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Maskenball
Eine weitere Bremsschwelle nehmen wir zu schnell. Die Fahrerin beschleunigt. Die Häuser rauschen nur so an uns vorbei. Ich sitze auf der Rückbank eines SUV, zupfe nervös an meiner Gesichtsmaske, rücke sie zurecht.
„Musst Du immer daran herummachen“, knurrt mein Sitznachbar. Ich versuche meine Gedanken zu kontrollieren, mich zu konzentrieren und mein Unbehagen zu unterdrücken.
Was machen wir bloß? Was soll das wieder werden? Wo sind wir hingekommen?
"Alles legitime Fragen", so denke ich. Doch auch Fragen, die sich ein Polizist im Einsatz nicht zu stellen hat. Trotzdem drängen sie sich mir auf.
„Können wir keinen anderen Einsatz fahren?“ kommt es mir über die Lippen. „Lasst uns wenden und noch einmal darüber nachdenken.“ Meine Worten werden vom aufbrausenden Motorengeräusch geschluckt.
„Höre endlich mit dem Zupfen auf.“ Ich erwidere nichts. Auch blicke ich weiter auf die Straße, versuche nur meine Hände in den Griff zu bekommen.
Der Wagen verliert an Geschwindigkeit. Wir halten an. Ich zähle drei unserer Wagen die schon vor uns eingetroffen sind.
Ich sehe wie vom anderen Ende des Platzes weitere Einsatzkräfte hinzukommen, die die Flüchtigen mit oder ohne Maske in Empfang nehmen und, jene die umkehren, uns in die Arme treiben. Unser Vorgehen ist geübt und lässt niemanden entkommen. Wir haben sie eingekreist und beginnen jetzt, ihre Personalien aufzunehmen. Die meisten von ihnen sind junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, die entweder gar keinen Mundnasenschutz tragen, oder ihn nicht der Anordnung gemäß übergestreift haben.
Ich stehe jetzt hinter meinen Kollegen und bin ein Teil im funktionierenden Apparat. Die Arbeit geht mir leicht von der Hand. Konzentriert fülle ich die vorgefertigten Formulare aus.
An dieser Stelle verlasse ich den Polizisten, lasse ihn mit seinem Kollegen am anderen Ende des Platzes zurück, werde zu einem Passanten der aus einer Seitenstraße kommend auf den Platz hinaus tritt.
Als ich an der Épicerie eines albanischen Bekannten vorbei komme, sitzt er schon vor seinem Geschäft und beobachtet die Lage.
„Hey, Junge“, ruft er mich gleich an und zieht seine Maske lang, „wo ist dein Mund-Nasen-Schutz.“
Ich muss lachen und erkläre: „Ich habe nicht weit. Ich werde mir einen Kaffee gönnen.“ Dabei zeige ich auf die Terrasse mit Sonnenschirmen
Er zuckt mit den Schultern. „Wenn du meinst. Doch hast du schon das Polizeiaufgebot gesehen? Sei vorsichtig! Das ist gut gemeint.“
Ich winke ab, grüße und gehe zu den Bänken und Tischen hinüber, setze mich auf einen freien Platz unter die Schirme.
Ich bestelle, ziehe mein Buch hervor und beginne zu lesen, kann mich jedoch nicht recht konzentrieren. Immer wieder schweift mein Blick zu den Polizeiwagen, die an den Enden des Platzes parken. Dort stehen nun die Überführten mit den Polizisten, die den Straftatbestand und die Personalien aufnehmen.
Ich trinke. Der Kaffee schmeckt heiß und bitter. Ich setze die Tasse ab und nehme zum Spülen gleich einen Schluck Wasser. Ein fahler Geschmack bleibt. Ist es der Kaffee oder die Situation?
Ein junger braun gebrannter Mann löst sich von einer der Gruppen auf dem Platz und kommt auf die Terrasse. Er ist aufgebracht. Gäste sprechen ihn auf Marokkanisch an. Wild gestikulierend antwortet er. Ich glaube das Wort Daesh aus dem Wortschwall heraus zu hören. Im selben Augenblick richtet er seinen Stinkefinger in Richtung Polizei. Doch die Polizisten sind zu weit weg und zu sehr beschäftigt, als dass sie von seinem Wutanfall Notiz nehmen würden.
Plötzlich wendet er sich ab. Immer noch vor sich hin schimpfend geht er seines Weges.
Das Wort Daesh, klingt nach. Was hat Daesh mit der Situation zu tun. Glaubt er, dass der heilige Krieg und die Errichtung eines islamischen Staates diese Ungerechtigkeiten die an ihm und an ihnen verübt wurden und werden, sühnen werden?
Betroffen wende ich mich erneut meinem Buch zu, versuche in den Text zurückzufinden. Auch dort geht es um die kleinen Ungerechtigkeiten. Die Alltäglichen, die die Menschen langsam aufreiben, langsam nagend gegeneinander aufbringen und das Zusammenleben nach einem langen Leidensweg scheitern lassen. Irgendwann muss das Fass überlaufen, dass scheint mir sicher.
Ich trinke meinen Kaffee aus, gieße das kalte Wasser hinterher, stehe auf und verlasse das Café, trete schnell in eine sichere Seitengasse. Dort herrscht keine Maskenpflicht. Dort kann man noch frei atmen.
Kaum bin ich einige Meter gegangen, finde ich einen schwarzen Mund-Nasen-Schutz, der auf dem nackten Pflaster liegt. Ich will ihm keine weitere Beachtung schenken und gehe weiter. Da kommt mir der junge Mann von vorhin entgegen. Er bückt sich und hebt die Maske vom Boden auf, beginnt mit mir zu reden.
„Hast du das gesehen? Sie haben mir eine Strafe von 250 Euro aufgebrummt. Weil ich keine Maske getragen habe. Dabei stimmt das nicht. Ja, ich hatte sie nicht auf der Nase, das ist wahr. Ich saß ja auch mit meinen Freunden trinkend auf dem Platz, als die Bullen ankamen. Doch ich habe einen Beweis. Schau ich habe dies mit meinem Handy aufgezeichnet.“
Er zeigt mir einen kleinen Film auf seinem Mobiltelefon. Dort ist er mit seinen Freunden und der schwarzen Gesichtsmaske zu sehen.
„Die meiste Zeit habe ich sie übergezogen gehabt.“ behauptet er.
Ich höre ihm zu und nicke von Zeit zu Zeit. Sprachlos, versuche ich einige beruhigenden Worte zu finden. Dann zieht er mit seinen Freunden ab.
„Steig ein, die Arbeit ist getan!“ Ich komme automatisch der Aufforderung nach. Auf der Rückbank spüre ich das erste Mal für heute die Müdigkeit, die mich immer öfters bei Einsätzen heimsucht. Ich schaue den abfahrenden Wägen nach. Dann rollt auch unser Wagen an. Das Polizeiauto gewinnt an Geschwindigkeit. Wir fahren erneut durch die Straßen, kommen an den Häusern und geschäftigen Terrassen vorbei.
Dort wird gefeiert. Niemand hat eine Maske auf. Ich sehe die unbedeckten Gesichter. Sie fliegen an mir vorbei. Ja, diese gehen mich nichts an, das ist nicht mein Job.
Ich werde von einem Unbehagen befallen. Vergeblich versuche ich meine innere Stimme zum Schweigen zu bringen. Sie wird schon etwas leiser, das glaube ich zu bemerken. Und wo kämen wir hin, würde es uns Polizisten nicht geben. Mit diesem Satz versuche ich mich zu beruhen. Wir haben eindeutig eine sinnvolle Funktion in dieser Gesellschaft.
„Lass das!“,höre ich meinen Sitznachbarn neben mir sagen. Ich zucke zusammen, lege meine Hände auf den Schoß und schaue vor mich hin. Wir kommen im Revier an.
Erleichtert steige ich aus, reiße die Maske von meinem Gesicht und versuche Distanz zu gewinnen. Schnell lasse ich meine Kollegen zurück und setze mich an meinen Arbeitsplatz, drehe das Radio auf und hole wahllos Akten hervor. Aus dem kleinen Apparat wird die Büroluft mit Musik gefüllt. Ich beruhige mich etwas.
Als ich aufblicke sehe ich die vergnügten Kollegen und Kolleginnen am Kaffeeautomaten stehen, dicht gedrängt und keiner hat einen Mund-Nasen-Schutz auf.
Im Radio bricht die Musik ab. Eine Stimme erklingt, beginnt vom Komitee für Sicherheit zu berichten. Sie verkündet die Beschlüsse. Ab morgen gilt in allen öffentlichen Gebäuden sowie in den Straßen und den Plätzen Maskenpflicht. Es gibt keine Ausnahmen mehr, darauf wird mit Vehemenz hingewiesen, da sich die Epidemie erneut auszubreiten droht.
Ich frage mich ob, ich meinem Chef eine Kontrolle im Parlamentsviertel vorschlagen soll. Bei diesem Gedanken ziehen sich mein Lippen ungewollt breit. Ein seltsamer Laut entschlüpft mir. Ich drehe das Radio ab und schlage einen Ordner auf.