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Meine Aufgabe
Ich streunte auf der Suche nach einem Kaffeeautomaten durch die Gänge des Krankenhauses. Seit meinem Autounfall waren schon zwei Wochen vergangen. Die Ärzte sagten bei jeder Visite, dass ich Glück gehabt hätte, überhaupt noch zu leben. Das Auto meines Vaters – ein Mercedes, sein Heiligtum, ein wirkliches Prachtstück – hatte einen Totalschaden. Es wäre billiger, es verschrotten zu lassen, anstatt es zu reparieren. An den Unfall kann ich mich nicht mehr erinnern. Das letzte, das ich noch weiß, war, dass ich die Straße entlang fuhr. Ich war allein unterwegs, auf dem Weg ins Kino. Seit ich denken kann, war ich alleine. Doch seit ich im Krankenhaus war, spürte ich die Anwesenheit eines anderen Lebewesens. Egal, wohin ich ging, wer mich besuchte – es war neben mir. Sehen konnte ich das Wesen nicht, doch seine Präsenz ließ es mich spüren. In den ersten drei Tagen wusste ich nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Meine Fantasie wollte mir weismachen, es wäre der Tod. Doch daran konnte ich nicht so recht glauben. Warum sollte er ein unwichtiges Individuum wie mich persönlich holen? Selbst wenn es der Tod wäre, warum lebte ich immer noch? All diese Fragen stellte ich mir, bis zum dritten Tag meines Aufenthalts.
„Hey, kann ich Ihnen helfen?“ – Der Ruf der Krankenschwester holte mich in die Realität zurück. Oh, ich befand mich bereits im Aufenthaltsraum, vor dem gesuchten Kaffeeautomaten.
„Nein, ich habe schon gefunden, was ich gesucht habe. Vielen Dank!“ Auch jetzt spürte ich, dass es sich neben mir befand. Aber nun wieder zurück zu dem Augenblick, an dem ich erfuhr, mit wem ich es zu tun hatte.
Ich war - wie bereits erwähnt - schon den dritten Tag im Krankenhaus; der Oberarzt hatte mir erlaubt, aufzustehen und spazieren zu gehen; mein Aufenthalt fing an, mich zu nerven; Besuch kam nie. Ich lag in meinem Krankenhausbett und versuchte, mich mit Fernsehen abzulenken. Irgendetwas oder –jemand schien jedoch noch in meinem Zimmer zu sein. Ich blickte mich um, konnte in dem kleinen Raum jedoch niemand entdecken. „Du kannst mich zwar nicht sehen, aber ich werde dich in Zukunft bei deiner Aufgabe begleiten.“
Hatte ich mir das gerade eingebildet? Wurde ich verrückt und hörte bereits Stimmen?
„Nein, du hörst keine Stimmen. Ich bin wirklich hier.“ Im selben Augenblick wurde vor mir eine Gestalt sichtbar, die wie ein junger Mann aussah. Blonde Locken, ungewohnt dunkle Augen, groß, schlank, schwarz gekleidet.
„Wer bist du?“
„Das weißt du nicht? Für wen hältst du mich denn?“
„Hmm ... Bist du vielleicht der Tod?“
Die Gestalt lachte. "Nein, ganz bestimmt nicht. Der ist doch viel älter als ich. Aber er ist ein guter Freund von mir. Wir arbeiten sozusagen zusammen. Wir sind Partner.“
„Partner? Der Tod hat einen Partner?“
„Natürlich. Er schafft die ganze Arbeit, die er hat, nicht allein. Auch er ist nicht allmächtig.“
„Und du bist dann? Sein Gehilfe? Oder der Teufel höchstpersönlich?“
Wieder lachte er, was ihn trotz seiner Blässe und dem leeren Blick unschuldig und sympathisch aussehen ließ.
„Nein. Ich bin weder sein Gehilfe, noch der Teufel. Ich bin der Todesengel.“
„Der Todesengel? Gibt es so etwas tatsächlich? Heißt das, dass ich sterben muss?“
„Nein, natürlich nicht. Der Tod hat einen Auftrag für dich.“
Natascha stand auf der Brücke und klammerte sich an das Geländer. Sie führte ein Selbstgespräch. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie springen würde oder nicht. Ich jedoch wusste bereits, dass sie es tun würde. Ich war hier, um ihr beim letzten Teilstück ihres Weges beizustehen. Um das zu tun, ging ich einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hand. „Komm, Natascha. Zu Zweit ist es einfacher.“