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Messerklingen

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09.09.2015
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Messerklingen

Die Frauen umringen den Kinderwagen in einem engen Kreis, drängen sich an ihn, als wollten sie den Säugling darin mit ihrer Bewunderung ersticken. Alle reden gleichzeitig. Sie wippen mit ihren Oberkörpern wie aufgeregte Krähen. Die Mutter strotzt vor Selbstbewusstsein.
Ich beobachte die Straßenszene mit Interesse, fühle mich gleichzeitig angezogen und abgestoßen.
Hastig biege ich in das Seitengässchen ab, damit die Höflichkeit mich nicht zwingt, einen Blick in den Kinderwagen zu werfen. Ein kurzes Ziehen im Unterleib. Reflexartig fasse ich hin. Kein Grund zur Sorge, nur die Narbe.

Heute ist einer dieser Tage, an denen ich mich mit Leidenschaft banalen Dingen hingeben kann. Ich ziehe den Pullover in Form, falte ihn zusammen. Akribisch, nach einer technischen Zeichnung, die nur in meinem Kopf existiert. Das Gestrick unter meinen Handflächen ist weich und geschmeidig. Streicheleinheiten für tote Dinge. Ich verliere mich.
Die Türglocke kündigt Kundschaft an. Als ich hochsehe, setzt mein Herz einen Schlag aus.
Frank. Bisher hat er mich noch nie im Geschäft besucht. Grinsend kommt er näher. Sehr nah. Küsschen rechts, Küsschen links. Er zieht mich fester an sich als nötig. Ich kann nur ahnen, er genießt diese Umarmung genau so wie ich. Ja, ich mag ihn, weil wir den gleichen Humor haben und er nie müde wird, mit mir zu streiten. Ich mag ihn sogar sehr. Aber wir haben nichts miteinander. Und da wird auch nie etwas sein.
„Ich brauche ein Geburtstagsgeschenk für Babs. Weiß, bin spät dran.“
Ich lächle verständnisvoll. “Woran hast du gedacht?“
„Keine Ahnung.“ Schulterzucken. “Ich verlass mich da ganz auf dich, Carla. Kennst doch ihren Geschmack.“
Wir bewegen uns auf sicherem Terrain. Fachfragen für die Fachfrau. Mein Metier, immerhin, darin kenne ich mich aus.
„Ich such’ was Passendes aus, kein Problem. Wie viel willst du ausgeben?“
„Egal. Was es kostet, kostet es. Packst du’s mir noch schön ein?“ Er sieht mich mit diesem Blick an, der mir durch Mark und Bein fährt. Das muss an den dunklen Augen liegen. „Dir geht es doch gut, oder?“
„Na klar, alles okay.“ Meine Stimme versagt.
„Komm mal her!", sagt er und zieht mich in seine Arme. Er hält mich fest, kein Entkommen.
Ganz steif werde ich. Brauche kein Mitleid. Werde nicht heulen. Ich bin stark.
„Du bist eine tolle Frau, klug und stark“, murmelt er in mein Ohr.
Kann er Gedanken lesen? Es sind nur leere Worte, aber ich lasse zu, dass sie mich wärmen.
Dann gibt er mich frei und greift in seinen Hemdkragen. Verlegen, jungenhaft. Ich kenne diese Geste.
„Muss dann los, hab’ noch ’nen Termin. Ich hol’ das Päckchen heute Abend ab.“

Laub tanzt im fahlen Laternenlicht. Ein letztes Aufbäumen vor dem Vergehen, dem Verfall. Keine Ahnung, wie lange ich mich schon von dem Auf und Ab der Blätter hypnotisieren lasse. Nicht denken, nicht reden, nichts fühlen, nur Zuschauer sein.
Mit einem Mal steht Frank im Raum. Ich zucke zusammen, ich habe ihn nicht kommen hören.
„Ach, hier steckst du. Sie haben schon nach dir gefragt.“
Sie. Eine diskutierfreudige, angetrunkene Meute. Ihr ausgelassenes Lachen dringt durch die angelehnte Tür wie giftiger Qualm. Es geht wie so oft um Kinder. Erziehung, Aufzucht. Ein nie enden wollendes Thema, wieder und wieder neu beleuchtet, durchgekaut. Jeder fühlt sich berufen, seine Meinung einzubringen. Nur ich nicht.
Ich spreche zum Fenster. „Bin heute keine gute Gesellschaft. Kopfschmerzen.“
Frank steht dicht hinter mir, sein Atem heiß in meinem Haar. „Da kenne ich ein Mittel, hilft garantiert“, flüstert er. Schon küsst er meinen Nacken. Fremde Hände wandern über meine Oberarme zu meinen Hüften, zu meinem Bauch. Ich bin verwundert, mein Körper antwortet sofort. Ein heißes Prickeln. Dort wo die Narbe ist. Ich will mich fallen lassen, ich will mich von dem Strudel in die Tiefe reißen lassen. Nur noch Frau sein. Seine Zunge kitzelt. Ich kichere. Romanticus interruptus.
„Wir sollten nicht so viel trinken“, sage ich trocken und erhebe mein Glas. Es hinterlässt auf der Fensterbank einen feuchten Ring, der die Symmetrie bricht. Mit einem Wisch könnte ich ihn entfernen. Ich lasse es sein.
„Was hat Barbara zum Shirt gesagt?“ Ich bin interessiert, aber ich stelle die falschen Fragen.
„Fand sie prima, war ganz aus dem Häuschen. Hast du echt gut getroffen.“
„Na, dann ist ja alles bestens, gibt’s bestimmt ’ne heiße Danksagung.“ Ich habe einen bitteren Geschmack im Mund. Die Erdbeerbowle kann es nicht sein. „Macht übrigens achtzig Euro“, sage ich, „das T-Shirt.“
Frank grinst. „Logisch. Was sonst? Geht klar.“
„Komm, lass uns zurück zu den anderen gehen!“ Ich finde, die Rolle der Vernünftigen steht mir gut. Hat die Bowle mir doch nicht völlig das Hirn verklebt.
Wir verlassen unsere Insel der Heimlichkeit.

Ein langer Tag liegt hinter mir. Fühle mich ausgelaugt und kraftlos, das Lächeln im Laden strengt mich an. Die Küche gleicht einem Schlachtfeld, wie immer, wenn Joachim gekocht hat. Spaghetti mit Tomatensauce, mehr lässt seine Kochkunst nicht zu.
Wir essen schweigend, dann sein Einsatz: „Wie war dein Tag?“
„Wie soll er gewesen sein?“ Ich stochere in den matschigen Nudeln herum. Klug von ihm, mich nicht zu fragen, ob es mir schmeckt.
„Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“
„Hab ’nen schönen Umsatz heute, zufriedene Kunden. Was will ich mehr?“ Unser Abendprogramm heißt Wiederholung der Inszenierung.
"Carla, Schatz, sei doch nicht so verbiestert. Was is’n los mit dir?"
„Ach, du hast es schon vergessen.“ Ich werde laut: „ Man hat mir mein Kind aus dem Leib geschnitten.“
„Unser Kind, Carla, unser Kind. Aber du lebst.“
„Stimmt.“ Fasziniert schaue ich auf seinen Mund, der mit Tomatensauce verschmiert ist. Der traurige Clown weiß nicht, dass ich funktioniere, um zu essen, um zu atmen und um zu täuschen. Ihn und mich.
„Wir haben es doch gut miteinander, wir zwei.“ Er legt die Gabel weg und drückt meine Hand. Fürsorge, die mir die Luft zum Atmen nimmt.
„Ach ja? Leihst du mir deine rosarote Brille?“ Ich muss hier raus. Soll er doch sehen, wie er das Chaos in der Küche in den Griff bekommt. Mir reicht mein eigenes.
Ich spüre seinen Hundeblick im Nacken. Spüre ihn wie vor wenigen Tagen Franks Kuss, nur, dass er nicht so kitzelt.

Farbige Bilder mit Worthülsen geschmückt, formvollendete Sinnlosigkeit. Ich starre, ertrage, begreife nichts.
„Carla, wir haben Besuch.“ Joachim, das Geschirrtuch über die Schulter geworfen, führt die beiden zu mir ins Wohnzimmer. Ich fühle mich überfahren. Benommen erhebe ich mich vom Sofa, um Babs und Frank die Hand zu reichen, viel zu distanziert. Ein höflicher Eiszapfen. Babs trägt den neuen Fummel, steht ihr gut. Kein Wort kommt über meine Lippen.
Das Gemurmel aus dem Fernseher stört, ich schalte das Gerät aus. Schade, gerade heute hatte ich Lust auf Berieselung.
„Auch ein Bier?“, fragt Joachim in Franks Richtung. „Und die Damen?“
„Sekt“, schlage ich vor.
„Wasser, ein stilles bitte“, sagt Babs.
Joachim drückt mich sanft in den Sessel. „Lass mal Schatz, ich mach das schon!“
Ich sitze unnatürlich aufrecht, wie jemand, der ein Lineal verschluckt hat. Gewappnet für Neuigkeiten aller Art, aber ich ahne nichts Gutes.
Babs und Frank haben nebeneinander auf dem Sofa Platz genommen. Sie sind ein schönes Paar und dieses kultivierte Einvernehmen, einstudiert, glaubhaft, bewundernswert. Brüderchen und Schwesterchen. Sie lächeln schief.
Wir fischen nach Gesprächsstoff, der uns verbinden kann. Joachim rettet uns, als er die Getränke bringt. „Na, was treibt euch so spät durch Nacht und Wind?“
„Ach, nur’n bisschen quatschen. Und ’ne Neuigkeit.“ Frank schaut mir in die Augen. Ich sehe etwas darin, das ich nicht deuten kann. „Ja, also, …“, er räuspert sich. „Ja, also, Carla, wir denken, wir meinen, du solltest es von uns erfahren.“
Alle Blicke sind auf mich gerichtet. So muss sich eine Laborratte im Experiment fühlen.
Babs übernimmt und holt zum finalen Schlag aus. „Carla, wir dachten, es könnte schwierig für dich sein. Ich bin nämlich wieder schwanger.“ Sie wartet auf eine Regung von mir. „Wir wollen es behalten.“
„Das wollte ich auch“, meine Stimme ist leise.
„War nicht geplant“, sagt Frank, „ich hab’s auch heut’ erst erfahren.“ Dann lächelt er unsicher in die Runde, als wundere er sich über den ausbleibenden Beifall. Er tätschelt ihren Arm, er weicht meinem Blick aus, er greift sich in den Hemdkragen.
Mir wird heiß. Unerträglich. Feuer im Gesicht, notdürftig unter einer Schicht Make-up verborgen. Ein Flammenmeer rast über mich hinweg, dann erstarre ich wieder zu Eis. Ich ergreife mein Sektglas, bisher unangetastet. Perlen sprudeln zur Oberfläche, so fröhlich und unbeschwert, als würden sie sich amüsieren über mich. Ich höre mich sagen: „Auf das Leben und seine Überraschungen!“

Ich weiß nicht, wie ich diesen Abend überstehen soll. Ich sitze nur da, taub und betäubt und warte. Warte darauf, dass mir endlich jemand das Messer aus der Brust zieht.

 

Hallo peregrina :)

Ich fang direkt an: Deine Geschichte macht mich sauer! Aber ein gutes sauer, glaube ich.
Sauer, weil dieser Idiot Frank mit der Protagonistin anbandelt, aber gleichzeitig anscheinend noch ein erfülltes Sexleben mit seiner angetrauten Frau hat und die auch noch schwängert. Sauer, weil diese doofe Babs, die sich über ein überteueretes 80-Euro-Shirt maßlos freut, es gar nicht verdient hat, jetzt schwanger zu werden, während die Prota noch trauert. Sauer, weil die beiden da einfach so reinspazieren und das als frohe Botschaft verkünden, vollkommen empathielos, kein Blick für das Leid der Prota, keine Rücksicht. Das macht mich wütend!
Und ich glaube, damit hast du alles erreicht, was du erreichen wolltest. Ich fühle mich sogar ein bisschen schuldig, weil es natürlich grundsätzlich etwas Schönes ist, wenn Babs und Frank ein Kind kriegen, aber ich mich nicht für sie freuen kann, sondern egoistisch aus der Sicht der Protagonistin ihnen dieses Glück nicht gönne.

Dennoch muss ich gestehen, dass ich mir ein etwas anderes Ende gewünscht/ausgemalt hätte. In meiner Geschichte wäre meine Protagonistin wortlos aufgestanden und gegangen. Oder hätte höchstens im Gehen noch sowas wie "alles Gute" gesagt, aber das wars. Niemand kann von ihr erwarten, dass sie sich in so einem Zustand über eine solche Nachricht freut. Das ist dieses klassische Salz in die Wunde streuen, guck mal, du hast dein Baby verloren, dass ist echt scheiße, aber ätschibätsch, dafür kriegen wir jetzt eins. Und jetzt freu dich gefälligst für uns!

Zugegeben, deine Geschichte trieft schon sehr vor Selbstmitleid. Aber im Ernst? Find ich okay so. Es scheint ja alles noch recht frisch zu sein, und so ein Traume überwindet man nicht so leicht.
Leider wird dieses Thema von der Mehrheit nicht als das Drama wahrgenommen, was es tatsächlich ist, denn ein ungeborenes Kind ist ja gar kein "richtiges" Kind, man kann ja einfach ein neues machen. Solang es nicht lebend geboren wurde, zählt es nicht richtig.
Diese Sichtweise ist leider weit verbreitet, aber auch vollkommen falsch, und ich finde, das hast du ganz gut beleuchten können, also welche Auswirkungen soetwas auf eine "Mutter" haben kann.
Was übrigens wieder so ein Punkt ist: Offiziell ist sie ja gar keine Mutter. Ich denke aber, dass sie sich schon wie eine Mutter fühlt, nur dass ihr das eben keiner anerkennt, weil sie ja gar kein "richtiges" Kind geboren hat.

Du siehst, das Thema bewegt mich sehr. Und wie du damit in deinem Text umgegangen bist, gefällt mir.
Manchmal waren mir die vielen kurzen Sätze zu lyrikhaft, ich denke aber, dass das sehr stark Geschmackssache ist, ich stehe eher auf neutrale/nüchterne Erzähler. Zu deiner Geschichte und der Stimmung, die du vermitteln willst, passt es aber.
Ich denke, wo du ein bisschen kürzen könntest, wären die vielen Fragen.
Die folgenden Sätze stehen beispielhaft und würde auch ohne die Fragezeichzen funktionieren:

Bekannte, Freunde, Wildfremde, Neider.
Die Geburt eines gesunden Kindes, Anlass, um zum stolzen Muttertier zu werden? Woher soll ich das wissen.
Feuer. Rotkäppchen. Rot. Die Farbe der Wut, der Zerstörung. Aber ist es nicht die Farbe der Liebe?


Fasziniert schaue ich auf seinen Mund, der mit Tomatensauce verschmiert ist.
'verschmiert' passt nicht so richtig zu einem erwachsenen Mann. Da hab ich eher ein dreijährges Kind vor Augen.

So, das soll es erstmal gewesen sein von mir.
Vielen Dank für diesen kurzen, sehr melancholischen Ausflug in die Gefühlswelt einer jungen (fast-)Mutter.

Liebe Grüße,
Sommerdieb

 

Hej peregrina,

einem traurigen Thema hast du einen zynischen Rahmen gegeben, in dem du die Protagonistin von ihrer verletzlichsten Seite zeigst mit ihrer persönlichen Erfahrung in ihrer vertrauten Umgebung. Zu diesem Zeitpunkt scheint sie noch völlig unreflektiert zu sein. Und gerade, als sie aufbegehrt, kickt sie das Schicksal erneut raus und lässt sie den Schein wahren.
Dafür hast du viele Bilder genutzt, die ihren Charakter bezeichnen.

Das Gestrick unter meinen Handflächen ist weich und geschmeidig. Streicheleinheiten für tote Dinge. Ich verliere mich.

Die mag ich am liebsten. Hier kommt für einen Augenblick ihre zarte Seite zum Vorschein. Und dennoch deutet dieses seltsame "Gestrick" auf so etwas wie Verachtung. Nicht schlecht ;)

Achja, wenn das Schicksal an die Tür der Unerschütterlichen in ihrer perfekten Welt kratzt ... stellen sich alle blind und auf Autopilot. Schlimm für deine Protagonistin. Doch ich glaube, sie ist stark genug, ihren Weg zu gehen und die Blase zum Platzen zu bringen.

Du merkst, ich bin voll drin und das bedeutet für mich, es war eine gute Geschichte mit einem wichtigen "Frauenthema".

Danke dafür und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo peregrina,
Ein sensibles Thema, das du da aufgegriffen hast. Carla, die ihr Kind verliert, dazu mit einem Mann verheiratet ist, der ihren Schmerz nicht verstehen kann oder will, und eigentlich in einen anderen Mann verliebt ist, der sich zwar auch zu ihr hingezogen fühlt, aber doch das Leben mit einer anderen Frau und bald einem Baby lebt. Viele Gründe für Carla, sich von der Welt betrogen zu fühlen. Sie scheint sich in einer Art Kokon zu befinden, betäubt und gelähmt, so habe ich das zumindest beim Lesen empfunden. Will sagen, dieses Gefühl wurde für mich transportiert. Sicher, die Geschichte kommt stimmungsmäßig insgesamt eher hoffnungslos daher, aber das ist ja nur allzu verständlich. Mir jedenfalls hat sich die Person Carla ob ihrer Geschichte gut erschlossen.

Mir sind auch keine Fehler aufgefallen, es liest sich gut. Auch die inneren Monologe finde ich gut.

Ein paar Anmerkungen bzw. Stellen, die mir gefallen haben:
Aber wir haben nichts miteinander --> Dieser Ausdruck passt für mich irgendwie sprachlich nicht so recht rein, klingt wenig elegant. Evtl. könntest du das schöner umschreiben?

Erziehung, Aufzucht. --> Vielleicht ja gewollt, aber das Wort Aufzucht klingt eher nach Tier, als nach Kindern.

Ich stochere in den matschigen Nudeln herum. Klug von ihm, mich nicht zu fragen, ob es mir schmeckt. --> Klasse

ein höflicher Eiszapfen --> sehr schön ;-)

Wer will das wissen? --> Genau

taub und betäubt --> Genau das meinte ich mit dem Kokon. Kam gut rüber für mich.

bevor der ultimative Schmerz einsetzt --> Hmm, der ultimative Schmerz, nee, das ist irgendwie zu dramatisch für Carla. Vielleicht könntest du diesen letzten Halbsatz einfach weglassen? Würde für mich super funktionieren.

Wie gesagt, sensibles Thema, für mich gut umgesetzt. Danke.

Beste Grüße,
Fraser.

 

Hallo peregrina,

deine Prota hat mein Mitgefühl, aber sympathisch ist sie mir nicht gerade. Klar hat sie einen schweren Verlust erlitten und nachvollziehbar ist mir auch, dass alle Themen über Kinderkriegen, Erziehung und und und nicht gut auszuhalten sind.

Andererseits glaube ich , dass gerade sie so ein stolz-und milchgeschwelltes Muttertier wäre, was sie der jungen Mutter mit dem Kinderwagen verübelt. Ihre Trauer ist derart von Neid und Hass überlagert, so dass sie Trost gar nicht annehmen kann oder bei dem Falschen sucht.

Woran liegt das?
Hier sehe ich das Psychogramm einer Frau, die sich durch selbst geborene Kinder definiert und daher durch die Fehl- oder Totgeburt einen Selbstwertverlust erleidet. Falls das, liebe Peregrina, dein Erzählabsicht war, ist dir das gut gelungen. Wenn ich dich falsch interpretiere, so nimm es als die persönliche Sicht einer Frau, die über viele Jahre hinweg Diskussionen geführt hat, mit Müttern und Nicht-Müttern, die sich als "vollwertige" Frauen verstanden haben.
Und dann kenne ich noch einige, die Kinder adoptiert haben;)

Sprachlich hat mir der Text gut gefallen. Und das Thema ist nach wie vor aktuell. Bin gespannt, ob es auch Kommentare von Männer gibt (soweit sie sich hier zu erkennen geben):D

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hi peregrina,

zuerst einmal Gratulation zu der gelungenen Geschichte. Ich war beim Lesen tatsächlich so von deiner Protagonistin gefangen, dass ich ihre Reaktionen und Gedanken gut nachvollziehen konnte, obwohl ich mit ein wenig Abstand, eine ähnliche Meinung zum Geisteszustand der Ich-Erzählerin gebildet habe, wie sie wieselmaus einen Kommentar weiter oben schon beschrieben hat.

Storytechnisch bist du den richtigen Weg gegangen und hast einen interessanten, spannenden Text abgeliefert. Ohne den inneren Konflikt, sowie den Unstimmigkeiten in ihrer Umgebung, wäre das Thema viel weniger interessant.

Ich finde allerdings, dass du noch viel weiter hättes gehen können. Der Boden für ein gewagteres Ende ist bereitet. Wie wäre es denn, wenn deine Protagonistin den Besuch und die Ankündigung von Frank und Babs so unerträglich findet, dass sie im Affekt irgendetwas ins Getränk der werdenden Mutter mischt? Mit so einer schicken Wendung, ließe sich noch viel mehr Entwicklung mit Carlas Figur vorrantreiben. Ich würde es gerne lesen und mich vielleicht sogar ein bisschen gruseln. :D

Schöne Grüße
Lem Pala

 

Hi Sommerdieb!

Wie schnell bist du denn? Um mal im Jargon der Erzählstimme zu bleiben.

Danke für das interessante Feedback.

Deine Geschichte macht mich sauer, glaube ich. Sauer, weil dieser Idiot Frank mit der Protagonistin anbandelt, aber gleichzeitig anscheinend noch ein erfülltes Sexleben mit seiner angetrauten Frau hat und die auch noch schwängert.
Ja, das soll vorkommen und nicht mal so selten. Mein Opa zum Beispiel hatte während des Krieges ein außereheliches Verhältnis, aus dem eine Tochter entstanden ist. Meine Mutter ist nur wenige Wochen älter als diese Halbschwester. Aber was erzähl ich denn, das könnte Zündstoff für eine neue Geschichte sein.

Sauer, weil die beiden da einfach so reinspazieren und das als frohe Botschaft verkünden, vollkommen empathielos, kein Blick für das Leid der Prota, keine Rücksicht.
Das wird wohl so die beste Form der Überbringung sein. Die vier sind ja befreundet und früher oder später wäre die Schwangerschaft sichtbar geworden. Also, besser ein offenes Wort als Verheimlichung. Und ganz so wohl, wie er allen glauben machen will, ist dem Frank doch nicht dabei.

Zugegeben deine Geschichte trieft schon sehr vor Selbstmitleid. Aber im Ernst? Find ich okay so.
Nichts lag mir ferner als die junge Frau selbstmitleidig wirken zu lassen, auch wenn du für ihr Verhalten Verständnis hast. Sie sollte eher traurig, verbittert, neidisch, hilflos rüberkommen. In ihrem Schmerz baut sie eine Mauer um sich. Wichtigster Baustein: Zynismus. Sie kratzt, beißt uns spuckt im übertragenen Sinne. Und da kommt Frank ins Spiel. Sie sieht in dem Flirt eine Ablenkung vom Schmerz und Hoffnung, aus dem dunklen Loch zu entkommen. Sie ist bereit, die Mauer abzutragen und dann …peng, schlägt das Schicksal zu. Gerade noch rechtzeitig, denn so eine Affäre hätte wieder neue Probleme gebracht (wie das Beispiel meines Großvaters zeigt). Insofern auch ein Happyend, wenn auch sehr versteckt.

Manchmal waren mir die kurzen Sätze zu lyrikhaft, ich denke aber, dass das sehr stark Geschmackssache ist, ich stehe eher auf neutrale/nüchterne Erzähler. Zu deiner Geschichte und der Stimmung, die du vermitteln willst, passt es aber.
Natürlich Geschmackssache. Ich rede mir ein, die Satzfetzen können eindringlich ihre Zerrissenheit wiedergeben. Den Ich-Erzähler wähle ich bewusst, weil ich dann Selbstreflexionen und boshafte Gedanken der Prota glaubhafter transportieren kann.

Ich denke, wo du ein bisschen kürzen könntest, wären die vielen Fragen.
Noch bin ich nicht bereit, die Fragen zu eliminieren. Meine vorübergehende Rechtfertigung lautet: Die Fragezeichen sind Ausdruck einer bestimmten Unsicherheit der Prota.

Ich würde gerne warten, ob da noch andere Ansichten eintrudeln.
Und über den „verschmierten“ Mund denke ich nach, versprochen.

Sommerdieb, ich danke dir für die Mühe und ich bin gar nicht sauer, dass dich meine kleine Geschichte total sauer machen konnte, denn es klingt wie Musik in meinen Ohren:

Du siehst, das Thema bewegt mich sehr. Und wie du damit in deinem Text umgegangen bist, gefällt mir.

Liebe Grüße,
peregrina


Hallo @Kanij,

danke für deinen Besuch und deinen Leseeindruck. Wie immer, zeitnah und präzise auf den Punkt gebracht.

einem traurigen Thema hast du einen zynischen Rahmen gegeben …
Traurig und zynisch, das ist wohl richtig. Immer unter dem Gesichtspunkt, dass dieser Zynismus als Selbstschutz gedacht ist.

… gerade als sie aufbegehrt, kickt sie das Schicksal erneut raus …
Hast du gut beobachtet, sollte eine wichtige Aussage sein, so nach dem Motto: Erstens kommt es anders und zweitens …
Aber letztendlich war dieser Eröffnung der Schwangerschaft von Babs auch so etwas wie ein heilsamer Schock für Carla. Ich glaube nämlich, dass sie erkannt hat, beinahe hätte sie einen falschen Weg eingeschlagen. Du siehst, alles ist gut.

Hier kommt für einen Augenblick ihre zarte Seite zum Vorschein. Und dennoch deutet dieses seltsame Gestrick auf so etwas wie Verachtung.
Ich hoffe du meinst, Verachtung für sich selber. Denn sie ist ja unfähig, ein Kind auszutragen und muss in ihren Augen zur Strafe nun tote Dinge liebkosen.

Achja, wenn das Schicksal an die Tür der Unerschütterlichen in ihrer perfekten Welt kratzt … stellen sich alle blind …
Also, dieses Wegschauen wollte ich nicht thematisieren.
Ich kann das gar nicht recht beurteilen, habe mich mehr auf das Innenleben von Carla konzentriert und ihrer Unfähigkeit, sich zu öffnen. Diese allgemeine Blindheit hat sicher auch mit Hilflosigkeit und nicht zuletzt, Sprachlosigkeit zu tun.

Doch ich glaube, sie ist stark genug, ihren Weg zu gehen …
Davon bin ich ebenfalls überzeugt.

Liebe Kanij, es war mir eine Freude mit dir zu plaudern.
Noch einen sonnigen Tag wünscht Hobby-Psychologin peregrina


Hallo Fraser, fxdysprosium, wieselmaus, Lem Pala,

danke für eure Gedanken, finde eure unterschiedlichen Sichtweisen spannend und anregend.
Lasse die Anregungen erst mal sacken, um einen freien Kopf zu kriegen. Später geht es weiter.

 

Hallo peregrina,

die Geschichte hat mich angesprochen. Vielleicht sensibilisert sie die eine oder den anderen auch etwas für die Thematik der Ungeborenen-Trauer. Immerhin gibt es jetzt seit ein paar Jahren auf vielen Friedhöfen ein Plätzchen für ungeborene Kleinkinder.

Ich kann fast jedoch nicht glauben, dass es so Trampel wie Babs und Frank geben soll, die zum Feiern zu einem Ehepaar kommen, die ein Kind verloren haben.

Folgender Absatz ist mir zu ausladend und ich bestärke die Aussage von sommerdieb, dass mir die Fragen auch zu viel geworden sind. Ich zeige dir mal auf, was ich kürzen würde. Die fette Schrift ist der Text, der bei mir bleiben würde:


Die Frauen umringen den Kinderwagen in einem engen Kreis, drängen sich an ihn, als wollten sie den Säugling darin mit ihrer Bewunderung ersticken.
„Wie niedlich. Bist du aber süß. Ja, wo is` er denn?“
Alle reden gleichzeitig. Sie wippen dabei mit ihren Oberkörpern wie aufgeregte Krähen.
Bekannte, Freunde, Wildfremde, Neider?
Ich beobachte die Straßenszene mit Interesse, fühle mich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Die Mutter strotzt vor Selbstbewusstsein. Die Brust geschwollen. Mehr geht nicht. Vielleicht hat sie Grund, die Nase hoch zu tragen. Die Geburt eines gesunden Kindes, Anlass, um zum stolzen Muttertier zu werden? Woher soll ich das wissen?

Nur der Zufall hat uns zusammengeführt. Wir lagen auf der gleichen Station. Bettnachbarinnen. Bettgeflüster, Wünsche, Sehnsüchte. Gespräche, um die nicht enden wollenden schlaflosen Nächte zu ertragen. Unsere Sorgen und Ängste machten uns zu Verbündeten.
Das war in einem anderen Leben. In einer Zeit, als die Hoffnung noch greifbar war.
Mir wird nicht ganz klar, in welcher Situation das gewesen sein soll. Lag sie schon hochschwanger dort? Dieser Absatz hinterläßt bei mir ein größeres Fragezeichen.

Heute ist einer dieser Tage, da kann ich mich mit einer Leidenschaft, die schon lächerlich wirkt, banalen Dingen hingeben. Ich ziehe den Pullover in Form, falte ihn zusammen. Akribisch, nach einer technischen Zeichnung, die nur in meinem Kopf existiert. Das Gestrick unter meinen Handflächen ist weich und geschmeidig. Streicheleinheiten für tote Dinge. Ich verliere mich.
Sehr schön.
Ich höre mich sagen: „Na, das ist ja mal ’ne gelungene Überraschung. Glückwunsch!“

Ich weiß nicht, wie ich diesen Abend überstehen soll. Ich sitze nur da, taub und betäubt und warte. Warte darauf, dass mir endlich jemand das Messer aus der Brust zieht, bevor der ultimative Schmerz einsetzt.

Hier wünschte ich mir ein anderes, radikaleres Ende.

Gerne gelesen,
liebe Grüße
bernadette

 

Hallo peregina,


ich finde das ein gutes Thema, dem du dich ansprechend näherst.
Mir würde allerdings besser gefallen, wenn du alles ein wenig subtiler gestaltet hättest. Ich hätte so manches eingedampft. Die Frank-Kiste dürfte für meinen Geschmack harmloser verlaufen, mehr in der Schwebe haltend, fraglich überinterpretierend von deiner Prota. Die Innenschau ist mir too much und das Ende finde ich ausbaufähig.
Ich habe sie aber insgesamt gerne gelesen, deine Geschichte.


Ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

Die Frauen umringen den Kinderwagen in einem engen Kreis, drängen sich an ihn, als wollten sie den Säugling darin mit ihrer Bewunderung ersticken.
„Wie niedlich. Bist du aber süß. Ja, wo is` er denn?
Ich finde den ersten Satz ein wenig ungelenk; warum nicht - so als spontanes Beispiel:
Die Frauen umringen den Kinderwagen, als wollten sie den Säugling darin mit Bewunderung ersticken.
Zudem - so aus dem Bauch heraus - würde ich einen Absatz einfügen.
Die letzte Frage finde ich zu ausgelutscht.

Alle reden gleichzeitig. Sie wippen dabei mit ihren Oberkörpern wie aufgeregte Krähen. Bekannte, Freunde, Wildfremde, Neider?
Ich beobachte die Straßenszene mit Interesse, fühle mich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Die Mutter strotzt vor Selbstbewusstsein. Die Brust geschwollen. Mehr geht nicht. Vielleicht hat sie Grund, die Nase hoch zu tragen. Die Geburt eines gesunden Kindes, Anlass, um zum stolzen Muttertier zu werden? Woher soll ich das wissen?
Ich sehe da einiges an Kürzungspotential. Dass die Mutter da voller Stolz präsentiert ... Hm. Braucht es das? Ist doch auch meist so, dass es ziemlich nervt, wenn Hinz und Kunz in den Kinderwagen glotzt, oder? Und was du ableitend daraus deiner Prota zuschustern willst, wird auch so klar, zumindest im späteren Verlauf, finde ich.


Hastig biege ich in das Seitengässchen ab, damit die Höflichkeit mich nicht zwingt, einen Blick in den Kinderwagen zu werfen. Ob sie mich erkannt hat? Egal. Nur der Zufall hat uns zusammengeführt. Wir lagen auf der gleichen Station. Bettnachbarinnen. Bettgeflüster, Wünsche, Sehnsüchte. Gespräche, um die nicht enden wollenden schlaflosen Nächte zu ertragen. Unsere Sorgen und Ängste machten uns zu Verbündeten.
Das war in einem anderen Leben. In einer Zeit, als die Hoffnung noch greifbar war. Ausgeträumt. Ein kurzes Ziehen im Unterleib. Reflexartig fasse ich hin. Kein Grund zur Sorge, nur die Narbe.
Auch diesen Absatz finde ich nicht zielführend. Ich hätte irgendwie derart geschrieben:
Ich bog in eine Seitengasse ab, um nicht in den Kinderwagen sehen zu müssen. Ein kurzes Ziehen im Unterleib. Reflexartig fasse ich hin.
Mir hätte das gereicht, um die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Die ganze Bekanntheitsnummer aus dem Krankenhaus würde ich streichen. Finde ich unnötig; diese Mutter spielt auch gar keine Rolle mehr im späteren Verlauf.
Das ziehen im Unterlaub finde ich aber gut!

Heute ist einer dieser Tage, da kann ich mich mit einer Leidenschaft, die schon lächerlich wirkt, banalen Dingen hingeben.
Finde ich auch ungelenk, den Satz. Warum nicht:
Heute ist einer dieser Tage, an denen ich mich leidenschaftlich banalen Dingen hingeben kann.

Ich ziehe den Pullover in Form, falte ihn zusammen. Akribisch, nach einer technischen Zeichnung, die nur in meinem Kopf existiert. Das Gestrick unter meinen Handflächen ist weich und geschmeidig. Streicheleinheiten für tote Dinge. Ich verliere mich.
Gefällt mir.

Als ich hochsehe, setzt mein Herz einen Schlag [lang] aus.
Wenn auch korrekt, würde ich (u.a. vom Klang her) was einfügen.

Grinsend kommt er näher. Sehr nah. Küsschen rechts, Küsschen links. Er zieht mich fester an sich als nötig. Ich kann nur ahnen, er genießt diese Umarmung genau so wie ich.
Das meinte ich u. a. mit subtiler gestalten durch Kürzung im Text. Ich hätte es interessanter gefunden, wenn nicht klar würde, ob sich deine Prota nun die Annäherng nur einredet, wünscht, oder ob sie tatsächlich stattfindet - später ein weiteres Beispiel dazu. Kannst ja mal darüber nachdenken.

Wir bewegen uns auf sicherem Terrain. Fachfragen, die die Fachfrau zu klären hat. Mein Metier, darin kenne ich mich aus, darin bin ich keine Versagerin.
Das mit der Versagerin ist mir too much. Stärker und auch einfacher formuliert fällt mir spontan Folgendes zu ein:
Fachfragen für die Fachfrau. Immerhin darin kenne ich mich aus.
Irgendwas derart - subtiler alles, fände ich reizvoller und herausfordender, also denkanstößiger.

„Egal. Was es kostet, kostet es ...
Egal. Es kostet, was es kostet.

Ganz steif werde ich. Ich brauche sein Mitleid nicht. Ich werde nicht heulen. Ich bin stark. „Du bist eine tolle Frau, klug und stark“, murmelt er in mein Ohr.
Ist mir wieder too much mit dem "klug und stark". Auch dieses ich-ich-ich ... Vielleicht derart:
Ich werde ganz steif. Brauche kein Mitleid. Werde nicht heulen. Ich bin stark!

Laub tanzt im fahlen Laternenlicht. Ein letztes Aufbäumen vor dem Vergehen, dem Verfall. Keine Ahnung, wie lange ich mich schon von dem Auf und Ab der Blätter hypnotisieren lasse. Nicht denken, nicht reden, nichts fühlen, nur Zuschauer sein.
Ich fände es ohne den letzten Satz stärker. Das Hypnotisieren zuvor lässt den Rest ohnehin redundant erscheinen, finde ich.

„Ach, hier steckst du. Sie haben schon nach dir gefragt.“
Sie. Unsere Freunde ...
Ich würde "sie" durch "alle" ersetzen.

Das Thema ein nie versiegender Quell ermüdender Gespräch, wieder und wieder neu beleuchtet, durchgekaut. Jeder fühlt sich berufen, seine Meinung einzubringen. Was sollte ich dazu sagen?
Finde ich auch zu kompliziert. Vorschlag:
Ein nie enden wollendes Thema. Jeder fühlt sich berufen, seine Meinung einzubringen. Außer mir.

Ich spreche zum Fenster. „Bin heute keine gute Gesellschaft. Kopfschmerzen.“ Frank steht dicht hinter mir, sein Atem heiß in meinem Haar. „Da kenne ich ein Mittel, hilft garantiert“, flüstert er. Schon küsst er meinen Nacken. Fremde Hände wandern über meine Oberarme zu meinen Hüften, zu meinem Bauch. Ich bin verwundert, mein Körper antwortet sofort. Ein heißes Prickeln. Dort wo die Narbe ist. Ich will mich fallen lassen, ich will mich von dem Strudel in die Tiefe reißen lassen. Bis in alle Ewigkeit nur noch begehrt werden. Seine Zunge kitzelt. Ich kichere. Kindisch. Das war’s. Romanticus interruptus. „Wir sollten nicht so viel trinken“, sage ich trocken und erhebe mein Glas. Es hinterlässt auf der Fensterbank einen feuchten Ring, der die Symmetrie bricht. Mit einem Wisch könnte ich ihn entfernen. Ich lasse es sein. Was sollte es ändern?
„Was hat Barbara zum Shirt gesagt?“ Ich bin interessiert, aber ich stelle die falschen Fragen.
Wie oben erwähnt ... interessanter wäre es für mich, wenn nicht klar würde, was deine Prota da wie interpretiert. Quasi als unzuverlässige Erzählerin, da sie ja aus der Bahn geworfen wurde, durch ihr erlebtes Trauma. Was ist Wunsch, was Wirklichkeit?
Zudem könntest du den Absatz weiter eindampfen, finde ich.

„Na, dann ist ja alles bestens, gibt’s bestimmt ’ne heiße Danksagung.“ Ich habe einen bitteren Geschmack im Mund. Die Erdbeerbowle kann es nicht sein, die ist viel zu süß. Eifersucht vielleicht?
Zu viel Innenschau, finde ich. Der Leser denkt gerne mit.

Wir verlassen unsere Insel der Heimlichkeit und des Betruges. Für wie lange wohl?

Die Küche gleicht einem Schlachtfeld, als ich nach Hause komme.

Ist mir oben wieder too much. Dann habe ich den Sprung von der Party nach Hause nicht gleich nachvollziehen können. Vielleicht baust du da noch was dazwischen, dass ich die Party nicht mit dem Essen mit Joachim verbinde.

„Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“
„Hab ’nen schönen Umsatz heute, zufriedene Kunden. Was will ich mehr?“ Vertraute Dialoge, unser Abendprogramm heißt Wiederholung der Inszenierung. Carla, Schatz, sei doch nicht so verbiestert. Was is’n los mit dir?
„Ach, du hast es schon vergessen.“ Ich werde laut:
„ Man hat mir mein Kind aus dem Leib geschnitten.“
„Unser Kind, Carla, unser Kind. Aber du lebst.“
„Stimmt.“ Fasziniert schaue ich auf seinen Mund, der mit Tomatensauce verschmiert ist. Der traurige Clown weiß nicht, dass ich [nur noch] funktioniere, um zu essen, um zu atmen und um zu täuschen. Ihn und mich.
Ich liebe dich!“ Er legt die Gabel weg und drückt meine Hand. Sanfte Inquisition Fürsorge, die mir die Luft zum Atmen nimmt.
„Ach ja? Leihst du mir deine rosarote Brille?“ Ich muss hier raus. Soll er doch sehen, wie er das Chaos in der Küche in den Griff bekommt. Mir reicht mein eigenes. Ich spüre seinen Hundeblick im Nacken. Spüre ihn wie vor wenigen Tagen Franks Kuss, nur, dass er nicht so kitzelt.
Auch hier fände ich es eingedampft/leicht geändert stärker, bin aber jetzt zu müde, um das näher zu erläutern :sleep:.


Dass anschließend Frank und Gemahlin derart den Nachwuchs feiern, obwohl sie um den Verlust des Kindes von Joachim und deiner Prota wissen müssen, finde ich auch unglaubwürdig. Du könntest diese Info einbauen, ohne das so zelebrierend darzustellen. Es könnte in einem Gespräch dazu führen, dass Frank - vielleicht wirklich unangenehm dazu getrieben - mit der Neuigkeit rausrücken muss, peinlich berührt oder so .... Na ja ...
Am Ende hätte mir auch ein wenig mehr Drama/Eklat besser gefallen, aber gut.


Wie bereits angedeutet: Gutes Thema, mit leiseren Tönen fände ich es allerdings eindringlicher in seiner Wirkung dargestellt.

Vielleicht findet sich in meinem Komm der eine oder andere Denkanstoß für dich. Wenn nicht, dann nicht, ist ja nur eine von vielen Lesereindrücken, die ich zum besten gebe.


Danke fürs Hochladen und Gruß


hell

 

Ich nochmal:

peregrina schrieb:
Noch bin ich nicht bereit, die Fragen zu eliminieren. Meine vorübergehende Rechtfertigung lautet: Die Fragezeichen sind Ausdruck einer bestimmten Unsicherheit der Prota.

Ich fand es schon sehr interessant, dass hell genau die gleichen Kürzungsvorschläge gemacht hat wie ich, also muss da schon was dran sein. Auch die Tipps für die leiseren Tönen fand ich sehr gut.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe peregrina,

das ist natürlich eine Geschichte, die man nicht mal so schnell und zwischendurch lesen kann. Das Thema verleiht ihr von vorne herein ein besonderes Gewicht. Und die beschriebene Situation teilt sich wohl jedem Leser mit, nicht nur den Frauen, die etwas Ähnliches erlebt haben. Leere und Sinnlosigkeit als vorherrschende Empfindung. Dazu ein Schmerz, dem man nicht begegnen kann, der bleibt, egal was um einen herum geschieht. Und letztendlich die Suche nach einem Halt in dieser Sinnlosigkeit.

Du hast dich etwas getraut, indem du versuchst hast, dies alles in eine kleine Episoden-Geschichte zu packen. Episoden, in denen das Leiden über das verlorene Kind deutlich wird, die mir Carlas und Joachims Unfähigkeit, miteinander und über Carlas Schmerz zu reden zeigen und die auch die Zerrissenheit Carlas offenbar werden lassen, indem sie sogar für einen Moment mit dem Feuer spielt, vermutlich, weil sie Nähe und Ablenkung sucht.

Zur Charakteristik der Personen:

Frank ist mir – wie auch schon anderen - als Person nicht gut nachvollziehbar: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der mich gerade noch tröstend in den Arm genommen hat, weil er meine Trauer erfasst hat, dann durch sein Handeln (Besuch, um die Neuigkeit zu verkünden) meine Wunde so stark aufreißt, dass ich vollends zurückgeworfen werde in mein Leid. Wenn er die Anteilnahme nur gespielt hat, dann müsste dies mMn schon in der Szene im Laden deutlicher werden. Denn hier sieht es ja so aus, als handle er zwar aus seinem Begehren heraus, aber ist auch gleichzeitig der, der ihren Kummer erfasst und sie in den Arm nimmt:

„Komm mal her!, sagt er und zieht mich in seine Arme

Alles nur Kalkül?

Joachim kann ich mir besser vorstellen: Er ist der Mann, der kocht, obwohl er nicht kochen kann, unbeholfen das Gespräch sucht, auf Floskeln zurückgreift, Fragen stellt, die hilflos und dumm wirken:

Was is’n los mit dir?
und dafür aggressive Antworten erhält:
„Ach, du hast es schon vergessen.“ Ich werde laut: „ Man hat mir mein Kind aus dem Leib geschnitten.“
Was bleibt, ist das Bild eines unbeholfenen Menschen, der seine Frau nicht mehr versteht, sie nicht mehr erreicht. Fraglich ist, ob er überhaupt eine Chance hat, oder ob sich Carla in ihrem Gefühlschaos schon zu weit entfernt hat. Sein Verhalten scheint mir nachvollziehbar, Carlas Verhalten hingegen finde ich nur dann verständlich, wenn ich davon ausgehe, dass die Unfähigkeit, mit ihrem Schmerz umzugehen, sie unangemessen und zu aggressiv reagieren lässt. Denn Joachim greift sie nicht an, er ist einfach unfähig, sie zu erreichen.

Und dann Carla. Ihr Schmerz über den Verlust des Kindes hat sie traurig, frustriert, zornig und zynisch werden lassen. Sie gibt ihrem schwachen Mann keine Chance, spielt aber gleichzeitig mit dem Feuer, empfindet sogar sexuelles Verlangen. So richtig nachvollziehen kann ich das in Carlas Situation nicht, aber natürlich ist es denkbar. Folgerichtig finde ich nach der ‚Neuigkeit’ den Schluss deiner Geschichte:

Ich weiß nicht, wie ich diesen Abend überstehen soll. Ich sitze nur da, taub und betäubt und warte. Warte darauf, dass mir endlich jemand das Messer aus der Brust zieht, bevor der ultimative Schmerz einsetzt.

Allerdings erschließt sich mir dieser ‚ultimative Schmerz’ nicht so recht. ‚Das Messer aus der Brust ziehen’ bedeutet für mich, den Schmerz wegzunehmen. Wieso setzt dann aber der letzte Schmerz ein.

Noch ein paar Stellen habe ich mir notiert.

„Wie niedlich. Bist du aber süß. Ja, wo is` er denn?“

Ich hätte diese wörtliche Rede weggelassen. Mich reißt besonders die letzte Bemerkung aus der Ernsthaftigkeit des Themas, du beschreitest mit dieser oft gehörten Floskel eine andere Ebene, die mir nicht in die gerade geschaffene Stimmung zu passen scheint. Im übrigen wird das Verhalten der Frauen im vorhergehenden und im folgenden Satz ja schon sehr deutlich skizziert.

Und auch diesen Satz finde ich überflüssig:

Bekannte, Freunde, Wildfremde, Neider?
Ich verstehe seinen Sinn nicht. Gut, Carla denkt ihn, aber wieso? Außerdem verwässerst du mit ihm für mein Empfinden das starke Bild der ‚Krähen’, nimmst mit ‚Neider’ sogar ein neues Thema auf, ohne weiter darauf einzugehen. Lass deine Prota einfach nur ‚Krähen’ denken. Das genügt mMn, um ihre Abscheu zu verdeutlichen und zu benennen.

Die Mutter strotzt vor Selbstbewusstsein. Die Brust geschwollen. Mehr geht nicht. Vielleicht hat sie Grund, die Nase hoch zu tragen.(?) Die Geburt eines gesunden Kindes, Anlass, um zum stolzen Muttertier zu werden? Woher soll ich das wissen?

Wie soll ich diese Äußerung einordnen? Ist es ein innerer Monolog Carlas? Redet sie mit sich selber oder mit einem imaginären Publikum? Sind das ihre Gedanken? Denkt sie: ‚Die Brust geschwollen. Mehr geht nicht.’
Diese Stelle finde ich so, wie du sie hier formuliert hast, nicht so recht gelungen. Sie dient ja dazu, die Prota. zu charakterisieren, ihre Befindlichkeit zu verdeutlichen. Mir fehlt hier eine klare Aussage, aus der ich schließen könnte: Ja, so ist Carla, so geht sie mit ihrem Leid um, das denkt sie über diese Mutter.

Heute ist einer dieser Tage, da kann ich mich mit einer Leidenschaft, die schon lächerlich wirkt, banalen Dingen hingeben.

Wie an einigen anderen Stellen auch, vertraust du hier deinen eigenen Beschreibungen und ihrer Wirkung nicht: Du erklärst dem Leser, wie er das Folgende einzuordnen hat. Dabei zeigst du ja das von dir Angekündigte in den nächsten Sätzen sehr gut, könntest es eventuell sogar noch verstärken, indem du sie nicht aufhören lässt, zu streicheln. Dann brauchte es nämlich der nächsten Erklärung

Ich verliere mich.

gar nicht.


Auch hier:

„Ach, hier steckst du. Sie haben schon nach dir gefragt.“
Sie. Unsere Freunde, Barbara, mein Mann. Eine diskutierfreudige, angetrunkene Meute. Ihr ausgelassenes Lachen dringt durch die angelehnte Tür wie giftiger Qualm. Ich habe die Talkrunde verlassen.

scheint es mir, als wenn du wiederholst, was schon deutlich geworden ist. Das Markierte würde ich rausnehmen, denn dass es sich um Freunde handelt und also auch ihr Mann dabei ist, ist klar, warum also nicht nur: Das ausgelassene Lachen der anderen …’ . Auch dass sie diskutieren, sagst du ja im nächsten Satz, in dem du sogar die Themen benennst. Und dass du die Talkrunde verlassen hast, steckt doch schon in ‚Sie haben nach dir gefragt.’

Liebe peregrina, ich habe mich auf deinen Text eingelassen, weil ich finde, dass du dich hier an ein sehr ernstes, mMn schwer darzustellendes Thema herangewagt hast – und das hast du sehr gut gemacht. Die Stellen, die ich angesprochen habe, kann man so oder so sehen.
Leider geht es auch mir unterm Strich so, dass ich natürlich Frank, aber auch Carla nicht sympathisch finde. Ihre Art, mit der Bewältigung ihres Verlustes umzugehen, kann ich nur teilweise nachvollziehen. Am nächsten kommt mir Joachim in seiner fast trotteligen Hilflosigkeit. Er trägt keine Schuld an der Situation, sucht Carla zu erreichen, indem er auf Floskeln zurückgreift, hat keine Chance. Ja, ihn kann ich mir gut vorstellen.

Eine Geschichte, die in mir ein paar Fragen zurücklässt, u.a. die: Wie hätte ich mich in Carlas Situation verhalten? Was hätte sich in mir abgespielt?

Allein schon deshalb war das für mich ein lesenswerter Text.

Liebe Grüße
barnhelm

Ps: Ich habe meinen Kommentar gestern geschrieben und sehe heute, dass noch zwei Kommentare eingegangen sind, die sich sehr ausführlich mit deiner Geschichte beschäftigen. Vielleicht wiederholt sich deshalb das eine oder andere.

 

Hallo Fraser,

danke für deinen Komm, der mich im Verbund mit den nachfolgenden recht nachdenklich gemacht hat. Ein sensibles Thema, das kann man sagen. Irgendwie regt sich in mir der Verdacht, dass ich doch nicht sensibel genug damit umgegangen bin.

Du sprichst das Wort „Aufzucht“ an. Diese Begriffe aus der Tierwelt habe ich natürlich bewusst gewählt, um Carlas Verachtung zu transportieren. Sie reduziert in ihrer Gedankenwelt die Geburt eines Menschen auf den biologischen Aspekt und schließt die soziale Komponente aus.

Mir sind auch keine Fehler aufgefallen, es liest sich gut. Auch die inneren Monologe finde ich gut.
Womit wir schon zwei wären.
Mein Hauptproblem ist ganz klar: Ich liebe diese angestöpselten Interpretationen der Prota. Damit erwecke ich leider den Eindruck, ich würde meine Leser für unmündig halten.
Mal sehen, wie ich diesen eigenen inneren Konflikt lösen werde. Ist zum Teil ja auch eine Frage des „guten“ Geschmacks.

Und die „Nudelszene“ mag ich auch sehr. In all der Verzweiflung flackert bei Carla so etwas wie Galgenhumor auf.

taub und betäubt. - - > Genau das meine ich mit dem Kokon. Kam gut rüber für mich.
Da freue ich mich, dass ich ihre Abkapselung vermitteln konnte. Kokon ist dafür übrigens ein Synonym, das mir gefällt.

Bevor der ultimative Schmerz einsetzt …“ Das ist irgendwie zu dramatisch für Carla. Vielleicht könntest du diesen letzten Halbsatz einfach weglassen? Würde für mich super funktionieren.
Davor kann ich mich nicht drücken, der muss weg. Mach ich gleich. Der steht exemplarisch für meine Verliebtheit in lautes Wortgeklingel.

Selbstverständlich werde ich mir über die sprachliche Gestaltung Gedanken machen und deine Anregungen einbeziehen. Allerdings halte ich das generell so: Erst alle Vorschläge sammeln, setzen lasse, selektieren, dann die KG sanieren.

Danke für dein Interesse am Text und deine aufmunternden Worte.
Liebe Grüße,
peregrina

Hallo fxdysprosium,

Dankeschön für deine Auseinandersetzung mit der KG und deine resultierenden Eindrücke.

All meine Texte haben einen Bezug zu autobiografischen Geschehnissen. Aber glücklicherweise habe ich kein Kind verloren. Meine Erfahrung bezieht sich hier mehr aufs Pulloverzusammenlegen und Spaghettiessen. Ich kann nicht ausschließen, dass ich die „Franks“ dieser Welt vorführen wollte. Zugegebenermaßen ein primitives Motiv, allerdings unterbewusst.
Deswegen macht mich wohl deine Äußerung

deine Geschichte hat mich sehr berührt.
etwas verlegen.
Ich hab mich so auf die Figurengestaltung und auf die Dialoge konzentriert, dass ich mir nun ein bisschen dämlich vorkomme.

Aber bevor ich mich hier um Kopf und Kragen rechtfertige, lass uns mal den Aufbau der KG ansehen.
Du sagst:

Ich finde die Sprünge teilweise etwas ungünstig. Dieser Wechsel vom Laden zur Feier und schließlich nach Hause, wo plötzlich die Gastgeberin der Feier auftaucht, kam mir etwas unrealistisch vor.
Die Handlung erfordert bestimmte Schauplätze, die immer einen Teil von Carlas Lebensbereich darstellen. So hab ich mir es gedacht. Licht an – Ladenszene – Schmerz wird unterstrichen durch das Streicheln des Pullovers - gegenseitige Sympathiebekundung – Hinweis auf die nahende Geburtstagsfeier – Licht aus. Und so hab ich das weiter gesponnen. Der Leser mag beurteilen, wie geschickt diese Art des Vorantreibens der Handlung ist.

An der Stelle der Protagonistin wäre ich gar nicht erst zu dieser Feier gegangen, weil genau dieses Verhalten, welches sie dort an den Tag legt, eigentlich vorauszusehen ist, wenn ich mich so in sie hineinversetze.
Da gebe ich dir recht. Aber Carla wäre nicht Carla, wenn sie sich den Gesetzen der Logik beugen würde. Sie kann nicht zugeben, dass es ihr beschissen geht, sie will nach außen die Starke mimen, beweisen, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Thema Selbstbetrug.
Außerdem ist sie in ihrem Gemütszustand für Frank „leichte Beute“. Obwohl ich ihre Figur so angelegt habe, dass sie trotz ihrer Trauer durchaus noch selbst bestimmt, wohin die Reise gehen soll.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Protagonistin sich wenigstens gegenüber ihrem Mann öffnet und ihm sagt, wie schlimm sie die Situation und sein damit verbundenes Verhalten findet.
Geht nicht, in diesem Entwicklungsstadium nicht. Carla ist noch nicht bereit, Hilfe anzunehmen.

Den Konflikt mit ihrem Mann hätte ich dafür aber auf jeden Fall noch etwas ausgebaut.
Wenn ich dir jetzt sage, dass ich sogar damit geliebäugelt habe, den Ehemann gar nicht einzuführen, wirst du mit dem Kopf schütteln. Aber ich habe seine Hilflosigkeit gebraucht, um Carlas Verbitterung zu beleuchten und einmal am Esstisch, da musste er als Stichwortgeber herhalten.

Generell hätte ich mir eine Eskalation gewünscht.
Mit diesem Wunsch stehst du nicht alleine. Ich bin noch nicht sicher, wie ich diesen Knoten auflöse. Momentan tendiere ich dazu, die letzte Szene zu killen und einen etwas sensibleren Schluss zu kreieren. Aber auch dabei wird meine Carla ihre Contenance nicht verlieren.
Ganz sicher bin ich, dass sie einen Weg aus ihrer Trauer finden wird, das ist allerdings nicht Gegenstand dieser KG.

Abgesehen davon finde ich deine Geschichte sehr gelungen …
Vielen Dank. Ja, eine Geschichte mit Schwächen und Stärken.
Ich bin schließlich hier im Forum, um die Schwächen aufgezeigt zu bekommen und sie in Zukunft hoffentlich zu vermeiden.

Danke für deine Hinweise und deine Sicht der Dinge.
Bis bald,
peregrina

 

Guten Morgen liebe wieselmaus,

du hast unlängst nachgefragt, wann es wieder mal eine Geschichte von mir geben wird und jetzt haben wir die Bescherung, wenn du schreibst:

deine Prota hat mein Mitgefühl, aber sympathisch ist sie mir nicht gerade.
Das kann sie gar nicht sein. Ihr ständiges unterschwelliges Lamento ist stellenweise nicht auszuhalten. Das Abkapseln, die Lug- und Trugspielchen, die Aggressivität machen sie zu keiner Sympathieträgerin, das war auch nicht der Plan.

Andererseits glaube ich, dass gerade sie so ein stolz- und milchgeschwelltes Muttertier wäre, was sie der jungen Mutter verübelt.
Unbedingt, da stimme ich dir hundertprozentig zu.

Hier sehe ich das Psychogramm einer Frau, die sich durch selbstgeborene Kinder definiert und daher durch die Fehl- oder Totgeburt einen Selbstwertverlust erleidet. Falls das, liebe peregrina, deine Erzählabsicht war, dann ist dir das gut gelungen.
„Psychogramm“ steht hier für mich als Anerkennung für die Charakterisierung von Carla, auch wenn ich sie nicht als Frau sehe, die sich über die Geburt eines Kindes definiert. Sie scheint ja mit ihrem Geschäft eine erfüllende Aufgabe gefunden zu haben. Selbstwertverlust ist zutreffend, aber nur vorübergehend. Die Phase von Trauer, Verbitterung und Sprachlosigkeit wird sie hinter sich lassen. Vielleicht nimmt sie professionelle Hilfe an oder denkt über Adoption nach.

Sprachlich hat mir der Text gut gefallen.
Ich nehme deine Meinung mal dankend hin. Ohne Reduktion, Nachschleifen und Polieren, geht es auch hier nicht ab. Mir fehlt da einfach die Übung. Dafür schreibe ich viel zu wenig. Allerdings will ich darauf achten, dass beim Überarbeiten dieser verbitterte Grundton nicht verwässert wird.

Liebe wieselmaus, vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text und deinen Leseeindruck. Und vielleicht konnte ich ja deine Aversion gegen den narzisstischen Ich-Erzähler ein bisschen aufbrechen.

Wir lesen uns, bis dahin liebe Grüße, ein (enkel)kinderreiches Wochenende,
peregrina

 

Streicheleinheiten für tote Dinge,

liebe peregrina,

ist für mich der Schlüsselsatz, stürzt doch die tote Geburt wie jeder Leichnam vom Personenrecht, das die lebendige Leibesfrucht gerade eben noch schützte, ins Sachenrecht und die buchstäbliche Verdinglichung.

Ich beobachte die Straßenszene mit Interesse, fühle mich gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Die Mutter strotzt vor Selbstbewusstsein. Die Brust geschwollen. Mehr geht nicht. Vielleicht hat sie Grund, die Nase hoch zu tragen. Die Geburt eines gesunden Kindes, Anlass, um zum stolzen Muttertier zu werden? Woher soll ich das wissen?

„Stolz“ ist nicht nur eine gefährliche Haltung, sondern auch ein böses Wort, bedeutet es doch in seinen Anfängen (ahd. stolz: hochmütig [bis hinein zum mittelniederländischen stout „verwegen, kühn“, vor allem aber „hochmütig“ und heute sogar „unartig“, aber im nl. bistu sicherlich bewanderter als ich]. Nicht nur der Herkunftsduden (das grimmsche Wörterbuch mit seinen mehr als vierzig Seiten zum adj. stolz will ich denn mal nicht anrühren, droht es doch anschließend zugleich mit dem Stichwort Stolz, mask.) sieht wohl seine ursprüngliche Bedeutung in „steif aufgerichtet (gehen)“ und damit die Nähe zur Stelze, bei der uns allen wahrscheinlich der Volksmund ins Ohr flüstert, Hochmut komme vor dem Fall, wenn die Zwangsgemeinschaft aus Mutter und Säugling erste Krisen zeigt, wie jede andere Beziehung auch.

Insgesamt, wenn schon kein heißes, so doch scharfes Thema. Da ist es ganz gut, dass ein emotionaler Kühlschrank vorbeischaut und nüchtern einige Flusen aufhebt, zumindest „anstößt“

„Komm mal her![“,] , sagt er …
Mit den Gänsefüßchen hastu es, hier fehlen wahrscheinlich beide (oder ich versteh was miss)
Carla, Schatz, sei doch nicht so verbiestert. Was is’n los mit dir?

Hier läuft was daneben, die Endung des Gesprächsattributes spricht für Plural „Gespräche“
Das Thema ein nie versiegender Quell ermüdender Gespräch, wieder und wieder neu beleuchtet, durchgekaut.

Und zum Schluss noch'n Komma
Joachim kümmert sich um Sektschalen[,] während wir Platz nehmen.
Während – konjunktion der Gleichzeitig- oder Gegensätzlichkeit. Komma wie bei "als", die vergleichende Konjunktion, die auch zur Gleichzeitigkeit herangezogen wird statt des "während".

Die Flusen werden merklich weniger, kein Grund, nicht immer wieder in die gute Stube hineinzuschauen.

Gruß & schönes Wochenende vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lem Pala,

danke für deine Einschätzung meiner KG.

Zuerst einmal Gratulation zu der gelungenen Geschichte.
Solche Worte machen natürlich froh und bauen auf in dieser Phase kurz nach dem Einstellen des Textes. Da ist ja bekanntlich die Unsicherheit die vorherrschende Empfindung, alles steht in Frage. Mit geht es jedenfalls so.

Ich war beim Lesen tatsächlich so von deiner Protagonistin gefangen, dass ich ihre Reaktionen und Gedanken gut nachvollziehen konnte …
Das war mir auch wirklich wichtig, dass die Dame nicht blutleer bleibt. Irgendwie habe ich eine meiner Schwächen in Stärke umgewandelt. Ich habe den mir eigenen Zynismus zur Zeichnung von Carla missbraucht. Wobei man sich spätestens jetzt streiten kann, ob das einen Autor auszeichnet, wenn er eigene Züge zu stark einbringt. Mogelpackung?

Storytechnisch bist du den richtigen Weg gegangen und hast einen interessanten und spannenden Text abgeliefert.
Auch darauf hatte ich Wert gelegt. Wollte zumindest den Leser darauf neugierig machen, wie geht Carla in der veränderten Situation mit ihrem Verlust um und lässt sie noch mehr Annäherung zu.

Ich find allerdings, dass du da noch viel weiter hättest gehen können. Der Boden für ein gewagtes Ende ist bereitet.
Das stimmt, du stehst mit deiner Meinung nicht alleine. Da kränkelt die Geschichte offensichtlich. Ich befürchte, die vorher erzeugte Spannung fällt mir auf die Füße.
Einerseits erwartet der Leser Nervenkitzel und Eskalation und andererseits nimmt er mir aber das Auftauchen des befreundeten Ehepaars und die Feierlaune nicht ab. Du siehst mich gerade einen mentalen Spagat machen, will sagen, ich weiß noch nicht, wie ich aus der Nummer herauskomme. Wahrscheinlich muss ich ein bisschen mit dem Text experimentieren.

Am Rande gebe ich zu bedenken, wenn ich bei Carla die rachsüchtige, kriminelle Seite zum Leben erwecken würde, wäre es nicht mehr die Geschichte, die ich erzählen wollte.

Lieber Lem Pala,
du siehst mich noch unschlüssig, was das Ende betrifft, aber dankbar für deinen Komm, weil du mir klar starke Seiten und Schwachstellen der KG aufgezeigt hast.

Liebe Grüße,
peregrina

Hallo bernadette,

genau mit dieser Verunsicherung gehe ich in die Beantwortung deines Komms, für den ich dir herzlich danken möchte.

Du sagst:

die Geschichte hat mich angesprochen. Vielleicht sensibilisiert sie die eine oder den anderen auch etwas für dir Thematik der Ungeborenen-Trauer.
Ja, das wäre zu wünschen.

Ich kann fast nicht glauben, dass es so Trampel wie Babs und Frank geben soll, die zum Feiern zu einem Ehepaar kommen, die ein Kind verloren haben.
Ich fühle mich ertappt, genau wie im nachfolgenden Hinweis, der sich auf die Begegnung mit der jungen Mutter und dem Rückblick auf den Klinikaufenthalt bezieht.

Mir wird nicht ganz klar, in welcher Situation das gewesen sein soll. Lag sie schon hochschwanger dort? Dieser Absatz hinterlässt bei mir ein großes Fragezeichen.
Du deckst mit wenigen Fragen mein generelles Problem auf.
Welche Infos, welche Dosis und an welcher Stelle gebe ich sie dem Leser. Da besteht eine große Unsicherheit bei mir. Und da passiert es eben, dass ich zu der Überzeugung komme, der Leser braucht nicht mehr zu wissen, der denkt sich den Rest zusammen. Aber genau an der Stelle würden Fakten für Klarheit sorgen, die ich leider im Vorfeld für mich nicht eindeutig abgeklärt habe. Meine Wankelmütigkeit sieht man dem Text an. Das Konzept ist im Ansatz gut, aber nicht ausgereift.
Meine Entscheidung: Klarer Cut, die Straßenszene wird gekillt, da die eingeführte Person (junge Mutter) ohnehin keinen dramaturgischen Nutzen hat.

Es ist Wahnsinn, wie ich mich über der Auseinandersetzung mit dem Text einer Lösung nähere. Ich denke, um meiner Geschichte und meiner damit verbundenen Intention treu zu bleiben, dass in der Schlusssequenz die Neuigkeit mit Einfühlungsvermögen überbracht werden muss. Der Schmerz bleibt für Carla der gleiche.
Könnte sein, dass ich deinem Wunsch nach radikalerem Ende damit nicht entsprechen werde, aber deine Kürzungsvorschläge werde ich auf jeden Fall berücksichtigen.
Und was die Fragesätze anbelangt, die finde ich mittlerweile nur noch albern. Also, weg mit den Schätzchen.

Danke fürs Augenöffnen.
Es braucht eben seine Zeit, bis jeder Hinweis wie ein Puzzleteilchen genau an die richtige Stelle fallen und dort wirken kann.

Einen schönen Sonntag wünscht peregrina

Hallo hell, barnhelm und Friedrichard,

ich bitte um „Absolution“ für meine Langsamkeit. Die Antworten kommen garantiert, nur mit Verspätung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe peregrina,

ich muss gestehen, dass ich vor dem Lesen deiner Geschichte die Kommentare überflogen habe, jedoch bin ich darum ganz froh, denn so kann ich das schlimme Schicksal deiner Protagonistin losgelöst von dir betrachten und auf mich wirken lassen.

Du äußerst in einem Kommentar die Befürchtung, nicht sensibel genug mit der Thematik umgegangen zu sein. Das sehe ich anders, wenn auch mit Ausnahmen.

"Streicheleinheiten für tote Dinge. Ich verliere mich." -> Wow, da läuft's mir kalt den Rücken runter. Ich finde das sehr berührend!Gleiches gilt für das Gleichnis des Laubs, das sich ein letztes Mal im fahlen Laternenlicht aufbäumt. Das sind Sätze wie Schläge, nein, eher wie Stiche, die direkt das Herz treffen. Meines zumindest.
Was das Laternenlicht unabhängig davon angeht, ist das zwar ein einleuchtendes Zeichen für die vergangenen Stunden, nur hätte ich mir an dieser Stelle noch mehr gewünscht. Da reicht mir irgendwie auch der Absatz nicht, denn ich finde es irritierend, dass Frank direkt wieder kommt, obwohl er gerade erst gegangen ist.

"..., darin bin ich keine Versagerin." -> Beinahe die gleiche Kategorie, nur noch 'ne Schippe härter. Das falsche Gefühl, man trüge die Schuld am Verlust des ungeborenen Kindes, muss furchtbar sein. Als ahnungsloser Außenstehender würde ich sie gerne in den Arm nehmen, ihr dieses quälende und falsche Schuldgefühl abnehmen, nur befürchte ich, dass dazu niemand in der Lage ist. Nicht mal jene Menschen, die ihr nahe stehen. Selbst wenn sie emphatischer wären, als du sie gezeichnet hast. Also die Mitmenschen deiner Prota. und nicht deine Prota. selbst.

Das waren jetzt kurze Beispiele dafür, was mich sehr berührt hat. Das Ende hat mich ebenfalls total getroffen. Das habe ich mit offenem Mund gelesen. Deine arme Prota. und der rücksichtslose Frank, das Arschloch. Nur hat deine Protagonistin bis zum Ende leider auch den ein oder anderen Sympathiepunkt verloren ...
Dass mir Frank, der Stoffel, nicht sympathisch ist, wusste ich bereits bei seinem ersten Auftritt, als es dann aber zwischen den beiden "zur Sache" geht, verschiebt sich das auf deine Protagonistin.
"Bis in alle Ewigkeit nur noch begehrt werden." -> Dass sie Trost sucht, ist legitim, aber das empfinde ich als too much. Das ist wie ein Bruch zu den vorherigen Gefühlen. Dass sie es genießt, begehrt zu werden, ihr das vielleicht sogar vorübergehend hilft, sich nicht mehr als Versagerin zu fühlen, kann ich noch - und wenn nur bedingt - nachvollziehen, aber diese Begierde der Ewigkeit ist mir too much. Ich wiederhole mich, weiß aber nicht, wie ich das anders ausdrücken könnte. Stört mich echt der Satz.

Noch mehr stört mich aber die Sache mit Joachim ... Du gibst ihm gar keine Chance zu zeigen, wie er mit dem riesigen Verlust umgeht. Das, was du von ihm offenbarst, rechtfertigt nicht die Gefühle, die deine Protagonistin ihm gegenüber hegt. Du erwartest, dass wir an ihrer Seite stehen, aber machst keine Andeutungen, warum sie sauer auf ihn ist. Stattdessen lässt du sie ein Techtelmechtel mit Frank beginnen, der von vornherein wie ein gefühlloser Klotz Oberflächlichkeit auftritt.
Das hat mich sauer gemacht, denn ich kann es wirklich nicht verstehen. Sicherlich trifft man in einer solchen Situation nicht immer die besten Entscheidungen, aber ich würde wirklich gerne mitfühlen und das kann ich so eben nicht. Wohlgemerkt nur, was die Partner- und Affärenebene betrifft.

Mir sind noch ein paar Kleinigkeiten aufgefallen.

Absatz 1: hat sich nach dem "wo is'" ein Leerzeichen zu viel eingeschlichen, oder liegt das nur an meiner Handyansicht?
Absatz 3: Nach "Komm mal her" fehlt das Anführungszeichen zwischen Ausrufezeichen und Komma.
Absatz 4: "Das Thema ein nie versiegender Quell ermüdender Gespräch, wieder und wieder neu beleuchtet, durchgekaut." -> Den Gesprächen fehlt ein "e", glaube ich. Dass das Thema ein Quell voll Gespräche ist, finde ich außerdem seltsam formuliert und der Satz gefällt mir insgesamt ohnehin nicht.
Absatz 5: "Carla, Schatz, sei doch nicht so verbiestert. Was is’n los mit dir?" -> Da fehlen die Anführungszeichen.

Ich hoffe, du kannst mit meinem Kommentar etwas anfangen, und hoffe, dass meine Probleme so bei dir ankommen, wie ich sie empfunden haben. Von ihnen abgesehen hat mich deine Geschichte nämlich sehr berührt und beschäftigt. Wahrscheinlich äußere ich sie nur deshalb so konkret, weil ich mir gewünscht hätte, mein Bild deiner Protagonisten würde sich auch an den von mir bemängelten Szenen bestätigen. Ich hätte gerne zu 100 Prozent bedingungslos mitgefühlt und nicht nur zu 60. Die Prozentangaben sind übrigens ohne Gewähr, denn im Großen und Ganzen habe ich deine Geschichte sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße,
JackOve

 
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Hallo hell,

danke für deinen Komm. Ich hab mich wirklich gefreut, von dir zu lesen.
Im Prinzip schneiden bernadettes, deine und barnhelms Messer tiefer und schmerzhafter ins Fleisch der KG, dorthin wo’s wehtut. Du empfiehlst eine Menge Kürzungen.

Doch der Reihe nach.

ich finde das ein gutes Thema, dem du dich ansprechend näherst.
Danke sehr, und schon sind wir beim ABER

mir würde allerdings besser gefallen, wenn du alles ein wenig subtiler gestaltet hättest.
Für mich nachvollziehbar.
So eine subtile Geschichte, die immer in der Schwebe bleibt, wo der Leser mehr Fantasie, mehr eigene Ideen einbringen muss, die wäre sicher prickelnd, die traue ich mir jedoch nicht zu.
Noch habe ich große Probleme damit, wichtige von belanglosen Informationen zu unterscheiden und sie gut im Gesamttext zu platzieren.

An diesem Beispiel kann man das festmachen:

Hastig biege ich in das Seitengässchen ab, damit … Ob sie mich erkannt hat? … Bettnachbarinnen. Bettgeflüster … Unsere Sorgen und Ängste machten uns zu Verbündeten … In einer Zeit, in der die Hoffnung noch greifbar war…
Und so weiter. Da habe ich viel Zeit investiert, um dem Leser vorsichtig mit Carlas Dilemma vertraut zu machen, um ihm genau die richtige Dosis an Informationen zu verpassen.
Klar, war ich selber im Zweifel, ob die Person der jungen Mutter geeignet ist, den Klinikaufenthalt von Carla zu erklären und sie verschwindet ja auch sehr schnell in der Bedeutungslosigkeit. Was zu beweisen war: Ich werfe mit meiner Geheimniskrämerei mehr neue Fragen auf, als ich beantworte, wie bernadette treffend bemerkt hat. Und auch du schlägst radikales Ausmerzen vor, in dem du sagst:
… diesen Abschnitt finde ich nicht zielführend.
Zielführend nicht, aber wenigstens irreführend. Da erwartet der Leser einen brodelnden Konflikt zwischen den beiden „Bettgefährtinnen“.

Mir hätte das gereicht, um die nötigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Da hab ich einen kleinen Einwand auf Lager. Das Verständnis des Lesers hängt doch sicher von Intelligenz, Einfühlungsvermögen, eigenen Erfahrungen (im Leben und beim Lesen) ab.
Na ja, trotz meiner anfänglichen Zweifel hab ich zwei Abschnitte eiskalt gestrichen. Es fehlt nun nichts Existenzielles, ich denke, es funktioniert sogar besser. Allerdings hoffe ich stark, dass alle Leser in der Lage sind, die gleichen Schlussfolgerungen wie du zu ziehen. Sonst hab ich ein neues Problem.
Erkenntnis: Ich stehe (noch) zu subtilen Texten wie der Teufel zum Weihwasser.

Weiter geht’s:

Die Innenschau ist mir too much …
Innenschau: ja, die wollte ich unbedingt. Ich denke, die Art der Geschichte und die Wahl der Ich-Erzählerin schreien geradezu nach angefügten Wertungen, die Carlas (zynische) Wahrnehmung und auch alle Arten ihrer Verzweiflung unterstreichen.
Eine sehr spezielle Sicht, ich weiß, aber in diesem Punkt muss ich mir und meiner Idee unbedingt treu bleiben. Ist irgendwie ein gestalterisches Element. Die Frage ist: Welche Dosierung ist vertretbar?
Und da wollen wir mal hoffen, dass ich hier das rechte Kürzungs-Maß gefunden habe, denn ich erkenne auch, wenn ein Anhängsel an das nächste klatscht, kann das sehr belehrend wirken und der Leser kann schnell genervt sein.

… und das Ende ist ausbaufähig …
Sogar in unterschiedliche Richtungen, aber hier wollte ich im Prinzip die totale Erstarrung Carlas zeigen.
Was mich mehr beschäftigt, ist die Unglaubwürdigkeit. Nun hab’ ich das Ende dahin gehend überarbeitet, dass doch mehr Feingefühl der Freunde einfließt. Kannst ja mal gucken, wenn du möchtest.
Wer hier Nervenkitzel durch Raserei, Rache und Amoklauf erwartet, wir sehr enttäuscht sein. So habe ich die Figur Carla nicht angelegt. (Die Kohlensäure im Sektglas hat mehr Temperament als Carla.)
Und ich muss gestehen, für subtile, ausgefallene, noch nie da gewesene Kreationen bin ich ein hoffnungsloser Fall von Fantasielosigkeit.

Vielleicht findet sich in meinem Komm der eine oder andere Denkanstoß für dich.
Und ob! Wie du siehst, hab ich viel gegrübelt.

Viele deiner Hinweise hab ich berücksichtigt, natürlich soweit ich es vertreten konnte. Noch habe ich nicht vergessen, wie gut deine feinen, stilistischen Tipps meiner letzten KG getan haben. Als bloßen Lesereindruck werde ich deinen Komm bestimmt nicht einstufen.
Vielen Dank noch mal für deine Gedanken und die Nachtschicht, die du eingeschoben hast, um mir zu posten.

Wir lesen voneinander.
Liebe Grüße peregrina

 

Liebe peregrina,

Ich finde, du hast jetzt eine sehr gute Lösung gefunden, wie du deine Prota als ursprünglichen Entwurf gerettet hast und sie glaubwürdig mit Frank und Joachim umgehen lässt. Beide Männer kommen mir jetzt sehr realistisch gezeichnet vor, gerade in ihren Vermutungen, was Carla unbedingt braucht, um aus ihrer Erstarrung zu finden.
Ich denke,Carla braucht noch eine Weile, bis sie sich gefangen hat. Das sollte ihr erlaubt sein. Jedenfalls ist sie mir nicht mehr unsympathisch. Das ist dein Verdienst.

Es ist eine gute Geschichte schon von Anfang an, aber jetzt geschliffen und poliert.

Herzlichst
wieselmaus

 

Liebe peregrina,

ich kann mich wieselmaus nur anschließen: Die Kürzungen und Änderungen haben deiner Geschichte gut getan. Das ist jetzt eine runde Sache geworden, das liest sich flüssig und auch das Personal ist vorstellbar. Ich kann mich als Leser in die Gedanken der Protagonistin hineinversetzen und ihr Handeln (wie auch das der anderen) gut nachvollziehen.

Ohne Einschränkungen jetzt: gerne gelesen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Liebe wieselmaus, liebe barnhelm,

danke euch beiden für die Rückmeldungen. Ich bin geplättet. Eure Einschätzung tut mir gut und nun kann ich meine umtriebige Unruhe getrost ablegen.

Nach meinem Geschmack mangelt es hier im Forum oft an Feedbacks nach der Überarbeitung. Viele Autoren arbeiten ernst- und gewissenhaft an ihren Texten und dann lässt man sie im Regen stehen (oder die Meinung wird über PN unter Ausschluss der Öffentlichkeit transportiert, das kann ich nicht wissen).
Mir ist das ja nun glücklicherweise nicht widerfahren, ihr habt den Regenschirm aufgespannt, dafür danke ich euch.

Liebe barnhelm, ein zweiter Komm von dir, bevor ich den ersten beantwortet habe, das rechne ich dir hoch an. Aber versprochen, die Antwort folgt bald.

Auch euch, Friedrichard und JackOve, habe ich nicht vergessen, ich bitte um Ausdauer.

Liebe Grüße,
peregrina

 

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