- Beitritt
- 12.04.2007
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MEW Bd. 23 ff. wi€der (ge)lesen
Mit einem (vorläufig kleinen) neuen Vorwort versehen anlässlich eines Urteils
des Bundesverfassungsgericht vs. Bundes-Klimaschutzgesetz, wonach Teile des Bundes-Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt wurden.
Die Richter verpflichten darin den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Emissionen der Treibhausgase für die Zeit nach 2030 näher zu regeln.
Verfassungsbeschwerden mehrerer "Klimaschützer" waren somit teilweise erfolgreich, denn die Beschwerdeführenden werden durch Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt.
Damit wird das Recht auf Freiheit (insbesondere des Privateigentums) neu zu definieren sein, einer Freiheit, die sich heute wesentlich auf die Freiheit des Eigentümers - siehe einleitendes Zitat zur Judenfrage - beruft, ob vom sinnlos durch Städte bretternden SUV (wobei sicherlich bei der Produktion schon anzufangen ist) über den Häuslebauer (Bodenversiegelung!) und Wirtschaft bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften als Hüter der wahren Lehre.
Sollte sich Rosa Luxemburgs Freiheitsbegriff durchsetzen?
MEW Bd. 23 ff. wi€der (ge)lesen –
mit einem Beitrag zu Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert" vom 27.01.2017
Komme nicht umhin, dir für diese (und so manche andere) Besprechung außerordentlich zu danken. Es ist nicht leicht, derart komplexe Denkmuster in einer Sprache zu interpretieren, die geeignet ist, sie weniger belesenen Menschen (wie mir) verständlich näherzubringen.
Nimmer rasten, nimmer ruhn,
Nur nicht dumpf so gar nichts sagen
Und so gar nichts woll'n und tun.
Nur nicht brütend hingegangen,
Ängstlich in dem niedern Joch,
Denn das Sehen und Verlangen
Und die Tat, die bleibt uns doch!"
Karl Marx, angepasst an die neuere
deutsche Rechtschreibung durch mich
die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er
erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht von dem
Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit.“
Karl Marx, Zur Judenfrage (1843)
Ein Gespenst geht um in der Welt –
das Gespenst des Kapitalismus. Alle Mächtigen haben sich mit dem Gespenst verbündet, der Papst wie der Dalai-Lama, die Wallstreet mit Shanghai, die City of London und Hongkong, Mainhattan wie Luxemburg, Barbados, Guernsey und Malta. Ließen die Reichen und Schönen vordem jenem das Maul mit Kernseife auswaschen, der das Wort nannte, so führen sie es heute voll Stolz selber im Munde. Mit den Umwälzungen 1989 in Osteuropa erklärte sich der obsiegende Block für sakrosankt und wähnte sich am Ende aller Geschichte angekommen. Seitdem zeigt das Gespenst seine wahre Fratze und glaubt, tun und lassen zu können, was es wolle. Schon seit der Reaganomic und dem toryristischen Regime der Iron Lady – die nie vergessen hat, dass Tories ein irisches Schimpfwort für Räuber ist - werden ungestraft soziale Errungenschaften abgeschafft, die in 150 Jahren unter Blut und Schweiß erkämpft wurden. Unter der Firmierung ihres Schöpfers Peter Hartz ist das moderne Armen- und Arbeitshaus, wie es noch Charles Dickens und Gottfried Keller kannten, aus Ruinen des Manchesterkapitalismus wieder auferstanden – dezentralisiert mit staatlichen Behörden zur Regulierung.
Die Marktwirtschaft und die ihr angepasste Lebensform triumphieren über die Planwirtschaft, sehen wir von jenem riesigen Dorf im fernen Osten ab, welches den marktwirtschaftlichen Verlockungen bisher widersteht und weiterhin die Fron der Planwirtschaft erduldet – und offensichtlich nicht ganz so erfolglos, wie das verfallende Nachbardorf, könnte es doch ohne mit der Wimper zu zucken die größte, wenn auch hinkende Volkswirtschaft aufkaufen und in den Büchern als bloße geschichtliche Erscheinung oder gar als einen Irrweg verschwinden lassen –
und wär’s an der Börse als feindliche Übernahme. Der Westen würde mit seinen eigenen Mitteln durch den Osten geschlagen, ohne dass ein einziger Schuss fallen müsste. Eine wahrhaft friedliche Revolution! - Freilich sollte selbst ohne betriebswirtschaftliche Vorkenntnis dem geneigten Leser aufgehen, dass planvolles Wirtschaften auch bei Krethi und Plethi in der Marktwirtschaft vorkommen sollte, auf dass es nicht wie bei Hempels unterm Sofa zugehe. Der Unterschied zur Volksrepublik China besteht allein darin, dass dieses zentral verwaltet wird, die Marktwirtschaft aber dezentral mit dem Staat als Nachtwächter wider den äußeren und inneren Feind. Denn schon mit den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre durch Erich Gutenberg ist die Erkenntnis gereift, dass der entscheidende Unterschied der konkurrierenden Systemblöcke und ihrer Wirtschaftssubjekte weniger im Adjektiv frei als im Wort zentral liegt. Jenseits betrieblicher Pforten enden allemal Demokratie und freie Meinungsäußerung und finden ihre Fortsetzung im Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, die schwerer wiegen als jedes verbriefte Grundrecht. Mit der Behauptung, alle säßen wir in einem Boot – freilich der eine auf der Brücke und die andern im Maschinenraum – wird das Primat ökonomischer Interessen über das sozialer Belange gestellt. Wegen der modernen Kommunikationsmittel bleibt der Maschinist auch beim Landgang für Brücke und Reederei erreichbar, zeigt es doch, dass man gebraucht würde. Kurz: die Betriebswirtschaftlehre obsiegt über die Volkswirtschaft, die Mikro- über die Makroökonomie, der kurzfristige Profit über eine langfristige Wohlfahrt.
Angesichts sinkender Profitraten re-investiert der Kapitalgeber seine Gewinne weniger in der Realwirtschaft als am Finanzmarkt, der höhere Renditen verspricht. Selbst der Staat folgt eher betriebs- als sozial- bzw. volkswirtschaftlichen Regeln. Allen Marktteilnehmern – und das ist ein jeder, ob er will oder nicht – wird unternehmerisches Verhalten abverlangt, von der winzigen, sich selbst ausbeutenden Ich-AG bis hinauf zur Deutschland AG. - Üblich wird, den Ellbogen zu benutzen, den mancher dann schon mal mit Faust und Fuß verwechseln mag. - Quasi schwimmen alle in einem Haifischbecken, in dem der Große den Kleinen frisst, kurz: marktliches Geschehen strebt zu größeren Einheiten und tendiert dahin, den lästigen Wettbewerb auszuschalten und übers Oligopol zur Monopolstellung zu gelangen. Dessen höchste Form aber ist die –
zentralverwaltete Planwirtschaft!, wie sie die Volksrepublik China erfolgreich demonstriert. Man kann deshalb mit Josef Vogl getrost behaupten, „dass sich in der Krise seit 2007 eine basale marxistische These behauptet hat: dass nämlich das Finanzkapital die modernste Form des Kapitals darstellt, dass es selbst Modernisierungen diktiert und schließlich zu einer Sozialisierung oder Verstaatlichung tendiert. Das war die gleichsam ‚revolutionäre’ Situation. Und nur mit großen volkswirtschaftlichen Kosten konnte das Ganze dann reprivatisiert werden [in: Was wir jetzt lernen müssen, in der Zeit Nr. 37 vom 11. August 2011, S. 37]“ und gleichsam alle Welt in den nächsten Schlamassel führt.
Hat Vogl etwa einen solchen? Nein, er wählt nur das falsche Attribut: Karl Marx, auf den er sich beruft, ist genauso wenig ein Marxist wie Jesus von Nazareth ein Christ war – beide waren Juden und gebrauchten einfach nur ihren Verstand – oder will jemand den Nazarener für Intoleranz, Fundamentalismus, Kreuzzüge, Inquisition und blinden Aberglauben verantwortlich machen? Beide sind auf ihre Weise menschenfreundlicher als mancher Klosterschüler und Priesterseminarist! „Marx dachte nicht im Traum daran, der Sozialismus könnte sinnvoll dazu genutzt werden, bitter arme, wirtschaftlich rückständige Nationen in die Moderne zu katapultieren“, sagt Terry Eagleton [ in: Ein romantischer Humanist, übers. von Michael Adrian in der Zeit Nr. 21 vom 19. Mai 2011, S. 46]. Marx bewundert den Reichtum, der durch die kapitalistische Produktionsweise erzeugt wird, wie die bürgerliche Freiheit und fragt sich zugleich ein Leben lang, wie die reichste Zivilisation in der Geschichte der Menschheit neben der Schufterei der Troglodyten zugleich Hunger, Armut und Ungleichheit, kurz: Elend produziert und erhalten kann. „So wie Freud einen ganzen neuen Kontinent entdeckte und auf den Namen ‚das Unbewusste’ taufte, so benannte und entblößte Marx die Dynamik der Systeme, untersuchte ihre historischen Ursprünge und beschrieb die Bedingungen ihres potenziellen Niedergangs.“ [Ebd.] Er hält die freie Entwicklung eines jeden für die Grundvoraussetzung der freien Entwicklung aller (bereits im Komm. Manifest von 1848), was wir mit dem bekennenden Katholiken Eagleton getrost Nächstenliebe nennen können.
1818 in Trier geboren, muss der Chefredakteur der radikaldemokratischen Neuen Rheinischen Zeitung zu Köln nach der 48-er Revolution Deutschland für immer verlassen. Er geht nach London, arbeitet für mehrere Blätter journalistisch und kann doch nicht davon leben, dass sein Freund, der Industrielle Friedrich Engels, ihn zeitlebens finanziell unterstützen muss. Hier, an der Wiege der Industrialisierung und im seinerzeit wirtschaftlich und politisch höchstentwickelten Land der Welt, beginnt er seine historischen, ökonomischen und soziologischen Studien. Das grundlegende Werk Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859) fließt in sein Hauptwerk ein, von dem er allein den ersten Band fertig stellen kann (1867). Die beiden folgenden Bände werden erst nach seinem Tode 1883 durch seinen kongenialen Freund Engels aus dem Nachlass zusammengestellt.
Wer den Philosophen vorhält, „die Welt nur verschieden interpretiert“ zu haben, dass es aber darauf ankomme, die Welt zu verändern (11. Feuerbachthese), der kann gar nicht anders, als sich politisch zu betätigen: seit 1864 ist er maßgeblich an Gründung und Programmatik der Internationalen Arbeiterorganisation beteiligt und veranlasst auch 1872 die faktische Auflösung der Internationalen. 1875 nimmt er mit seiner Kritik am Gothaer Programm starken Einfluss auf die deutsche Sozialdemokratie, denn spätestens hier zeigt sich die Umkehrung seiner elften Feuerbachthese: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern [zitiert n. d. Anhang zu Ludwig Feuerbach und der Ausgang der deutschen Philosophie von F. Engels, 1888]“, denn nix ist praktischer als die richtige Theorie: das Sein bestimmt das Bewusstsein, doch das Bewusstsein vermag ebenso sehr das Sein zu verändern.
Marx ist in seiner Arbeit kein sonderlich origineller Mensch. Er liefert eine Synthese aus allen vorhandenen Daten, Hypothesen und Theorien (Smith, Riccardo u. v. a. m., darum darf, wer sich mit dem Werk beschäftigt, eine wahre Orgie in Fußnoten und Querverweise erwarten). Dabei unterstellt er niemals lineare Abläufe, die zwangsläufig an ein bestimmtes Ende kommen müssten: Geschichte verläuft nicht geradlinig, schlägt diesen und jenen Haken gleich einem Kaninchen,
unterschiedliche Gesellschaftsformationen – Parallelgesellschaften - existieren nebeneinander,
unterschiedlich Produktionsweisen koexistieren miteinander. Er war kein Utopist, schon gar kein Prophet oder Wahrsager. „Marx war kaum an der Zukunft interessiert, stand insofern ganz in der jüdischen Tradition. Ihm war wirkliche Bewegung weit wichtiger als Utopien. Möglicherweise waren seine verstreuten und unsystematischen Notizen zum Kommunismus als freie Entfaltung der Individuen naiv. Aber man sollte ihm nicht das Ziel einer Gesellschaft wie in Orwells ‚1984’ unterstellen. Theodor W. Adorno schreibt, dass Marx ein Feind der Utopie um ihrer Realisierung willen gewesen sei. Man könnte auch meinen, dass dem Marxismus eine Prise Utopie ganz gut tun würde. Zum ‚Prinzip Hoffnung’ (Ernst Bloch) gehört eine ‚konkrete Utopie’, die ‚abstrakte Utopien’ und die damit verbundene despotische Gewalt entschieden ablehnt.“ [Volker Gransow: Jenseits von Karikatur und Travestie: Marx im 21. Jahrhundert (Rezension v. Terry Eagleton: Why Marx Was Right. Yale UniversityP ress, New Haven und London 2011), in: Blätter für dt. und intern. Politik 6/11, S. 35]
Warum heißt dieses gigantische Werk Das Kapital und nicht Der Kapitalismus?
Tatsächlich taucht der Begriff des Kapitalismus nur ein einziges Mal in dem ca. 2500 Seiten umfassenden Werk auf. Allein in den Metamorphosen des Kapitals heißt es im zweiten Band – mir liegt die dreibändige Ausgabe von 1976 – 79 des Dietz Verlages vor, die identisch mit den Werken Marx und Engels, (MEW) Bd. 23 – 25 sind: „... der Kapitalismus ist schon in der Grundlage aufgehoben durch die Voraussetzung, daß der Genuß als treibendes Motiv wirkt, nicht die Bereicherung selbst ..." [Bd. 2, S. 123] Bereicherung, nicht Genuss motiviert den Kapitalisten. Gier, Habgier und Geiz gibt es aber immer schon. Sie seien notwendig –
für den Untergang des Gemeinwesens … So ist auch nicht „der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens“ Zweck des Kapitalisten. „Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese leidenschaftliche Jagd auf den Wert ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner [Anm.: wie auch dem Sparstrumpf mit dem Vermögen unterm Kopfkissen einer armen, verängstigten Seele] gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die rastlose Vermehrung des Werts, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Zirkulation zu retten sucht, erreicht der klügere Kapitalist , indem er es stets von neuem der Zirkulation preisgibt“ [Bd. 1, S. 168] und Gewinne re-investiert und immer wieder auch neues Kapital bildet. Historisch gesehen kannten schon Griechen und Römer den Begriff des Kapitals [in ursprünglicher Form das liebe Vieh, was die Diskussion um die Berechtigung des Zinses – Geld / Kapital kalbe nicht - relativiert], das neben Boden / Natur und Arbeit erforderlich ist, wirtschaftliche Leistungen zu vollbringen. Mit dem ersten Satz des Kapitals – „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung'" [Bd. 1, S. 49, er zitiert hierin sein Kritik der politischen Ökonomie von 1859] – betritt er am Anfang folgerichtig den Weg zur Analyse der Ware, dem zum Tausch / Handel bestimmten Gut. „Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“ [Bd. 1, S. 85], der Tauschwert herrscht über den Gebrauchswert. Wer wollte da, soweit Geiz geil wäre, die religiöse Seite der Warenwelt leugnen, wenn sonntäglich Prozessionen von Gläubigen sich im Eiermarsch durch die Konsumtempel schlängeln? „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes“, wie es in einem zumeist fälschlich wiedergegebenen Zitat aus der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1844) heißt. Die einleitende Analyse der Ware endet mit der Aufdeckung ihres Fetischcharakters.
Nun gelangt er zur besonderen Ware Geld, über die er zur Kategorie des Kapitals gelangt, zeigt historische Prozesse auf, in denen sich die kapitalistische Produktionsweise gegenüber andern Lebensweisen durchsetzt, die gleichwohl neben der herrschenden weiterbestehen werden. Die kapitalistische ist aus andern Produktionsweisen (wie etwa dem Feudalsystem) entstanden und wird in wieder anderen auf- oder untergehn. Mit den großen Kapitalgesellschaften, wachsenden Ungleichheit und Einengung demokratischer Rechte. Es lässt sich sogar eine Art Refeudalisierung beobachten, wenn nämlich Hierarchien undurchlässig werden und Pfründe des Dienstadels Erbmasse. Elmar Altvater erklärt den Verzicht Marx’ auf den Begriff des Kapitalismus aus den in jedem Begriff „angelegten Tendenzen einer Verdinglichung von Sprache und Bewußtsein Vorbehalte, wie sie gegen alle ‚ismen’, das sind Namen, nicht Begriffe, angebracht sind.“ [Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, 3. Aufl., Münster 2006, S. 37] Der Titel verweist auf die Bedeutung des Kapitals, die größer ist als die des Kapitalisten – der austauschbar ist, wie jeder Repräsentant einer Rolle. „Marx hütet sich aber davor, der ‚Charaktermaske’ des Kapitals, dem Kapitalisten, die Übel der Produktionsweise anzulasten, wie vor ihm die Physiokraten und andere.“ [Ebd.] Hätte es damals eine ökologische Bewegung gegeben, hätte er auch diese wie heute etwa Altvater entlarvt, gibt sich doch mancher Jünger der Ökologie der Illusion hin, ein bewirtschafteter Wald sei besser als ein an sich wertloser Wald. „… es wird nicht der Wald, sondern dessen Inwertsetzung durch Vergabe von Eigentumsrechten geschützt. Diese wird von Entscheidungen bestimmt, die sich an den erzielbaren Renditen auf globalisierten Märkten orientieren und nicht an den Naturgegebenheiten des Biotops“ [Ebd., S. 53], wie schon Marx’ Freund Heine in der Harzreise nicht nur den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennt, sondern allein als Kubikmeter Holz auffasst. Marx ließe sich durch seine Hochachtung vor dem revolutionären Erbe einer bürgerlichen Mittelklasse vom post-modernen Theoretiker unterscheiden (so auch Eagleton). Sozialismus / Sozialdemokratie bedarf der gebildeten Bevölkerung, funktionierende zivile Institutionen, liberale und demokratische Traditionen und die Verkürzung des Arbeitstages. „Marx hat nie angenommen, dass Sozialismus unter den Bedingungen von Elend und Krieg erreicht werden könnte - und genauso wenig, dass ‚Sozialismus in einem Lande’ möglich sei. … Marx' Ideal war Muße, nicht Mühe. Er war ein Prophet in dem authentisch jüdischen Sinn eines Menschen, der uns davor warnt, dass wir, wenn wir nicht andere Wege gehen, keine Zukunft haben werden.“ [Gransow]
Walter Benjamin und der Fetischcharakter der Ware -
Nachtrag Karfreitag (06. April) 2012
„Allein wenn Deutschland nur mit der abstrakten Tätigkeit des Denkens die Entwicklung der modernen Völker begleitet hat, ohne werktätige Partei an den wirklichen Kämpfen dieser Entwicklung zu ergreifen, so hat es andererseits die Leiden dieser Entwicklung geteilt, ohne ihre Genüsse, ohne ihre partielle Befriedigung zu teilen. Der abstrakten Tätigkeit einerseits entspricht das abstrakte Leiden andererseits. Deutschland wird sich daher eines Morgens auf dem Niveau des europäischen Verfalls befinden, bevor es jemals auf dem Niveau der europäischen Emanzipation gestanden hat. Man wird es einem Fetischdiener vergleichen können, der an den Krankheiten des Christentums siecht.“ Karl Marx: Zur Judenfrage (1843)
In diesen bewegten Tagen -
da nicht nur somalische Hungerleider im Golf von Aden in der Piraterie einen kleinen Nebenverdienst sich versprechen, sondern bürgerliche Parlamente von wohlgenährten und selbsternannten Piraten geentert werden, die nach der absonderlichen Befreiung der Märkte von Regeln durch den Neoliberalismus die Deregulierung des Internets zum Wohle seiner Betreiber fordern und darum besser Schmarotzer zu nennen wären –
in diesen Tagen ist mir aufgegangen, wie sehr die marx’sche Analyse der Ware auch auf unsere Tätigkeit selbst im bescheidenen Rahmen hier auf der Plattform über die ökonomischen und politischen Beziehungen hinausreicht, als ich nach der Krauslektüre nicht nur den Eigenbrötler unter Klassikern und Romantikern, Jean Paul, nach Jahr und Tag mal wieder zur Hand genommen, sondern wie nebenbei auch während der Arbeit an der Rezension der Fackel auf den Eigenbrötler am Institut für Sozialforschung – Walter Benjamin - gestoßen bin, der freilich den meisten im Original allzu kryptisch erscheinen wird (wer läse noch freiwillig Adorno?), weshalb zur Hilfestellung auf die außergewöhnliche Biografie mit umfangreicher Werkanalyse von Jean-Michel Palmier hinzuweisen ist, was freilich eigene Arbeit am Text nicht ausschließt.
Schon für Georg Lukács galt „Verdinglichung“ nicht mehr nur als ein ökonomischer Begriff, bevor in den 1930-er Jahren „Verdinglichung“ überhaupt der zentrale Begriff - Palmier ist’s die zentrale Kategorie [Palmier, S. 746] – Benjamins wird. Bereits in der Einbahnstraße (1928) [GW Bd. 4, S. 83 ff.] und dann in der Berliner Kindheit (1932 f.) [Berliner Kindheit um Neunzehnhundert, GW Bd. 4, S. 235 ff.], wenn das in der Stoffwelt eingeschlossene Kind mit den Dingen zu verschmelzen droht und zum „Gespenst“ wird. Mit den modischen Erscheinungen der schönen Warenwelt entsteht je der Eindruck des Neuen, freilich mit sinkender Halbwertszeit und den Preis der ewigen Wiederkehr des Immergleichen (so ungefähr auch schon: Nietzsche). Mit dem gigantischen, fragmentarischen Passagenwerk (ab 1927) [GW Bd. 5] sollte die gesamte Warenstruktur einer ganzen Stadt – Paris, der Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts [ebd., S. 45 u. a.] – untersucht werden.
So wenig die Warenstruktur sich allein auf ökonomische Beziehungen begrenzen lässt, so wenig bleiben menschliche Beziehungen überhaupt verschont, dass selbst Literatur und Kunst überhaupt keinen Freiraum mehr genießen können. Die Analyse der Warenwelt kommt – wie schon im Werk Karl Krauss’ vermerkt - an der Rolle der „Reklame“ vorbei. Mit der Massenproduktion geht die „Aura“ verloren [Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936); GW Bd. 1, S. 431 ff.]. Mit Baudelaire [. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, GW Bd. 1, S. 509 ff.], dessen Blumen des Bösen von Benjamin übersetzt wird [GW Bd. 4, S. 7 ff.], beginnen die Dichter, sich zu verkaufen, und die Piraten setzen dem noch eins drauf, indem der Künstler für sich werben und somit beweisen solle, dass er für seine Kunst entlohnt gehöre, bekommt doch angeblich ein jeder das, was er verdiene.
Wie bemerkten schon Adorno und Horkheimer in der Tradition von Benjamin: „Seit mit dem Ende des freien Tausches die Waren ihre ökonomischen Qualitäten einbüßten bis auf den Fetischcharakter, breitet dieser wie eine Starre über das Leben der Gesellschaft in all seinen Aspekten sich aus. Durch die ungezählten Agenturen der Massenproduktion und ihrer Kultur werden die genormten Verhaltensweisen dem Einzelnen als die allein natürlichen, anständigen, vernünftigen aufgeprägt. Er bestimmt sich nur noch als Sache, als statistisches Element, als success or failure. Sein Maßstab ist die Selbsterhaltung, die gelungene oder misslungene Angleichung an die Objektivität seiner Funktion und die Muster, die ihr gesetzt sind. Alles andere, Idee und Kriminalität, erfährt die Kraft des Kollektivs, das von der Schulklasse bis zur Gewerkschaft aufpasst. Selbst das drohende Kollektiv jedoch gehört nur zur trügenden Oberfläche, unter der die Mächte sich bergen, die es als gewalttätiges manipulieren. Seine Brutalität, die den Einzelnen bei der Stange hält, stellt so wenig die wahre Qualität der Menschen dar wie der Wert die der Gebrauchsdinge«, heißt es im Juni 1947 im Begriff der Aufklärung [Adorno / Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Ffm. 1969]
In einer Welt, die jeden zum Werbeträger erniedrigt, sollte man sich nicht nur empören, wie es Stéphane Hessel, der Sohn eines Freundes Walter Benjamins, in seiner Altersweisheit und in einer bestsellerreifen Broschüre fordert, man sollte mit den Ton Steine Scherben und Rio Reiser deren bekanntesten Titel umsetzen!
Palmier, Jean-Michel: Walter Benjamin. Lumpensammler, Engel und bucklicht Männlein / Ästhetik und Politik bei Walter Benjamin, hgg. und mit einem Vorwort versehen von Florent Perrier, aus dem Französischen von Horst Brühmann, Suhrkamp 2009.
Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften, hgg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, (Bd. 1 f. u. Bd. 5 f.), Hella Tiedemann-Bartels (Bd. 3) u. Tillmann Rexroth (Bd. 4), alle i. d. Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 931 ff., Ffm. 1991, hier mit GW abgekürzt.