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Mein Freund Benjamin
Mein Freund
Mein Freund
Lisa stolzierte den schmalen Weg zum Eingang des Kindergartens entlang. Ihre blonden Zöpfe tanzten fröhlich hin und her. Immer wieder drehte sie sich um und winkte ihrer Mutter zu. Sie saß im Auto und beobachtete wie ihre kleine Tochter den letzten Rest des Kindergartenweges allein zurücklegte. Zurückwinkend dachte sie darüber nach, wie gut es war, nach Eimsbüttel zu ziehen.
Eimsbüttel, ein Stadtteil von Hamburg. Ein Viertel, in dem Menschen aus allen sozialen Schichten ein Zuhause gefunden hatten. Auch viele Ausländer lebten hier. Und die kleine Lisa hatte so die Möglichkeit, eine gesunde Einstellung zu ausländischen Mitbürgern zu entwickeln.
Lisa, die sich schon groß fühlte, fünf Jahre war sie alt, bestand darauf, allein in den Kindergarten zu gehen. Als Lisa in ihre Gruppe kam, stand ein kleiner Junge in der Spielecke und sah sich interessiert um. Er war heute das erste Mal da. Die anderen Kinder beachteten ihn zunächst kaum. In der allmorgendlichen Begrüßungsrunde stellte Frau Hohlbaum, die Betreuerin, den Neuen vor. Sie war zwar nicht gerade begeistert, dass schon wieder ein ausländisches Kind in ihre Gruppe gesteckt wurde, aber sie konnte es nicht wirklich ändern. Wenn es so weiter ging, dann gab es bald mehr ausländische als deutsche Kinder in der Eisbärengruppe. Er hieß Lebo und war vor einiger Zeit mit seinen Eltern aus Johannisburg hierher gezogen. Die Kinder waren neugierig geworden, weil er so anders aussah und einen seltsamen Namen hatte. Namen wie Kaya, Ismail und Ali kannten sie schon, aber den Namen Lebo hatte noch keiner von ihnen gehört.
Es war ein aufregender Tag und alle wollten mit dem Neuen spielen.
Am Abend erzählte Lisa ihrer Mutter, dass sie einen neuen Freund hätte. Dann wollte sie unbedingt wissen, ob sie am nächsten Tag wieder in den Kindergarten dürfe und Lebo dann auch ganz sicher wieder da sein würde. Die kleine Lisa konnte vor Aufregung kaum einschlafen.
Am folgenden Tag konnte sie nicht schnell genug in den Kindergarten kommen und lief den schmalen Weg zum Eingang hinauf. Als sie die Eisbärengruppe betrat, war es sehr laut. Lisa war heute die letzte, alle anderen Kinder waren schon da. Ein paar Kinder tanzten um den Neuen herum und sangen“ "Doofer, doofer Neger, geh zurück in den Urwald"!“ Andere Kinder riefen Worte wie "Negerkuss, Bimbo, Nigger"!" Der kleine Lebo stand stocksteif in der Mitte und rührte sich nicht. Frau Hohlbaum war in ein Gespräch mit einer Kollegin vertieft und ignorierte den kleinen Tumult. Lisa verstand gar nicht, was da vor sich ging. Nach einigem Zögern entschied sie, sich den tanzenden Kindern singend anzuschließen. Denn das waren die Kinder, mit denen sie sonst auch immer spielte. Im Laufe des Tages fingen einige Kinder an, Lebo zu schubsen und keiner wollte mit ihm spielen. Auch Lisa nicht.
Sie hätte ja eigentlich Lust gehabt, traute sich aber nicht. Als die Kinder draußen spielen durften, wurde der kleine Lebo sogar getreten und geschubst. Es gab einige Jungen, die sich einen Spaß daraus machten, auf Lebo einzudreschen. Er versuchte sich zu wehren, doch die anderen Jungs waren stärker. Lisa gefiel das gar nicht. Sie hoffte, dass ihre Mama bald käme um sie abzuholen. Die Betreuerin kümmerte sich nicht weiter um das Geschehen. So hatten die Kinder die Möglichkeit, sämtliche Schimpftiraden die sie von Zuhause mitgebracht hatten, auf den kleinen Jungen los zu lassen.
Lisa sah, dass Katrin, auch ein Kind aus der Eisbärengruppe, allein auf einer Bank saß und ging zu ihr. „Du Katrin, warum spielen die Kinder nicht mit Lebo? Warum verhauen sie ihn“. Katrin, schon sechs Jahre alt, erklärte Lisa altklug: Weil er ein Neger ist. Mit Negern darf ich auch nicht spielen, hat meine Mama gesagt. Die sind schmutzig und böse!
„Ach so, ja, dann will ich auch nicht mehr mit Lebo spielen.“
Am Nachmittag auf dem Heimweg fragte Lisas Mutter, ob sie denn schön mit Lebo gespielt hätte. Lisa saß hinten im Auto und schwieg.
Zuhause angekommen, nahm Lisas Mutter ihre kleine Tochter auf den Schoß und versuchte in Erfahrung zu bringen was vorgefallen war. Lisa kuschelte sich ganz eng an ihre Mutter und weinte. „Mama ich will nicht mehr in den Kindergarten!“
„Warum denn nicht, ich denke, du hast einen neuen Freund, mit dem du spielen möchtest?“
Lisa wand sich aus der Umarmung ihrer Mutter. „Nein, ich habe keinen neuen Freund, ich mag Lebo nicht, der ist ein Neger und ich will nicht mit Negern spielen, die sind schmutzig und böse!“ Lisa stampfte energisch mit ihren Füßen auf.
„Aber Lisa, wie kommst du denn darauf? Das stimmt doch nicht, wer erzählt denn so etwas?“ "Außerdem sagt man nicht Neger, das ist ein Schimpfwort!"
„Aber die anderen Kinder wollen auch nicht mit ihm spielen. Ich will nicht mit einem Neger spielen. Ich gehe nicht mehr in den Kindergarten.“
Langsam beruhigte Lisa sich wieder. Ihre Mutter war wie vor den Kopf geschlagen. Sie überlegte noch, wie sie ihrem Kind deutlich machen konnte, dass es Unrecht war, einen Menschen nach seiner Hautfarbe zu beurteilen, als Lisa vergnügt fragte: „Du Mama, darf ich heute noch mit Benjamin spielen?“ Benjamin war Lisas Sandkastenliebe. Sie gingen nicht in den selben Kindergarten, nutzten aber jede Möglichkeit, um miteinander zu spielen.
Die Mutter sah Lisa verstört an. „Mit Benjamin willst du spielen? Du weißt aber, dass Benjamin genauso ein farbiges Kind ist wie Lebo, oder?“
Lisa baute sich vor ihrer Mutter auf, die Hände in die Taille gestützt und blickte ihre Mutter kopfschüttelnd an:
„Aber Mama, Benjamin ist doch kein Neger, Benjamin ist mein Freund!“