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Meerlauf

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06.02.2001
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Meerlauf

Meerlauf

Alles eine Frage der Perspektive. Baumkronenwiesen, angepasst an Jahreszeiten. Kleine graue Schlangen, die sich durch die Landschaften winden. Dächer sprenkeln Berghänge. Seepfützen werden zu kleinen Tümpeln. Geradeaus findet man nichts als gefärbtes Wolkenmeer. Der Blick nach unten ist entscheidend.

Brigitte sitzt. Die Uhr tickt. Ihre Hände führen ein Eigenleben. Ihr Blick bohrt sich durch die Leere, hin und wieder findet er ein Ziel; mal die Uhr, mal die Tapete, die von abgehängten Fotos erzählt, aber nie das, was er sucht. Das Haar hängt ihr fettig ins Gesicht. Grau ist es geworden. Die Augen wandern unruhig und müde hin und her.
Sie hätte Kaffee kochen sollen. Sie hätte den Tisch decken und die Stühle zurechtrücken müssen. Aber Robert, der Einzige, der noch hilft, hat frei.
Das Klingeln lässt auf sich warten. Brigitte steht auf. Geht zum Fenster. Ein Blick hinaus verrät, dass es regnen wird. Sie kehrt um. In die Küche, wo Jonas als Kind am liebsten gespielt hat. Jonas. Ihr Sohn. Mit seinem Namen assoziiert sie eine Mischung aus Verzweiflung, Angst und Liebe, die vergessen hat, wen sie lieben muss. Das Asthma kriecht ihren Hals hinauf. Sie greift nach dem Spray in ihrer Schürzentasche.

Perspektivenwechsel. Urlaub am Strand. Lachen. Kinder, die Sandburgen bauen. Frisbeewürfe, die eine Mittagshitze zerschneiden. Inmitten von endlos erscheinenden Sonnenuntergängen Liebespaare, die Spuren im Sand hinterlassen. Sonnenschirmparadies. Hundegebell ohne Echo. Und das Salz des Meeres, das sich in Haaren festsaugt.

Es klingelt. Brigitte horcht auf. Sie wartet einen Moment. Erhebt sich und schlürft in ihren Pantoffeln zur Tür. Sie öffnet und lässt die Fremde ins Haus.

Die Hände zittern, während Brigitte sagt: Mein Jonas wollte Fallschirmspringer werden. Vielleicht bei der Bundeswehr. Vielleicht aber auch nicht. Er sah sich oft stundenlang Luftaufnahmen an. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er aussah, wenn er sich über ein Foto beugte; Seine Nasenflügel bewegten sich, ganz so als würde er die Höhenluft schnuppern. Die Haare fielen ihm ins Gesicht. Er wischte sie mit beiden Händen fort ohne aufzuschauen. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein, ich weiß es nicht. Vielleicht will ich jetzt einfach sehen, was ich damals nicht sehen konnte. Aber vielleicht kann ich jetzt genauso wenig erkennen wie früher.
Man sollte mir meine Unwissenheit zurückgeben. Oder man hätte mir früher das nötige Wissen geben sollen.
Ich weiß es nicht.

Die Fremde erzählt, ruhig, bedächtig, mit Erinnerungsfetzen in den Augen: Connis erster Sandstrand. Sie stand in ihrem Badeanzug da und gaffte die Menschen an. So viele auf einen Haufen hatte sie noch nie gesehen. Ich musste sie bei der Hand nehmen und mich mit ihr gemeinsam zum Meer vorkämpfen. Conni war noch zu jung, um etwas werden zu wollen. Ich breitete die Stranddecke möglichst nah am Meer aus, sie half mir dabei; mit der typischen kindlichen Ungeduld. Dann jagte ich sie davon und sie hüpfte lachend und zielstrebig zu einer Kinderschar, die im Wasser tobte.
Geh nur so weit hinein, wie du stehen kannst! rief ich ihr nach. Aber meine Worte versickerten in der Meerbrise.

Brigitte erkennt die Unbekannte; sie sieht sie vor sich, sie sitzt ihr ungeschminkt gegenüber, das Haar hängt ihr ebenso fettig in die Stirn. Es ist die gleiche Unruhe, die Brigitte in diesen Augen wahrnehmen kann. Dasselbe Zittern der Lippen wie bei ihr selbst. Die Fremde wird zu einem Spiegelbild. Doch das Gefühl von Vertrautheit und Nähe will sie beide nicht erfassen.
Draußen fängt es an zu regnen. Die Tropfen klopfen trommelnd ans Fenster und rinnen die Scheibe hinab. Das Spiegelbild schweigt. Brigitte sucht nach etwas, das sie und die Fremde trennt. Sie möchte sprechen und bringt nur das Rasseln ihres Atems hervor. Sofort schließt sich ihre Hand um das Asthmaspray.
Das Spiegelbild beobachtet sie. Legt den Kopf schief. Die traurigen Augen, die einmal geleuchtet haben mussten, durchbohren Brigitte.
Meine Tochter hatte das auch, sagt sie. Brigitte fängt an zu weinen.

Autofahrten. Endlose Stunden lang. Durch Städte, in denen das Leben pulsiert, hinaus, hinaus, über Landstraßen, Berghänge hinauf. Picknicken und dabei den Blick über Dörfertrauben gleiten lassen. Kinderlachen in Wirtshäusern. Mit Kreide bemalte Seitenstraßen. Und immer wieder Schilder, die den Weg weisen, die warnen, die schützen, vorbeugen und eine Richtung angeben. Schilderseen, Schilderozeane soweit das Auge reicht.

Brigitte liest vor, ihre Stimme klingt wie Steine, die einen Abhang hinunter kullern:
Hallo Mama,
Ich konnte nicht anders. Ich wollte nicht töten und hab’s doch getan. Das ist wie Klingen im Bauch.
Brigitte bricht ab. Sucht den Blick der Fremden. Findet ihn nicht. Sie kann nicht weiter lesen. Sie legt den Brief auf den Tisch zurück. Wartet.
Die Fremde schweigt. Ihre Mundwinkel zittern.
Brigitte schluckt Trauer und Wut die Kehle hinunter.
Warum sind Sie gekommen? fragt sie schließlich.
Das Spiegelbild schweigt. Es steht auf und geht langsam zur Tür. Brigitte kann nicht folgen. Dann dreht es sich zu ihr um und sagt: Weil Sie mich gesucht haben.

 

Hey stephy,

Ihr Blick bohrt sich durch die Leere, hin und wieder findet er ein Ziel; mal die Uhr, mal die Tapete, die von abgehängten Fotos erzählt, aber nie das, was er sucht.
Das kann man so machen, den Blick derart personifizieren, das Problem ist dann, dass man ihn 2mal noch als „er“ mit rumschleppt, während man sich natürlich die Frau vorstellt, die da sucht. Also einmal Blick was tun lassen, ist okay als Personifikation. Aber die beiden Pronomen dann einfach, mich stören sie.

Mit seinem Namen assoziiert sie eine Mischung aus Verzweiflung, Angst und Liebe, die vergessen hat, wen sie lieben muss.
Ich mag „assoziiert“ nicht, das wirkt für mich wie ein Fremdkörper in deutschen Texten, zumindest in Literarischen. „Verbindet“ ist doch ein wunderbares Wort, bei dem jeder sofort ein Bild im Kopf hat, bei assoziiert denk ich immer an irgendeine Therapiesituation.

endlos erscheinenden Sonnenuntergängen
Endlos scheinenden – fänd ich schöner, mit der Doppelbedeutung

Schlürft
Schlurft

; Seine Nasenflügel bewegten sich
Geht klein weiter nach Semikolon.

ohne aufzuschauen
, ohne

Schilderseen, Schilderozeane soweit das Auge reicht.
Das ist sehr gut.

Es ist für mich manchmal schwer, dem Text zu folgen, weil er doch nicht immer nachvollziehbar springt. Am Anfang dachte ich, es spiele in so einer Art Café, weil sie Kaffee kochen und den Tisch decken soll; und jemand frei hat. Dann schlurft sie aber in Pantoffeln zur Tür, was man wohl nur in der Wohnung machen würde.
Die ganze Zeit dachte ich, sie hätten ihren Sohn verloren; wenn die zweite dann zukommt, dachte ich erst, es wäre wie so eine vermittelte Selbsthilfegruppe; aber es ist doch noch ein Stück weiter. Irgendetwas schreckliches muss da passiert sein; ihr Sohn muss die Tochter der anderen umgebracht haben. Die Tat bleibt weit weg, wie auch das Negative an ihrem Sohn. Die idyllischen Bilder sind davor, auch die Ohnmacht, ihn nie richtig verstanden zu haben; bei der anderen Frau dominiert auch diese Ohnmacht, sie konnte ihre Tochter nie beschützen. Die Vorwürfe, der Zorn, sind schon älter, hat man das Gefühl, es bleibt diese Ohnmacht zurück, die Unteilbarkeit des Schmerzes; dass es obwohl beide tja … schicksalhaft verbunden sind, doch keine Verbindung entstehen kann, weil sie ganz von sich selbst voll sind.
Ja, für mich sind solche sehr lyrischen und emotionalen Texte immer eher eine Denksportaufgabe; mir fehlt da ein wenig die Ader dafür. Fand den Text trotzdem gelungen.

Gruß
Quinn

 

Hallo stephy,
ich kapiere es einfach nicht! Habe die Geschichte jetzt dreimal gelesen, doch es erschließt sich mir kein Verlauf, der Sinn machen könnte. Da liegt mein Problem: erzähl mir die Geschichte doch so, dass ich weniger rumraten muß, ich sitz doch nicht in Deinem Kopf! Dann wiederum überfallen mich die Selbstzweifel: bin ich nicht fantasievoll genug? Mystisch völlig unbegabt? Keine Ahnung, ich finde es aber schade, denn es gibt so viele schöne Bilder in Deinem Text.
LG,
Jutta

 

Lieber Quinn, liebe Jutta,

vielen Dank, daß Ihr Euch die Mühe gemacht habt, meinen Text zu lesen und Eure Meinung zu posten!!!
Die Geschichte ist wirklich nicht einfach.

Quinn
Vielen Dank für Deine Korrektur! Ich werde sie genau so übernehmen!
So, wie Du die Geschichte interpretierst, habe ich sie auch gesehen. :)
Es sitmmt, man kann den Text nicht einfach so runterlesen zur Entspannung oder so... Na ja, jedenfalls dank ich Dir! :)

Jutta
Auch bei Dir bedanke ich mich für Deine Meinung!
Die Geschichte sollte wirklich nicht einfach runterzulesen sein, weil das Thema ja auch nicht einfach ist - und werten wollte ich nicht. Daher ist das Ganze wohl etwas zu metaphorisch ausgefallen (wie die meisten meiner neueren Geschichten). Ich werde mir überlegen, wie ich das etwas abschwächen kann. Das, was ich sagen wollte, hat Quinn erkannt, trotzdem schaue ich mal, wie ich "Meerlauf" etwas vereinfachen kann.

Liebe Grüße Euch beiden
stephy

 

Hallo Stephy,

es liest sich sehr schön, obwohl auch ich ein bisschen das Gefühl von Rätselraten habe.
Bis zum letzten Absatz hätte ich bei Brigitte auf eine Kontaktperson "Verwaister Eltern" getippt, auch wenn sie sich dafür noch gar nicht bereit zeigte. Beide haben wohl ihre Kinder verloren. Der letzte Absatz legt den Gedanken nahe, dass Brigittes Jonas den Tod des Mädchens zu verantworten hat. Dann kann Verbindung natürlich nur schwer entstehen und es erklären sich die Frage: "Warum sind sie gekommen?" und der Anfang des vorgelesenen Briefes.
Grundsätzlich habe ich etwas gegen diese Rate-Erzählweise, weil ich der Meinung bin, ein Autor erhebt sich damit immer über den Leser. Informationen vorzuenthalten ist jedenfalls ein effektiver Weg, dem Leser das Gefühl von Dummheit zu geben.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Steffy,
in deiner bedrückenden Geschichte begegnen sich zwei Mütter, die offensichtlich auch nach langer Zeit ihr Leid um den Verlust ihrer Kinder nie verwunden haben. Beide sind indirekte Opfer einer zurückliegenden Gewalttat.
Brigitte, durch den Selbstmord ihres Sohnes (offensichtlich der Mörder des Mädchens) depressiv geworden, steht im Zwiespalt zwischen Mutterliebe zu ihrem Sohn und dem Eingeständnis, dass er nicht derjenige war, den sie in ihm sah und sehen möchte.
(„…und Liebe, die vergessen hat, wen sie lieben muss.“)

Sie ist eine gebrochene Frau, die nicht nur als Asthmatikerin zu ersticken droht, sondern auch im übertragenen Sinne an diesem nicht zu bewältigenden Konflikt zu ersticken droht.

Vielleicht verspricht sie sich von dem Besuch der Mutter des Opfers Klärung, Linderung, eine Art Absolution von der Schuld, als Mutter versagt zu haben, einen Mörder geboren zu haben.
(„Man sollte mir meine Unwissenheit zurückgeben. Oder man hätte mir früher das nötige Wissen geben sollen.“)

Ich entnehme der Geschichte, dass Brigitte nicht um einen Besuch der Mutter des Mädchens gebeten hatte, sondern dass die Besucherin den Kontakt zu der „Mördermutter“ gesucht hat.
Beide Frauen, erhoffen sich von dem Treffen möglicherweise, dass sie endlich Ruhe finden, endlich mit der Vergangenheit abschließen können.
In ihrem unverarbeiteten Leid und dem nie beantworteten <Warum> sind beide Frauen sich ähnlich… wie ein „Spiegelbild“ und dennoch können sie ihr Leid nicht miteinander teilen. Sie bleiben beide Suchende.

Auch die Mutter des Mädchens fühlt in sich die Schuld des Versagens, nicht genügend Vorsorge getroffen zu haben, nicht achtsam genug gewesen zu sein; trotz aller Vorsicht und Warnungen, nicht die wahre Gefahr erkannt zu haben, sondern nur die des möglichen Ertrinkens:
(„Dann jagte ich sie davon und….“
„Geh nur so weit hinein, wie du stehen kannst! rief ich ihr nach. Aber meine Worte versickerten in der Meerbrise.)


Zwei m. E. stilistische Schwachstellen möchte ich noch anmerken:

Du schreibst:
„Brigitte liest vor, ihre Stimme klingt wie Steine, die einen Abhang hinunter kullern:“
Dieser Satz / das Bild klingt für mich unelegant…vielleicht liegt es an „ihre Stimme“ = Singular ,..der damit verquickte Vergleich aber wird im Plural gewählt: „… Wie Steine, die einen Abhang hinunter kullern:“

Möglicherweise aber komme ich auch nicht klar mit dem Bild selbst; ich kann mir nichts darunter vorstellen: „Stimme“ – „kullernde Steine“
Ein schlichtes: <Ihre Stimme klingt belegt/ gebrochen/…> hätte mir mehr an Vorstellung geliefert.

Im Brief heißt es:
„Hallo Mama,“
Diese Anrede in einem offensichtlichen Abschiedsbrief des Sohnes hat mich stutzig gemacht….kommt so locker daher… passt irgendwie auch nicht zu einem, der vorhat, sich das Leben zu nehmen..

Ich habe mich gerne mit diesem <schweren> Text auseinander gesetzt.

Die Geschichte hat mich angerührt, nicht zuletzt wegen der Tragweite eines Vergehens Dritter, die die hinterbliebenen Angehörigen (hier: Mörder-Mütter/ Opfer-Mütter) in unlösbare seelische Konflikte drängen.

Gruß
kathso

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim, hallo kathso60!

Vielen Dank für Eure Kritiken! Entschuldigt, daß ich erst jetzt darauf reagiere, bei mir ist gerade irgendwie viel los...

sim:
Sehe ich nicht so, denn wenn man in einer Geschichte alles ausdappt und ausspricht, dann hält man - meiner Meinung nach - den Leser für dumm. ;) Das, was der Leser wissen muß, steht ja alles da.
Trotzdem vielen Dank fürs Lesen!

kathso60:
Wow, Du hast Dir aber echt Mühe gegeben, danke! Ich werde dieses "Hallo Mama" ändern, Du hast recht, das kommt wirklich etwas zu locker daher... Und das mit den kullernden Steinen lasse ich mir natürlich auch durch den Kopf gehen! Vielen Dank für die Arbeit, die Du Dir gemacht hast, es freut mich natürlich sehr, daß Dich die Geschichte angerührt hat. :)

Liebe Grüße Euch beiden.
stephy

 

sim:
Sehe ich nicht so, denn wenn man in einer Geschichte alles ausdappt und ausspricht, dann hält man - meiner Meinung nach - den Leser für dumm. Das, was der Leser wissen muß, steht ja alles da.
Trotzdem vielen Dank fürs Lesen!
In diesem Fall steht eben nicht alles da. Deine pauschale Aussage ist also nur eine Ausrede. Und selbst wenn alles da steht, werden wichtige Bestandteile erst nachgeschoben.
Aber ich sehe schon, ich bin einfach zu dumm für dich.
Viel Spaß mit deiner Überlegenheit.

 

Hallo sim,

wieso denn aber Überlegenheit? Und wieso zu dumm sein? Versteh ich jetzt echt nicht. Da andere Leute den Text durchaus verstanden haben, denke ich mal, steht doch alles Wichtige da. Ich werd aber nochmal drübergehen und schauen, wo ich noch klarer werden sollte. Wollte bisher auch einige Kritiken sammeln, bevor ich mich ans Überarbeiten mache. Mit Dummheit und Überlegenheit hat das nun wirklich gar nichts zutun.

Liebe Grüße
stephy

 

Quinn schrieb:
Die ganze Zeit dachte ich, sie hätten ihren Sohn verloren; wenn die zweite dann zukommt, dachte ich erst, es wäre wie so eine vermittelte Selbsthilfegruppe; aber es ist doch noch ein Stück weiter. Irgendetwas schreckliches muss da passiert sein; ihr Sohn muss die Tochter der anderen umgebracht haben
Quinn schrieb:
Ja, für mich sind solche sehr lyrischen und emotionalen Texte immer eher eine Denksportaufgabe
Jutta Ouwens schrieb:
ich kapiere es einfach nicht! Habe die Geschichte jetzt dreimal gelesen, doch es erschließt sich mir kein Verlauf, der Sinn machen könnte. Da liegt mein Problem: erzähl mir die Geschichte doch so, dass ich weniger rumraten muß, ich sitz doch nicht in Deinem Kopf! Dann wiederum überfallen mich die Selbstzweifel: bin ich nicht fantasievoll genug? Mystisch völlig unbegabt? Keine Ahnung, ich finde es aber schade, denn es gibt so viele schöne Bilder in Deinem Text
sim schrieb:
Bis zum letzten Absatz hätte ich bei Brigitte auf eine Kontaktperson "Verwaister Eltern" getippt, auch wenn sie sich dafür noch gar nicht bereit zeigte. Beide haben wohl ihre Kinder verloren. Der letzte Absatz legt den Gedanken nahe, dass Brigittes Jonas den Tod des Mädchens zu verantworten hat.
Drei Leute, die das Gleiche sagen und sich nur mit "vielleicht" dem Inhalt annähern, aber du bleibst bei:
Sehe ich nicht so, denn wenn man in einer Geschichte alles ausdappt und ausspricht, dann hält man - meiner Meinung nach - den Leser für dumm. Das, was der Leser wissen muß, steht ja alles da.
Ja, und sogar ich scheine den Inhalt erraten zu haben, aber eben erraten.
Und dann tust du noch so, als wäre ich der Einzige, der es "nicht verstanden hat", dabei war es außer Kathso60 keiner und auch deren Kommentar besticht durch die häufige Verwendung von Wörtern wie "vielleicht", "offensichtlich" und "Möglicherweise", von Sicherheit zeugen diese Vokabeln nicht.

Und das gibt dir nicht zu denken?`

Was soll ich daraus schließen? Dass du dich daran weidest, wie schwer sich die Leute tun, weil dich das zu einer anspruchsvollen Autorin macht?
Ich sehe keinen Grund für kryptische Texte außer dem, sich als Autor über seinen Leser zu erhöhen, tut mir leid.
Wenn man schreibt, möchte man doch verstanden werden, wenn man das nicht möchte, kann man das Schreiben auch lassen.

Und ja. Ich bin verärgert, denn mich ärgert diese Haltung Lesern gegenüber einfach. Erst recht, wenn sie dann noch mit der Standardfloskel kommt, man müsse dem Leser doch nicht alles vorkauen. Davon habe ich auch nie gesprochen, das man das müsste.
Aber wenn drei von vier Rezensenten die gleichen Schwierigkeiten äußern, dann wäre ein bisschen Selbstkritik vielleicht auch mal angebracht. Und wenn sie es trotzdem geschafft haben, zu entschlüsseln, dann mag ja alles drin stehen, aber es bleibt das Problem der permanent nachgeschobenen Informationen, während der Leser zuerst auf die falsche Fährte gejagt worden ist.
Wenn ich Rätsel raten will, kaufe ich mir ein Sudokuheft oder den Logiktrainer.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo sim,

mir liegt es fern, Rätselraten-Geschichten hier zu veröffentlichen und diese Geschichte ist auch weitaus älter als ein Jahr und ich hatte sie vorher schon von Freunden und Bekannten lesen und kommentieren lassen (und anhanden dieses Feedbacks den Text mehrmals umgeschrieben). Vielleicht hätte ich sie besser in die Rubik "Experimente" posten sollen, dann wäre deutlich geworden, dass ich hier besonders sprachlich experimenten wollte. Eine lyrische Kurzgeschichte mit ernstem Inhalt in verdichteter sprachlich-metaphorischer Form war mein Ziel.

Quinn hatte genau das herausgelesen, was ich aussagen wollte. Was er kritisierte (korrigier mich, wenn ich falsch liege!), war, dass Texte dieser Art für ihn eine "Denkaufgabe" seien.

Diese Geschichte ist natürlich nicht locker und leicht zu lesen, genau wie das Thema, das sie behandelt. Ich hatte angenommen, dass anhanden der vielen Metaphern und der Knappheit eindeutig das Experimentieren rüberkommt. Es kann gut sein, dass dieses Experiment gescheitert ist. Aber mit Überlegenheit und Dummheit hat das nichts zutun. Wenn der Inhalt dieser Kurzgeschichte überhaupt nicht rübergekommen ist, dann habe ich das Ziel nicht erreicht.

Es gibt auch Unmengen an Texte, die einen "überraschenden Schluß" vorweisen, bei denen der Leser auch zunächst auf eine falsche Fährte gelockt wird, um am Ende überrascht zu werden. Solchen Geschichten wirft man allerdings nicht vor, dass sie nachhaltige Informationen liefern.
Ich hatte immer angenommen, dass in der Literatur alles möglich und alles erlaubt ist.
Weil mir in der neuen Literatur das Lyrische oft total fehlt, es gänzlich ausgespart wird, wollte ich es zum Zentrum meiner Geschichten machen.

Mir persönlich gefallen Geschichten am besten, die man wie ein Bild von mehreren Seiten betrachten kann, wobei das Bild dann immer wieder anders aussieht. Es ist mir klar, dass das nicht dem gängigen Geschmack entspricht. Und weil mir das klar ist, poste ich selten bis gar keine Geschichten mehr.

Natürlich bin ich selbstkritisch (nur so kann man sich verbessern!), daher hatte ich auch gemeint, dass ich mir überlegen werde, wie ich diesen Text vereinfachen und klarer machen kann. :)

Liebe Grüße
stephy

 

Hallo stephy,

also mich hast du auch auf verschiedene Fährten gelenkt. Dass ich deine Intention wirklich entschlüsseln konnte, wage ich zu bezweifeln. Mir fehlen ein paar Elemente, die diese "Fährten" deutlicher miteinander verweben und daraus ein in sich schlüssigeres Ganzes machen. So als Fazit.
Dennoch habe ich den Text gerne gelesen, denn es sind viele Assoziationen in mir hochgekocht, viele Bilder entstanden, die ich "gerne" betrachtet habe. Gerne in "", da sie doch sehr vom Traurigen und Verzweifelten durchwirkt sind. Aber auch diese Bilder bereichern.
In der Geschichte gibt es, eingebunden im kryptischen INhalt ;), einige schöne Sätze, die mir sehr zugesagt haben. Zum Beispiel der schon von Quinn zitierte Satz oder das hier:

Man sollte mir meine Unwissenheit zurückgeben. Oder man hätte mir früher das nötige Wissen geben sollen.
Ich weiß es nicht.
Solche Gedanke hatte ich früher auch oft. Ein bisschen streifts auch das Dilemma Blaue Kapsel/ rote Kapsel ;) (obwohl das nun wieder wenig mit der Geschichte zu tun hat)

Bin gespannt, was aus deiner Überarbeitug wird :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Guten Tag, stephy,

das ist ja eine bedrückende Geschichte. Schön und intensiv geschrieben, schlimmes Thema.

Ich hatte keine Schwierigkeiten, Inhalt und Handlung zu erkennen. Beim Lesen wird Stück für Stück das meiste klar, anderes bleibt im Dunkeln, aber das darf es ja auch. Man erfährt nicht, wie und warum Jonas Conni getötet hat. Die Kinder sind beide tot, die zerbrochenen Mütter sind mit solchen Fragen durch, sozusagen, weil innerlich mitgestorben. So las ich das.

Was ich noch las: Die Schrecklichkeit, daß ein Kind in der Küche spielt, was werden will und dann später ein anderes Kind und sich selber tötet. Daß man sein Kind vor dem Wasser warnt und es dann ermordet wird, bevor es alt genug wird, was werden zu wollen. Die Hilflosigkeit, die zurückbleibt, wenn alles (trotz des Schilderozeans) eine andere, fatale Richtung nimmt.

Es gibt so Stellen, da dachte ich: Bedeutet das was? War das ein Hinweis? Der Blick nach unten z.B., dann die Luftaufnahmen, Fallschirm ... aber als routinierter Leser denke ich dann (mit der mir eigenen Arroganz): Es war keiner, sonst hätte ich ihn im Verlauf der Geschichte verstanden. Es war also ein Teil des Gesamtbildes, des Stimmungsteppichs, und den hast Du gut gewebt.

Den Schlußsatz fand ich etwas rosa Watte. Auch waren manche Formulierungen hart an der Kitschgrenze, das kommt von der Verdichterei, hier Beispiel:

Liebe, die vergessen hat, wen sie lieben muss.
mit Erinnerungsfetzen in den Augen
Jonas. Ihr Sohn.
überflüssig und leicht melodramatisch. Kommt ja klar raus, daß es ihr Sohn ist.
ihre Stimme klingt wie Steine, die einen Abhang hinunter kullern

aber nie das, was er sucht.
würde ich streichen
schlürft in ihren Pantoffeln zur Tür
schlurft.

Freundlichen Gruß,
Makita.

 

Hallo Makita und weltenläufer,

vielen lieben Dank für Eure Kommentare! Bin jetzt leider noch nicht zum Überarbeiten gekommen, wird aber ganz sicher noch gemacht. Bin zurzeit etwas eingespannt... Aber ich kümmere mich drum. :)

Vielen Dank für Eure Kritiken! Eure Vorschläge werde ich versuchen zu berücksichtigen. Ich hoffe, die überarbeitete Version wird besser. :)

Liebe Grüße
stephy

 

Hallo stephy,

ein sehr dichter bzw. verdichteter Text, der meines Erachtens unter "Seltsam" fast noch besser hätte platziert werden können. Eine dieser Geschichten, die sich nur schattenhaft offenbaren und dem Leser keinen breit getrampelten Pfad anbieten. Etwas Sprach-Jazz. Gefällt mir, weil ich in sich verschachtelte Geschichten gern mag und mich gut darauf einlassen kann. Einige Bilder haben mir sehr gut gefallen. Mal sehen, was deine Überarbeitung bringt, etwas mehr Fluss an manchen Stellen könnte dem Text gut tun. Ich würde auch stellenweise den etwas drehbuchartigen Stil etwas mehr "ölen".

Rick

 

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