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Liebe, die weh tut
...oder: er wird vor mir sterben!
Bereits während er die Tür aufschließt, bemerkt sie, dass er wieder betrunken ist. Hektisch lässt sie noch einmal den Blick durch das Zimmer schweifen. Hoffentlich ist alles in Ordnung und sie hat nicht schon wieder irgendwas vergessen.
Sie hört seine Stimme durch den Korridor: „Bist du zuhause?“ „Ja“, antwortet sie leise. Da steht er in der Tür: groß, massig, mit blutunterlaufenen Augen und einem rotfleckigen Gesicht. Schwankend hält er sich am Türrahmen fest und lässt nun seinerseits den Blick durchs Zimmer schweifen.
Sein alkoholschwangerer Atem nimmt ihr die Luft, als er ganz nah an sie herantritt und in ihr Ohr schreit: „WIE SIEHT DAS HIER WIEDER AUS? WAS FÜR EIN SCHWEINESTALL IST DAS DENN?“
Wie das Kaninchen vor der Schlange steht sie vor ihm. Der erste Schlag in ihr Gesicht lässt ihren Körper versteifen. Ihr Rücken ist ganz gerade, die Arme bleiben rechts und links bewegungslos neben ihrem Körper. Keine Verteidigungshaltung dämpft die Wucht der Schläge, die immer wieder in ihr Gesicht und auf ihren Kopf treffen. Sie wehrt sich nicht, doch sie fällt auch nicht um. Und keine Träne rinnt über ihr Gesicht. Sie kennt das bereits. Es dauert nicht mehr lange, dann ist es vorbei. Sie weiß auch, was nachher kommt. Sie kennt das Versöhnungsprocedere schon. Ihr Empfinden hat sie beim ersten Schlag ausgeschalten. „Er wird vor mir sterben. Er wird vor mir sterben.“ Dieser Satz beherrscht ihr Denken und lässt sie die Schläge nicht mehr fühlen.
Sie werden schon schwächer. Und in seinem Gesicht tauchen die obligatorischen Tränen auf. Tränen, die eigentlich sie weinen müsste. „Ich hab dich doch so lieb!“, wimmert er „Warum musst du mich immer wieder in Wut bringen?“ „Es tut mir leid.“ Ja, er tut ihr wirklich leid. Und sie ist traurig darüber, dass sie ihm offensichtlich wieder einen Grund gegeben hat, sich aufzuregen. Dabei weiß sie doch ganz genau, wie schwer das alles für ihn ist und wie schnell er sich aufregt und wie sehr er selbst unter seinen Wutanfällen leidet. Warum kann sie es ihm nicht ein bissel leichter machen?
Ihr Körper hat sich wieder entspannt. Die Striemen im Gesicht und die blauen Flecken wird sie nachher mit Eis behandeln. Dann sieht es morgen schon nicht mehr so schlimm aus.
Anteilnehmend aber auch ängstlich schaut sie nach oben in sein tränennasses Gesicht. Sie nimmt seine Hand und führt ihn zu seinem Sessel. Am liebsten würde sie jetzt nicht mehr hier im Zimmer bleiben. Sie weiß ja, was folgt: sein Reueverhalten. „Komm her zu mir.“, sein liebevoller Ton, die ausgestreckte Hand... sie geht zu ihm und er deutet auf seinen Oberschenkel: „Setz dich. Ich brauch dich jetzt. Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe. Ich mach es wieder gut.“ Behutsam streicht er ihr übers Haar, lässt seine Finger sanft über die Schwellungen an ihrem Gesicht gleiten. „Komm, küss mich.“ Er hält ihr sein Gesicht entgegen. Sie gibt ihm einen leichten Schmatz auf die Lippen. „Aber doch nicht so!“ lacht er und drückt sie an sich, schiebt seine Zunge zwischen ihre Lippen und küsst sie heiß und innig und alkoholschwer. Sie hält die Augen fest geschlossen, während es in ihr denkt: „Er wird vor mir sterben! Er wird vor mir sterben!“ Seine Hand gleitet an ihrem Hals hinab zu ihren Brüsten und massiert erst zaghaft, dann stärker und schmerzhaft. Er stellt sie vor sich hin, öffnet ihr Kleid, setzt sie in den Sessel, kniet sich vor sie hin und während er mit seiner Zunge ihre Scham bearbeitet, öffnet er seine Hose. Dann stellt er sich auf: „Fass ihn an und küss ihn! Er hat solche Sehnsucht nach dir.“ Es kostet sie Überwindung, aber will sie es schnell hinter sich bringen, muss sie tun, was er sagt, sonst wird er wieder wütend und es setzt wieder Schläge. Dann lieber das. Das ist nur eklig, aber es tut nicht weh.
„Oh jaaa“, stöhnt er, „das tut soooo gut! Ich hab dich so lieb, mein Mädchen!“
„Ich dich auch.“
Später – längst liegt er entspannt und schnarchend auf der Couch - schreibt sie in ihr Tagebuch: „Er wird vor mir sterben. Irgendwann wird er vor mir sterben! Und dann ist es endlich vorbei.“
Da ist sie zwölf Jahre alt.