- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Liebe deinen Nächsten
Und Gott fand, dass die Welt noch eine Prise mehr Böses vertragen konnte. Also schuf er Kamitzke. Und Gott sah, dass es schlecht war.
Kamitzke ist mein Nachbar. Ein älterer Herr, seines Zeichens Hobbycholeriker und Hauptmann außer Dienst. Wir beide haben absolut nichts gemeinsam, abgesehen davon, dass wir einander auf den Tod hassen.
Alles fing damit an, dass es ganz klassisch eine kleine Meinungsverschiedenheit über die gemeinsame Grenze unser beider Gärten gab. Vielleicht hätte ich tatsächlich nicht zentimetergenau alle Äste seines Baumes abschneiden müssen, die über den Zaun zu mir herüberwucherten. Aber ich war es einfach satt, ständig das Laub wegkehren zu müssen. Dieser Gefallen an mich selbst fand aber nicht die Billigung von meinem Nachbarn, so dass wir seitdem ein ähnlich inniges Verhältnis wie zwei gleichgepolte Magneten pflegen.
Nach Wochen des Zweckfriedens gab es aber wieder Ärger, dergestalt dass Herr Kamitzke daran Anstoß nahm, dass ich bisweilen auch nach 19Uhr bei offenem Fenster zu musizieren geneigt bin. Ich spiele Gitarre, und das auch nicht so herzzereißend schlecht, dass sich jemand daran so gestört hätte fühlen müssen, regelmäßig wie ein Irrer über den Hof zu brüllen. Mein verehrter Nachbar hört mein Spiel auch nur, weil er sein Fenster offen hat. Soll ers eben zumachen, wenn ihn meine Klänge stören!
Stattdessen hat er sich nun eine Stereoanlage gekauft, sie direkt auf meine Fassade ausgerichtet und wartet jeden Tag geduldig darauf (als Frührentner hat man ja eh nichts anderes zu tun), dass ich in die Saiten greife, um mich sodann mit Best-of-Musikantenstadl Vol. 1 – 17 zu beschallen.
Natürlich, ich könnte das Fenster schließen. Aber hier gehts schließlich ums Prinzip! Die ersten Tage habe ich besonders laut gespielt und wie eine sterbende Katze dazu gesungen, konnte jedoch gegen seine Lautsprecher nicht im Geringsten anstinken. Also investierte ich ein halbes Monatsgehalt in eine E-Gitarre samt dickem Marshallverstärker und fing an Speedmetal und andere Teufelsmusik zu üben auf dass die Scheiben klirrten. Den Brüllwürfel platzierte ich taktisch geschickt auf der Fensterbank und richtete ihn auf das Domizil meines Feindes aus.
Jeden Tag ging nun pünktlich um 19Uhr ein Höllenlärm in Gestalt einer Symbiose aus Slayer und den Kastelruther Spatzen los. Wahrscheinlich hätte der Katastrophenschutz dem Treiben ein baldiges Ende gesetzt, wenn nicht Kamitzke zuvor mit einem Luftgewehr meinen Verstärker erschossen hätte.
Das schlug dem Fass den Kronleuchter ins Gesicht. Ich reichte eine schriftliche Kriegserklärung in Form eines mit faulen Eiern signierten Briefs ein. Am nächsten Tag fand ich in den Lack meines Autos eingekratzt "Angenommen".
Nun denn! Ich versuchte es mit psychologischer Kriegsführung, verteilte seine Adresse bei den Mormonen und den Zeugen Jehovas und abonnierte ihm sämtliche kostenlose Werbebroschüren von Bestattungsunternehmen. Während ich gerade an einer Photomontage arbeitete die einen Brüllaffen mit Kamitzkes Kopf zeigte, klingelte es an meiner Tür und mir wurden 54 Partypizzas geliefert. Sämtliche Versuche, die Annahme zu verweigern, verliefen erfolglos. Mein Monatsgehalt schrumpfte um weitere 500 Euro. Die Photomontage verteilte ich trotzdem noch gleichmäßig auf die Briefkästen der Nachbarschaft.
In der Tat, der alte Sack war ein mir mehr als ebenbürtiger Gegner. Somit musste ich stärkere Geschütze auffahren. Ich leistete mir für 120 Piepen eine Allzweckfernbedienung und postierte mich gegen Feierabend hinter dem Vorhang am Fenster, so dass ich schräg über den kleinen Hof im gegenüberliegenden Wohnzimmer Kamitzkes Fernseher sehen konnte. Die Wutausbrüche, denen sich der arme Mann immer wieder hingab, hielten den kompletten Wohnblock bis in die frühen Morgenstunden bei Laune; durchaus gerechtfertigt, wenn einem bei seiner Lieblingsserie ständig der Dauerwerbekanal eingeschaltet wird. Es ist mittlerweile eine Art Sport geworden, an dem sich auch meine Freunde tatkräftig beteiligen. Ziel ist, Kamitzke mit bestimmten Kanalwechsel- und Laut/Leise- Manövern an die Schallmauer zu treiben.
Den Höhepunkt für uns bildete der ihm heilige Fußballabend, an dem seine Mannschaft das entscheidende Spiel zu schlagen hatte. Durch den meisterlichen Einsatz meiner Fernbedienung verpasste Kamitzke alle zwei Tore seines Clubs. Das Ende des Matches (und das seiner Mannschaft - 3:2 für den Gegner) ließen wir ihn dann doch größtenteils ungestört schauen, nur ab und zu unterbrochen von spontanen Werbeblöcken. Simultan zum Schlusspfiff zertrümmerte er sein Gerät mit einem Stuhl. Seitdem stand eine Flimmerkiste aus Weltkriegszeiten bei ihm herum, die schlicht keine Fernbedienung besitzt.
Irgendjemand muss gepetzt haben, anders hätte ich mir sonst nicht erklären können, dass meine Katze überfahren wurde, offensichtlich mehrmals. Dieser niederträchtige Akt leitete den Beginn der Apokalypse ein. Ein von mir akribisch vorbereiteter anonymer Anruf bei der Polizei bescherte Kamitzke am Samstag einen Besuch eines Sondereinsatzkommandos samt Katastrophenschutz, die nachts um drei Uhr vierzig seine Tür aufbrachen, die Möbel mit Desinfektionsschaum überdeckten und seinen Kleiderschrank sprengten, während er glockenhell schreiend von zwei Beamten abgeführt wurde. Die ersten Nachbarn zogen aus.
Nachdem Kamitzke zwei Tage später aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, stellte sein Sohn Georg, dem das örtliche E-werk gehört, meinen Strom ab. So saß ich eines Abends im Dunkeln. Nach einer halben Woche entwickelte der Kühlschrank ein Eigenleben. Als mich eines Morgens eine Bakterienzivilisation mit "Wir preisen dich, oh unser Gott" anredete, musste ich das treue Gerät in Kamitzkes Gartenteich zwangsentsorgen. Ich habe mittlerweile zeitlich unbefristeten Urlaub von meiner Arbeit genommen und musste das dem Studium meines Sohnes gewidmete Sparbuch notschlachten, um mir eine autonome Biogasstromversorgung anschaffen zu können. Die ungefilterten Abgase leitete ich mit einem verlängerten Rohr über den Hof auf Kamitzkes Schlafzimmerfenster, was darin resultierte, dass der komplette Wohnblock anfing nach Tod und Verwesung zu stinken. Die ersten Ratten wanderten aus.
Und um 6:25Uhr am darauffolgenden Samstag Morgen war es soweit: Der Endkampf hatte begonnen. Die Stadtverwaltung hatte alle umliegenden Wohngebiete evakuieren lassen und unseren Block zur Krisenregion erhoben. Ich wachte durch einen donnernden Lärm auf, zündete eine Kerze an und schlich aus meinem Schlafzimmer. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte mir einen tiefen Graben, der sich durch den Hof zog. Um mein brennendes Auto war Stacheldraht gespannt. Im Hintergrund wummerte Wagners Walkürenritt übers Schlachtfeld, gespielt von Kamitzkes Stereoanlage. Er selbst hockte hinter einem mittelalterlichen Flakgeschütz auf seinem Hausdach und kurbelte in meine Richtung. Ich starrte einen Moment, begriff dann, sprang und rollte mich hinter die Couch, als das Fenster explodierte. Schutt rieselte von der Decke und durch das Loch in der Fassade sah ich Kamitzke, irre lachend, in gespenstiger Kulisse vor der aufgehenden Sonne sein Geschütz drehen. Er bestrich meine Hauswand weiter, bis ihm die Munition ausging. Zu infernalischen Paukenklängen stieg er von seinem Sitz herab und brüllte höhnisch zu mir herüber. Glücklicherweise war ich die letzten Tage nicht untätig und habe ebenfalls aufgerüstet. Ich zerrte meinen Raketenwerfer Typ Short&Small aus dem Wandschrank und bezog am Küchenfenster Stellung. Mit einem beherzten Schuss atomisierte ich Kamitzkes Schlafzimmer und sprengte seine Kaninchenzucht im Garten. Kamitzke konterte mit 100kg Dynamit, welches er am Fundament meines Hauses angebracht hatte, was darin resultierte, dass mein kompletter Westflügel unter Getöse einstürzte. Die Szenerie war nun durch einen dichten Schlachtennebel verhüllt, durch den stroboskopartig Blitze von Detonationen zuckten.
Mittlerweile sind viele, viele Jahre vergangen. Der nukleare Winter klingt mit stoischer Gelassenheit aus, doch es ist immer noch dunkel auf dem Planeten Erde. Die Sissyphosarbeit der Evolution beginnt erneut. Und zwischen den Ruinen, die noch von der Rasse Homo Sapiens zeugen, hängt der Nebel. Auf den Überresten einer verwitterten Mauer streiten sich zwei primitive Käfer um ihre Territorialgrenze. Und Gott sah, dass es schlecht war.