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Mareen
Manchmal denke ich noch an sie. Was sie wohl jetzt macht. Die Zeitungen haben schon lange nichts mehr geschrieben über sie. Ich würde ihr gern erzählen, dass ich jetzt mit Lars zusammen bin. Vielleicht würde sie sich erinnern an damals, als wir gemeinsam über ihn gelacht haben. Über seine Unbeholfenheit, seine schüchterne Art.
Ich belasse es bei dem Gedanken.
Mareen war schon immer anders. Irgendwie besonders. Allein ihr Aussehen. Auch ungeschminkt und mit Jeans und T-Shirt war sie schön. Diese Schönheit ersparte ihr die Komplexe, die Mädchen in ihrem Alter sonst quälten. Auch mich. Vor allem mich, wenn ich mich neben ihr betrachtete. Aber ich war stolz, eine Freundin wie sie zu haben. Manchmal auch neidisch. Eine Zeit lang versuchte ich, so zu sein wie sie. Ich kaufte die gleichen Kleider und die gleichen Schuhe, nahm ihren Tonfall an und färbte meine Haare in dem gleichen Rot. Irgendwann hat mir dann mal jemand gesagt, ich wäre nur eine billige Kopie. Billig. Das tat weh. Ich hörte damit auf und erfand trotzig einen eigenen Stil, ohne Rücksicht darauf, ob er zu mir passte. Es war nicht wichtig, damals. Wichtig war nur, dass ich jetzt anders war. Anders als sie. Mareen hat mir nie gesagt, was sie davon hielt. Und ich habe sie nie danach gefragt.
Wir hatten keine gemeinsamen Freunde. Die Leute, mit denen sie sich umgab, wenn wir uns nicht sahen, mochten meine Art nicht. Mareen konnte mir nie genau erklären, was das eigentlich heißen sollte. Vielleicht wollte sie auch nicht. Ich hatte keine Freunde außer ihr, brauchte keine. Als wir fünfzehn waren, träumten wir, oder vielleicht auch nur ich, von einer gemeinsamen Wohnung. Sie wollte Design studieren, ich Musik. Ich war glücklich damals, glaube ich. Bis zu dem Tag, an dem sie in einer Einkaufspassage angesprochen und zu einem Casting eingeladen wurde.
Ich wusste noch vor ihrem Anruf, dass sie mir Mareen genommen hatten.
Sie veränderte sich. Ihren Gang, ihre Gesten, ihre Stimme, ihre Ausdrucksweise. Alles an ihr war plötzlich fremd. Nur, wenn wir einen Cappuccino trinken gingen, hatte sie diese vertraute, seltsame Art, das Zuckertütchen zu schütteln, bevor sie es aufriss. Früher hatte ich mich immer darüber amüsiert. Jetzt ärgerte es mich irgendwie. Eine lächerliche Kleinigkeit. Wir stritten uns jetzt häufig. Sie warf mir vor, ich wäre negativ, ich nannte sie oberflächlich. Irgendwann sahen wir uns kaum noch, dann riss der Kontakt völlig ab. Sie fehlte mir. Ich glaube aber nicht, dass sie mich vermisst hat.
Ich vermied Freundschaften seitdem.
Einmal habe ich sie noch gesehen, vor ein paar Jahren. In der Klatschspalte der Tageszeitung stand, dass sie eine Bar aufgemacht hatte, in Berlin, wo sie jetzt wohnte. Zwei Tage lief ich unruhig in meiner Wohnung herum. Ich hatte Zeit, die nächste Probe war erst in fünf Tagen. Am späten Nachmittag des zweiten Tages packte ich ein paar Sachen in eine große Umhängetasche und fuhr zum Bahnhof. Ich war nie zuvor in Berlin gewesen. Schon als ich aus dem Zug stieg, wusste ich, dass es mir nicht gefiel. „Ihre Wahlheimat“, hatte die Zeitung geschrieben. Der Taxifahrer sah mich skeptisch an, als ich ihm den Namen des Lokals nannte, aber er sagte nichts. Wir fuhren durch halb Berlin, schweigend. Ich bezahlte mehr, als ich mir leisten konnte und stieg aus.
Die Bar war hell erleuchtet. Schöne Menschen brauchen kein Dämmerlicht. Ich stand vor dem großen Fenster und fühlte mich wie ein Straßenkind vor einem Spielzeugladen. Mareen saß keine zwei Meter von mir entfernt an einem kleinen Tisch und unterhielt sich angeregt mit einem ihrer Gäste. Ein Kellner brachte ihr einen Cappuccino. Ich musste lächeln, als sie das Zuckertütchen nahm und schüttelte, auf diese ganz besondere Art. Es ärgerte mich nicht mehr.
Mareen hat mich nicht gesehen an jenem Abend, vor dem Fenster. Vielleicht wollte sie auch nicht.