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Mein Baby

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28.04.2005
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Mein Baby

Der Regen prasselte in endlosem monotonen Rhythmus auf den Schirm, bildete Rinnsaale und ergoss sich über die Kanten auf ihre Schulter.
Susanne bemerkte es nicht. Sie hatte nur Augen für den kleinen Sarg vor ihr, den gerade ein paar Männer aufhoben, um ihn langsam die Grube hinab zu lassen.
Das ist nicht mein Kind. Mein Kind liegt nicht in dem Sarg!
Susanne verzog keine Miene, während ihr Blick starr auf die kleine Kiste geheftet blieb, die Stück um Stück hinter der Grasnabe verschwand.
Sie sah die Menschen nicht, die nach und nach vor sie traten und eine Blume oder eine Schaufel Sand in das Loch warfen. Sie spürte es auch nicht, als eine Hand sie sanft am Arm nahm und zum Parkplatz führte, auf dem ihr Mann sie erwartete.
Er wirkte unschlüssig, wie er so vor ihr stand, doch als sie zu seinem Gesicht aufsah, fasste er sich.
„Susanne ...“ Seine Stimme war ein heiseres Krächzen und er räusperte sich, bevor er wieder begann. Sie sah ihm in die Augen und fand den Vorwurf.
Die Wut, von der sie dachte, dass sie heiß bis in ihren Kehlkopf fahren würde, war nur ein dumpfes Pochen. Wieder schwieg sie.
„Ich werde mich bei dir melden.“
Das war es. Keine Umarmung. Kein Kuss. Keine Vergebung.
Er stieg einfach in seinen Wagen und fuhr davon. Aus ihrem Leben.

Die Autofahrt verlief schweigsam. Sie beobachtete die perlenden Tropfen an der Scheibe, blickte in den Himmel und verfolgte den Lauf der Wolken.
Ein sanftes Flüstern neben ihr. Rosas Stimme.
Susanne drehte den Kopf und sah ihre Freundin an.
„Wir sind da“, wiederholte Rosa. „Möchtest du, dass ich mit hineinkomme? Ich könnte dir einen Tee machen und dann schauen wir noch ein bisschen Fern, ja? Matthias wird das verstehen, wenn ich heute bei dir bleibe.“
Susanne schüttelte nur den Kopf und stieg aus. Sie wollte keine Gesellschaft.

„Du bist mir geblieben, meine Süße“, flüsterte Susanne liebevoll und wiegte das Baby sanft in ihren Armen.
„Du bist mir geblieben. Ich werde immer auf dich aufpassen, Mina. Mama ist immer für dich da.“
Susanne wanderte langsam mit dem Säugling auf dem Arm durch die Stiege.
„Hast du Hunger?“
Vorsichtig ließ sie sich in dem Sessel nieder und entblößte die Brust, während sie weiter sanft über das kleine Köpfchen und die samtenen Haare strich. Als ihre Brustwarze die winzigen Lippen fand, versteifte sie sich fast sofort und ein Schauder überlief Susannes Rücken.

Mitten in der Nacht zog die Kälte in ihr Schlafzimmer, kroch über den Boden und fand sie unvorbereitet im Schlaf.
Die Bilder liefen wieder und wieder vor ihr ab, geißelten sie und zeigten ihr schonungslos, was sie vergessen wollte. Sie hatte - wie jetzt – geschlafen, als es passierte. Sie hatte nicht gehört, wie ihr Kind schrie. Hatte ihren Rausch ausgeschlafen und nichts mitbekommen.
Immer wieder stand sie im Traum auf und lief den Flur entlang, auf dem Weg zur Toilette und spürte dabei wieder und wieder die Schwere ihres Kopfes. Immer wieder öffnete sie die Tür zum Kinderzimmer, trat an das Bettchen und hob den leblosen Körper heraus. Immer schneller wurden die Bilder. Immer häufiger die Wiederholungen. Das Erbrochene. Die starren Augen. Die blauen Lippen. Die Augen. Der verzerrte Mund. Grünes Erbrochenes AugenMundlippengrün... Bis sie die Augen aufschlug und an die Decke starrte, dem Alptraum entkommen, nur um sich bewusst zu werden, dass der Alptraum jüngste Vergangenheit war.
Wimmern wurde in ihrem Kopf zu klagendem Geweine und schwappte in hysterisches Kreischen über.
Ruckartig sah sie auf. Das war kein Traum mehr. Das Weinen. Das Kreischen.
Mein Kind. Mein Baby.
Susanne sprang auf und stürzte auf die Tür zu, riss sie so kräftig auf, dass sie fast gestürzt wäre.
Mein Baby. Mein Baby. „Mina? Mina!“ Susanne kreischte nun unverhohlen, während sie wie in Zeitlupe die wenigen Meter bis zur Tür des neuen Kinderzimmers lief.
„Mina, ich komme!“
Das Kreischen wurde lauter, hallte in Susannes Kopf nach und trieb sie schier in den Wahnsinn.
Sie riss die Tür auf und wurde im ersten Moment von dem aufflammenden Licht geblendet, doch tastete sie sofort nach der Klappe und fand sie.
Und da lag sie. Es war alles in Ordnung. Mina war nur einsam gewesen und wollte zu ihrer Mama.
„Ich bin ja da, meine Süße. Mama ist da!“
Susanne zog den Säugling zu sich heran und stieß dabei ein paar verschimmelte Flaschen Babynahrung um.
„Dir ist bestimmt kalt, meine Kleine. Ich wärme dich.“
Liebevoll strich sie Mina ein paar Eisklümpchen vom Kopf und schloss die Kühlschranktür.

 

Hallo nochmal!

Ja, auf diese Formulierung hatte ich angespielt. Ich hatte es so verstanden, dass es eine Rückblende war und das Baby zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Ein totes Baby kann natürlich nicht die Brustwarze suchen, da hast Du recht. Die Vorstellung finde ich noch schauriger (die Brustwarze versteift sich dann automatisch, weil das Baby so kalt ist? :D ). Das mit dem Stillen war natürlich ein Scherz, hab mir gedacht dass Du männlich bist ;) .

Weiter so!

DarkLady

 

Hallo nochmals DarkLady,

Die Vorstellung finde ich noch schauriger (die Brustwarze versteift sich dann automatisch, weil das Baby so kalt ist?
Diese Szene fand ich selbst auch nicht gerade "gemütlich". Ich hatte dabei einen kameraähnlichen Blick über ihre Schulter vor Augen, der direkt auf dieses Babygesicht mit den offenen Augen und dem leicht geöffneten Mund zeigt. Keine Regung der Lippen, der Wimpern oder dergleichen. Und dann wie die Prot langsam mit der Brustwarze den Mund des Säuglings sucht, die dann aber trotzdem nur leicht auf den toten Lippen aufliegt. *schüttel*


Gruß, Zensur

 

Aus dieser Perspektive habe ich es mir eben auch vorgestellt. Mußte mich bei dem Gedanken ebenfalls schütteln.

Grüße!

 

Hi Zens,

ja, die Geschichte hat mir um Längen besser gefallen als diese merkwürdigen Texte, die du in letzter Zeit fabriziert hast. Wieso schreibst du nicht öfters so etwas? ;)
Ich kannte die Schluss zwar schon (du weißt schon, wieso... :dozey: ), aber dennoch konnte sie mich gut unterhalten. Konstruktives habe ich nicht zu vermelden, meine Vorgänger haben ja schon ganze Arbeit geleistet.

Vorsichtig ließ sie sich in dem Sessel nieder und entblößte die Brust, während sie weiter sanft über das kleine Köpfchen und die samtenen Haare strich. Als ihre Brustwarze die winzigen Lippen fand, versteifte sie sich fast sofort und ein Schauder überlief Susannes Rücken.
Daumen hoch!

Ja, hat mir gut gefallen. Hätte ruhig länger sein können.

Liebe Grüße
131aine

 

Hi Blaine,

Merkwürdige Texte? Also ich muss doch sehr bitten. Oi!Oi!Oi! ist ein sehr ernst zu nehmender Text und der Hellseher... na gut. Das war ein Experiment. *lach*

Aber ich merke es schon selber, Horror und Spannung gelingen mir einfach besser als andere Dinge. Ich denke allmählich werde ich mich also ein bisschen fester in diese Rubriken fahren. :)

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat, obwohl du das Ende schon kanntest. (Alter Kritikenlinser) :p

Lieben Gruß, Zens

 

Moin Zensur.

Lange her seit "Etwas war anders als sonst", und ich muss sagen, habe es nicht bereut, mir deine Baby-Geschichte anzutun ;)

Und ebenfalls gestehen muss ich, dass du mich voll erwischt hast. Ich dachte tatsächlich, dass sie zwei Kinder hat. Wobei ich mich da allerdings auch wunderte, warum du nicht erwähntest, dass niemand auf das zweite aufgepasst hat, während sie bei der Beerdigung war.
Aber irgendwie verwarf ich den Gedanken dann wieder.
Stutzig machte mich auch die Sache mit der Brustwarze. Dachte tatsächlich, du hättest dich da vertan. Habe es sogar als Berichtigung notiert ... *schäm*

Und der letzte Satz hat mich absolut aus dem Hocker gehoben. :thumbsup:

Fazit: Eine kurze Pointengeschichte, die mich vollends erwischt hat (ist allerdings wohl auch nicht schwer, wie ich meinen Vorkritikern entnehmen kann). Hat mir gut gefallen!

Gruß! Salem

 

Hallo Salem,

hui, jetzt bin ich baff.
Als ich gerade gesehen habe "Neue Kritik zu meiner Geschichte... oh... Salem" *zitter* Mir schwante wirklich Böses.
Umso mehr freut mich dein Lob und dass du mir eine tatsächliche Verbesserung zu "Etwas war anders als sonst" bescheinigst. :D

Stutzig machte mich auch die Sache mit der Brustwarze. Dachte tatsächlich, du hättest dich da vertan. Habe es sogar als Berichtigung notiert ... *schäm*
Da bist du tatsächlich nicht der Einzige. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich mich über jeden der darauf "hineinfällt" amüsiere, aber ich freue mich, dass diese Stelle so gut funktioniert hat. ;)

Ich danke dir für's Lesen und deine positive Kritik!

Gruß, Zensur

 

Hi Zensur,

gääääääääähn. Oh, sorry, war was?

Ich find, das war nichts, sorry. Nicht neu halt. Ehrlich gesagt habe ich die einsame Erbse vermisst, die die Mutter noch von dem Baby entfernt.

Liebevoll strich sie Mina ein paar Eisklümpchen vom Kopf und schloss die Kühlschranktür.
Na, nicht die klassische Eistruhe? ;)

Nebenbei bemerkt, wie zur Hölle hat sie es geschafft, dass das Baby bei der Beerdigung nicht im Sarg, sondern zuhause in ihrem Eisfach lag? :confused: Und komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden ... ich will eine hieb- und stichfeste Erklärung ...

Ich finde den Schreibstil jedoch - Achtung - akzentuiert. Oh ja. Ich weiß nicht, ob das Wort hier so passt, aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Um auf den Punkt zu kommen: Der Schreibstil ist apokalyptisch, geradezu angemessen. Was ich damit sagen will: Sehr gut ist er, dieser Schreibstil. Ja, ich glaube, akzentuiert passt hier wirklich (könnt doch sein, oder?), denn er setzt die Akzente der Geschichte an den richtigen Stellen. Er fesselt, wo er fesseln soll, er lässt einen nachdenklich zurück, wo er einen nachdenk- ... du weißt schon.

Also, Fazit: Guter, sogar sehr guter Schreibstil, alte, sogar sehr alte Grundidee. :) Hat also gefallen. Zum Großteil.

Tserk!

 

Moin Tserk,

gääääääääähn. Oh, sorry, war was?
Nichts, das die Welt verändern wird. ;)
Ich find, das war nichts, sorry. Nicht neu halt. Ehrlich gesagt habe ich die einsame Erbse vermisst, die die Mutter noch von dem Baby entfernt.
Statt der Erbse gab's ja ein Eisklümpchen. Und Mina liegt ja auch nicht im Abendessen. :D
Na, nicht die klassische Eistruhe?
Nein, aus mehreren Gründen nicht:
1. Bei modernen Kühlschränken ist das Eisfach seperat oben im Kühlschrank.
2. Wenn das Baby in dieses seperate Kühlfach gequetscht wird, finde ich das um einiges abschreckender.
3. In einer ganzen Kühltruhe würde sie ja verloren gehen. ^^ Sie braucht keinen Auslauf mehr. :p

Nebenbei bemerkt, wie zur Hölle hat sie es geschafft, dass das Baby bei der Beerdigung nicht im Sarg, sondern zuhause in ihrem Eisfach lag? Und komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden ... ich will eine hieb- und stichfeste Erklärung ...
Die einen haben es mir durchgehen lassen, andere zumindest darauf hingewiesen.
Zuerst einmal: Das hier ist eine Kurzgeschichte ... und meistens fasse ich mich auch kurz. Lange Erklärungen machen sowas langweilig. ;)
Zweitens: In der Geschichte steht nicht im Vordergrund, "Wie bescheiße ich das Beerdigungsinstitut?", sondern: "Mutter ist so schwer geschädigt, dass sie ihr Kind im Eisfach konserviert"
Aber ok. Statt darauf hinzuweisen, dass meine Mutter in einem Beerdigungsinstitut arbeitet, sie mir aber verboten hat, darüber zu sprechen, weil es ein Betriebsgeheimnis sei (:D), sage ich einfach mal:
"Susanne hat sich noch einen Moment ausgebten, in dem sie allein mit dem Kind im Sarg ist. Frauen haben häufiger größere Taschen dabei, in die ein Kleinkind problemlos passen sollte. Stattdessen könnte sie eine mit Steinen gefüllte Babypuppe dabei gehabt haben - zwecks Austausch.
Danach kann sie sich natürlich ausbitten, dass der Sarg geschlossen bleiben soll (müsste halt nur ein wenig aufpassen, dass die Beerdigungsfirma nicht nochmal drangeht ... aber welchen Grund sollten diese haben? Gerade bei alten/kranken, entstellten oder sehr jungen Menschen ist das nicht ungewöhnlich."
Klingt ein bisschen James-Bond-mäßig, wie? Jau, dachte ich mir auch. Ist aber durchaus möglich und reicht somit als Erklärung. ;)
In der Geschichte hat das aber wenig zu suchen.
Ich finde den Schreibstil jedoch - Achtung - akzentuiert. Oh ja. Ich weiß nicht, ob das Wort hier so passt, aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Um auf den Punkt zu kommen: Der Schreibstil ist apokalyptisch, geradezu angemessen. Was ich damit sagen will: Sehr gut ist er, dieser Schreibstil. Ja, ich glaube, akzentuiert passt hier wirklich (könnt doch sein, oder?), denn er setzt die Akzente der Geschichte an den richtigen Stellen. Er fesselt, wo er fesseln soll, er lässt einen nachdenklich zurück, wo er einen nachdenk- ... du weißt schon.
*strahl* Wow! Danke für das Kompliment!

Also, Fazit: Guter, sogar sehr guter Schreibstil, alte, sogar sehr alte Grundidee. Hat also gefallen. Zum Großteil.
Dass ich am Alten und Bewährten festhalte kam ja nun schon ein paar Mal in letzter Zeit. :heul:
Ich werde wirklich versuchen daran zu arbeiten!
Aber solange mein "Arbeitswerkzeug" tatsächlich so sauber ist, wie du es hingestellt hast, dann sollte das einiges wettmachen. :)

Danke nochmals fürs Lesen und Steine schmeißen. *lach*

LG,
:zensiert

 

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