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Meine Todesliste
Gestern habe ich meinen achtunddreißigsten Mord begangen. Diesmal am Kriminaldirektor und Schutzpatron der Dealerbande. Die Zeitungen betiteln mich mit „Der Teufelsschütze“. Immerhin liegen sie mit dem Geschlecht richtig. Im Grunde wissen sie nichts über mich.
Nun gut, zuweilen bin ich des Teufels liebstes Reittier. Doch ich empfinde keine Freude beim Töten. Töten ist für mich kein Spaß, auch keine Mission, wie ich zu Anfang glaubte. Nein, es ist eine Notwendigkeit.
Achtunddreißig Morde.
Meist an Männern, allesamt Drogenhändler, aber auch an ihren Frauen und Fickflittchen, sofern diese Mitwisserinnen oder sogar Antreiberinnen waren.
Ich habe mit nützlichen Dingern aus Blei, Stahl und Pulver, die von der Form her einem Lippenstift ähneln, jedoch völlig andere Eigenschaften aufweisen, ihre Schädel platzen lassen.
Es hatte auf mich eine beruhigende Wirkung, wenn diese Tussen zum letzten Mal im wahrsten Sinne des Wortes alles gaben, mir ihr charakterloses Leben und ihren Herren und Gönnern einen Batzen Gehirnmasse mitten ins Gesicht.
Durch mein Zielfernrohr konnte ich beobachten, wie sich das Entsetzen auf den mit Blut und schleimigen Placken besudelten Fratzen wie ein Raubtier verbiss. Ich sah, wie die Typen ihre Reise ins Land der Blutsümpfe auf Armani Schuhen und in Maßanzügen antraten. Dort ließ ich sie dann wochenlang herumirren, indem ich jeden, der für sie und ihre dreckigen Geschäfte von Bedeutung war, per Bleiticket zur Hölle schickte.
Ja, ich ließ sie den erdigen Duft der Trauer auskosten. Erst dann gab ich ihnen den Gnadenschuss, der sie gründlicher und schneller als selbst Dr. Freud es vermocht hätte, von Raffgier, Machtbesessenheit und anderen narzisstischen Neurosen für immer befreite. Alles in einem Aufwasch, wie meine Mutter gern sagte.
Natürlich habe ich über diese Anhäufung unerfreulicher Taten oft nachgedacht, aber bis heute für all das keine Schuld bei mir gefunden. Nicht, dass ich mich nicht hin und wieder selbst darüber wundere. Manchmal denke ich sogar, ich bin ein Monster. Doch dann sage ich mir, dass ich mich nur nach einem Mord eine Zeit lang nicht mehr als Opfer fühle, nicht mehr meine eigene Trauer spüre. Und nur in dieser kurzen Zeit kann ich jenen Tag im Sommer vergessen, den Tag, an dem Vieles seinen Anfang und Anderes sein Ende nahm.
An jenem Tag glühte der Himmel heißer als die Hölle und der Teer auf den Straßen drohte in die Gullys abzufließen. Genaugenommen war es nicht irgendein Sommertag, sondern der 17. Juli 2001. Ich war vier Tage zuvor dreizehn Jahre alt geworden und ging neben Melanie, meiner ehemaligen Kindergärtnerin, Richtung Eisdiele.
Wir hatten uns in den Jahren nach meiner Kindergartenzeit des Öfteren zufällig getroffen. Sie hatte dann jedes Mal Zeit für mich. Sie wusste, dass mein Vater unauffindbar war und meine Mutter drei Jobs nachging.
Seit ein paar Monaten wohnte Melanie sogar in meiner Straße, nur zwei Häuser weiter. Die Zeit der zufälligen Treffen, ich konnte mein Glück kaum fassen, war somit vorbei. Wir verabredeten uns regelmäßig.
An Regentagen hockten wir in ihrem Zimmer und lasen uns abwechselnd aus einem Buch vor. In ihren IKEA Regalen gestapelt hatte sie einen gewaltigen Fundus interessanter Bücher von Jules Verne über Karl May bis hin zu Stephen King.
An warmen sonnigen Tagen lagen wir auf ihrem Balkon und grinsten mit zugekniffen Augen in die Sonne. Das Leben war plötzlich schön. Es gab nur eines, das es noch schöner machen könnte und darüber dachte ich nach, als sie an jenem Sommertag mit mir zur Eisdiele ging.
Wir hatten uns schnell geeinigt, Britney ist eine auf Karaokesingen dressierte Kuh und Janis Joplin die coolste Frau mit der aufregendsten Stimme, obwohl sie schon gut 30 Jahre mit ihrem Mercedes Benz über die Himmelsstraßen kurvt.
Dann schwiegen wir in Gedenken, jeder mit Janis Stimme im Kopf. Hin und wieder lächelte ich zu Melanie hoch. Bald war Janis in mir verstummt, meine Gedanken galten wieder ganz Melanie und ich begann, hinter meinem Lächeln Heiratspläne zu schmieden. Selbstverständlich ermahnte ich mich, mit dem Zeitpunkt zu warten, bis ich achtzehn bin und eine Arbeit habe, um Melanie versorgen zu können. Etwas Anderes wäre nicht meine Art gewesen. Doch ich fand auch, das sei vernünftig genug und träumte lieber von den angenehmen Dingen, die verheiratete Paare miteinander machten, jedenfalls soweit ich davon wusste.
Bald legte ich ohne nachzudenken meinen Arm um ihre Hüfte. Melanie trug einen schlichten, pinkfarbenen Bolero. Er war direkt unter ihrem Busen verknotet. Meine Finger berührten nackte Haut. Ihre Hüfte wiegte sanft im Takt unserer Schritte. Meine Hand begann sie zu streicheln. Ich überlegte, ob ich diese ungehorsame, mutige Hand daran hindern sollte, hatte Schulhofszenen in meinem Kopf, wo Mädchen allzu frechen Jungs schon mal eine Ohrfeige verpassten, und konnte doch nicht anders als sie gewähren lassen.
Gegen meine kühnsten Erwartungen legte Melanie ihren Arm um mich. Ihre Hand landete leicht wie ein Kolibri auf meiner Schulter. Es hätte mir heiß werden müssen, noch heißer als ohnehin schon unter dem kochenden Himmel. Aber mir war, als hätte Melanie mich in ihre Aura eingeschlossen, eine Aura nicht heiß nicht kalt, sondern angenehm temperiert und nach Flieder duftend.
„Du bist mein bester Freund, weißt du das?“ Ihre Stimme floss weich und geschmeidig wie süßer Sirup in mein Ohr.
„Und du meine allerbeste Freundin, für immer“, antwortete ich ihr, ohne die kleinste Unsicherheit. Für kindliche Ängste war kein Platz in mir, ich steckte voller Freude. Ich fühlte mich nicht nur glücklich, nein ich spürte eine neue Art von Glück in mir. Viel umfassender und unendlich größer als das vergängliche Glücksgefühl an einem Nachmittag in ihrem Zimmer.
Lebensglück, so hieß das Wort, das mir von irgendwo her in den Sinn kam. Ich staunte darüber, denn ich war dreizehn, das hatte ich trotz allem nicht vergessen, aber es war ein großartiges, angemessenes Wort und mit einem seligen Lächeln im Gesicht spann ich den Faden weiter.
Wenn das Lebensglück wie ein großes Seidentuch ist, überlegte ich, so groß wie eine Wiese, und es schwebt so hoch durch die Luft, das es nur mit der Kraft eines ganz besonderen Glücksgefühls zu erreichen ist, dann hielt ich in diesem Moment einen Zipfel davon in meiner Hand, so fest, dass ich sicher sein konnte, es würde mir nie mehr entwischen.
Frei von allen Sorgen zog ich Melanie fest an meine Seite. Sie jauchzte ausgelassen und zog meinen Kopf in ihre Achselhöhle. Noch war ich kleiner als sie, aber das würde sich ändern.
Eng umschlungen bogen wir in die kleine Seitenstraße zur Eisdiele ein. Sie schien gut besucht; kein Wunder bei diesen mörderischen Temperaturen. Einige Leute an den Tischen sahen uns und lächelten.
Ein dicker Mann schwitzte in seinem dunklen Anzug, löffelte dabei sein Erdbeerreis und nickte uns sogar freundlich zu. In seiner Nähe standen drei junge Männer, die kein Eis aßen und den wenigen Autos auf der Straße nachschauten. Trotz ihrer grimmigen Gesichter störten sie mich nicht. Was das anging, hätte mich nicht einmal eine Kolonne Leichenwagen aus der Hochstimmung gerissen.
Pedro der Wirt, wie immer in Jeanshose, blütenweißem Hemd und mit einem blauweiß karierten Tuch halb in der Hosentasche steckend, tänzelte zwischen den Tischen. Als er uns sah, verbeugte er sich knapp und deutete einladend auf den letzten freien Tisch. Ich nickte ihm freudestrahlend zu. Er nahm sogleich sein Tuch und begann mit eleganten Bewegungen den Tisch zu putzen, als es mehrmals schnell und laut hintereinander knallte.
Glas zerbarst, Tische splitterten, Melanie ruckte aus meinem Arm und warf sich auf den Boden. Ich dachte nicht, ich reagierte nur, drehte mich um und warf meinen Körper der Länge nach schützend auf ihren. Als ich auf ihr lag, wusste ich immer noch nicht, was überhaupt passiert war.
Jemand stöhnte, ein Motor heulte auf, Reifen quietschten. Ich drehte meinen Kopf zur Straße, sah einen silbernen BMW davonschießen und begriff endlich, was geschehen war. Jemand hatte aus dem Auto heraus geschossen. Ich bewunderte Melanie, wie schnell sie reagiert hatte und ich war stolz, sie ohne nachzudenken mit meinem Körper geschützt zu haben.
Mein Kopf lag zwischen ihren Brüsten. Ich hob ihn etwas an und sah, wie ihre Augen schreckensweit nach oben starrten. Einer der Kerle musste über uns stehen und mit einer Waffe auf uns zielen. Langsam stemmte ich meinen Oberkörper hoch und drehte mich um.
Niemand stand in unserer Nähe. Der dicke Mann hing schlaff im Stuhl, einer der grimmigen Männer wälzte sich stöhnend auf dem Boden, die anderen beiden liefen die Straße hinunter. Der freundliche Pedro lag zwischen zwei Tischen, sein weißes Hemd entstellte ein großer roter Fleck. Eine ältere Frau lehnte mit den Händen abgestützt neben der Tür und erbrach sich. Ihr Mann schaute zu, seine Knie zitterten. Ein junges Pärchen taumelte mit bleichen Gesichtern rückwärts zur Hauswand und hielten sich die Hände vor den Mund. Und Melanie unter mir bewegte sich immer noch nicht. Wahrscheinlich hatte sie noch zu viel Angst. Ich drehte mich wieder zu ihr.
„Es ist vorbei“, sprach ich zu ihren Schreckensaugen.
„Hey.“ Ich streichelte ihre Wange. „Ist ja gut, komm, ich helfe dir auf.“ Ich stellte mich breitbeinig über sie, rutschte dabei mit meinem rechten Fuß etwas weg, fand mein Gleichgewicht wieder und sah zu ihr runter.
Mein rechter Schuh stand in einem blutroten Klecks, nicht beunruhigend groß, die Schuhsohle verdeckte ihn fast ganz und Melanie bewegte sich immer noch nicht. Sie starrte mich nur mit einem Blick an, den ich von ihr nicht kannte. Er war so ernst oder irgendwie enttäuscht oder vielleicht eher abweisend, so als wollte sie plötzlich nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie schaute mit diesen großen, runden, blauen, geliebten Augen durch mich hindurch als wäre ich Luft für sie. Mir wurde schwindelig.
„Melanie, bitte.“ Ich bückte mich zu ihr herab, hob ihren Arm auf, nahm ihre Hand und drückte sie. Sie war feucht, seltsam feucht und einwenig klebrig. Es kümmerte mich nicht, es war ihre Hand, die ich hielt und sie entzog sie mir nicht. Nur das zählte.
„Ich wollte dich nur beschützen. Bitte sag doch was.“ Aber sie sagte nichts, gestattete mir nur ihre Hand zu halten.
„Melanie bitte, ich tue alles ...“ Weiter kam ich nicht. Jemand faste mich an die Schultern und wollte mich wegschieben.
„Komm da um Himmels willen weg Junge!“, schrie eine Frau mir mit fürchterlich saurem Atem ins Ohr. Vor Schreck entglitt mir Melanies Hand. Wütend rammte ich meinen Ellbogen nach hinten und drehte mich um. Vor mir stand die ältere Frau, die gerade eben noch am Türrahmen gelehnt und ihrem Mann eine Eisportion vor die Füße gekotzt hatte.
„Ich muss ihr helfen, sehen Sie das nicht?“
Aber sie schüttelte nur stumm den Kopf, wandte sich ab und erbrach ihr Mittagessen auf den Gehweg.
„Muss ihr helfen.“ Diese drei Worte blieben als Echo in meinen Gedanken. Sie rüttelten mich wach. Ich entdeckte zwei fingerkuppengroße, dunkelrote Flecken auf Melanies Körper, dort wo zuvor ihre Hand gelegen hatte. Sie schienen mir nicht schlimm, längst nicht so schlimm wie dieser schreckliche Ausdruck in ihren Augen.
Links von mir hörte ich, wie Tische gerückt wurden.
Der ältere Mann, dessen Frau ich gerade geknufft hatte, kniete sich neben Pedro. Der dicke Mann hing immer noch in seinem Stuhl, der Anzug glänzte nass wie mit Öl besudelt und der grimmige Kerl lag nun ebenso ruhig wie Melanie auf dem Boden und außerdem in einer gewaltigen roten Pfütze.
„Nein, du gehörst nicht zu denen, die hat’s schlimm erwischt, die sind voller Blut, die sind tot, du gehörst zu mir.“ Ich kniete mich hin. Mit zitternden Fingern befühlte ich die zwei kleinen Wunden. Eine knapp unter dem Knoten ihres Bolero, die andere etwas tiefer und ein Stück links. „Siehst du, sie bluten nicht mal mehr!“, rief ich ihr aufmunternd zu.
„Ich fühle noch einen Puls!“, rief der alte Mann, der neben Pedro kniete wie ich neben Melanie. Dann beugte er sich, presste seinen Mund auf Pedros und blies Luft hinein. Ich wusste nicht, wie man Puls fühlte, aber es schien mir logisch, dass Maßnahmen, die dem armen Pedro halfen, Pedro mit der blutdurchtränkten Hemdbrust, auch für Melanie gut sein mussten.
Ich holte tief Luft, packte mit beiden Händen Melanies Kopf, presste meine Lippen auf ihren Mund und blies so kräftig und so lange ich konnte.
Es gab ein Geräusch, als wenn man mit einem Strohhalm den letzten Rest Cola aus dem Glas saugt, nur nicht ganz so laut. Ich versuchte es noch einmal. Diesmal schielte ich gleichzeitig auf ihren Körper. Ihre Brust hob sich. Aus einem der roten Löcher sprudelten ein paar Blutbläschen. Nicht viel, also nicht schlimm. Ich machte weiter, ihre Brust hob und senkte sich schlürfend, aber nur leise, sehr leise, also nicht so schlimm.
Ich machte weiter, es klappte, ich wurde zuversichtlich und nebenbei sah ich, wie der alte Mann bei Pedro mit beiden Händen rhythmisch auf dessen Brust drückte.
Ich machte es ihm nach. Etwas Blut quoll aus Melanies Mund, lief über ihre Wangen und tropfte auf ihr blondes Haar. Nicht sehr viel, nicht weiter schlimm.
Ich sah zu dem alten Mann, der nun wieder in Pedros Mund blies, hörte Sirenen näher kommen, senkte meine Lippen auf Melanies, schmeckte ihr Blut, es erinnerte mich an den Geruch meiner Hände, wenn ich die Kupfermünzen aus meinem Sammelglas sortierte und durchzählte, aber es schmeckte auch irgendwie frischer, ein klein wenig nach saurem Apfel. Auch wenn bald mein Mund und mein Gesicht ganz klebrig davon waren, es war ja Melanies Blut, also nichts, wovor ich mich ekeln könnte.
Pressen und beatmen. Ich behielt den Rhythmus bei, bis ein Schatten auf mich fiel.
„Warte Junge, ich muss ihren Puls fühlen“, sagte der Schatten, und als ich sah, dass er zu einem Sanitäter gehörte, sank ich erschöpft und mit Schmerzen in Armen und Rücken neben Melanie auf den Boden.
Der Sanitäter fühlte an ihrem Hals, sah aber mich dabei an. Ich dachte, ich müsste etwas sagen. Ich setzte mich auf.
„Sie heißt Melanie“, begann ich.
Er nickte, tastete und sah mich an.
Einen Moment dachte ich daran, ihm zu sagen, was hier geschehen war, die Schüsse und die kotzende alte Dame, aber heraus kam: „Wir wollen heiraten.“
Diesmal schüttelte er den Kopf, langsam und ernst.
„Wenn ich achtzehn bin“, fügte ich erklärend hinzu.
Er fuhr mit seiner flachen Hand, die eben noch Melanies Hals befühlt hatte, über ihr Gesicht und schloss ihr die Augen.
Ich bin ein Idiot, dachte ich. Die ganze Zeit musste Melanie in die pralle Sonne gucken. Ich hätte ihr gleich die Augen schließen sollen.
„Tut mir leid, Melanie, ich hab einfach nicht dran gedacht“, schluchzte ich und wischte ihr zärtlich etwas Blut von den Mundwinkeln.
Der Sanitäter stand auf. „Komm mit Junge. Wir können nichts mehr für sie tun.“ Er ging um ihren Kopf herum, packte mich unter den Armen und zog mich hoch. „Wie heißt du eigentlich“, fragte er.
Ich antwortete: „Melanie.“
Und er sagte Dinge wie: Ich wäre sehr tapfer gewesen, ich hätte alles richtig gemacht, aber sie war wohl sofort tot, sie hat bestimmt keine Schmerzen gespürt, tut mir leid für euch beide, war sie deine Schwester? Du musst noch mit dem Polizisten da drüben reden. Können wir deine Eltern irgendwie erreichen? Wir fahren dich dann nach Hause. Deine Eltern müssen entscheiden, ob wir dir zur Beruhigung eine Spritze geben dürfen. Komm, setzt dich erst mal in den Krankenwagen, du bist ja ganz blass, leg dich auf die Trage, vielleicht kannst du dich nach ein bisschen Ruhe an deine Adresse erinnern ...
Ich habe seine Fragen nie beantwortet und auch nicht die Frage der Polizei, ob Melanie etwas mit den Drogenbanden zu tun gehabt hätte. Die nächsten dreieinhalb Jahre kam kein Wort über meine Lippen.
Auch alles gut gemeinte Zureden erreichte meine Ohren, nicht aber meinen Geist. Der war längst auf Wanderschaft und er nahm einen anderen Weg als mein Körper. Er legte sich nicht auf die Trage, er ging die Straße hinunter, immer weiter, bis keine Häuser mehr seinen Weg säumten.
Ich trat meine Wanderschaft auf der von mir so genannten „Telegraphroad“ an. Ich wette, meine ehemaligen Klassenkameraden sagten „Klapsmühle“ dazu.
Dieses Ereignis bei der Eisdiele, so nenne ich es normalerweise, weil jede konkretere Bezeichnung für mich unaussprechlich ist, ist zu einem schwarzen Loch in meiner Existenz geworden. Eine Zusammenballung aus Schmerz und Trauer, deren Schwerkraft jeden Gedanken in eine Kreisbahn zwingt, von der es kein Entkommen gibt. Wenn ich nicht achtgebe, marschiere ich eines Tages für alle Ewigkeiten auf der Telegraphroad auf und ab.
Doch solange ich aufpasse und rechtzeitig meine Liste zur Hand nehme, wird das nicht passieren.