Mein Grab
Ich sehe es vor mir. Ein Zehntausendstel von zwanzigtausend Quadratmetern gehören jetzt mir. Mein erster und letzter Grundbesitz. Hier werde ich zur Ruhe kommen. Zwei Quadratmeter Gelassenheit, geschmackvoll bepflanzt, den Platzregeln entsprechend eingefasst. Man kann davor stehen und es betrachten, den Stein wertschätzen und - wenn man mag - ein wenig Unkraut zupfen.
Jeder ist willkommen, es darf gerne verweilt werden. Keine Angst, ich bin jetzt anders, hab mich verändert, bin umgänglicher geworden. Hab am Ende doch noch gelernt, Nähe zuzulassen. Also kommt ruhig her, ich weiche nicht mehr zurück. Ihr könnt an mir schnuppern, alles anfassen und genau betrachten. Aber bitte dabei nicht auf die Blumen treten!
Was einst komplexe Persönlichkeit, ist zu ein paar Buchstaben und Zahlen auf Stein geworden. Ein Name und zwei Daten, mehr braucht man jetzt nicht mehr zu wissen. Der Rest darf frei assoziiert werden. Alles ist erlaubt, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Macht aus mir, was ihr wollt, lasst mich in neue Rollen schlüpfen. Ich mache alles mit.
Die Hoffnung hat mich getrieben, mal hier hin, mal dort hin. Bin nie lange geblieben, musste immer wieder weg. Zuletzt bin ich hier gelandet. Vereinzelt findet man wohl noch Spuren. Eine Handvoll Menschen erinnert sich vielleicht, ist im Besitz alter Fotos, kann Episoden erzählen. Doch kaum einer wird wohl die Reise hierher antreten. Zu kurz war die Zeit, der verlassene Boden zu verbrannt. Doch jetzt ist alles anders. Ich bin sesshaft geworden. Als Grundbesitzer sieht man viele Dinge auf einmal anders. Liegt wohl auch am veränderten Blickwinkel.
In der Ruhe ist man allem viel näher. Komisch, ich wusste das eigentlich schon immer, hab es aber nie beherzigt. Vielleicht weil Nähe nicht das war, was ich suchte. Was es stattdessen war, hab ich nie erfahren, denn ich bin zeitlebens nicht fündig geworden. Hab mich in der Suche verloren, hab keine Nähe gefunden aber jede Menge Abstand. Und damit betrachte ich jetzt meine kleine Welt. Sehe den Morgentau auf den Stiefmütterchen, höre den Regentropfen zu und verfolge die Sonne auf ihrem Lauf von Ost nach West.
Zwei Quadratmeter sind mir am Ende geblieben. Sie werden professionell gepflegt, dafür habe ich noch gesorgt. Nichts soll darauf hindeuten, dass hier die Hoffnung begraben liegt.