Mitglied
- Beitritt
- 06.06.2020
- Beiträge
- 10
Mama Terra
Vor sehr langer Zeit musste Mama Terra zum Arzt gehen, da es ihr fürchterlich schlecht ging. Ihre Kinder bezahlten all ihre Operationskosten für sie und unterstützten sie wo sie nur konnten. Terra fehlten einfach zu viele Organe um gesund zu sein, denn ihre Lunge war scheußlich dreckig und verstaubt, sie wurde operiert und aufgeschnitten; das schwierigste Problem jedoch war seit jeher, dass sie unaufhörlich arbeiten musste, denn sie musste für ihre Kinder sorgen, sie waschen, versorgen und bespaßen.
Da ihr Zustand von Zeit zu Zeit immer schlechter wurde, musste sie eines Tages ins Krankenhaus gebracht werden, um ihr blankes Leben zu retten. Zusammen mit dem Menschen kamen sie vor dem eisigen Betonpalast an, der schaurig in der Höhe baumelte und seine Macht demonstrierte. An seinen kahlen Wänden hingen Plakate wie „Save the planet“ oder „Zusammen gegen den Klimawandel“, die zerfleddert in der Höhe im Winde flatterten. Als beide ankamen, da freute sich Terra, dass sie nicht allein den düsteren Ort betreten musste, sondern ihren lieben Menschen bei sich hatte. Der Chirurg im weißen Pelzmantel empfing beide mit einer gewissen rationalen Kälte.
Ziemlich schnell lag Terra auch schon auf dem OP-Tisch und wurde in den schwammigen Abgrund der Träume geschickt, indem sie narkotisiert wurde. Kaum war sie entglitten, da begann ein Gespräch zwischen dem Menschen und dem Arzt.
„Was wäre denn heute der gewünschte Eingriff?“, eröffnete der Arzt.
„Nun, ich denke mal, dass das Eis in ihrem Blut von großem Wert ist. Zusammen mit meinem Geschäftspartner sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir das Eis in ihrem Körper ohne großes Risiko extrahieren können. Dadurch käme es zwar zu Überhitzungen, denen vermögen wir jedoch einiges entgegenzuhalten.“
„Wie sie wünschen. Für diesen hochgradig komplexen Eingriff sollten wir über den Preis reden!“, warnte der Arzt besorgt.
„Schon gut, schon gut! Nehmen sie was sie als angemessen ansehen. Ist mir ziemlich egal. Da schau doch einmal jemand her – die Investoren haben schon ihre Anteile gekauft und das nötige Geld überwiesen! Perfekt! Hey! Legen Sie heute auch noch los, oder machen Sie Urlaub?!“
Leicht kopfschüttelnd legte er auch den Menschen auf den OP-Tisch und begann ihn einschlafen zu lassen. Jetzt lagen Terra und Mensch nebeneinander unter dem Messer. Beim Menschen wurde ein Bein und eine Hand entfernt, wobei dass gesamte Blut bei Terra gefiltert wurde und dabei etwa zwei Liter Kühlflüssigkeit herauskamen, was bei Terra dazu führte, dass man förmlich die Farbe entweichen sehen konnte, sie würde nicht mehr lange in solch einem Zustand leben können.
Nach einigen Stunden waren die Eingriffe vorüber und Terra, wie auch Mensch, wurden in ein Doppelzimmer verlegt. Terra begann ihre Augenlieder ein wenig zu öffnen, die schwer wie Metall zu sein schienen. Ihr Blick wanderte durch das Zimmer, in dem nun viele Freunde und Verwandte standen und besorgt dreinblickten.
Ihr Mann Mars begann besorgt und schmerzvoll Terra gut zuzureden, ihr Hoffnung zu schenken, ihr wieder etwas Lebensfarbe ins Gesicht zu zaubern.
„Mein Liebling! Ich bin in jedem Augenblick für dich da, deine Schönheit und Pracht wird für mich ewiglich so sein, wie am ersten Tag unserer beiden Leben. Ich habe dich unendlich lieb! Gemeinsam können wir das schon irgendwie hinbekommen. Aber jetzt erhol dich erst einmal ein wenig.“
Den Kopf fürsorglich etwas zur Seite gekippt grinste er Terra an, wobei ihm eine kleine durchsichtige Perle die Wange hinabrollte und auf den Boden des verdreckten Krankenhauses aufprallte.
Terras Schwester Venus näherte sich nun dem Bett. In ihrem Gesicht war Schock und Schmerz, der ganz tief in ihrem Inneren loderte und brannte.
„O je! Was haben die nur mit dir gemacht! Du bist ja ganz blass! O nein, o nein, das darf einfach nicht wahr sein!“
Venus hielt ihre Tränen nicht mehr zurück und verdeckte ihre Grimasse mit ihren Händen, das Schluchzen wurde dumpfer. Sie verdeckte ihr gesamtes Gesicht, nicht aus Scham, sondern vielmehr aus Rücksicht ihrer Schwester gegenüber, die sie nicht so nah am Zusammenbruch sehen solle. Der Schmerz wandelte sich in Hass gegen den Menschen, der kurz darauf ebenfalls erwachte.
„Schämt euch! Allesamt! Ihr egoistischen Monster! Ihr Mörder und grausamen Zerstörer! Schämt euch, schämt euch, verschwindet einfach!“
Sie wurde fürsorglich in den Arm genommen, Mars hielt Venus fest im Arm und gab ihr Stärke und Stabilität, äußerlich, wie auch innerlich. Zusammen entfernten sie sich ein wenig vom Krankenbett.
Der Mensch erwachte und begann lauthals zu schreien.
„Ahhhhh! Schau mich an! O nein! Was ist passiert! Ich bin nur noch ein verstümmelter Brocken Fleisch! Scheiße – Verdammt – du verfluchtes Schwein von Arzt, was hast du mit mir gemacht!“
In Schock und Schmerz hörte man nur noch entsetztes Schreien und Schluchzen, die Trauer der Familienangehörigen wurde durch den Hass und die Beschuldigungen des Menschen übertönt, der jeden und alles verfluchte und am liebsten eigenhändig töten wollte. Alle ignorierten das Geplärre des Menschen und gingen wieder auf Terra zu, die bleich und rot unterlaufene, glasig kalte Augen in ihrem Schädel trug.
Opa Neptun näherte sich langsam dem Bett und vergoss mehrere Tränen auf einmal.
„Ach du liebes Kind! Was ist nur mit dir geschehen! Konnten sie dir nicht helfen?“, schlotterte Opa Neptun gebrochen, und sprach weiter an den Arzt gerichtet, „konnten Sie ihr denn überhaupt nicht helfen?“
Der Arzt senkte seinen Kopf nach unten und antwortete, „nein, tut uns allen sehr leid. Dennoch war der Eingriff nicht umsonst, denn wir konnten erfolgreich das gesamte Kühlmittel aus ihrem Blutkreislauf entnehmen und noch dazu erfolgreich eine Niere entfernen.“
Die Tränen des Opas wurden zahlreicher und größer. Opa Neptun kniff sich mit zwei Fingern die Augen zusammen, wodurch ein großer Schwall Tränen über die faltigen und alten weisen Wangen flossen. Daraufhin fuhr er sich durch sein grauses und fein gesätes Haar hindurch und gesellte sich zu Venus und Mars, die am anderen Ende des Zimmers Platz genommen hatten.
Daraufhin ging ich langsamen Schrittes auf das Bett zu. Als Terra mich erblickte, wurde ihr ein winziges Lächeln auf das Gesicht gezaubert, ihre schweren Augen kniffen sich ein wenig zusammen, was einige der schönsten Falten warf, die es im Universum überhaupt gab. Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und umfasste ihre Hand.
„Hey Terra, du schaust bezaubernd aus“, diese ironisch gemeinte Lüge meinerseits ließ sie einmal kurz kichern, „ach! ich wünschte ich könnte etwas für dich tun, dir irgendwie helfen, dich unterstützen. Deinen Zerfall zu sehen und dein Leid aus nächster Nähe mitzuverfolgen ist das Schlimmste, das ich mir vorstellen könnte. Du stirbst vor meinen Augen, sie wollen zu mir und zu Mars! Dass du weggeworfen wirst wie ein Stück Dreck, das hast du einfach nicht verdient!“
Auf die Qualen der Familie und ihrer Freunde reagierte Terra nicht schmerzlich, oder ebenfalls traurig, nein, sie begann liebevoll zu flüstern, auch wenn ihre Stimme schwach und zittrig klang.
„Ach Kinder! Ihr Menschen seid einfach kleine Kinder und versteht noch nicht das große Ganze. Ich helfe euch, selbst wenn es meinen Untergang bedeuten müsste!“
Das weinerliche Gekreische des Menschen hatte abrupt aufgehört, als Terra zu sprechen begann. Der Mensch drehte seinen Kopf etwas zur Seite, in Richtung Terra.
„Dir geht es schon wieder besser? Das freut mich sehr. Ich habe dich auch so lieb, wie du es gerade wunderschön gesagt hast. Ich liebe dich auch von ganzem Herzen Mama!“, sagte der Mensch in fröhlicher Stimme.
Plötzlich wandte sich der Mensch an den Chirurgen und sagte, „ehm Doktor! Bitte entnehmen Sie noch schnell etwas von der Leber, man kann ja nie wissen, ob man so etwas vielleicht mal brauchen kann!“
Der Arzt nickte und forderte mich auf, dass ich doch bitte zur Seite treten solle, was ich auch in Kürze tun würde, nachdem ich mich von Terra verabschiedet hatte. Ich neigte mich über ihr Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn und drückte ihre Hand dabei fest und entschlossen, für sie als Stärkung.
Zum Abschied flüsterte ich Terra zu: „Eines Tages meine Terra – eines Tages werden wir wieder vereint sein, zusammen tanzen und uns freuen, wir können wieder die Stille und die Wärme der Sonne genießen, wir werden wieder in unserer Ruhe und Pracht freudig lachen. Irgendwann Terra – irgendwann.“
Ich fügte noch hinzu: „Werden sie es irgendwann begreifen, dass sie dich brauchen? Ich glaube nicht.“
Terra hingegen hob ihren Kopf leicht und hauchte mir ins Ohr: „Vielleicht niemals alle, jedoch viele werden es. Viele werden es begreifen und eifrig vorangehen, um die Welt zu verändern! Luna – habe etwas vertrauen.“