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Manitu
Eeeeeeeeeeehh! Eeeeeeeeeeeeeeeee!
Eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh!!
Hört ihn euch an, meinen Rasenmäher! Schneidet er nicht tief in eure Nerven?? Ist das nicht genau das Geräusch, das ihr hasst? Das dachte er doch gerade! Mein deutscher Nachbar. Rasenmäher-Arndt. Obwohl es nichts zu mähen gab, mähte er täglich und zu den fiesesten Uhrzeiten. Gerne fing er morgens um halb neun an. Oder auch während der Siesta, wenn alle Welt sich entspannen wollte. Da wir die beiden einzigen Deutschen in der Siedlung waren und die Spanier uns bestimmt für befreundet hielten, litt ich doppelt unter seiner Manie. Ein SUV glitt durch unsere ansonsten sehr friedliche Straße. Es waren die Villalobos mit ihren gut erzogenen Teenie-Töchtern. Wie lange würden sich diese anschwellender Naturgewalten noch behüten lassen? Arndt grüßte sie nicht. Er sah nicht einmal auf. Verdammter Kostverächter. Misanthrop. Spießer.
Ich zog die Gardinen zu und kehrte zu meinen Bauplänen zurück, obwohl mir klar war, dass ich unter diesen Umständen kaum voran kommen würde. Wenn das Brummen wenigstens monoton gewesen wäre. Doch jedes Mal, wenn ich meinen Stift ansetzte, änderte sich die Frequenz. So als ob Arndt wüsste, wann er sich wieder in den Vordergrund zu drängen hatte. Ein munterer Schwenk seines Grasfressers und schon war meine Konzentration Geschichte. Das einzig Positive daran: Ich konnte guten Gewissens gegen die Wand starren. Da saß ein großer Tigermoskito, genau auf Augenhöhe. Die Viecher stammten ursprünglich aus Ostasien und es konnte gut sein, dass sie in demselben Jahr auf die Insel einfielen, in dem Arndt sich hier eingenistet hatte. Beleidigend für den Tigermoskito! Er stieß sich von der Wand ab und flog direkt auf mich zu. Seine Flugbahn glich der eines besoffenen Piloten. Womöglich eine Art von Blutrausch. Ich streckte meinen Zeigefinger in die Höhe. Er landete auf der Kuppe und nickte mir mit seinem stecknadelgroßen Kopf rhythmisch zu. Ein besonderer Bursche. Ich taufte ihn Manitu. Sein Stechrüssel bohrte sich zärtlich unter meine Haut. Ich spürte einen Sog und beobachtete, wie meine Fingerkuppe blasser wurde. Nach einer Minute gab ich ihm zu Verstehen, dass es reichte. Manitu zog sich zögerlich zurück und verdaute. Dabei pulsierte sein buckliger Rumpf. Seine weißen Streifen wurden größer, seine Beine dicker und länger. Sein Kopf ließ zwei winzige Äuglein erkennen. Zwei Fühler gingen von ihnen ab, die stark behaart waren Ich setzte Manitu vorsichtig auf dem Fernsehtisch ab. Dort erreichte er die Größe einer Drone. Ein helles fiependes Surren. Er war einsatzbereit. Vorsichtig öffnete ich die Haustür. Manitu flog ins Freie und gewann taumelnd an Höhe. Wie hätte ich Arndt denn warnen sollen? Er hatte mir mal wieder den Rücken zugewandt. Außerdem trug er Kopfhörer, damit ihn bloß niemand störte in seiner Rasenmäher-Meditation.
Manitu stürzte sich aus zehn Metern auf ihn. Arndt ging in die Knie. Und schon steckte Manitus Rüssel zwischen seinen Schulterblättern. Der Kampf war schneller vorbei, als ich angenommen hatte. Ein letzter verzweifelter Versuch, sich das Ding vom Rücken zu reißen. Doch er erreichte ihn noch nicht einmal mit seinen fleischigen Armen – hätte er mal mehr Yoga gemacht. So sackte Arndt in sich zusammen. Manitus Hinterleib schwoll um sechs Liter an. Dabei drehte sich sein runder Kopf in meine Richtung. Seine schwarzen Facettenklunker bestanden aus tausenden kugelförmigen Einzelaugen, denen keine Bewegung entging. Dankbar senkte ich meinen Blick und legte meine Hand aufs Herz. Wir spürten uns so klar wie noch nie. Reinstes Einverständnis. Manitu knipste den Rasenmäher aus und hob in die von mir gewünschte Richtung ab.
Drei Tage später schaltete ich zum verabredeten Zeitpunkt den Fernseher ein. Auf Phönix lief eine Bundestagssitzung, in der die Abschaffung des Bargeldes diskutiert wurde. Die Rednerin im Hosenanzug nannte die Digitalwährung alternativlos, wenn man die Bürger vor der Ausbreitung zukünftiger Corona-Viren schützen wolle. Da klirrten die Scheiben hundertfach. Eine Armada aus Monstermoskitos durchlöcherte die Glaskuppel des Reichstages und fiel blutrünstig über die Abgeordneten her. Panisches Geschrei. Hilfloses Gegurgel. Während seine Horde kurzen Prozess machte, bewachte Manitu den Ausgang des Plenarsaals. Er hatte die Ausmaße eines Kampfhubschraubers erreicht. Spielerisch verlagerte er sein Gewicht von einem behaarten Bein aufs andere. Hinter ihm entdeckte ich einen Sicherheitsbeamten, der seine Pistole aus dem Gurt zerrte. Gerade noch rechtzeitig bohrte sich Manitus Stechrüssel zwischen seine Augen. Kurz danach wurde ein Standbild eingeblendet. Ich schaltete den Fernseher aus und stapfte in meinen Vorgarten. Dort schloss ich die Augen und visualisierte das Weiße Haus. Lange spreizte ich meine Arme. Lange atmete ich ein und aus. Dann mähte ich meinen Rasen, wobei ich keine Ecke ausließ.