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Meine lange Reise
«Denkst du, dass wir schon bald da sind?»
«Ich weiß es nicht. Warte einfach, bis ich dir sage, wenn ich glaube, dass wir da sind.»
«Denkst du, er wird uns erkennen? Mich vielleicht nicht, aber an dich müsste er sich doch erinnern, oder?»
«Ich weiß es nicht. Wir werden sehen.»
«Ich bin gespannt.»
«Ruh´ dich noch aus. Es wird noch ein langer Tag werden.»
Ich wusste nicht, wieso ich kurze, desinteressierte Antworten gab. Wieso musste ich uns überhaupt in diese Situation bringen und wieso frage ich mich das jetzt überhaupt, obwohl es meine Idee und sein Geschenk war?
Vielleicht lag es einfach an dem miesen Wetter und der verlassenen Strecke, die ich gerade befuhr. Aus einem spontanen Road Trip wurde eine Reise, die einem an die tristen Landschaften Osteuropas der 90er Jahre erinnerte. Ich bin jedenfalls froh, dass ihm das erspart blieb und ich ihm nicht die Vorfreude nahm. Obwohl, ich wüsste nicht, worauf er sich freuen sollte. Ich denke, es ist eher die Spannung. Zumindest die soll ihm irgendwie erhalten bleiben.
Ich versuchte etwas schneller zu fahren und hoffte, dass ich diese Ackerfelder endlich hinter mir lassen würde. Das Drücken des Lenkrades reizte mich zusätzlich und es wurde mir ein kleines Rätsel, warum ich mit der Zeit, die wir im Auto saßen, immer aggressiver zu werden schien.
Der Blick auf die Uhr machte mir deutlich, dass wir zeitlich gut unterwegs waren. Ich musste lediglich einmal anhalten, weil Nick auf die Toilette musste und wir was essen konnten.
Dass ich nie der Typ für lange Strecken war, wurde mir heute wieder bewusst. Ich hasste es, lange in einem Bus zu sitzen oder überhaupt auf etwas zu warten, da das angestrebte Ziel sowieso meist nie das hielt, was es versprach. Die Tatsache, dass ich jetzt allerdings hinter dem Steuer saß, machte alles nur schlimmer.
«Freust du dich eigentlich?»
«Worauf?»
«Naja, du hast ihn doch schon lange nicht mehr gesehen, oder?»
«Kann sein. Ich weiß es wirklich nicht mehr.»
«Was wirst du ihm sagen?»
«Hör mal Nicky. Das ist für dich. Ich habe damit nicht sehr viel zu tun. Du weißt warum.»
Es tat mir irgendwie leid, ihm wieder so zu antworten. Ich verstand nicht, warum ich mich plötzlich über diese Fragen ärgerte. Ich schnaubte und war einfach nur noch mit dem Gedanken bei dem Szenario, dass sich mit jedem Kilometer näherte. Was werde ich wirklich sagen? Wieso tue ich ihm das überhaupt an? Er ist unschuldig. Er weiß doch gar nichts darüber. Wieso will er das alles wissen? Will er mich dadurch besser verstehen? Will er meine Gefühle teilen?
Ich überlegte mir weitere Fragen, die mich etwas ablenken konnten. Der Blick auf dem Beifahrersitz ließ meine Fragen weniger fordernd klingen. Ich fühlte mich wieder etwas besänftigt.
«Ich weiß nicht, was ich ihn fragen werde. Vielleicht nur, ob er sich an mich erinnert und ob er sich im Klaren ist, was er früher getan hat.
Ich habe eigentlich nicht darüber nachgedacht, weil ich nicht weiß, was mich erwarten wird.»
«Ich habe meine Fragen alle aufgenommen, aber ich kann sie alle auswendig. Es sind dreiundvierzig Fragen. Glaubst du, er wird sie alle beantworten?»
«Wow. Ich wüsste nicht, ob ich ihn jemals so oft etwas gefragt habe. Ich würde sagen, er hat keine andere Wahl.»
Ich wusste nicht, warum wir gerade lachen mussten, aber es wärmte mir das Herz, dass ich ihn trotz meiner ehrlichen Antwort zum Lachen bringen konnte. Ich musste weiterhin fest an mein Lenkrad drücken, doch diesmal war es ein motiviertes Drücken. Ich war froh, dass ich diese alten Windmühlen nicht mehr sehen musste und war dankbar, für jedes Schild, dass ich hinter mir ließ.
Ich denke, ich freute mich darauf, vor seiner Haustür zu stehen. Ich überlegte nur noch, ob ich es auf die harte Tour mache und nur Nick zu ihm schicken würde. Nach einigen Augenblicken schien mir diese Idee doch zu brutal, allerdings nur aus Sorge um Nick.
Mir blieb es nicht unbemerkt, dass ich Nick seine aufgenommenen Fragen mit anhören musste. Bei einigen musste ich einfach lächeln und ich war froh, dass er das nicht mit bekam. Auch wenn es ihm vielleicht eine Bestätigung gewesen wäre, wenn ich darüber schmunzeln musste. Ich wollte ihn nur nicht aus der Fassung bringen.
Jedenfalls konnte mich das Zuhören wieder etwas beruhigen. Aus einem unempfindlichen Grund fühlte ich mich plötzlich wieder geborgen und in Einklang mit meiner Vorstellung für den heutigen Tag. Das unheimliche Angstgefühl blieb aber. Es verschwand leider nicht mit meiner anfänglichen Nervosität und des daraus resultierenden Ärgers. Es war wohl noch das bisschen Restgefühl da, dass mich wohl daran erinnern sollte, nur nicht die Realität aus den Augen zu verlieren und die Gefahr zu erkennen, die diese Reise mit sich trug. Schließlich soll meinem kleinen Bruder nicht dasselbe widerfahren wie mir.
Die Tatsache, dass mich wieder ein beklemmendes Gefühl beherrschte und mein Lächeln verschwand, machte deutlich, dass wir schon kurz vor dem Ziel angelangt sind.
«Wir sind schon da, oder?»
«Bald.»
«Ist es ein schönes großes Haus mit Garten oder eine Wohnung wie deine?»
«Ich weiß es nicht. Ich habe nur die Adresse.»
Die gesuchte Straße wurde leicht gefunden. In dieser langweiligen Gegend, gleich nach der elendslangen geraden Strecke, die durch eine eintönige Landschaft nach der anderen verlief, dürfte wohl die Idylle sein, die für manche das Paradies zu sein vermag. Mich würde hier rein gar nichts halten können und doch erschien es mir nur eine logische Konsequenz, dass er hierher zog.
Obwohl ich eigentlich schon am Ziel war und etwas weiter weg von seinem Haus parkte – es war tatsächlich ein großes Haus mit umzäuntem Garten – war ich alles andere als erleichtert, als wir aus dem Auto stiegen.
Ich nahm Nicky mit und machte ihm deutlich, dass wir schon da wären.
«Und hast du deine Fragen alle noch im Kopf?»
«Im Notfall spiele ich sie laut ab, aber ich glaube, die meisten weiß ich noch.»
«Du musst das nicht, wenn du nicht willst.»
Diese Frage schien er erwartet zu haben.
«Ich weiß.»
«OK, wir sind hier richtig»
«Warte.»
«Ja?»
«Ich habe noch eine Frage. Sagst du Papa zu ihm?»
«Nein»
«OK»