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Mach sie einfach tot
Eine strahlend helle Sommersonne zog ihre Bahn über dem ungarischen Himmel Siofoks. Familie Götzmann genoss ihre so knapp bemessene Ferienzeit gemeinsam am gepachteten Balatonufer. Die alltäglichen Streitereien in Deutschland hatte sie hinter sich gelassen und eingetauscht gegen neue. Diese betrafen nun die Urlaubskasse, den vergessenen Fotoapparat und andere weltbewegende Dinge. Derzeit war das angeschlagene Gesprächsklima eher kühl – eine willkommene Abwechslung in diesem Rekordsommer.
Die beiden Kinder Astrid und Bernd sielten sich einige Meter entfernt von der elterlichen Liegedecke durch das saftige Gras. Dabei zertraten sie unschuldig, wie Kinder nun mal sind, rot- und schwarzbepunktete Marinchenkäfer, zarte Grashüpfer und ähnliches bodenlebende Getier, das es nicht geschafft hatte, auf einer halsbrecherischen Flucht eben diesen zu retten.
Ihre jugendlichen Balgereien endeten schließlich in einem kleinen Ameisenhaufen, aufgeschüttet am Rand des vorbeiführenden Weges.
Die Ameisen, so plötzlich ihres Obdachs beraubt, stoben in aufgeregten Scharen über den Weg, auf der Suche nach den vermeintlichen Angreifern. Ohne offensichtliches Muster liefen sie kopf- und haltlos über die Gehwegplatten. Einige von ihnen aber erklommen die sockenfreien Sandalen des kleinen Bernd und zwackten ihn in die Zehen.
„Mama, Mama hier sind überall Ameisen.“, schrie er ganz aufgeregt ob dieses erschreckenden Naturschauspiels.
„Das ist voll eklig.“, stimmte seine kleine Schwester in die Tirade mit ein.
Die Mutter, ein Gebirge von einer Frau, wälzte ihre Hemisphären gemächlich nach oben.
„Mach sie einfach tot, mein Engelchen.“, sagte sie desinteressiert. Dann gaben ihre Arme den übermenschlichen Belastungen nach und ließen das wulstige Fleisch wieder zurück auf den Boden klatschen.
Mit einem feisten Grinsen auf den Wangen, hob Bernd seine noch immer belagerte Sandale zum finalen Schlag gegen das Insektenvolk. Diesem konnte jetzt nur noch ein Wunder helfen. Und wie sooft in diesem Universum, wenn ein ganzes Volk auf der Schwelle zum Tode erzittert, geschah ein solches just in diesem Moment.
Gerade wollte der Junge seinen Fuß wie eine biblische Strafe hernieder fahren lassen auf das sündige Ameisenbabel, da fiel ein weit größerer Schatten auf ihn selbst. Und auf seine Schwester, seine Mutter, seinen Vater – der bisher und auch vorher schon nicht viel zu sagen hatte – und den Rest des Strandes im Umkreis von 5 Kilometern.
Panik ergriff die Touristen und Einheimischen. Dann senkten sich aus dem Himmel die gewaltigen Beine dreier gigantischer Metallgebilde herab und belegten zur Empörung aller Anwesenden einen großen Teil des Westufers am See, welches um diese Tageszeit das schönste Licht bot.
Ac1a 11, Ad22 10 und Faa9 01 landeten auf dem kleinen Wasserplaneten. Dieser hatte recht nah an ihrer Reiseroute gelegen, und eine so gute Chance ihren Kühlwasservorrat aufzufrischen würde sich die nächsten zwei Lichtjahre nicht bieten. Außerdem benötigte 01 dringend wieder ein paar Tonnen Erz zur Materialproduktion. Und 11 war der Meinung gewesen, ein kleiner Auslauf unter Schwerkraft, wenn auch nur unter sehr geringer, würde ihnen allen gut tun.
Der ausgewählte Landeplatz lag am Ufer eines kleinen Sees, welcher genau die notwendige Menge fasste und auch eine ausreichende Süßwasserqualität besaß.
„Könnt ihr euch bitte etwas beeilen?“, funkte 10 unruhig an die beiden anderen. „Hier ist mir alles zu biologisch und chaotisch.“
„Nur die Ruhe mein kleines Titanschräubchen.“, versuchte 11 zu beruhigen. „Lass 01 noch etwas Erz konsumieren, und dann sind wir auch gleich wieder weg. Und guck doch mal, die fast rechteckigen Figuren und Gebilde auf dem Boden. Hier scheint es schon eine primitive Form von Intelligenz zu geben.“
Zögerlich gab 10 dieser Behauptung recht und versuchte ansonsten nicht weiter an den vielen biologischen Dreck rundherum zu denken.
Einige Minuten lang schien die Welt erfüllt vom metallischen Ächzen und Knarren der riesigen Maschinen, dann gesellte sich langsam ein neues Donnern, anfangs leise bald jedoch immer lauter werdend, hinzu.
Große Panzer russischen Fabrikats und in Diensten der ungarischen Armee rollten die breiten Zufahrtsstrassen heran. Ihr Ziel, die drei Riesenroboter mit offensichtlich außerirdischer Herkunft und eindeutig zerstörerischer Absicht, lag direkt voraus und war damit beschäftigt, den Spiegel des Plattensees zu senken, die umliegende Gegend zu zertrampeln und ganz allgemein den diesjährigen Tourismusverkehr empfindlich zubedrohen. Nach einer kurzen Debatte der jeweiligen Befehlshaber über Zuständigkeit und Befehlskette wurde einheitlich beschlossen, den kleinsten der drei Eindringlinge unter Beschuss zunehmen. Dann ging man dazu über, ein Haufen Hektik zu veranstalten und sinnlose Anweisungen durch die Gegend zu schreien. Schließlich hatte sich alle Truppenteile koordiniert und der Angriff der Verteidigungsarmee geriet ins Rollen. Großkalibrige Kugeln und Raketen wurden abgefeuert und trafen mit erstaunlich hoher Präzision nahegelegene Kirchtürme, Krankenhäuser und mehrstöckige Hotelanlagen. Irgendwann hatte man sich dann doch noch eingeschossen und der kleinste der Metallriesen geriet in arge Bedrängnis, wie es später im Medienbericht heißen würde.
„Irgendwas sticht mich hier die ganze Zeit.“ 01 unterbrach für einen kurzen Augenblick die Wasseraufnahme und sah sich um.
„Da sind ein Haufen kleiner Wesen und scheinen mich mit irgendwelchen primitiven Waffen zu beschießen.“, funkte er zu seinen Erziehungseinheiten.
„Pass bloß auf, dass du dich nicht allzu dreckig machst.“, kam es lapidar von 10 zurück.
Der beschossene Angreifer schien wohl sein Heil in der direkten Konfrontation suchen zu wollen. Gerade deutete er an, mit seinen Riesenfüßen die Reihen der Verteidigungstruppen nieder zustampfen, so dass es dort nicht wenige mit der Angst bekamen und auch einige Unterhosen später gewechselt werden mussten, da hielt ihn einer der anderen beiden Roboter mit seinem Tentakelarm zurück.
„Was sage ich immer!“, sendete 11 erbost auf allen Frequenzen. „So geht man nicht mit anderen um, auch wenn sie kleiner und schwächer als wir sind! Immerhin scheinen sie sogar intelligent zu sein. Wenn es dich stört, dann setz sie doch einfach woanders hin.“
Der Beschossene kam jetzt wieder auf die Verteidiger zu und begann mit seinen langen Schlaucharmen die kriegswichtigen Panzer und Fahrzeuge einzusammeln. Hals über Kopf stürmten deren Insassen ins Freie und suchten sich zu verbergen, wo immer ein Mensch hineinzupassen schien.
„Iieh! Da springen so kleine biologische Dinge raus und rennen überall rum.“ ekelte sich 01 und hätte beinahe die kleinen Metallwesen aus seinen Armen fallen lassen.
„Mach sie einfach tot, mein Blechköpfchen.“ sendete 10 ebenfalls angewidert von dieser dreckig biologischen Welt, auf die sie geraten waren. 11 nickte nur beiläufig mit seinem Hauptsegment und setze die Wasseraufnahme fort. Biologische Dinge, die rumrannten, waren wirklich ziemlich eklig.