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Luxus-Leben

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18.04.2002
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Luxus-Leben

Vom Wind in Ecken verwehtes Herbstlaub, hier liegt es nun, durchnässt vom nächtlichen Regen. Über einem Stapel Feuerholz hängt eine weiße, angeschmutzte Abdeckplane. Auf ihr sind ockerfarbene Dreiecke verstreut, die Flügel von Motten, eine Fledermaus hat ihre Opfer gefunden.
Ein Holzbohlenweg führt mich hinunter zur Brücke. Vor zwei Wochen ist dort ein Lastwagen ins Schleudern gekommen. Er durchbrach die Brüstung und stürzte in den reißenden Fluss. Dem Rettungsdienst gelang es noch, den Fahrer zu retten, doch zwei der Helfer ertranken, als das Fahrzeug plötzlich von der Strömung fortgerissen wurde. Nutzen, Kosten.
Ich lehne mich an das Brückengeländer. Man hat neue Pfosten eingesetzt. Grauer Beton. An der Wetterseite schimmert er bereits grünlich, es wird nicht mehr lange dauern, bis sich das Aussehen dieser Pfosten dem der anderen angeglichen hat. Wie harmlos der Fluss jetzt aussieht. Abendnebel zieht auf. Drüben, die Häuser der Stadt, immer mehr Fenster werden hell erleuchtet. Das große Gebäude dort, das Krankenhaus. Fast drei Monate lang hat eine Frau hier um ihr Leben gekämpft, bis sich endlich ein passender Knochenmarksspender fand. Sie überlebte. Glocken beginnen zu läuten. Man kann den Kirchturm nicht sehen, ein Bankgebäude verdeckt seine Silhouette. Eigentlich ist es Zeit für ein Abendgebet. Danksagung. Es wird gestorben und geboren, gelebt und überlebt. Unter mir rauscht der Fluss. Vielleicht ist er lebendig, streichelt die Felsen? Spricht er glucksend mit ihnen? Sie liegen einfach da - genügt das denn nicht?
Kälte, Hitze, Wasser. Langsamer Zerfall, selbst der Steine. Irgendwann, irgendwo, angeschwemmt, erneut verfestigt, gehoben. Seelenlos Berge formend. Ein faszinierendes Linien- und Farbenspiel, welches niemand beachtet und das deshalb als Wahrheit nicht existiert. Dem Unendlichen ist alles gleichgültig, selbst die Gleichgültigkeit. Zeit verrinnt unermesslich, ungemessen - welche Verschwendung! Wahrscheinlich rührt sich im Verborgenen schon das Leben, besetzt Ritzen und Spalten. Zwanghaft Gesetzen gehorchend läuft dieser Prozess ab, ohne Ziel. Launenhaft, diese unsinnige, variable, kosmische Schaumschlägerei. Vergängliche Gestalt, Bewegung, lockende Rufe in kaleidoskopartigem Wechsel. Vielleicht agiert aber auch der unbegreifliche Drang dem Chaos Ordnung aufzuzwingen. Schließlich steht ein Mensch auf dieser Brücke, das Leid als Preis des Lebens durchdringt sein Glück, dessen Ende unausweichlich ist.
Sinnbewusstes Denken - Sieg oder Verblendung?
Es wird kalt. Ich gehe weiter. An der Weggabelung steht ein Pärchen in zärtlicher Umarmung. Bevor sie mich bemerken können, biege ich ab. Wie beruhigend, ja erheiternd, dass sie nichts von mir wissen.

 

Hallo chazar,

du magst keine kurzen Geschichten? Ich habe eher ein Problem mit langen Texten. Obwohl es ‚Kurzgeschichten’ heißt, ist hier die Bandbreite doch sehr groß.

Du schreibst:

„du verschenkst die Vertrautheit, die dein Erzähler erzeugt, durch diesen Absatz:
"Kälte, Hitze, Wasser ...““

- Hier besteht auch keine Vertrautheit mehr, da es, im Gegensatz zu dem vorhergehenden Abschnitt um die Darstellung des seelenlosen Aspekts von Leben geht (habe auch schon Simy dazu geschrieben). Vielleicht gefällt dir es trotzdem nicht, aber ich bin natürlich froh, dass dein Gesamturteil positiv ist.

Weiterhin:

„Das Ende stimmt mich dann allerdings wieder versöhnlich.“
Zitat:
Vielleicht ist er lebendig, streichelt die Felsen? Spricht er glucksend mit ihnen? Sie liegen einfach da - genügt das denn nicht?

- Eigentlich ist das Zitierte nicht das Ende von dem Teil, der dir nicht zugesagt hat, aber ich weiß, was du meinst, den Bruch in der Sprache.

Danke, dass du vorbeigeschaut hast, trotz der abstoßenden Kürze ;) der Geschichte. Wenn schon kurz, versuche ich wenigstens sie dicht zu gestalten.

L G,

tschüß... Woltochinon

 

Hi Wolto,

eine ruhige Reflexion. Da sind durchaus interessante Gedanken und Bilder drin, aber insgesamt überzeugt mich die Geschichte nicht.
Ein Herbstspaziergang, etwas Nachdenken. Das ist schön, aber bald habe ich auch diese Geschichte vergessen, denn eigentlich geschieht ja nichts.
Wie immer aber sehr gut geschrieben.

Schön:

Man kann den Kirchturm nicht sehen, ein Bankgebäude verdeckt seine Silhouette.
:thumbsup:

Nicht so schön:

Vielleicht agiert aber auch der unbegreifliche Drang dem Chaos Ordnung aufzuzwingen.
Etwas platt.

Viele Grüße,
Naut

 

Hallo Naut,

schade, wenn es nicht deinen Geschmack getroffen hat.

„eigentlich geschieht ja nichts“

Nun, da es keine Aktions- sondern eine Situationsgeschichte ist, war das auch nicht zu erwarten. Die aufgezeigte Problematik beschäftigt die Menschheit aber schon lange, das „Nutzen, Kosten“ zum Beispiel spielt in der Ethik ganz aktuell eine Rolle, ein ungelöstes Problem.


Vielleicht agiert aber auch der unbegreifliche Drang dem Chaos Ordnung aufzuzwingen.

Etwas platt.

- Wie meinst du das?


„Wie immer aber sehr gut geschrieben“

Danke für das Lob, gut, dass ich dir wenigsten zum Teil etwas bieten konnte, werde mich weiter bemühen :)

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Hi Wolto,

kein Grund zur Traurigkeit, Geschmack ist etwas individuelles und ich mag es meistens, wenn eine Geschichte plastisch und nicht zu grüblerisch ist. Du hast ja den Nerv einiger hier getroffen, da ist eine Gegenstimme keine schlechte Quote!

"Vielleicht agiert aber auch der unbegreifliche Drang dem Chaos Ordnung aufzuzwingen."
Dieser Satz scheint mir platt, weil er mir nichts sagt: Dass Leben immer ein Stemmen gegen die Entropie ist, ist eine Binsenweisheit. Insofern ist auch nichts Unbegreifliches daran, denn Leben ist (im Sinne der Informationstheorie) bis zu einem gewissen Grad Ordnung. Dann aber bleibt von dem Satz nichts übrig, in seiner Allgemeinheit ist er eine Leerstelle, wie etwa ein Aphorismus wie "Der Weg ist das Ziel."

Beste Grüße,
Naut

 

Hallo Naut,

ja, kein Grund zur Traurigkeit. Es hat mich aber schon gewundert, dass ausgerechnet du nichts durchdenkenswertes gefunden haben sollst.

Super, dass du ausgerechnet „Der Weg ist das Ziel“ anführst, diesen Satz kann ich auch nicht leiden. Sage dann: Wer sagte dies? Einer, der nie ankommen will… Wenn man das `Ziel´ ablehnt, aber dann den Weg als `Ziel´ einführt - na ja.
Was den Satz in meiner Geschichte angeht, muss an ihn im Zusammenhang mit den vorherigen Aussagen sehen. „Vielleicht agiert aber …“ das „aber“ meint im Gegensatz zu der vorher erwähnten Ziellosigkeit der Evolution. Also, dass es aus einem (zwar) „unbegreiflichem Drang“ heraus doch darum geht Ordnung zu schaffen, dass diese kein `Abfallprodukt der Evolution ist´.

Notfalls muss ich das klarer machen, das „aber“ ist ein recht kleiner Hinweis.

Danke für deine Erläuterung,

take care,


tschüß… Woltochinon

 

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