- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Mein letzter Augenblick
Eine energische männliche Stimme erklingt: „ Faribaa Fathi komm´ raus!“. Die Zellentür öffnet sich und eine kleine, zierliche Frau erscheint, ihr Gesicht ist eingefallen und blass, ihre rehbraunen Augen sind feucht und weitgeöffnet vor Angst und Übermündung. „Schneller Weib“, schreit der Mann, der eine Uniform trägt, die einzelne Speckröllchen zum Vorschein bringt. „Setz´dich, zack, zack“, fügt er hinzu, als sie den Raum betreten. Faribaa schaut sich um, was für ein Anblick! Der Fußboden ist mit wundervollen Mosaiksteinen verziert, schön akkurat und sauber geschliffen, in blau und grün Tönen. Dann wendet sie sich dem Mann zu, der der Gefängnisleiter zu sein scheint. Seine Haut ist leicht gebräunt und seine Haare lockig, an seiner linken Brust ist ein Kärtchen vernäht. Faribaa vermutet den Namen „Khaled Ibrahim“ zu lesen, sicher ist sie sich nicht, denn lesen und schreiben hat sie nie gelernt, da immer das Geld fehlte und laut ihren Eltern Bildung für eine Frau unnütz sei, da sie früher oder später in eine andere Familie einheiraten wird. Ibrahim schaut die kleine Frau an, sie trägt ein weißes Kopftuch und ein blaues Gewand. Etwa 35 Jahre ist sie alt, denkt er. Die Beiden schauen sich einen Moment an und wissen ganz genau was passieren wird. Auf einmal wird Faribaa aus der Stille gerissen „jetzt sag´ schon Weib, warum hast du die Ehre deines Ehemannes verletzt?“. „Ich habe nichts getan!“. „Halts´ Maul, du weißt, dass die Todesstrafe auf dich wartet, also ich will dein Geständnis hören!“
Faribaa atmet tief durch, sie schmeckt auf der Zunge einen modrigen Geschmack, der ihre Zunge zu Stein werden lässt. Ich… ich, Faribaa Fathi bin 26 Jahre alt und vierfache Mutter. Ich stamme aus Teherans ärmsten Viertel. „Moment“, brüllt Ibrahim. „Ich will nicht deine Personalien wissen, sondern warum du die Ehre deines Mannes Navid Fathi verletzt hast!“ In diesem Moment kommen so viele Erinnerungen in Faribaa hoch, sodass sich ihre Stimme verstummt und ihr Magen zu knurren beginnt, sie merkt wie sich ihre Gedärme zusammenziehen und horcht tief in sich hinein:
Ich sitze da, es ist fast Abend, ich schaue mich um, von unserer Dachterrasse hat man einen tollen Ausblick auf unsere Stadt. Im Nachbarhaus sind einige Fenster eingeschlagen oder fehlen, ich weiß es nicht. Ich höre Schießereien von der Nebenstraße und grausame Schreie, die Abendluft stinkt widerlich nach Rauch und mein Herz schlägt wie verrückt, wie jeden Abend, wenn ich Schüsse höre. „Faribaa“ höre ich von unten rufen. Ich beeile mich, mein Vater hat mich gerufen. Meine Mutter Fereshteh sitzt auf unserer improvisierten Coach aus Pappkartons und drückt ihren Schleier ins Gesicht, damit ich ihre Tränen nicht sehe. Meine drei jüngeren Geschwister Nareth, Herera und Bibi stehen schweigend neben meiner Mutter und halten sie wiegend im Arm. Plötzlich taucht mein Vater Mehmet aus dem Nebenzimmer auf. An seinen Augen erkenne ich Unsicherheit aber auch Glück. „Faribaa, morgen wirst du uns verlassen, du wirst heiraten, endlich ein Maul weniger zu stopfen!“. Er lacht leise, ich weine, meine Mutter kippt zur Seite. Am liebsten würde ich fortlaufen und sterben und warten bis die Straßenhunde meine Überreste verspeisen, alles ist besser … für eine 12-jährige als eine ungewollte Heirat.
Ein Auto fährt vor und die Sonne prallt auf meinen schwarzen Tschador. Die letzte Nacht konnte ich nicht schlafen, immer wieder habe ich von IHM geträumt. Seit gestern hat Papa kein Wort mehr mit mir gesprochen, als ich versucht habe mich am Tür Haken zu erdrosseln. Seine Worte waren nur: „ Allahu akbar“ und steckte mich in unseren Schlafraum.
Eine Stunde später bin ich an meinem Ziel angekommen. Ich bin so nervös, im Seitenspiegel sehe ich, wie verschwitzt ich aussehe. Danach erblicke ich ein heruntergekommenes Gebäude, ein alter Mann kommt mir entgegen. „Wo ist ER denn?“, frage ich. „Wer denn?“, entgegnet er. „Ja….mein ZUKÜNFTIGER?“. Auf einmal fängt er an zu lachen. Mir wird auf einen Schlag klar, was los ist….mir wird schwarz vor Augen.
Nachdem ich wieder bei mir bin, bemerke ich, dass meine Mutter fehlt, zwei Tage später erfahre ich, dass Navid 46 Jahre alt ist, die Falten auf seiner Stirn machen ihn aber noch älter. Nach vier Jahren habe ich jede Hoffnung auf Freiheit, Liebe und Familie aufgegeben.
Navid behandelt mich schlecht. Ich glaube nicht, dass Allah das möchte…
Mit 15 habe ich unser erstes Kind geboren, Navid wollte einen Jungen, ich habe ihm ein Mädchen geschenkt. Eine Schande! Er schlägt mich täglich, zuerst habe ich geweint, jetzt bin ich ruhig.
Nun bin ich 21 Jahre alt, er hat angefangen zu trinken und ich bin mit meinem fünften Kind im vierten Monat schwanger, da ich drei Mädchen geboren habe, bin ich in seinen Augen ein NICHTS. Oh Allah, warum? Ich kann nicht beschreiben wie es mir geht, ich sitze im Wohnzimmer und schaue Fernsehen. Eine Frau in goldenen Hosen macht Werbung für ein Getränk, weiß nicht welches. Plötzlich ertönt ein Getöse aus dem Flur, Navid ist sturzbetrunken, schreit unverständliches Farsi herum und sieht mich sitzen: „ Stinkfaules Weib, arbeite gefälligst und sitz´ nicht dumm herum“. Der entscheidende Tritt in den Unterleib sagt mir, dass ich handeln muss.
Am kommenden Tag traue ich mir das Unmögliche zu, ich kratze ein paar Rials zusammen und gehe zum Anwalt. Mit viel Glück schaffe ich es zu der schönen Anwältin Ezra Brahim, ich erzähle alles.
Sechs Mal bin ich heimlich zu ihr gegangen, stets mit meinen vier Kindern. Meine Scheidung war meinerseits fast Niet und Nagel fest. Bis ein Nachbar mich verriet. Nun bin ich wegen Ehebruchs und Verrat seit fünf Jahren im Gefängnis.
Gefängniswärter Ibrahim schaut mich an und schweigt. Ich schaue an die Wand und sehe die iranische Flagge dort hängen. In Gedanken gehe ich zusammen mit meiner Mutter die Treppe zur Dachterrasse hoch und schaue mir die fehlenden Fensterscheiben an, dann denke ich an die Todesstrafe, schließe meine Augen und springe gedanklich runter. Meine Mutter winkt mir hinterher.
Dass mich Ibrahim nach meinen Kindern fragt, habe ich ausgeblendet.