachte er. Er lag in seinem Bett und hatte die Augen geöffnet, stocherte in der Dunkelheit mit ihnen herum. Irgendwie hatte er das Gefühl, schon viele Male so dagelegen zu haben, seine schnaufende Frau neben sich im Bett und sein Kind im Nebenzimmer.
Wenn er so drüber nachdachte war das Leben ein ständiger Wechsel zwischen wunderbaren, unbegreiflichen Eindrücken und einem sich an sie Gewöhnen und sie Verdrängen. Die Augen vor ihnen verschließen. Weil man nicht in der Lage ist zu leben, wenn man sich an ihnen aufhält. Man ist tagsüber nicht wach und kann nicht zur Arbeit gehen und Geld ranschaffen, wenn man Nachts wach liegt und über die Wunder des Lebens nachdenkt und sich an den Lichtschatten der Autoscheinwerfer erfreut, die an die an der Zimmerdecke entlang wandern und die starren Geister der Dunkelheit einen Moment lang überblenden.
Man wird seine Tochter im Nebenzimmer nicht erziehen können, wenn man sieht, wie sich in ihren Augen die Welt spiegelt. So, wie man an allen Dingen zugrunde gehen muss, die einem so viel bedeuten, dass sie das Leben ausmachen.Wahrscheinlich wird ihn seine Frau irgendwann verstoßen.

Irgendwie wusste er, dass er sich sein ganzes Leben an diesen Moment erinnern wird. Dieser Moment, in dem ihm, nach zwei Wochen Dauerstress rund um die einschneidenden Veränderungen, die plötzlich sein Leben bestimmten, endlich Zeit blieb, die grellen Lichtschatten an der Decke zu beobachten und sich über seine Situation klar zu werden.
Neben ihm lag seine schniefende Frau. Ob er sie wirklich liebte, wusste er nicht. Sie war die beste gewesen, die ihn ohne große Anstrengungen genommen hatte. Doch hatte er nicht das Gefühl wirklich er selbst zu sein, wenn sie in der Nähe war. Sie beschämte ihn auf eine unangenehme Weise, er schämte sich für sie. Als er jung war, hatte er so viele Träume, es schienen sich ihm so viele Gelegenheiten geboten zu haben, die am Ende ungenutzt blieben oder durch den Zufall vereitelt wurden. Er glaubte nicht an Schicksal und er wusste, dass es falsch war, aber insgeheim machte er seine Frau dafür verantwortlich, dass er nie glücklich geworden war. Oder war er glücklich?
Im Nebenzimmer lag seine kleine Tochter. Sie konnte noch nicht sprechen oder denken, sie konnte nur brüllen. Sie war ja auch erst zwei Wochen alt. Sie hatte noch so viel vor sich. Sie war, wie ein weißes Blatt Papier, dass erst noch bemalt werden wollte. Er war immer schlecht im Malen gewesen.
Sie hatte noch so viele Möglichkeiten, war von keiner schnaufenden Frau an die Wand gedrückt und eingeengt. Er schlug die Bettdecke zur Seite und stand aus dem Bett auf. Seine Frau gab ein seufzendes Geräusch ab und öffnete die Augen: „Wo gehst du hin?“. „Ich hole mir ein Glas Wasser“. „Bringst du mir eins mit?“ „Mach ich.“, antwortete er.
Das war das schlimme an ihr, sie zwang einen immer dazu Dinge zu tun, die man nicht wollte. Nicht, dass sie es mit Absicht tat. Sie tat es aus Dummheit und diese Dummheit wiegte schwerer als jede Bosheit, weil man ihr nicht böse sein durfte. Er war es trotzdem.
Er wollte sich kein Wasser holen. Er wollte aufstehen, um ein Wunder zu betrachten. Er schloss die Schlafzimmertür in der Hoffnung, seine Frau werde wieder einschlafen, leise. Dann öffnete er die Tür zum Kinderzimmer, wo das kleine Bettchen stand, in dem seine Tochter schlief. Er konnte sich immer noch nicht recht vorstellen, dass dieses kleine Wesen, wie es dort in seinem Bettchen lag, seine Tochter war. Nicht, dass es unglaublicher war, als die meisten Dinge im Leben, aber die zwei Wochen hatten noch nicht gereicht sich daran zu gewöhnen. Im Alter lernt man langsamer. Sachte machte er die Tür zum Kinderzimmer wieder zu.
Dann ging er in die Küche und nahm sich zwei Gläser aus dem neuen Küchenschrank. Sie waren erst vor einem halben Jahr in die gemeinsame Wohnung gezogen. Vorher hatte er noch bei seinen Eltern gewohnt und sie in einer WG. Wenn man ein Kind kriegt, müssen die Eltern zusammen leben, da waren sich alle Beteiligten einig gewesen. Erst seit er mit seiner Frau in einem Bett schlief, wusste er aber, wie satt er sie hatte. Natürlich gab es Momente, wo er ihr dankbar war, wo er sich freute sie zu sehen oder sie sogar begehrte, aber das waren nur Lichtschatten, die ihn verhöhnten.
Er hielt ein Glas und ließ Wasser einlaufen. Bis oben hin. Dann trank er es in drei Schlücken aus. Der neutrale Mineralgeschmack klebte in seinem Mund. Er bekam eine Gänsehaut, als er spürte, wie das kalte Wasser, seine Speiseröhre hinunterfloss. Er hatte nichts trinken wollen.
Er stellte sein Glas verkehrt herum in die Spüle und füllte das zweite Glas mit Wasser und kippte es wieder aus.
Der bloße Gedanke, wie sie sich im Bett aufrichtete, um in ihren nippenden, kleinen Schlücken das Glas mühsam zu leeren, widerte ihn an.
Er würde sie heute Nacht verlassen. Sie war nicht mehr tragbar. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihre krummen Zähne, ihr ständiges Gejammer, ihre bleiche Haut, ihre betonte Ordnung und Sauberkeit, überhaupt ihr ganzes, maßvoll abschätzendes Wesen, waren nicht mehr tragbar. Er wollte Leben und Leben konnte er mit ihr nicht.
Dort war die Tür. Er brauchte nur zu gehen und dieser ganze Alptraum wäre vorbei. Er würde wieder zu seinen Eltern in sein altes Kinderzimmer ziehen. Seine Eltern wären betrübt, er würde sich wieder wie ein Außenseiter vorkommen, wie ein Muttersöhnchen. Aber wenn die Alternative ewige Nächte mit der dunklen Zimmerdecke waren, bedrückende Tage mit einer Frau, die er nur aus Heuchelei ihr und der ganzen Menschheit gegenüber geheiratet hatte. Um sich zu binden und als normal zu gelten, hatte eine weitere groteske Situation konstruiert und das eigene Leben noch grotesker gemacht. Dort war die Haustür in die Freiheit, da der Balkon in die ewige Sorglosigkeit und dann war da noch die andere Tür zurück ins Schlafzimmer zu den Lichtschatten.
Er würde seine Tochter mitnehmen. Sie in seinem kleinen Kinderzimmer zu versorgen gestaltete sich schwer, aber er würde es schon schaffen. Doch eine nasskalte Herbstnacht klopfte gegen das Fenster und in den abfließenden Regentropfen, meinte er plötzlich das eigene Leben zu erkennen. Nein, jetzt konnte er nicht fliehen.
Er ging zurück ins Bett, legte sich auf die noch warme Stelle und schlug die Bettdecke wieder über sich. „Hast du das Wasser? Ich habe riesigen Durst.“, sagte sie. „Nein, das habe ich vergessen, soll ich es holen?“ „Nein, es ist schon in Ordnung, ich hole es selbst.“
Sie stand auf und machte das Licht im Flur an. Er glaubte das Hauptproblem an ihr war, dass er sie nicht anbeten konnte. Er war nicht religiös oder so, aber er hatte sein Leben lang irgendwelche Mädchen vergöttert und jetzt fand er sich plötzlich jeglicher Illusionen beraubt und Illusionen gibt man sich hin, wenn man Mädchen anbetet.
Er hockte mit dieser Frau in einer Wohnung in der er sich fremd fühlte und jetzt lag er wach und wartete darauf, dass sie endlich wieder ins Bett kam und das Licht im Flur ausmachte, das ihn am Einschlafen hinderte. Morgen würde dieser Alptraum vorbei sein. Im Schlaf fliegt die Zeit und im Flur brennt das Licht.
Endlich machte sie das Licht aus, machte die Tür zu und legte sich ins Bett. „Unser Püppchen schläft tief und fest.“, sagte sie. „Hmmhmm.“, brummte er. „Ich bin so stolz auf dich, dass du dich so gut mit deiner Vaterrolle zurechtfindest“. „Danke und gute Nacht.“, antwortete er. Auf allgemeines Geschwätz hatte er überhaupt keine Lust. „Du bist auch eine gute Mutter.“, setzte er noch nach, denn das war sie, das war das einzige, was sie war. „Ich glaube unser Püppchen wird ein großartiges Kind!“, sagte sie. „Und ich glaube, wir sollten jetzt schlafen!“, sagte er. „Ich habe dich lieb!“, sagte sie. Er tat, als schlafe er schon, indem er kräftig durch die Nase einatmete und einen leichten Schnarchton erzeugte. Sie hatte einmal gesagt, er schnarche etwas.

So bekam er mit, wie sie sich langsam und leise aus dem Bett drückte und in den Flur schlich. Dort machte sie die Tür zum Schlafzimmer zu. „Die Schlampe verlässt dich und lässt dich mit der Göre allein!“, sagte er sich. Er sprang aus dem Bett auf und machte die Schlafzimmertür einen Spalt auf, grade noch, um zu sehen, wie sie auf Klo ging.

Er atmete erleichtert auf und schaute an die Decke, wo grade ein Lichtschatten an der Zimmerlampe entlang schlich.

Am nächsten Morgen war ihr Bett leer. Er streckte sich aus und stand auf. Die Klotür war abgeschlossen. Er hämmerte dagegen: „Mach auf, ich muss dringend pissen!“. Als sich nichts rührte, schlug er stärker zu. „Wenn du nicht sofort die Tür aufmachst, kannst du was erleben!“. Und dann: „Okey du blöde Fotze, du wirst schon sehen, was du davon hast!“. Dann rammte er mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, die ihm nachgab.
„Scheiße, was machst du für eine Scheiße?“, fragte er, als er mit vor Wut blutrotem Kopf, die weiße Leiche seiner Frau sah, die in ihrem eigenen Blut zu schwimmen schien. Aber sie antwortete ihm nicht mehr.

 

Hallo popla,

ein bisschen hast du geschlampt bei dieser Geschichte. Ich wollte sie ja schon fast ins Korrektur Center stecken. ;)

Es gibt einen fast unebkannten Film von Blake Edwards mit Jack Lemmon und Julie Andrews, namens "So ist das Leben". Dahinter verbirgt sich ein Mann, der anlässlich seines runden Geburtstags in eine Miflife Krise fällt, dessen Gedanken sich nur darum drehen, wie schlecht er es hat, während seine Frau ihm die Feier ausrichtet und bangen Herzens auf das Ergebnis der Gewebeprobe der Knoten in ihrer Brust wartet.
An diesen Film musste ich bei deiner Geschichte denken, denn es geht auch um den Egoismus des Leidens, der uns abstumpft und blind macht für die Bedürfnisse und das Leid anderer. Bildlich brachte ein vergessenes Glas Wasser das Fass dieser Frau zum Überlaufen, aber geschickt hast du uns durch die Perspektive des Mannes nur an seinem Unglück teilhaben lassen.

Der Ausbruch des Mannes zum Ende passt für mich verbal nicht zu ihm. Ich habe bestimmt nicht grunssätzlich etwas gegen Wörter wie "Fotze", ich finde es aber hier unangebracht, gerade wel dein Protagonist ja im Zusammensein die ganze Zeit um Beherrschung bemüht ist.

Ob ich alle deiner zahlreichen Fehler entdeckt habe, weiß ich nicht. Aber ein paar habe ich.

seine schnaufende Frau neben sich
Ist die Frau Asthmakrank?
wenn man sich in ihren Augen die Welt spiegeln sieht.
Da musste ich drei Mal lesen, bis ich das begriffen hatte. Ich nehme an, dein Prot sah die Welt sich in den Augen seiner Tochter spiegeln.
und sich über seine Situation im klaren zu werden.
Müsste mE "klar zu werden" heißen.
Neben ihm lag seine schniefende Frau.
jetzt auch noch schniefend? Eine Allergie?
Er wollte Aufstehen, um sich ein Wunder zu betrachten.
- aufstehen (klein)
- um ein Wunder zu betrachten (sich weg)
Sie waren erst vor einem halben Jahr in die gemeinsame Wohnung gezogen. Vorher hatte er noch bei seinen Eltern gewohnt und sie in einer WG
Ich muss da mal nachfragen, denn an anderer Stelle resümiert dein Prot so, als seien sie schon ewig verheiratet.
da waren sich alle beteiligten einig.
Beteiligten
ihre krummen zähne
Zähne
Aber wenn die alternative ewige Nächte mit der dunklen Zimmerdecke waren,
Alternative
legte sich auf die noch warme Stelle und Schlug die Bettdecke wieder über sich.
und schlug
und wartete darauf, dass sie endlich wieder ins Bett kam und das Licht im Flur ausmachte, dass ihn am Einschlafen hinderte.
ausmachte, dass ihn ...

Den Rest musst du selber finden.
Lieben Gruß, sim

 
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Hi Sim!

Vielen, vielen Dank für Deine Kritik!
Die war echt gut und meine eigenen Rechtschreibfehler finde ich irgendwie nicht. Ich war Abends um 23 Uhr plötzlich sehr motiviert eine KG zu schreiben und das war dann um halb zwei das, was raus kam, ich musste am nächsten Tag früh aufstehen (6.30h) und hab sie einfach reingestellt, um mit ihr abzuschließen.
Naja, sry für die Zumutung, obwohl ich Inhaltlich nach wie vor der Meinung bin, dass sie in ordnung ist. ;)

Gruß,
Dario

achso: Das Schnarchen/ Schnupfen o.ä. soll einfach dafür stehen, dass der Schlafende eigentlich gehasst wird. Wie man eine geliebte Person im Schlaf lieblich findet und jemand, den man nicht mag, oft sehr negativ auffällt. Naja dieses Krasse gemotze am Ende muss schon sein, so entsteht nämlich auch eine Möglichkeit, die der Leser eigentlich wohl nicht wahr haben will: Der Mann tut sich selbst leid und treibt durch seine Gewalttätigkeit (dann nicht nur das verweigerte Wasserglas), die Frau in den Selbstmord.

 

Hallo Popla,

keine schlechte Geschichte, allerdings gibt es noch einige Dinge, die mich daran stören.

Für mich ist dein Prot. ein Mann, der eben noch nicht reif für eine Vaterrolle ist, auch nicht reif genug eine dauerhafte Bindung einzugehen. Das alles überfordert ihn.
Er sehnt sich nach anbetungswürdigen Mädchen zurück und verachtet seine Frau, weil sie so normal ist.
Dieses Schnaufen und Schniefen fand ich im Gegensatz zu Sim sehr gut angebracht, weil es auch für mich ausdrückt, wie sehr er seine Frau verachtet. Ansonsten würde er sie mit anderen Worten beschreiben und sie aus anderen Augen sehen.

Wobei im Sim vollkommen zustimme ist der Ausbruch am Ende: Er passt nicht zu deinem Prot.! Den ganzen Text über wirkte er zwar unzufrieden, unreif - aber beherrscht. Der Ausbruch scheint nicht von ihm zu kommen. Des Weiteren verstehe ich nicht, warum er sich überhaupt so aufregt. Die Frau ist schließlich nur ins Bad gegangen und das ist ja erst Mal gar kein Grund zur Aufregung.
Ich würde es so aufbauen, dass er noch hört, wie seine Frau rausgeht und dann merkt er, dass sie lange nicht zurück kommt. Daraufhin steht er auf, weil er plötzlich Panik bekommt, dass seine Frau das Kind genommen und abgehauen ist. (Schließlich hatte er kurz vorher den Gedanken genau das zu tun.)
Er läuft aufgeregt durch das Haus, sieht das das Kind schläft und dann findet er im Bad die Leiche seiner Frau.
Dadurch könntest du dir den Ausbruch deines Prot. sparen.
Das alles ist natürlich nur als Vorschlag anzusehen.

Ansonsten fand ich die Geschichte wirklich nicht schlecht. Du hast die Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte deines Prot. sehr gut eingefangen und er wirkte auf mich, bis am Ende, sehr authentisch.

Noch ein wenig Textkram:

So, wie man an allen Dingen zugrunde gehen muss, die einem so viel bedeuten, dass sie das Leben ausmachen.

Wow, sehr schöner Satz.

Sie war ja auch erst zwei Wochen alt.

Das hast du erst einen Satz weiter oben geschrieben. Daher würd ich es einmal streichen.

„Mach ich.“, antwortete er.

Der Punkt hier muss raus.

Sie tat es aus Dummheit und diese Dummheit wiegte schwerer als jede Bosheit, weil man ihr nicht böse sein durfte.

Ich kann mir zwar vorstellen worauf du hinaus willst, aber diese Dummheit im Zusammenhang mit der Bitte nach einem Glas Wasser zu stellen, finde ich nicht so gelungen.

Und dann: „Okey du blöde Fotze, du wirst schon sehen, was du davon hast!“.

Okay

LG
Bella

 

Hi popla,

eine schön durchdachte Geschichte, die sich flüssig liest und auch den nötigen Tiefgang aufweisen kann. Gut! Leider verliert sie gegen Schluss einfach ungemein, als der Prot beginnt, die Kontrolle zu verlieren und seine Frau beschimpft - das ist nicht stimmig. Und selbst, wenn du die Geschichte nicht mehr großartig verändern möchtest, solltest du da doch noch mal rangehen - es ist wirklich nötig.

Sehr schön fand ich auch, wie durchgehend du die Perspektive einhalten konntest. Nur gen Schluss fällt man da raus - es scheint eben nicht mehr zu passen.

Seltsamerweise hat mich nichtmal gestört, dass keiner deiner Charaktere einen Namen hat - du hast es trotzdem geschafft, ihnen Individualität zu verleihen und sie vor meinen Augen lebendig werden zu lassen.

Nicht schlecht.

Anea

 

Hi und vielen Dank euch beiden!

Irgendwie bin ich an diesem Wochendende zu nichts gekommen. In seinen letzten Minuten habe ich jetzt zumindest die Handlung soweit angepasst, dass der Schluss hoffentlich einleuchtender erscheint.
Ich komme jetzt nicht mehr dazu das durchzulesen, oder eine vernünftige Stellungnahme abzugeben, weil ich morgen früh zur Schule muss, aber ich bedanke mich sehr herzlich und werde mich morgen um alles kümmern. Jedenfalls mache ich etwas, was ich vorher noch nie gemacht habe, nämlich die Geschichte von der ersten Version getrennt zu posten. Die Veränderungen sind einfach zu groß, als dass ich sie jetzt einfach editieren könnte, glaube ich.

Herzliche Grüße,

Dario

 
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Vor zwei Wochen war er Vater geworden. Er hatte sich immer gefragt, wie das ist, Vater zu sein. Es ist, als ob man ein Teil von sich selbst in die Welt entlässt, dachte er. Er lag in seinem Bett und hatte die Augen geöffnet, stocherte in der Dunkelheit mit ihnen herum. Er hatte das Gefühl, schon viele Male so dagelegen zu haben, seine schnaufende Frau neben sich im Bett und sein Kind im Nebenzimmer.
Wenn er so drüber nachdachte war das Leben ein ständiger Wechsel zwischen wunderbaren, unbegreiflichen Eindrücken und einem sich an sie Gewöhnen und sie Verdrängen. Die Augen vor ihnen verschließen. Weil man nicht in der Lage ist zu leben, wenn man sich an ihnen aufhält. Man ist tagsüber nicht wach und kann nicht zur Arbeit gehen und Geld ranschaffen, wenn man nachts wach liegt, über die Wunder des Lebens nachdenkt und sich an den Lichtschatten der Autoscheinwerfer erfreut, die an der Zimmerdecke entlang wandern und die starren Geister der Dunkelheit einen Moment lang überblenden.
Man wird seine Tochter im Nebenzimmer nicht erziehen können, wenn man sieht, wie sich in ihren Augen die Welt spiegelt. So, wie man an allen Dingen zugrunde gehen muss, die einem so viel bedeuten, dass sie das Leben ausmachen. Wahrscheinlich wird ihn seine Frau irgendwann verstoßen.

Irgendwie wusste er, dass er sich sein ganzes Leben lang an diesen Moment erinnern wird. Dieser Moment in dem ihm, nach all den einschneidenden Veränderungen, die plötzlich sein Leben beherrschten, endlich Zeit blieb, die grellen Lichtschatten an der Decke zu beobachten und sich über seine Situation klar zu werden.
Neben ihm lag seine schniefende Frau. Ob er sie wirklich liebte, wusste er nicht. Sie war die einzige gewesen, die er ohne große Anstrengungen erobern konnte. Doch hatte er nicht das Gefühl, wirklich er selbst zu sein, wenn sie in der Nähe war. Sie beschämte ihn auf eine unangenehme Weise, er schämte sich für sie. Als er jung war hatte er so viele Träume, es schienen sich ihm so viele Gelegenheiten zu bieten, die am Ende ungenutzt blieben oder durch den Zufall vereitelt wurden. Zwar glaubte nicht an Schicksal und wusste, dass es so absurd war, aber insgeheim machte er doch seine Frau dafür verantwortlich, dass er nie glücklich geworden war. Oder war er glücklich?
Im Nebenzimmer lag seine kleine Tochter. Sie konnte noch nicht sprechen oder denken, sie konnte nur brüllen. Sie war ja auch erst zwei Wochen alt. Sie hatte noch so viel vor sich. Sie war wie ein weißes Blatt Papier, das erst noch bemalt werden wollte. Er war immer schlecht im Malen gewesen.
Aber sie konnte eine große Künstlerin werden, sie hatte so viele Möglichkeiten, war von keiner schnaufenden Frau an die Wand gedrückt und eingeengt. Er schlug die Bettdecke zur Seite und stand aus dem Bett auf. Seine Frau gab ein seufzendes Geräusch ab und öffnete die Augen: „Wo gehst du hin?“. „Ich hole mir ein Glas Wasser“. „Bringst du mir eins mit?“ „Mach ich“, antwortete er.
Das war das schlimme an ihr, sie zwang einen immer dazu Dinge zu tun, die er nicht tun wollte. Nicht, dass sie es mit Absicht tat. Sie tat es aus Dummheit und diese Dummheit wog schwerer als jede Bosheit, weil man ihr deswegen nicht böse sein durfte. Er war es trotzdem.
Er wollte sich kein Wasser holen. Er wollte aufstehen, um ein Wunder zu betrachten, aber so etwas sagt man nicht. Er schloss die Schlafzimmertür in der Hoffnung, seine Frau werde wieder einschlafen, leise. Dann öffnete er die Tür zum Kinderzimmer, wo das kleine Bettchen stand, in dem seine Tochter schlief. Er konnte sich immer noch nicht recht vorstellen, dass dieses kleine Wesen, wie es dort in seinem Bettchen lag, seine Tochter war. Nicht, dass es unglaublicher war als die meisten Dinge im Leben, aber die zwei Wochen hatten noch nicht gereicht sich daran zu gewöhnen. Im Alter lernt man langsamer. Sachte machte er die Tür zum Kinderzimmer wieder zu.
Dann ging er in die Küche und nahm sich zwei Gläser aus dem neuen Küchenschrank. Sie waren erst vor einem halben Jahr in die gemeinsame Wohnung gezogen. Vorher hatte er noch bei seinen Eltern gewohnt und seine Frau in einer WG. Wenn man ein Kind kriegt, müssen die Eltern zusammen leben, da waren sich alle Beteiligten einig gewesen. Erst seit er mit ihr in einem Bett schlief, wusste er aber, wie satt er sie hatte. Natürlich gab es Momente, wo er ihr dankbar war, wo er sich freute sie zu sehen oder sie sogar begehrte, aber das waren nur Lichtschatten, die ihn verhöhnten.
Er hielt ein Glas und ließ Wasser einlaufen. Bis oben hin. Dann trank er es in drei Schlücken aus. Der neutrale Mineralgeschmack klebte in seinem Mund. Er bekam eine Gänsehaut, als er spürte, wie das kalte Wasser, seine Speiseröhre hinunterfloss. Er hatte nichts trinken wollen.
Er stellte sein Glas verkehrt herum in die Spüle und füllte das zweite Glas mit Wasser und kippte es wieder aus.
Der bloße Gedanke, wie sie sich im Bett aufrichtete, um in ihren nippenden, kleinen Schlücken das Glas mühsam zu leeren, widerte ihn an.
Er würde sie heute Nacht verlassen. Sie war nicht mehr tragbar. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihre krummen Zähne, ihr ständiges Gejammer, ihre bleiche Haut, ihre betonte Ordnung und Sauberkeit, überhaupt ihr ganzes maßvoll abschätzendes Wesen waren nicht mehr tragbar. Er wollte leben und leben konnte er nicht mit ihr.
Dort war die Tür. Er brauchte nur zu gehen und dieser ganze Alptraum wäre vorbei. Er würde wieder zu seinen Eltern in sein altes Kinderzimmer ziehen. Seine Eltern wären betrübt und er würde sich wieder wie ein Außenseiter vorkommen, wie ein Muttersöhnchen. Aber wenn die Alternative war, ewige Nächte an die dunkle Zimmerdecke zu starren, bedrückende Tage mit einer Frau zu verleben, die er nur aus Heuchelei ihr und der ganzen Menschheit gegenüber geheiratet hatte... Um sich zu binden und als normal zu gelten, hatte er eine weitere groteske Situation konstruiert und sein Leben ad absurdum geführt. Dort war die Haustür in die Freiheit, da der Balkon in die ewige Sorglosigkeit und dann war da noch die andere Tür zurück ins Schlafzimmer zu den Lichtschatten.
Er würde seine Tochter mitnehmen. Sie in seinem kleinen Kinderzimmer zu versorgen würde sich schwer gestalten, aber er würde es schon schaffen. Doch eine nasskalte Herbstnacht klopfte gegen das Fenster und in den langsam abfließenden Regentropfen, glaubte er plötzlich das eigene Leben zu erkennen. Nein, er konnte jetzt nicht fliehen, draußen war kein Wetter für ihn und seine zarte Tochter.
Er ging zurück ins Bett, legte sich auf die noch warme Stelle, auf der er zuvor gelegen hatte, und schlug die Bettdecke wieder über sich. „Hast du das Wasser? Ich habe riesigen Durst.“, sagte sie. „Nein, tut mir leid, das habe ich vergessen. Soll ich es holen?“ „Nein, es ist schon in Ordnung, ich hole es selbst.“
Sie stand auf und machte das Licht im Flur an. Er glaubte, das Hauptproblem an ihr war, dass er sie nicht anbeten konnte. Er war nicht religiös oder so, aber er hatte sein Leben lang irgendwelche Mädchen vergöttert und jetzt fand er sich plötzlich jeglicher Illusionen beraubt und Illusionen gibt man sich hin, wenn man Mädchen anbetet.
Er hockte mit dieser Frau in einer Wohnung, in der er sich fremd fühlte, und jetzt lag er wach und wartete darauf, dass sie endlich wieder ins Bett kam und das Licht im Flur ausmachte, das ihn am Einschlafen hinderte. Morgen würde dieser Alptraum vorbei sein. Im Schlaf fliegt die Zeit und im Flur brennt das Licht.
Endlich knipste sie das Licht aus, machte die Tür zu und legte sich ins Bett. „Unser Püppchen schläft tief und fest.“, sagte sie. „Hmmhmm.“, brummte er. „Ich bin so stolz auf dich, dass du dich so gut mit deiner Vaterrolle zurechtfindest“. „Danke und gute Nacht.“, antwortete er. Auf allgemeines Geschwätz hatte er überhaupt keine Lust. „Du bist auch eine gute Mutter.“, setzte er noch nach. Denn das war sie, das war das einzige, was sie war. „Ich glaube unser Püppchen wird ein großartiges Kind!“, sagte sie. „Und ich glaube, wir sollten jetzt schlafen!“, sagte er. „Ich habe dich lieb!“, sagte sie. Er tat, als schlafe er schon, indem er kräftig durch die Nase einatmete und einen leichten Schnarchton erzeugte. Sie hatte einmal gesagt, er schnarche etwas.

So bekam er mit, wie sie sich langsam und leise aus dem Bett drückte und in den Flur schlich. Dort machte sie die Tür zum Schlafzimmer zu. Er stand auf und öffnete die Schlafzimmer einen Spalt weit, grade, um zu sehen, wie sie die Klotür hinter sich schloss.
Er atmete erleichtert auf und schaute an die Decke, wo grade ein Lichtschatten an der Zimmerlampe entlang schlich.

Einige Stunden später - das Dunkel der Fenster ließ darauf schließen, dass sich das Irgendwann der Nacht noch immer nicht verflüchtigt hatte - weckte ihn das Gebrüll seiner Tochter auf. Als er sich gähnend ausstreckte, verharrte er einen Moment vor Schreck: Seine linke Hand war nicht wie gewohnt an die ungeliebte Frau gestoßen. Wahrscheinlich war sie schon aufgestanden und kümmerte sich um das Töchterchen. Er beschloss liegen zu bleiben und zu warten, bis seine Frau das Plärren abgestellt hatte. Und so lag er da und starrte wieder an die dunkle Decke aber es passierte nichts. Nur selten war jetzt noch ein Lichtschatten zu sehen und das Gebrüll nahm kein Ende. Schließlich rief er: „Was ist denn da los, warum kümmerst du dich nicht um die Kleine?“ und stand auf.
Seine Tochter lag allein in ihrem Bettchen und brüllte. Keine Mutter war zu sehen, also nahm er das Kind in den Arm und versuchte es zu beschwichtigen. Er redete ihm gut zu und tätschelte es mit der Hand. Das hatte er in den letzten zwei Wochen gelernt. Er roch an der Windel, aber da war nichts zu riechen. „Ich glaube sie hat Hunger, versuch ihr bitte mal die Brust zu geben!“, rief er in die Wohnung hinein. Keine Antwort - nur das Gebrüll, sonst blieb alles ruhig.
„Na schön, wo bist du?“, sagte er zu sich selbst und legte seine Tochter, hilflos wie er war, in ihr Bettchen zurück, wo sie unbeirrt weiter schrie. „Komm her! Deine Tochter braucht die Brust!“, schrie er und lief aufgeregt durch die Wohnung. Ins Wohnzimmer mit der neuen Couch, ins Schlafzimmer zurück, in die Küche und dann stockte ihm der Atem. „Die Schlampe hat dich mit dem Balg alleine gelassen!“, sagte er sich.
Er rannte zur Haustür und guckte nach den Schuhen seiner Frau. Sie standen brav und wie selbstverständlich an ihrem Platz. Doch dann sah er, dass die Klotür abgeschlossen war. Er klopfte an und schrie: „Komm, mach bitte auf! Deine Tochter braucht dringend etwas zu essen, du musst ihr die Brust geben!“ Keine Antwort. Er schlug stärker gegen das zarte Holz der Tür. Sie hatten es ausgewählt, weil es an der Oberfläche sehr schön gemasert war und die Tür doch leicht und billig.
„Auf was für einem scheiß Egotrip bist du denn jetzt? Mach gefälligst die Tür auf!“, brüllte er.
Keine Antwort. Er lief vor Wut rot an und schrie so laut er konnte: „Da hinten schreit deine hungrige Tochter und du blöde Schlampe schließt dich hier im Bad ein. Komm sofort raus oder ich komme rein und hole dich!“ Keine Antwort. Der Hohn der Türmaserungen. „Ich komme gleich rein und dann kannst du was erleben!“, schrie er und trat so besessen gegen die Tür, dass er gar nicht merkte, wie ihm der eigene Krach in den Ohren weh tat. Keine Regung - nur die Maserungen amüsierten sich prächtig. „Du hast es nicht anders gewollt!“, schrie er und schmiss sich gegen die Tür. Die Tür zeigte keine Regung. Er nahm einige Schritte Anlauf und rannte schreiend auf die Tür zu. Als die Tür unter seiner Körpermasse aufbrach, fand er sich in einer anderen Welt wieder. Hier durfte man nicht wütend sein, hier musste man Trauer und Andacht halten, doch sein hochroter Kopf verriet ihn. Seine bleiche Frau lag in der mit rotem Blut gefüllten Badewanne. Nur ihr Kopf schaute aus der roten Flüssigkeit heraus. „Elisabeth, was – was hast du gemacht?“, stammelte er. Doch sie antwortete ihm nicht, sie würde ihm nie mehr antworten.
An der Tür klingelte es. Mechanisch ging er den Weg aus dem Badezimmer heraus zur Tür und öffnete sie. Eine Frau mit schwarzen, schulterlangen Haaren blickte ihn an. Frau Greschnik aus der Wohnung eine Etage tiefer. „Was machen sie bloß? Warum schreien sie mitten in der Nacht so rum?“, wollte sie wissen. Er starrte sie fassungslos an. Ihre kalten, blauen Augen starrten zurück und nichts passierte. „Hören sie auch das Kindergeschrei?“, fragte sie unvermittelt. „Ja“, bestätigte er. „Das ist doch ihr Kind, richtig?“. „Ja“. „Dann kümmern sie sich drum!“, forderte sie ihn auf.
Er ging ins Kinderzimmer. Doch vor dem Bettchen blieb er reglos stehen und betrachtete sich das schreiende Kind. Was wurde von ihm erwartet, was sollte er tun? Das war alles, was er sich fragen konnte, weil ein schriller Frauenschrei seine Gedanken durchtrennte, wie seine Frau immer die Spaghetti klein geschnitten hatte.

 

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