Mein Kampf gegen einen Kreis
Ich höre gerade Rap-Musik in der Bahn, als mein Handy klingelt.
"JA?!"
"Hey, wie geht's?"
Mein alter Kumpel Marc. Wir hatten uns ein wenig aus den Augen verloren, seit er mit Kerstin zusammengekommen war.
"Bestens, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass du dich mal meldest."
"Hättest du dich halt mal gemeldet... was treibst du so?"
"Ich hock grad in der Bahn. Muss was erledigen..."
"Ich auch. Voll lustig, Mann. Bei mir in der Bahn ist so ein besoffener Penner, der die ganze Zeit alte Michael Jackson Lieder singt."
Ich renke meinen Kopf, um nach vorne sehen zu können und da treffen sich unsere Blicke. Mein Grinsen wird wohl mindestens so breit wie seins sein.
Während er den Gang entlang auf mich zugeschländert kommt, schießt mir nur ein Gedanke durch den Kopf; die Kreise.
Können so viele Zufälle noch Zufall sein? Wieder ein Kreis, der sich geschlossen hat. Gestern habe ich noch mit Tom aus der alten Clique über die eine oder andere krasse Aktion von Marc geredet und jetzt treffe ich ihn zufällig in der Bahn. So was passiert mir andauernd. Manchmal fühl ich mich wie in einem Ableger von der "Truman Show".
Ich zeige zum Beispiel einem Kumpel eine alte Platte, die er garantiert nicht kennt. Er schaltet den Fernseher ein und ich sehe das Video des Liedes. Ich hatte den Clip noch nie vorher gesehen gehabt. Ich fühle mich manchmal wie der Mittelpunkt der Welt. Andauernd schließen sich Kreise. Tom hat gemeint, dass das normal ist und es mir halt mehr auffällt als Anderen, aber ich zweifle daran. Ich bin kein Freund von Esoterik und so Kram aber keiner kann mir erzählen, dass da kein Sinn hintersteckt.
Ich erzähl ihm, dass ich grad auf dem Weg zu meiner Ex bin, um meine Sachen abzuholen.
Wir kommen auf die alte Geschichte zu sprechen, als vor ein bis zwei Jahren mal eine Frau angefahren wurde, als sie mitten auf der Straße Streit mit ihrem Freund hatte. Sie hatte sich gerade von ihm getrennt und alles artete vollkommen aus. Seitdem ist die Frau im Rollstuhl.
Er schmunzelte und meinte: "Am besten bleibe ich bei dir, damit du nicht auch noch unter die Räder kommst.", er zog ein komisches Lachen. Er wusste selbst, dass er schon bessere Sprüche gebracht hatte.
Doch mir stockte der Atem. Was, wenn er gerade einen Kreis aufgemacht hatte? Ich hatte mir schon länger überlegt, ob man die Kreise beeinflussen könnte, wenn man erkennt, dass sich gerade einer öffnete. Ich hatte gerade die einmalige Chance dies herauszufinden.
"Was ist los mit dir"
"Nix, nix. Mein Kreislauf", schlechte Lüge dachte ich und er wahrscheinlich auch. "Egal, ich muss eh jetzt eh aussteigen. Ich melde mich bei dir in den nächsten Tagen.", mit diesen Worten stehe ich auf, gebe ihm die Hand und laufe zur Tür. Er darf meine Chance nicht verderben. Ich weiß, ich kann diesen Kreis nur alleine beeinflussen.
Ich klingele bei ihr. Ich habe mir vorgenommen, cool zu bleiben. Doch mit jeder Sekunde, in der sich an der Tür nichts tut, fängt es in mir mehr und mehr an zu kochen. Ich bin kurz vor dem Ausrasten, doch der Summer der Tür senkt meine Emotionen wieder ein wenig. Oben an der Treppe steht ihre Mutter in der Tür. Sie drückt mir eine dunkelblaue Tüte in die Hand und wir fangen einen kurze Smalltalk an. Mich wundert, dass SIE nicht zu zuhause ist.
Plötzlich stockt sie mitten im Satz. Von draußen dringt Reifengequietsche, ganz aus der Nähe, zu uns.
Ich lasse die Tüte fallen und renne. Man kann diese scheiß Kreise nicht besiegen! Sie sind mir einfach überlegen.
Als ich an der nächsten Kreuzung ankomme, sehe ich noch eine schimpfende Fahrradfahrerin an einem roten Auto vorbeifahren und dann kehrt wieder Normalität auf der Straße ein.
Sie sitzt im Auto. Ich gehe auf die Fahrertür zu. Ein ganz nahes Fahrradklingeln bringt mein Herz fast zum Stillstand. Und schon spüre ich einen Windzug und ein älterer Mann zieht knapp an mir vorbei. Ich bin am Ende. Ich renne nur noch in Richtung Bahn. Scheiß auf meine Sachen, scheiß auf meine Ex, scheiß auf diesen verdammten Tag. Ich habe mich mit dem Schicksal angelegt und es gibt nichts, vor dem man sich weniger verstecken kann als vor ihm. Scheiß auf diese verdammten Kreise. Ich wünschte, Tom hätte diese beschissene Theorie nie aufgestellt! Es muss noch abertausende Kreise geben, die noch offen sind. Verdammt. Ausweglos! Was soll ich machen?!
Ich verstecke mich in einem Busch und warte vier Stunden, bis es stockdunkel ist. Ich will keinem Menschen begegnen. Sie strahlen Gefahr aus! Ich schleiche mich auf düsteren Pfaden nach Hause, es dauert eine dreiviertel Stunde bis ich in meiner Straße angekommen bin, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Rücken spüre. Impulsiv drehe ich mich um, ich habe instinktiv eine Abwehrhaltung eingenommen. Ich bin bereit, meine letzte Schlacht gegen Gott zu schlagen. Ich bin ihm wohl zu sehr auf die Schliche gekommen, mit der Kreisgeschichte.
"Hey, du Vogel, alles klar?! Du siehst echt fertig aus." Es ist Tom. Ich falle ihm um die Arme und fange an zu heulen. Ich hatte Jahre lang nicht mehr geheult. Er ist vollkommen überwältigt von meinem Gefühlsausbruch und schleppt mich in seine Wohnung. Er drückt mir ein kaltes Bier in die Hand und ich erzähle ihm alles. Das Erzählen und vor allem das Bier bewirkt Wunder. Als ich fertig bin, schaut er mich besorgt und erheitert zugleich an. Wir schauten uns einige Sekunden in die Augen und da muss auch ich lachen.
Manchmal sind die Leute wie Tom, die sich nicht allzu viele Gedanken über Gott und die Welt machen, echt zu beneiden.