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Method Acting
Eine Minute und die Uhr tickt.
Sechzig Sekunden zwischen dem Jetzt und der Unendlichkeit. Die roten Ziffern der Digitaluhr brennen sich in meine Netzhaut, zählen meinen Countdown unerbittlich herunter. Die Klappe öffnen, vier Schrauben. Meine Hände zittern nicht, der Kopf ist klar. Für so was bin ich trainiert, wurde ich ausgebildet. Fünfundfünfzig Sekunden. Die erste Schraube ist gelöst. Nummer zwei und drei sind ein Kinderspiel. Die vierte nicht.
"Scheiße!"
"Was ist los?"
"Das Gewinde is ausgenuckelt."
"Oh Mann, bitte nicht. Ich will heute nicht sterben..." Sein Gesicht hat mich schon immer irgendwie an einen Haufen Frikadellen erinnert. Meinem Partner rinnt der Schweiß von der Stirn, sein Atem riecht nach Currywurst. Ein Held, wie er im Buche steht.
"Niemand will das, Dick. Niemand möchte heute sterben."
"Wusstest du, dass meine Tochter heute Geburtstag hat? Die kleine Mary wird sieben. Sie wünscht sich nichts mehr, als dass ihr Vater pünktlich zur Party kommt. Willst du wissen, was ich ihr schenke?"
"Nein."
"Freitag ist mein letzter Tag in diesem Verein. Ich mache ihr meine Pensionierung zum Geschenk. Nie wieder Terroristen in den Arsch treten. Nie wieder Bomben. Ab jetzt gibt es nur noch meine Frau und meine kleine Tochter." Die vierte Schraube gibt nach, ich reiche ihm den Deckel. Zwei Kabel, rot und grün. Wie immer. "Bitte schneid den Richtigen durch. Sorg dafür, dass Mary einen schönen Geburtstag hat." Mein Partner sieht mir treuherzig in die Augen und legt seine Hand auf meinen Arm. Ich versuche, heldenhaft zu grinsen und ringe mir ein aufmunterndes Zwinkern ab. Sieben Sekunden auf der Uhr. Sechs Sekunden warten, Seitenschneider anlegen.
"Ich schneide immer den richtigen Draht durch", sage ich und rette die Welt. Wie immer.
"Cut! Jack, das war großartig. Ganz fantastisch, richtig emotional und so. Ich hatte Gänsehaut. Echt." Frank ist so was wie ein Regisseur. Zumindest sitzt er die ganze Zeit in seinem Stuhl, schreit irgendwelche Leute an und kriecht meinen Kollegen in den Arsch. Mir nicht. "Was dich angeht", sagt er stattdessen zu mir, "da muss noch mehr kommen. Ich sehe dein Gesicht, ich höre deine Worte, aber ich fühle sie nicht. Verstehst du? Das kommt irgendwie nicht rüber."
"Sicher. Noch mal?"
"Jack, was meinst du?" Jack, der im Gegensatz zu mir nach der Klappe sofort von einer dieser ebenso hilfreichen wie offenherzigen Assistenztussis abgetupft wurde, beißt in seine Currywurst.
"Ich glaub, der is einfach nich richtig in seiner Rolle drin. Bisschen mehr Method Acting nächstmal." Ich geb dir gleich Method Acting, du verkackter Zelluloidpuper. Ich hab schon für Sören Achterberg Teekannen gespielt, da hast du dich noch an deinem Popcorn verschluckt und Sharon Stone zwischen die Beine geglotzt. Denkst wohl, nur weil du hier die Hauptrolle hast und dein Name im Vorspann silber geschrieben ist, kannst du hier einen auf Malkovich machen. Nichts da, mein Freund. Ich komm zwar erst nach dem Filmtitel im Vorspann, dafür überleb ich aber wenigstens.
"Vielleicht hast du Recht. Sorry", sage ich stattdessen. Hier geht es nicht um Ehre, hier geht es einfach nur darum, nächsten Monat die Stromrechnung bezahlen zu können. Wenn man seine Karriere damit verbracht hat, Experimentalfilme für den skandinavischen Markt zu drehen, kann man zwar sicher sein, Aussagen zu transportieren, aber Brötchen werden woanders verdient. Der Postmann klappert um Mitternacht, da hab ich zusammen mit Ingmar Lindström gespielt. Drei Stunden, eine Kulisse, keine Dialoge. Nur eine tickende Uhr im Hintergrund und ich spielte die personifizierte Gesellschaftskritik. Große Symbolik.
Und jetzt steh ich hier und lass mich von irgendeinem Typen blöd anmachen, der nach Wurst stinkt und dessen Reputation irgendwo zwischen Michael Bay und der Neuverfilmung von Godzilla liegt. Er hat wohl auch irgendwann mal nen Oscar gewonnen. Bester Haarschnitt während einer Actionszene oder so.
"So, dann alles auf die Plätze, wir machens noch mal! Jack, du machst alles wie eben. Und vielleicht kannst du versuchen, deinen Kollegen irgendwie mitzuschleifen." Nur noch diese Szene überstehen. Morgen hab ich ne Sexszene mit Nathalie. Der verzeih ich auch, wenn sie nach Wust stinkt.
...
"Komm, gib dir'n Ruck. Hollywood, Mann!"
"Ich weiß nicht... diese Actionfilme liegen mir nicht."
"Wolltest du nicht schon immer mal zusammen mit Angelina Jolie drehen?"
"Die haben Angelina Jolie?"
"Nein."
"Warum sagst du dann so was?"
"Ich meinte nicht zusammen im gleichen Film. Ich meinte zusammen in der gleichen Stadt."
"Aber das Skript ist Müll... ein geklonter Feuerwehrmann, der Bomben in Militärstützpunkten verteilt und irgendeinen irakischen Teppichverkäufer freipressen will."
"Ibn et Nahal ist der Präsident."
"Wovon?"
"Irak. Also im Film."
"Und was soll der Scheiß hier mit den Atombomben?"
"Hast du das Drehbuch nicht gelesen?"
"Teilweise."
"Auf dem einen Stützpunkt sind Atombomben gelagert und der Böse droht, den Sperrmechanismus in die Luft zu jagen, woraufhin die Raketen auf vorher von der Regierung eingestellte Ziele losjagen. Ist wohl noch ein Relikt aus dem kalten Krieg oder so."
"Klingt nach Tom Clancy."
"Ja, aber Bon Jovi singt die Titelmusik. Und denk dran, dass du eine Sexszene haben wirst."
...
Ich liebe meinen Job.
Am Anfang hab ich Seifenopern gespielt. Meine Rolle trug den damals wahnsinnig trendigen Namen Kevin und ich durfte mit der willigen Jasmin schlafen. Nicht wirklich natürlich, immerhin lief das Zeug im Nachmittagsprogramm. Ein flüchtiger Kuss und Abblende. In der nächsten Folge hab ich dann von Jasmins Freund Malte ordentlich auf die Fresse gekriegt. Ohne Abblende.
Jetzt lieg ich hier und lutsche eine Erdbeere aus Nathalies Bauchnabel. Frank sabbert und die restliche Filmcrew ist ausnahmsweise vollzählig am Set erschienen. Gleich werde ich ihren BH öffnen und die Silikongerüchte der Klatschpresse aus erster Hand prüfen. Wird sicher interessant. Auch hier gibt’s eine Abblende, der Film ist ab zwölf, aber zumindest ich krieg einiges zu sehen. Nur schade, dass Jack nicht hier ist. Seine neidzerfressene Bulettenvisage hätte ich jetzt gerne gesehen. Dann könnte ich ihm mal zeigen, was Method Acting ist.
Kein Silikon.
Achterberg hat mich in Aller guten Dinge sind mal einen Esel spielen lassen. Ich brauchte dazu kein Kostüm, wurde auch nicht grau angemalt und musste nicht mal auf allen Vieren krabbeln. Da gab's nur ein Schild, auf dem stand Esel, und das hab ich mir dann um den Hals gehängt. Die härteste Actionsequenz in meiner Norwegenzeit bestand aus einer vorsichtigen Verfolgungsjagd zu Fuß über einen zugefrorenen See. Ich spielte einen Elchzüchter, dem jemand einen Fisch geklaut hatte. Laut Drehbuch verfolgte ich ihn aber nicht wegen dem Fisch, sondern weil er mir durch seine Tat den Spiegel meiner Seele vorgehalten hat und ich durch die symbolische Jagd den Dämonen tief in mir drin bekämpfen wollte. Glaub ich.
"Drück auf die Tube, Mann!"
"Der Wagen fährt nur hundertachtzig."
"In drei Minuten geht die Bombe hoch. Weißt du, was das heißt?"
"Die Atombomben vom alten Truman fliegen in alle Richtungen der Welt."
"Man stelle sich das mal vor... Paris, Berlin und Moskau ausradiert... kaum auszudenken."
"Vielleicht auch London... Wäre ein scheiß Geburtstag für deine Tochter, oder?"
"Das hat sie nicht verdient."
"Niemand verdient so einen Geburtstag."
"Dann drück auf die Tube und lass es uns verhindern."
Schwarzer Wagen, blaues Blinklicht auf dem Dach, eine grüne Wand hinter uns. Der älteste Filmtrick der Welt: Wenn du ein Auto nicht bewegen kannst, bewege den Hintergrund. Wenn du den Hintergrund auch nicht bewegen kannst, lass es den Computer tun. Sieht am Ende eh alles gleich aus.
Unser Regisseurimitat brüllt ein paar Mal Cut und das Ding ist im Kasten. Direkt im Anschluss drehen wir eine Sterbeszene. Zwischendurch käme im Film dann die unverschämt teure Verfolgungsjagd, an deren Ende meine Figur unseren Wagen über einen unachtsam abgestellten Autotransporter fährt und dann über die Rampe durch einen Stapel Wasserkästen und eine gläserne Telefonzelle direkt in eine Straßenlaterne fliegt, die mit lautem Funkenschlag in sich zusammenbricht. Per CGI werden dem Ganzen dann später noch ein paar U-Boote zugefügt. Oder Hubschrauber, was billiger kommt. Aber das wird erst nächste Woche gedreht.
Ich werde den Unfall überleben, Dick nicht. Darum wird’s jetzt emotional, zwei Tage vor der Pensionierung gibt der Familienvater den Löffel ab. Die Maske malt ihm rote Farbe und ein paar schwarze Flecken ins Gesicht. Dann kleben sie ihm den Griff eines Schraubenziehers auf die Stirn, damit es aussieht, als hätte sich das Ding in sein Hirn gebohrt. Ich bekomme ein paar Schrammen verpasst.
Der Kerl kriegt immer mehr Aufmerksamkeit als ich.
"Es hat... es hat mich erwischt..."
"Alles wird gut. Du musst nur weiteratmen. Mary wird mit ihrem Vater Geburtstag feiern."
"Nein, ich weiß, dass ich sterbe." Ich nähere mich seinem Gesicht, um die Wunde in Augenschein nehmen zu können. Heute gab es anscheinend Schnitzel im Catering. Schade, dass kein Knoblauch drin war. Dann hätten meine Tränen jetzt sicher realistischer gewirkt. Fürs Method Acting.
"Red keinen Unsinn. Du kannst nicht sterben. Du bist Dick Horner, der beste Cop in dieser gottverschissenen Stadt."
"Ich weiß es. Lass... lass mich einfach hier."
"Du bist mein Partner. Ich lass dich nicht zurück. Alleine pack ich das doch nicht."
"Du musst... die Welt verlässt sich auf dich... Ver... versprich mir nur eines... sag meiner Tochter... sag Mary, wie sehr ich sie liebe."
"Cut! Das war perfekt! Einfach perfekt! Jack, du warst brillant wie immer. Und diesmal hast du sogar deinen Kollegen mit deiner Schauspielerei angesteckt." Ich steck dich auch gleich an, du dämlicher... denkst wohl, nur weil du so ne tolle Mütze hast und schon mal den Arsch von Cameron Diaz in Nahaufnahme filmen durftest, kannst du mir hier so kommen. Lass du dich mal von nem finnischen Eskimo verprügeln, nur weil dein Regisseur denkt, dass die Maskenbildner keine realistischen Wunden hinkriegen, dann reden wir weiter. Man sollte dich... ach, scheiß drauf.
"Ja, dann bis morgen", sage ich und gehe. Vielleicht krieg ich dafür den Oskar als bester Drahtschneider. Vielleicht lauf ich gleich Angelina Jolie über den Weg. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall treff ich mich gleich mit Nathalie. Mal sehen, wie die Erdbeeren aus ihrem Kühlschrank so schmecken.