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Massig
„Prost.“
„Prost.“
„Prost.“
„Muh.“
Es war jedes Mal dasselbe. Herbert hatte sich für den Stammtisch in einen Paarhufer verwandelt.
„Letztens war‘s doch auch ‘ne Kuh, oder?“ Karl nippte an seinem Bier und blickte uns über den Glasrand an.
„Ich war zu betrunken. Jedenfalls hatte ich am nächsten Morgen meine Unterhose auf dem Kopf, als ich aufgewacht bin.“ Rüdiger griff achselzuckend in die Erdnussschale.
„Aber du hast bereits deine Unterhose auf dem Kopf“, warf ich ein.
„Das ist nicht meine“, entgegnete Rüdiger, „die gehört Herbert. Jetzt, wo er 'n Euter hat …“
„Ach nein, letztens war er ein Yak. Oder doch ein Bison? Also mit den Viechern komme ich noch nicht so ganz klar.“ Karl setzte sein Glas ab und winkte einem Hilfsengel zu einer neuen Runde.
„Muh!“
„Und ein Glas Milch für Herbert“, ergänzte Karl.
„Kühe trinken keine Milch!“ meinte ich und hielt mich am Tresen fest, da meine Wolke verdächtig zu Schwanken begann.
„Aber er ist doch in Wirklichkeit gar keine Kuh.“ Rüdiger schien sich seiner Sache sicher. „Jedenfalls hat er die Erdnüsse noch nicht widergekäut.“
„Hm, dann könnte er doch auch Bier trinken, wenn er doch in wirklicher Wirklichkeit keine Kuh ist?“ fragte Karl sichtlich verwirrt.
„Das, mein Lieber, ist ja wohl die Angelegenheit von Herbert. Außerdem ist es nicht höflich von uns, wenn wir über ihn reden, während er gerade kackt“, belehrte Rüdiger mit erhobenem Zeigefinger.
„Ja, stimmt.“
„Richtig, nicht nett von uns.“
Ein angestrengtes Grunzen stotterte sich aus Herberts Maul.
Diesen Sonntag Abend trafen wir uns also zum siebten überirdischen Stammtisch und philosophierten über Gott und die neue Welt. Nun, eher über die Welt, als über Gott und eigentlich philosophierten wir auch nicht, sondern tranken Bier.
An jenem Abend beratschlagten wir uns gerade über die Masse des männlichen Genitals beim Menschen. Wir kamen einfach nicht auf einen Nenner. Gott lag übrigens drei Wolken weiter auf der faulen Haut und das bereits den ganzen Tag. Ja, ja, Müßiggang ist aller Laster Anfang.
„Es muss lang sein“, meinte Karl.
„Du meinst also, auf die Länge kommt‘s an?“ fragte ich mit einem gewissen Unterton, der emotional stark einem rostigen Reibeisen ähnelte.
„Na ja, also … Ja!“ Karl trank das Bier hastig.
„Da ist aber gar kein Platz für. Hast du dir mal die Menschin genauer angeschaut?“ meinte Rüdiger und zeichnete die Silhouette einer Frau in die Luft. „Wo, frage ich dich, soll das denn hingesteckt werden? Das wird eng, sag ich dir, verdammt eng.“
„Genau“, mischte ich mich ein und lehnte mich zurück. Ich hatte ganz klare Vorstellungen von dem Teil. Massig war mein präferiertes Adjektiv in diesem Zusammenhang.
„Ich finde ja, dass der Umfang eine wesentliche Rolle spielen sollte. Es sollte ein ordentlicher Durchmesser sein, versteht ihr?“ Ich breitete meine Flügel und formte mit ihnen ein überdimensionales O. Die drei schienen begeistert.
„Also soll es nicht eckig sein?“ Rüdiger versuchte nicht zu schielen, als er in die Runde blickte.
„Muh!“
„Die Kuh hat Recht, es sollte ohne Firlefanz daher kommen. Ansonsten bleibt der Mensch noch dabei stecken und dann geht vielleicht noch was kaputt, oder so.“ Ich versuchte die Diskussion in eine etwas andere Richtung zu lenken. Natürlich war es mir egal, da ich ja genau wusste, wie so ein Genital aussehen sollte. Riesengroß.
Karl schielte und sah mich dabei an. „Was meinst du jetzt mit dabei?“ Nun blickte er mir und allen anderen gleichzeitig in die Augen. „Was meint er mit dabei?“
Rüdiger schluckte die letzten Erdnussreste hinunter und spülte mit Bier nach. Das darauffolgende tiefe Einatmen kündigte uns einen längeren Monolog an.
„Adäquat.“
Da es sowieso schon ruhig gewesen war, musste es nun Minusstille gewesen sein. Rüdiger trank gelassen weiter.
„Was soll das denn jetzt?“ meinte ich. „Adäquat.“ Der Hohn in meiner Stimme war kaum als subtil zu bezeichnen.
„Ja, Rüdiger, was ist dieses Adä… quark?“ Karl fragte eher in sein Bierglas als Rüdiger.
„Nun, Freunde, damit meine ich, dass es angemessen sein sollte. Es kann lang, kurz, dick, dünn oder eine Mischung aus diesen Merkmalen sein.“
„Kurz und lang? Wie soll das denn gehen?“ meinte ich gespannt.
„Na, anfangs lang und äh, danach kurz …?“ Rüdiger verstand es offenbar selbst nicht.
„Was ist denn jetzt auf einmal dieses danach? Ich denke es geht ums dabei?“ Karl tappte sowas von im Dunkeln. Das konnte ich nicht zulassen.
„Es könnte am Anfang kurz und währenddessen lang sein ...“, schlug ich vor.
„Währenddessen … na klar, äh verstehe.“ Karl schnippte frustriert die halben Erdnüsse auf die eine und die ganzen auf die andere Seite der Schale.
„… und danach wieder kurz. Trägt sich im Alltag bestimmt auch viel besser.“
„Genau“, stimmte mir Rüdiger zu. "Kurz und gut."
„Okay, Herbert?“
„Muh?“
„Zu Protokoll …“
„Muh.“
„Notier das! Adäquat und so.“
Im allgemeinen können Kühe nicht schreiben. Aber im allgemeinen haben Kühe auch keine Flügel, hocken auf Wolken rum und plaudern über Geschlechtsteile.
„Und was ist mit krumm? Es könnte doch auch krumm sein. Ästhetisch krumm natürlich.“ Karl hatte eindeutig zu viel Phantasie.
„Nein, krumm geht ja nun mal gar nicht“, konterte Rüdiger.
„Echt mal. Den Spaß haben wir uns schon bei der Banane gegönnt.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ja, da war ich aber gerade auf'm Klo und keiner hat mir erklärt, warum die krumm ist.“
„Äh, ja. Aber mal was anderes. Wer bestimmt jetzt eigentlich die individuelle Größe? Gott?“ Ich blätterte in den Protokollen der vergangenen Sitzungen.
„Auch so ‘ne Sache“, seufzte Rüdiger.
„Wie meinst‘n das?“
„Diesen ganzen Individualismuskram sollen wir auch noch machen. Genetik soll das heißen.“
„Scheiße!“
„Ja. Aber das soll wohl erst nächste Woche dra…“
„Moment mal, nächste Woche? Hat er nicht gesagt, er wäre fertig?“
Allgemeines Flügelzucken und weiter getrunken. Sitzung beendet.