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Mahagoni

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14.08.2012
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Mahagoni

Jemand schlug von außen gegen die Tür, gegen die mahagonifurnierte Spanplattentür, und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und verebbte schließlich im Hinterkopf, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.
„He, Sie! Wollen Sie da drin übernachten, oder was?“
Kein Grund, sich für irgendwas zu rechtfertigen, dachte er, kein Grund, sich zu entschuldigen. Für nichts. Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.
„Was?“
„Verdammt, ich muss echt dringend.“
„Scheiß auf eine Zeitung und schieb’s unter der Tür durch.“
Der Spruch war nicht von ihm, den hatte er irgendwo aufgeschnappt. Aus irgendeinem Film war der, er wusste nicht mehr, aus welchem. Michel Piccoli hatte jedenfalls mitgespielt, daran meinte er sich dunkel zu erinnern.
Immer dieses Erinnern. Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte. Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien. Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war es ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, ihm Halt geben. An dieser Tür, dieser hässlichen, braunen Tür, die aus einer längst vergangenen Zeit stammte, aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch undurchdringlich waren und unermesslich groß. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und billigst verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen. Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!
Aus zwei Zentimetern Entfernung betrachtet, oder drei, sah das gar nicht nach Echtholz aus, genaugenommen. Einfach nur nach irgendeinem Material. Billig, braun, hässlich. Nach Konformität sah das aus und nach elendigem Spießertum. Nach verlogenen Träumen, nach verlorener Jugend. Nach nichts, in Wahrheit. Oh Gott. Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Eines Tages werde er ihm dankbar sein, da könne er drauf wetten, hundertpro, da könne er Gift drauf nehmen, und wenn er mal selber Kinder hätte, werde ihm schon ein Licht aufgehen, da werde er an seine Worte denken, wirst schon sehen und so weiter.
Und Herumgebrülle, dass die Nachbarn zusammenliefen.
Und spätabends dann mit dem Moped weg, zum Walter oder zum Leo, und mit denen zum Brückenwirt oder über die Serpentinen auf den Aschberg rauf ins Florida, Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken. Fast jeden Abend. Leo erwischte es mit siebzehn, Walter ein Jahr später.
Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe, und ihm dann den Autoschlüssel unter der Tür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Spielt das eine Rolle?“

 

Hej @ernst offshore,

brauchte einfach irgendeine Karre, die zwar einigermaßen teuer, oder sagen wir besser: außergewöhnlich ist, aber nicht gleichzeitig so was Klischeebeladenes wie, was weiß ich, ein Porsche oder ein Ferrari.
Aber hallo, der Aston Martin ist sowas von klischeebeladen, ich dachte sofort an James Bond. Das war auch die Stelle, wo du mir den Boden unter den Füßen weggezogen hast, mir jegliche Identifikationsmöglichkeit mit dem Prota geraubt hast. Also, nee!!! :dagegen:

Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken
Warum schreibste denn Biertrinken einmal zusammen und einmal getrennt? :hmm:

Ob es den Walter und den Leo wirklich braucht? Da seh ich Streichpotential, auf dass es ein bisschen ... na ja ... luftiger wird in deinem Scheißhaus. :D

Besten Gruß
Anne

 
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Mein erstes Problem: Wie weit darf sich eigentlich die künstlerische Freiheit eines Autors von der Realität entfernen? Ab wann wird eine Geschichte, vielleicht nur wegen der Effekthascherei, unglaubwürdig?

Der Prota macht sein Geschäft in einer für ihn viel zu engen Toilettenzelle. Da die Gaststättenordnung in Deutschland genau vorschreibt, wie Toilettenanlagen von den Abmessungen her beschaffen sein müssen […]

Ist das nun künstlerische Freiheit? Oder doch nur Effekthascherei? Oder haben wir nur eine schlampige Recherche vor uns? Eine solche „Kneipe“ hätte in Deutschlands heutiger Realität nicht die geringste Chance auf Konzessionsvergabe!
Also nicht, dass in Wien der Balkan beginnt, wie gerne behauptet wird, oder dass es bei uns nicht so was wie verbindliche behördliche Auflagen für eigentlich eh alles gäbe, aber gerade in Wien hält sich tatsächlich eine nicht unbeträchtliche Anzahl von … äh, Etablissements, die so augenscheinlich jedem halbwegs vertretbaren Standard Hohn sprechen, dass es echt rätselhaft ist, wie die sich am Leben erhalten können. Als würden sie in einem selbstgeschaffenen und einigermaßen rechtsfreien Paralleluniversum existieren, jenseits all dessen, was man gemeinhin allgemeingültige gesellschaftliche Normen nennt. Keine Ahnung, wie die das machen.
Aber natürlich haben selbst diese Lokale nicht dermaßen winzige Toiletten, wie ich sie beschreibe. Weil ich jedoch ein paar kenne, die echt grenzwertig klein sind, hab ich mir gedacht, was soll’s, ein bisschen darf man das ruhig noch auf die Spitze treiben.
Ja, lass es uns einfach künstlerische Freiheit nennen, Petriso. :Pfeif:
Oder haben wir nur eine schlampige Recherche vor uns?
Nö, das eher nicht.
Tatsächlich gibt’s ums Eck von meiner Werkstatt das Café Ulli, benannt nach der siebzigjährigen Besitzerin, laut eigenen Angaben a oide Hua (=ehemalige Prostituierte), die sich damit den Traum vom bürgerlichen Leben verwirklicht hat. Das Lokal ist nicht viel größer als ein 40-Fuß-Container. Und auf der Toilette dort könnte ich, würde ich mich draufsetzen und mich nach vorne beugen, problemlos die Stirn an der Tür abstützen. Also nicht, dass ich’s ausprobieren will.
Nächstes Problem was mir Bauchschmerzen macht:

Verpöntes Mahagonifurnier aus den 70igern? Türen jeglicher Bauweise mit Mahagonifurnier hat heute (2019) jedes seriöse Fachgeschäft und jeder Baumarkt, der was auf sich hält, im Angebot, in Echtholz oder Echtholzfurnier! Womöglich gibt es zwischen Mahagonifurniere aus 1970 und 2019 Unterschiede? Der individuelle Geschmack scheint sich seit den Siebzigern jedenfalls nicht sehr geändert zu haben.

Das Mahagonifurnier hat ja nur die Funktion eines auslösendes Moments. Ist nicht mehr als ein Katalysator gewissermaßen, der die Assoziationen des Mannes in Gang setzt. Das hätte im Grunde auch jeder andere Gegenstand in dieser seit Jahrzehnten nicht mehr renovierten Toilette sein können. Ein Klopapierhalter, ein Fliesenmuster, egal was, irgendein Ding halt, das den Mann an seine Jugend denken lässt. An seine Teenagerjahre in den 70ern, als sein ehrgeiziger Vater ein Haus baut, Traum vom Eigenheim usw., und er, der Sohn, eben jede freie Minute mithelfen muss, malochen für etwas, was ihn null interessiert, daraufhin natürlich die altersgemäße Rebellion usw.
Was ist eigentlich der tragende Inhalt in der Geschichte? Mahagonifurnier als Urwaldvernichter?
Nö, das eher nicht.
Zwar wurde zum Beispiel das Washingtoner Artenschutzabkommen, das unter anderem den Tropenholzimport reglementiert, von Österreich erst im Jahr 1982 ratifiziert - was nichts anderes heißt, als dass bis dahin diverse Tropenhölzer tatsächlich eine obszön billige Alternative zu heimischen Hölzern darstellten – aber nein, das sollte eigentlich nicht das Thema sein. Vielmehr, dass Mahagoni Anfang der 70er, aufgrund welcher ästhetischen Verirrungen auch immer, en vogue, schick, trendy, einfach schwer angesagt war. Und der Vater des Mannes deshalb ebensolche Türen offenbar angeschafft hat.
Aber, wie gesagt, im Grunde hätte es irgendwas sein können, was dem Mann den Flashback in die Jugend beschert, ihn an die Nachmittage an der Mischmaschine, ans Ziegelschleppen, ans Wände-Aufmauern usw. denken lässt. Genauso gut hätte er an der Theke der Kneipe stehen, ins Leere starren und dabei irgendein Ding im Flaschenregal wahrnehmen können, irgendein jenseitiges Gesöff oder das Werbeschildchen einer längst in Vergessenheit geratenen Getränkemarke. Oder er starrt ins Leere und hört ein auf der Straße draußen vorbeiknatterndes Moped oder aus dem Hinterzimmer der Kneipe das Klackern von Billardkugeln, und das lässt ihn an die Abende im Florida denken, usw. usw. …
Viele verschiedene, viele mögliche Geschichten … aber für eine musste ich mich halt entscheiden.
Fragmente aus Kindheitserinnerungen? Oder einfach nur wirre Gedankenfetzen eines Alkies? Also, ich weiß es nicht.
Eine Mischung aus beidem vermutlich. Genau weiß ich es natürlich auch nicht, ich weiß ja nicht einmal, ob der Protagonist ein Alki ist. Aber ganz nüchtern ist er an diesem Abend wahrscheinlich nicht, könnte ich mir vorstellen. Immerhin will er nicht mehr selber fahren. Sehr vernünftig, rechtbesehen.
Mein nächstes Problem: So weit ich weiß, zeichnet sich eine »Flash Fiction Story« dadurch aus, dass der Autor mit präzisen Formulierungen sein handwerkliches Können insgesamt dem Leser präsentiert - sozusagen als ganz persönliche schnörkellose Handschrift.
Ich muss ehrlich eingestehen, dass ich mich mit dem Begriff Flash Fiction (als Genrezuordnung) kein bisschen beschäftigt habe. Der einzige Grund, warum ich den Text in dieser Rubrik gepostet habe, ist seine extreme Kürze. Sorry.
Auch das mehrmalige „Scheißhaus“- Gehabe stört mM mehr den Fluss der Geschichte, weil der Erzähler einfach nicht dicht dran bleibt an der Gülle-Sprache und so dieser hin und wieder verwendete Kraftausdruck für mich Leser nur als lästiger Fremdkörper wahrgenommen wird.
Da muss ich dir vollkommen recht geben. Mit dem Begriff Scheißhaus bin ich selber nicht restlos glücklich. Und tatsächlich hab ich vor ein paar Tagen in meiner Datei ein paar Alternativen ausprobiert (Klo, Toilette, WC usw.), aber die machten mich auch nicht restlos glücklich.
Erinnert mich ein bisschen an das leidige Thema der Begriffswahl in erotischen Texten. Seien wir uns ehrlich, nach wie vor umgibt für viele Menschen der Stoffwechsel (in all seinen Ausprägungen) genauso wie die Sexualität ein Nimbus von Unanständigkeit, von Da-spricht-man-nicht-drüber, bzw., wenn man schon nicht umhin kommt, darüber sprechen zu müssen, tut man’s verklausuliert gewissermaßen, und der Sprachduktus, dessen man sich dabei bedient, ist natürlich eine Sache der jeweiligen individuellen Disposition, der Sozialisation, des gesellschaftlichen Umfelds, in dem man sich bewegt usw. Wo sich der eine lieber blumig oder gar infantil ausdrückt, tut’s der andere eher rustikal.
Der Punkt „Wortwahl“ steht jedenfalls auf meiner Agenda.
Welche Bedeutung hat dieser fiktive chirurgische Schädel-Eingriff hinsichtlich Spannungsgehalt und Fluss der Story?
Na ja, ich würde ihn schlicht als Einleitungsatz, als ersten Satz eben bezeichnen.
Wer spricht eigentlich? Der allwissende Erzähler?
Also ich selber empfinde das schon eher als ganz gewöhnliche personale Perspektive.
Oder sogar der Autor selber, der bezüglich „Kill your darlings!“ die Löschtaste übersehen hatte?
Au weh, da tut sich jetzt echt ein weites Feld auf. Haben wir hier im Forum ja auch schon des Öfteren diskutiert, wie sehr man sich als Autor aus seinen Geschichte raushalten sollte.
@jimmysalaryman zum Beipiel ist ein Meister dieses gleichsam erzählerlosen Erzählens. Ich selber kann das eher nicht so gut. Na ja, eigentlich gar nicht.
Vielleicht bin ich noch nicht lange genug im Forum, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass du mit der Geschichte a la Harpe Kergelings "Der Hurz" einige Kommentatoren ein wenig auf die Schippe nehmen möchtest.
Nö, das eher nicht. :D
Nein, in Wahrheit überhaupt nicht. Nichts liegt mir ferner, als irgendwen hier verarschen zu wollen. Dafür nehme ich das Forum nun doch zu ernst.
Ich könnte mir allerhöchstens vorwerfen, dass dieses Ding hier wieder einmal ein verdammter Schnellschuss war. Oder nenn’s eine Augenblickslaune. Von den ersten mit Bleistift auf Papier hingefetzen Zeilen bis zur Veröffentlichung vergingen gerade mal vier Stunden. Das mag jetzt furchtbar unseriös wirken, und ja, Asche auf mein Haupt, oder meinetwegen wie eine Missachtung der Forumsintentionen, und im Grunde widerspricht es auch völlig meiner früheren Art zu schreiben - an der Mehrzahl meiner (zugegeben längeren) Geschichten arbeitete ich in der Regel wochen-, wenn nicht gar monatelang. Aber seit drei Jahren befinde ich mich in so einer Art Schreibabstinenz. Einzige Ausnahme waren zwei (sehr kurze) Geschichten Anfang 2016, und die entstanden auf dieselbe Weise wie diese hier: innerhalb von 24 Stunden geschrieben und gepostet. Und dass eine davon, also ich will jetzt nicht den eingebildeten Hund raushängen lassen, aber so war’s nun mal, dann die Wahl Top 2016 gewonnen hat, bestärkt mich in meinem Verdacht, dass meine aktuelle Schreibstrategie vielleicht nicht die allerschlechteste ist. :Pfeif:

Lieben Dank, Petriso für deine interessanten Gedanken.

offshore


Sorry, @RinaWu, @bernadette, @Anne49, für mehr langt's heut nimmer.

 
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Liebe @RinaWu, liebe @bernadette,
eure Anmerkungen zu stilistischen Details hab ich zur Kenntnis genommen und werde sie zur Prüfung an die Abteilung Qualitätssicherung und Reklamationen in Halle E weiterleiten.
Eventuelle Änderungen werden aber vermutlich ein bisschen auf sich warten lassen, weil ich den Text momentan noch genau so lesen will, wie ich ihn geschrieben habe. Aber ich werde ihn jetzt sowieso für ein paar Wochen in die Schublade stecken, auf dass ich ihn anschließend auch wieder kritischer werde wahrnehmen können.
Darüber hinaus äußert ihr euch ja beide sehr positiv und wirkliche Fragen haben sich euch offenbar auch nicht gestellt. Da bleibt mir im Grunde nicht viel mehr zu sagen, als dass ich’s natürlich schön finde, dass der Text, trotz seiner extremen Kürze, bei euch so gut ankommt.

Vielen Dank euch beiden.


Aber hallo, der Aston Martin ist sowas von klischeebeladen, ich dachte sofort an James Bond.
Tja, ich blöderweise eben nicht, liebe Anne. (Warum nicht, hab ich ja schon in meiner Antwort an weltenläufer erläutert.)
Tatsächlich hatte ich ursprünglich auch den Jaguar E-Type in der engeren Auswahl, der wäre schon auch cool gewesen. Aber da hättest du wahrscheinlich sofort an Jerry Cotton gedacht. Und beim Pontiac Firebird Trans Am zum Beispiel an Burt Reynolds und bei einem fetten 728i-BMW möglicherweise an Horst „Harry, hol schon mal den Wagen“ Tappert. :D
Will sagen: Ganz gleich welchen Wagen ich gewählt hätte, mit Sicherheit würde irgendjemand irgendeinen Bezug zu irgendwas herstellen. Es ist ja mittlerweile ein echt schwieriges Unterfangen, irgendein (allseits bekanntes) außergewöhnliches Ding zu finden, das nicht auf die eine oder andere Art populärkulturell konnotiert wäre. Egal worüber man schreibt, irgendwer wird immer aufzeigen und sagen: Erinnerte mich an eine Zeile im Song von xy, da musste ich an den Videoclip yz denken, den Spruch kenne ich aus diesem oder jenem Film …, usw. (Ja, das ist halt der Fluch der multimedialen Allgegenwärtigkeit von eigentlich eh allem.)
Das war auch die Stelle, wo du mir den Boden unter den Füßen weggezogen hast, mir jegliche Identifikationsmöglichkeit mit dem Prota geraubt hast. Also, nee!!!
Na ja, ich hab den Typen auch nicht unbedingt als taugliche Identifikationsfigur entworfen. Das bisschen, was wir über ihn erfahren - draufgängerisch idiotisches Verhalten in der Jugend (draufgängerisch im wortwörtlichen Sinn, immerhin sind offenbar zwei seiner Freunde auf die Art draufgegangen), dazu noch jähzornig und streitsüchtig im Umgang mit dem Vater und in seiner zweiten Lebenshälfte schließlich noch immer derart unerwachsen, dass er sich so eine blöde Luxuskarre gönnt, als wolle er irgendwas damit kompensieren, ganz zu schweigen davon, dass er, zumindest an diesem Abend, besoffen ist - also all das macht ihn nun wahrlich nicht zu einem Sympathieträger.
Ob es den Walter und den Leo wirklich braucht? Da seh ich Streichpotential.
Also die zwei braucht‘s schon, finde ich. Doch, unbedingt.
Auch wenn die Erwähnung der Jugendfreunde und ihres Unfalltodes (Erwähnung im Sinne von: Der Prot denkt daran) was beinahe Beiläufiges hat, lakonisch und völlig emotionslos klingt, so ist die Erinnerung daran doch der dramatische, traurige Höhepunkt gleichsam dieses gedanklichen Ausflugs des Prot in seine Vergangenheit. Und vielleicht ist es ja genau diese Erinnerung an Leo und Walter, die ihm seine privilegierte Rolle als quasi Überlebender*) einmal mehr bewusst macht. Und die ihn letztlich darauf verzichten lässt, sich selber ans Steuer seines Wagens zu setzen.
Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken.
Warum schreibste denn Biertrinken einmal zusammen und einmal getrennt?
Zugegeben, schaut ein bisschen … äh, uneinheitlich aus. Aber tatsächlich hab ich mir was dabei gedacht: Mit dem ersten ist die Tätigkeit des Biertrinkens gemeint, während beim zweiten dann die Betonung weniger auf trinken, sondern auf noch mehr Bier liegt, also auf dem Getränk.
(Vergleichbar z.B.: Baumfällen, Holzhacken, noch mehr Bäume fällen.)
Capisce?
(Glaub mir, Anne, ich hab die zwei Varianten grob geschätzt zweihundertmal fünfmal getauscht, bis ich mich letztlich für die jetzige entschied. Ist aber natürlich blöd, wenn’s blöd ausschaut. Ich werde nochmal drüber nachdenken.)

Vielen Dank, Anne, fürs Vorbeischauen, und sorry, dass es diesmal nicht so deins war.


@Bea Milana
So, und genau jetzt, wo ich mir denke, großartig, heut schaffe ich’s endlich, alle Kommentare zu beantworten, und auch eine Antwort an dich, liebe Bea, so gut wie fertig habe, und nur noch mal kurz was in deinem Kommentar nachschauen will, entdecke ich, dass du den nachträglich noch um einiges erweitert hast. :eek:
Weil sich meine so gut wie fertige Antwort allerdings ausschließlich auf die Fassung von Freitagnacht bezieht und mir jetzt schlicht die Zeit davonläuft, um auch auf dein Edit noch einzugehen, muss ich dich um ein wenig Geduld bitten.
Vorerst also nur ein kurzes Danke für deinen ungemein inspirierenden Kommentar.

offshore


*) (siehe auch: Jeff Bridges in Fearless)

 
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Scheißhaus (nebenbei bemerkt, aber das weißt du ja eh, ist der Ort schön schräg und gefällt per se)
Na ja, Bea, Common Sense, um nicht zu sagen: literaturkritischer Kanon ist diese Einschätzung wohl eher nicht. :D
Damit hingegen:
Einerseits ist da diese tolle Erzählstimme, die mich von Beginn bis Ende in ihren Bann schlägt, andererseits aber der Mangel an Inhalt.
… stehst du in der Tat nicht alleine da. Von @Fliege zum Beispiel muss ich mir das unter beinahe jeder zweiten meiner Geschichten anhören. :Pfeif:
Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe,
Da muss er ja schon ganz heftig einen intus haben. Blackouts in Geschichten und im wahren Leben […]
Also ich lese das schon ein bisschen anders. Nix Blackout. Von einem Blackout könnte man ja nur dann reden, wenn sich der Typ nicht erinnern kann. Genau das tut er aber nicht, also sich nicht erinnern. Im Gegenteil: Er erinnert sich ja, bzw. er denkt darüber nach, wie er hierhergekommen ist. Und damit ist nicht gemeint, dass er den Weg von seinem Zuhause in die Kneipe rekonstruiert, sondern er denkt da schon in größeren Maßstäben, so im Sinne von: Was ist in den letzten Jahrzehnten geschehen, dass ausgerechnet ich ausgerechnet heute ausgerechnet hier sitze? Er stellt sich gewissermaßen die großen metaphysischen Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich? Wer bin ich und vor allem warum bin ich? Und warum bin ich ich und nicht ein anderer? Und was gibt es morgen zum Mittagessen? usw.
Und um sich Fragen dieser Art zu stellen, muss man jetzt nicht unbedingt völlig besoffen sein, dazu reicht schon ein leiser Freitagabend-Blues, sag ich mal. (Wobei Volltrunkenheit bei der Suche nach tieferen Einsichten natürlich durchaus hilfreich sein kann. Um nicht zu sagen: inspirierend.)

Tja, soweit der Beginn meiner Antwort, die ich schon Sonntag fertig hatte. Und auf diese Art ist es dann noch ein paar Absätze weitergegangen, war genaugenommen nicht mehr als ein nachträgliches Interpretieren meiner Story, also vorwiegend … na ja, dings halt.
Aber dann hab ich dein samstägliches Edit entdeckt, wo du mir rätst, die Geschichte fortzusetzen, und gleich ein paar Vorschläge dazu quasi aus dem Handgelenk schüttelst, so nach dem Motto: "Mann offshore, wo ist das Problem? Schreib die Geschichte einfach weiter. Lass dir einfach was einfallen. Du könntest zum Beispiel ...“, usw.
Sehr witzig, hab ich mir zuerst noch gedacht, bzw. meinst du etwa, ich hätte das nicht getan, wenn ich die richtige Idee dazu gehabt hätte?
Wenn ich in einer Antwort weiter oben meine fast dreijährige Schreibpause als gleichsam bewusst gewählt bezeichnete, "keine Lust, keine Zeit usw.", war das ja reine Attitüde, völliger Quatsch eigentlich. Weil in Wahrheit hatte ich jetzt die längste Zeit einfach keine Idee für eine Story. Null, nothing, niente, einfach nix.
Na ja, und was soll ich sagen, Bea, wie ich dann deine spontanen Vorschläge lese, ja, da hat’s tatsächlich Pling gemacht in meinem Hirn, als hätten deine Zeilen einen Schalter da drin umgelegt, und in derselben Nacht noch habe ich eine wirklich gute Szene geschrieben. Also angefangen zumindest. (Wie sich der Typ und sein neuer Chauffeur vom alten Chomsky, dem Wirt, zwei Salzbrezeln und einen Sechserpack Ottakringer geben lassen, als Reiseproviant quasi, und sich schließlich auf den Weg machen. Obwohl Ende September ist es eine außergewöhnlich warme Nacht und so können sie mit offenem Verdeck fahren, was gut ist, schon wegen der Sterne, die sie zur Orientierung brauchen … usw.)
Vielleicht wäre ich ein tauglicher Auftragsschreiber. So in der Art: "Her mit den Ideen, gebt mir einfach einen Arschtritt, und dann läuft's schon."
Keine Ahnung, ob da letztlich was draus wird, aber zumindest hab ich jetzt wieder ein konkretes Schreibprojekt, an dem ich arbeiten kann und will.
Und dafür möchte ich mich jetzt ganz, ganz herzlich bei dir bedanken, Bea.
(Sollte aus der Miniatur wirklich eine Geschichte werden, gehört sie natürlich dir, gar keine Frage.)

offshore


Ach ja, noch was aus meiner ursprünglichen Antwort:

Ach so, eine Kleinigkeit, an der ich mehrmals hängengeblieben bin ... […]
„entkam dem Kopf schließlich auf der Rückseite“ hört sich für mich etwas umständlich an.
Ging mir genauso. Dieser Satzteil wollte mir nicht und nicht gefallen, der haute einfach nicht hin. Stand ursprünglich auch was anderes da, irgendwas mit verließ. Da gab’s dann diese Häufung (verließ … schließlich … ließ die Nackenwirbel … usw.) und die längste Zeit versuchte ich, mir das als stilistisch gewollt schönzureden. Gelang mir aber nicht. Hab’s also rausgeschmissen und durch eine Notlösung ersetzt. Nach deiner Intervention nun hab ich mir den Satz noch einmal vorgenommen und jetzt lautet er so:
die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und verebbte schließlich im Hinterkopf, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.

Die Erschütterung verebbt? … Doch, das gefällt mir. Sehr sogar. :cool:

 

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