Mitglied
- Beitritt
- 04.04.2008
- Beiträge
- 442
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Lissy spürt etwas
Okay, es stimmt, dass ich nicht gerade auf dem Tisch tanze seit Markus ausgezogen ist. Lissy meint, dass jede Frau, ausnahmslos jede, tief verletzt ist, wenn der Mann sie verlässt. Lissy ist davon überzeugt, dass Frauen im Grunde immer noch weniger Selbstwertgefühl als Männer haben, sie sind auch insgesamt passiver und verhalten sich abhängiger, deshalb tut es ihnen ungemein gut, wenn sie es sind, die den Kerl an die Luft setzen. Das meint Lissy.
Dabei ist Markus mir nur ein paar Tage zuvorgekommen. Es lief schon lange nicht mehr gut zwischen uns und ich wollte ihn sowieso rauswerfen, doch er hatte gerade mit der Renovierung des Wohnzimmers angefangen, und das muß man ihm lassen: Markus arbeitet tipptopp. Ich hatte mir gedacht, dass er noch das Bad neu fliesen könnte und danach hätte ich Schluss gemacht, aber was tut Markus? Er reißt die alte Wohnzimmertapete runter und packt einen Tag später seine Koffer! Das ärgert mich dermaßen, dass ich Schlafstörungen entwickelt habe. Handwerklich völlig unbegabt, muss ich nun teure Renovierungskosten einplanen und habe ein unbewohnbares Wohnzimmer. Der hinterhältige Blödmann!
Lissy meint ja, dass meine Wut lediglich verdrängte Trauer ist und ich soll mich doch mal mitten in die abgerissenen Tapetenstreifen setzen, tief in den Bauch atmen und abwarten, was es mit mir macht. Lissy sieht die Tapeten als Symbole für meine kaputte Beziehung. Ich müsse das mal zulassen, nachspüren und die Traurigkeit kommen lassen. Sicher hat sie recht, Lissy spürt so was, doch ich sitze stundenlang am PC und durchforste die Seiten der Maler und Fliesenleger, tippe auf meinem Taschenrechner herum und finde alles immer viel zu teuer. Dann denke ich wieder an Markus und könnte heulen.
Mein geplanter Ostseeurlaub wird platzen, nur wegen ihm; klar, das macht schon ganz schön traurig. Lissy meint aber, dass diese Traurigkeit nicht die ist, die ihr so vorschwebt. Überhaupt, sagt Lissy, ich würde immer mit den falschen Erwartungen an die Beziehungen rangehen, die Männer nicht so sein lassen wie sie sind, sondern sie nach meinem Idealbild formen wollen; deshalb klappt es ihrer Meinung nach nie so richtig.
Lissy selbst ist ja schon acht Jahre mit Oliver verheiratet, alle Achtung! Sie sagt, sie habe gespürt, dass er damals unbedingt viel Zeit für sein Studium brauchte, deshalb sei es doch gar keine Frage gewesen, dass sie ihn komplett finanziert hat.
Jetzt ist er Psychologe und als Coach unterwegs, echt toll! Und er liebt Lissy abgöttisch, nur Kinder will er noch keine, das spürt Lissy deutlich und lässt ihm Zeit. Wahnsinn, wie das bei den beiden klappt! Als Oliver letztes Jahr diese schwere Kreuzallergie hatte und keine Aufträge annehmen konnte, hat Lissy monatelang Nachtdienste in der Klink gemacht, bewundernswert! Überhaupt, Oliver nimmt nur Aufträge an, wenn er das Gefühl hat, dass zwischen ihm und dem Klienten die Chemie stimmt. Das spürt er sofort, sagt Lissy.
Dennoch: im Moment geht sie mir auf die Nerven. Meine Geldsorgen nähmen einfach zu viel Raum ein, sagt sie, das sei schlecht für mein Karma. Auf jeden Fall ist es schlecht für meinen Geldbeutel, denn Markus' Mietanteil fehlt nun mal
Oh nein, jetzt klingelt es auch noch an der Tür!
Lissy stürmt die Treppe hinauf, an mir vorbei in die Küche. „Komm mal her“, ruft sie atemlos, „ich muss dir was Tolles zeigen!“ Ich schleppe mich an den Küchentisch, während Lissy etwas aus der Tasche ihrer Jogginghose zieht. „Guck mal, was ich am Ruhrufer gefunden habe.“ Sie legt einen Stein und einen dreckigen, abgerissenen Zettel auf den Tisch und funkelt mich erwartungsvoll an. „Ja und?“, frage ich und nehme den Stein in die Hand. „Na, wie sieht der Stein aus, was meinst du?“ Ich drehe ihn hin und her. „Ganz hübsch, wie ein Fisch, vielleicht ein bisschen wie Nemo!“ Lissy freut sich. „Ja, genau, finde ich auch.“ Sie schiebt mir den Zettel hin. Ihre Augen fixieren mich durchdringend, ihre Stimme wird zu einem heiseren Flüstern. „Und jetzt, meine Liebe, lies was auf dem Zettel steht.“ Ich fasse das Papier mit Fingersptzen an. '21 Uhr Poseidon', steht dort mit verschmierter Kugelschreiberschrift. „Und was soll das jetzt?“, frage ich Lissy verständnislos.
Sie schüttelt ihre rote Lockenmähne und seufzt. „Also pass auf. Ich fand diesen außergewöhnlich hübschen Stein, der aussieht wie ein Fisch, am Ruhrufer.“ „Sagtest du ja bereits.“ Lissy beugt sich zu mir. „Genau. Aber unter dem Stein lag der Zettel, verstehst du? Genau darunter.“ Ich verstehe nichts. Lissy klatscht in die Hände. „Begreifst du nicht, dass dies ein Zeichen ist?“ „Wofür denn?“
Ich gehe Kaffee kochen. „Hör zu! Poseidon ist der Gott des Meeres, also ganz klar eine Nähe zu Wasser und Fischen, verstehst du?“ Das tat ich. „Aber Poseidon ist auch ein neuer Club im Duisburger Innenhafen und ich denke, dass der Stein mitsamt dem Zettel ein eindeutiges Zeichen ist.“ Ich stelle Tassen auf den Tisch. „Zeichen? Wofür?“ Ich fühle mich matt. Lissy packt meinen Arm. „Na dafür, dass wir heute abend um 21 Uhr in diesen neuen Club gehen.“ Mir wird es zu bunt. „Du spinnst doch, Lissy! Da hat jemand den Zettel weggeworfen, dann ist zufällig der Stein draufgerollt, und du machst einen Wink des Schicksals daraus? Und wo ist übrigens Oliver?“ Lissy wischt mit der Hand durch die Luft. „Erstens, meine Liebe: Schicksal ist das, was man aus einem Hinweis macht. Und zweitens: Oli hat bis morgen abend ein Wochenendseminar in Köln. Du musst ja auch erst Montag wieder ins Büro, also gehen wir heute in diesen Club, abgemacht?“ Mein Widerstand zerfließt. „Hat der Club denn schon eröffnet?“ Ein letzter, kraftloser Versuch. Lissy denkt kurz nach. „Weißt du was? Ruf doch mal dort an, ich muss dringend aufs Klo.“ Sie verschwindet und ich suche die Telefonnummer heraus.
„Poseidon Club und Bar, was kann ich für Sie tun?“ Eine angenehm sonore Stimme.
„Hallo, guten Tag, Schmieder mein Name. Haben Sie heute ab 21 Uhr geöffnet?“
„Ach, Sie gehören sicher zu den Gästen von Herrn Hochkämper?“ Mein Herz schlägt schneller.
„Ja, oh ja, sicher. Wenn wir von Herrn Oliver Hochkämper sprechen, meine ich.“ Ich quäle mir ein perlendes Lachen aus der Kehle. Die sonore Stimme lacht ebenfalls.
„Natürlich, Oliver Hochkämper und seine Gattin.“ Mir ist ein wenig schlecht.
„Sagen Sie, gibt es einen Dresscode? Ich bin da etwas unsicher...“
„Bequeme Abendkleidung, würde ich sagen. Es ist ja eine geschlossene Gesellschaft, Sie sind also ganz unter sich.“
Danke, sehr freundlich, bitte bitte, bis heute abend dann...
Lissy kommt summend vom Klo. „Na, was ist, meine Süße? Auf geht’s ins saturday night fever?“
Ich nehme sie in den Arm und drücke sie ganz fest.
„Tut mir so leid Lissy, aber heute haben die eine geschlossene Gesellschaft, da ist nichts zu machen.“
Lissy klopft mir beschwichtigend den Rücken.
„Das ist zwar jammerschade, aber ich habe so was schon gespürt, weil der Stein so schwer in meiner Hand lag, verstehst du?“ Ich nicke ergeben, Lissy überlegt.
„Nun, der Club läuft uns nicht weg. Was hältst du davon, wenn wir stattdessen ins Poseidon nach Mülheim fahren und lecker griechisch essen gehen?“
Ich finde, dass das eine tolle Idee ist. Ich habe einen Bärenhunger. Lissy hat das bestimmt gespürt.