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Metamorphose

MMM

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04.05.2009
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Metamorphose

Mit krachender Wucht schlägt ein riesiges Trumm schwarzen Stahls durch das Dach. Der Holztisch im Esszimmer birst, ein Stuhl, mit buntem Stoff bespannt, kippt um. Schon erreicht ein weiterer kraftvoller Stoß den Flur im Erdgeschoss. Im Wohnzimmer kippen Schränke, verschieben sich Wände und die rohe Gewalt, die sich unabwendbar ihren Weg bahnt ist stärker als jene geringe Robustheit, die bislang genügte, zu verhüten, dass Kopf und linker Arm der kleinen Eliza sich von ihrem Körper abtrennen. Im Musikzimmer spielen weitere Schläge des monströsen Hammers auf dem Flügel ein erbärmliches Requiem voll grässlicher Laute, die diese Orgie unübertroffener Zertrümmerung zu begleiten. Einst erfreute er mich mit verzückenden Klängen, doch nun muss auch dieses kunstvoll gefertigte Instrument das Heer aus Staub und Splittern vermehren, das dieses Puppenhaus nun reichhaltig nährt. Nicht ein Regal und nicht eine Wand entgehen mir. Auch nicht einer seiner Bewohner, denn heute ist der Tag, an dem ich keine Gnade kenne. Ein fester Tritt macht das Obergeschoss zum Parterre. Diese kleine Welt, die ich mit Hingabe über Jahre hinweg erschaffen hatte, erlebt heute ihren jüngsten Tag. Es war eine Welt ohne Sünde, doch sie muss nun vergehen. Und ich bin ihr zorniger Gott!

Es schmerzt, zu vernichten, worin ich so viel Liebe gelegt hatte. Doch das nützt jener sterbenden Welt nichts mehr, es steigert lediglich meine Wut. Was untergeht ist ein Teil von mir, ein Teil, der ich nicht sein darf, nie sein durfte; ein Teil, der ich nun auch nicht mehr sein will. Puppenhäuser sind für Kinder, außerdem für Mädchen. Ich bin jetzt ein junger Mann.

Die nun freie Stelle auf dem Schreibtisch nimmt schnell mein neuer Rechner in Anspruch. Statt mit Puppen zu spielen, lese ich viel über Mathematik, über Programmierung sowie Literatur und über Kunst. Nicht alles davon lese ich gerne, aber es hilft mir, zumindest manches davon, eine Arbeit zu finden: Dreidimensionale Berechnung von Röhren- und Leitungssystemen, nicht immer bereitet mir das Langeweile, doch spannend oder gar anregend ist es so gut wie nie. Immerhin erlaubt mir der Lohn, eine Wohnung zu kaufen und einzurichten. Im Esszimmer steht ein großer Holztisch, zwar konnte ich Stühle, die mir wirklich gut gefielen, nirgends entdecken, dafür gefallen diese meiner Frau. Für einen Flügel fehlen Platz und Geld. Spielen könnte ich ihn übrigens auch nicht. Ich bin trotzdem überaus zufrieden mit der Wohnung.

Es war ein gelungener Abend, unsere Freunde sind vor wenigen Minuten aufgebrochen. Da ich morgen in der Firma einige meiner Berechnungen vorstellen werde, gehe ich zu Bett. Meine Frau fragt mich, warum ich nicht glücklich sei. Sie kennt mich zu gut, als dass sie es hätte übersehen können. Ich fühle die Ahnung einer Antwort: Ein Teil von mir ist vor langer Zeit gestorben.

Vorsichtshalber möchte ich mir noch einmal die Konstruktionspläne ansehen, ich stehe wieder auf und starte den Rechner. Mit den Röhren ist alles in Ordnung, dennoch verändere ich vorsichtig ihre Form. Eine Röhre wächst zur Seite, bekommt Füße. Nun geht es an die Farbe, sie wird glänzend schwarz. Messingfarbene Pedale dazu, hinten abrunden, vorne eine Klaviatur einfügen. Die Programmierung der Tasten dauert eine Weile, bereits in einer Stunde wird der Wecker klingeln. Ich habe einen Flügel geboren.

Und ich spiele darauf! Meine Kunstfertigkeit ist es nicht, die die Künstlichkeit meines Werkes verhüllt. Nüchtern betrachtet, wirkt es sogar etwas ungelenk und grob. Die von Sehnsucht getriebene, bemerkenswerte Kraft meines Geistes ist es, die jenen Umstand überdeckt. Im Lauf der Zeit habe ich eine umfangreiche Sammlung an Musik erworben, es sind großartige Werke darunter. Aber noch niemals zuvor hatte Musik mir ein solch durchdringendes Erleben, eine derartige triumphale Glückseligkeit beschert, wie sie es ihr in diesem Moment gelingt. Ich bin wieder ich.

 

Salve MMM,

erst einmal herzlich willkommen auf KG.de.

Das Thema, das Du Dir ausgesucht hast, ist nicht uninteressant. Ein junger Mann der sensibleren Sorte reißt sich das, was er liebt, aus dem Herzen, um der gesellschaftlich akzeptierten Norm von "Mann" zu genügen.

Der Hass, mit dem er sein selbstgebautes Puppenhaus zerschlägt, offenbart einen gigantischen Selbsthass auf seine weiche Seite.

Zum Schluss dann die Wiederentdeckung dieser Sensibilität.

Viel stärker wirkte das ganze mE, wenn Du es in eine richtige Geschichte verpacken würdest: also mit mehreren agierenden, redenden, denkenden Protagonisten, ausgestalteten Szenen und dergleichen.

Sprachlich langst Du im ersten Abschnitt zu sehr in die Vollen: ein wenig Zurückhaltung wäre hier wohltuend. Den zornigen Gott, der eine sündlose Welt zerstört, finde ich z.B. zu dick aufgetragen, da wirkt der Prot eher pathetisch als entschlossen.

Unklar bleibt, warum der Prot nie wirklich Kind sein durfte, bzw. warum er dies so empfand. Das klingt im Augenblick zu sehr pauschalisierend nach "Mami ist an allem Schuld", "ich wurde nie wirklich geliebt" und "warum hat Gott das zugelassen".

Unklar ist mir auch, warum der Prot erst an diesem Abend unglücklich ist, wenn er doch schon vor langer Zeit seelischen Suizid begangen hat. Oder eben, warum seien Frau es erst jetzt wahrnimmt.

Wie gesagt, konkreter wäre mE bei diesem Thema besser.

LG und viel Spaß noch im Forum, Pardus

 

Hallo Pardus,

danke für die Kritik. Es ist für mich interessant zu sehen, wie andere die Geschichte aufnehmen.

Den ersten Abschnitt habe ich bewusst so gestaltet, er soll einem reinen intensiven und ungehemmten Gefühl Raum bieten.

Du schreibst, es sei unklar, warum der Erzähler empfindet, nie wirklich Kind sein gedurft zu haben.
Die Puppenwelt ordne ich nicht als Kindlichkeit sondern als Bestandteil seines Wesens ein. Warum er so empfindet, erachte ich nicht als wichtig.
Bedeutung hat aus meiner Sicht, dass sowohl von außen als auch von innen die Akzeptanz dieses Wesenszuges herausgefordert werden und dass diesem Stimulus nachgegeben wird -- mit den sich daraus ergebenden Folgen.

Ebenso ist es meiner Meinung nicht von Bedeutung, warum die Entwicklung erst an einem bestimmten Abend in relevanter Weise weitergeht. Vielleicht wird der Zustand erst deutlich, wenn alles andere stimmt, vielleicht benötigt es auch Zeit, bis die entsprechenden Gefühle vom Erzähler wahrgenommen und zugelassen werden.

Verdünnten ausgestaltetere Szenen nicht den Inhalt?
Lenkten mehrere Protagonisten, die agieren und reden, nicht davon ab, dass das Wesentliche, insbesondere die Verwandlung des eher plumpen Computererzeugnisses in einen Flügel, der wundervolle Töne hervorbringt, im letzten Abschnitt im Geist des Erzählers stattfinden?

 

Verdünnten ausgestaltetere Szenen nicht den Inhalt?
Nö. Wenn es mir um Inhalt ohne Szenen geht, lese ich ein Sachbuch. Die Kunst am Geschichten erzählen ist ja gerade, den Inhalt in Worten, Bildern und Szenen, oder auch durch künstlerischen Gebrauch von Sprache sichtbar zu machen. Es für den Leser greifbar und begreifbar zu machen, einem instinktiven Verständnis zugänglich.

Wenn ich ein Passfoto von Marlene Dietrich sehe, ist es einfach nur eine hübsche Frau. Wenn ich sie in einem Film sehe, wird ihre Präsenz ganz anders spürbar.

Und im ersten Abschnitt kann der Prot nicht voll exaltierter Emotionen drauf los schlagen, weil es nämlich gerade die emotionale Seite ist, die er in Trümmer legt. Er müsste vielmehr besonders kalt in seinem Hass wirken.

 

Lieber trippel M

Im Musikzimmer spielen weitere Schläge des monströsen Hammers auf dem Flügel ein erbärmliches Requiem voll grässlicher Laute, die diese Orgie unübertroffener Zertrümmerung zu begleiten.

ohne zu

Da sind einige Sätze, gerade am Anfang, die unnötig unbeholfen zu lesen sind und teilweise nicht direkt mit der Handlung in Verbindung stehen. Da kannst du noch viel feilen, aber das macht nichts. Der Einstieg ist ja auch dekonstruktiv, immerhin wird gerade etwas zerstört.

Danach wird die Sprache, genau wie der Prot, gemäßigter, gesetzter. Das hast du gut gemacht. Das Ende ist dann ohne Pauken und Trompeten, einfach nicht da. Das ist Geschmachssache, mir gefällt auch das.

Zur Diskussion:

Wenn du in der Ich Perspektive schreibst, ist eine richtige Erzählung, wie es Pardus vorschlägt, wohl angebrachter. Wenn du bei dieser Art von Geschichte, die sich "Psychogramm" nennen kann, bleiben möchtest, würde ich zur dritten Person raten, also zu einer psychologisierenden ERzählperspektive. Der Erzähler kann unsichtbar, oder gar ein Nachbar, vielleicht sogar die Frau oder dergleichen sein.


lieben Gruß

 

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