Marie
Es ist immer morgens und meistens neblig, wenn ich mich mit Marie treffe. Selbstverständlich liegt eine gewisse Heimlichkeit in unseren Begegnungen. Keiner von uns verliert darüber ein Wort.
Das erste Mal, dass ich Marie traf, war an einem Freitag – solche Dinge geschehen immer an einem Freitag. Sie lag an meinem Weg und ich konnte nicht umhin, als bei ihr stehen zu bleiben.
Ich meine, Niemand kann an ihr vorbeigehen, ohne ihre Schönheit bewundern zu müssen. Obgleich sie nicht den Idealen von heute entspricht – oder gerade deshalb. Marie ist dem Schlankheitswahn nicht verfallen, im Gegenteil. Weit lädt sie ihre Hüften aus, kaum dass man an ihr vorbeikam.
Der Kopfschmuck ist von heller Farbe, eine Mischung von blond und weiß, voll bedeckt flattert er im Wind. Ihr Antlitz geschnitzter Stil und Würde und im Bewusstsein von sich selbst. In der Bewegung teilt sie die Wogen des Lebens.
Kurz, ich liebe sie.
Der scharfe Zeitgenosse mag einwenden: Ihr Makel ist, dass sie nicht spricht. Doch hierzu sage ich: Nein! Ein Fehler ist dies nicht. Viele Worte täten besser daran, nie gesagt worden zu sein.
Ein Grund, warum ich zu ihr aufsehe. Ein anderer ist, dass sie so großgewachsen ist – von meinem Standpunkt aus. Manchmal verlässt sie mich, liegt tage-, ja wochenlang nicht an meinem Weg. Dann fühle ich mich alleine, verloren gar.
In solcher Zeit treibe ich meine Gedanken zu ihr. Sie macht mich süchtig – sehnsüchtig. Wenn sie zurück kehrt, bin ich da, sie zu empfangen. Spinnenfäden gleich wirft sie ihre Taue aus. Männer schwitzen unter ihrem Blick.
Jedes Mal stehe ich an der Pier und staune: Marie ist das schönste Schiff im Hafen.