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Milo und Franziska und Lucie

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14.08.2012
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Milo und Franziska und Lucie

Milo starrte auf seine Hände. An der Linken eine Brandwunde auf dem Handrücken, da und dort kleine Kratzer, der Daumennagel blauschwarz und am Handgelenk der Rechten eine kaum verheilte Abschürfung. Ziemlich zerschunden, die armen Pfoten. Ganz zu schweigen von dem traurigen Stummel des rechten Ringfingers. Er drehte die Hände und betrachtete die schwieligen Handflächen. Für einen Augenblick war er von einer verrückten Vorstellung fasziniert: Was wäre, fragte er sich, hätte er die unzähligen kleinen Verletzungen, die er sich im Laufe des Lebens zugezogen hatte, jetzt alle auf einmal? Von den aufgeschlagenen Knien der Kindheit über die blutigen Lippen nach den jugendlichen Raufereien bis zu dem abgerissenen Finger im vorletzten Winter. Wie sähe er aus? Wohl kaum wie ein Held der Arbeit, vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm. Wäre die Summe aller je erlittenen Schmerzen überhaupt zu ertragen? Oder würde er brüllen wie am Spieß?
Milo mochte seine Hände. Sie sähen aus, wie von Egon Schiele gezeichnet, hatte Franziska oft gesagt und war dabei mit ihren Fingern sanft die Venen auf seinem Handrücken nachgefahren. Und Lucie hatte als kleines Kind gemeint, seine Fingerkuppen fühlten sich an wie Baumrinde.
„Du bist so kratzig wie ein Baum, Milo“, hatte sie gesagt.
Aber war er auch so stark wie ein Baum, so standhaft?
Mal sehen, wie stark er wirklich war. Noch könnte er einfach aufstehen und sich aus dem Staub machen, sich in den Fiat setzen und weiß Gott wohin verschwinden. Im Kofferraum hatte er seine Schweißgeräte und in der Hosentasche gut viertausend Euro. Arbeit fände er überall, Männer wie er wurden immer gebraucht. Er starrte in die Baumkronen.
In dem Eisenkäfig neben der Parkbank kickten ein paar Türkenbuben, sie droschen einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es um ihr Leben, und das höllische Scheppern jagte Milo Schauer über den Rücken. Ein Geräusch …
… wie das eines schleudernden Wagens, der sich funkenstiebend unter den Motorblock eines Fernlasters schiebt …
… ein Geräusch wie aus einem Alptraum.
Der Tormann, ein höchstens zwölfjähriges Bürschchen, qualmte eine Zigarette und blickte Milo herausfordernd an.
„'s guckst‘n deppat, Alda, he?“
„Warum soll ich nicht dumm gucken, wenn ich in so einer Welt leben muss, du Klugscheißer, ha?“
Außerdem hängt an allem ein Preiszettel dran in dieser Welt, wirst früh genug draufkommen, kleiner Blödmann. Das sagte Milo nicht mehr laut, es lohnte sich nicht. Er steckte sich eine Zigarette an und sah auf die Uhr. Jetzt müsste sie jeden Augenblick auftauchen. Er rauchte und beobachtete nervös den Hauseingang.
Als er endlich den struppigen Blondschopf entdeckte, stockte ihm für einen Moment der Atem. Verhalten pfiff er ihre Melodie. Lucie hob den Kopf, sah verwirrt um sich und erblickte ihn. Sie ließ den Geigenkoffer fallen, rannte auf ihn zu und flog ihm in die Arme.
„Milo!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
„Wo warst du so lange?“, schluchzte sie.
„Da und dort. Aber jetzt bin ich ja da.“
„Und wie lange?“
„Ganz kurz nur …“
Sie blickte ihn entsetzt an.
„… wir fahren nämlich weg, wir zwei.“
„Was? Wohin? … Zum Opa nach Wien?“
„Willst du?“
„Na ja … weiß nicht. Müssen wir?“
„Nein. Du sagst mir, wo du hin willst.“
„Und wie lange fahren wir weg?“
„Solange du willst.“
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte zu grinsen.
„Aber ich muss doch zur Schule.“
„Ach mein Schatz, Schulen gibt’s doch überall.“


Eine Spazierfahrt waren die siebenhundert Kilometer wahrhaftig nicht. Noch bevor sie die slowenische Grenze erreichten, setzte Regen ein. Und dann goss es in Strömen, Stunde um Stunde ohne Unterbrechung, eine wahre Sintflut, als stünde das Ende der Welt bevor.
Milo schlich dahin wie ein Fahrschüler, konzentriert und mit zusammengekniffenen Augen, und der kleine Fiat schlingerte durch die Gischt wie ein Boot, mehr als achtzig Sachen waren beim besten Willen nicht drin. Manchmal hielten ihn Fernlaster auf, und Milo hasste es, sie zu überholen. Hätte Lucie nicht pausenlos gequasselt und ihn mit ihren Späßen abgelenkt, wäre er übergeschnappt, er hätte eine Kippe an der anderen angesteckt und an den Fingernägeln gekaut oder sich die Lippen blutig gebissen.
Andererseits, wenn er es recht besah, rettete ihnen dieses Hundewetter womöglich das Leben, bei trockener Straße hätte es kein Halten für ihn gegeben, vermutlich wäre er gerast wie ein Irrer, als säßen ihm alle Dämonen der Hölle im Nacken. Der Wagen wäre vielleicht schon längst aus einer Kurve geflogen, wäre in einem Abgrund zerschellt oder hätte sich unter den Motorblock eines entgegenkommenden 36-Tonners gebohrt …
… und sich mit dem zu einer untrennbaren Einheit vermählt, eine bizarre Metallskulptur erschaffend in einem winzigen Augenblick, in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Haselmaus braucht, um mit der Wimper zu zucken. Sekundenbruchteile nur. Franziska aus dem Wrack zu schneiden, hatte beinahe eine Stunde gedauert, eine halbe Ewigkeit, die Feuerwehrmänner fuhrwerkten mit der Bergeschere herum und fluchten leise vor sich hin, während er die ganze Zeit ihre Hand hielt und sie ihn anschaute. „Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie ihn angeschaut …
… Milo strich sich die Haare aus der Stirn und kaute auf der Zigarette, die seit Stunden zwischen seinen Lippen baumelte. Eine Rauchpause war längst fällig, aber er fühlte sich, als säße er auf glühenden Kohlen. Die Sache war nun mal kein Ladendiebstahl, da gab es nichts zu beschönigen. Entführung wäre wohl das Mindeste, das sie ihm vorwerfen würden. Wenn nicht gar Schlimmeres, da konnte ihn Lucie hundertmal Papa nennen, sich an ihn klammern und heiße Tränen vergießen. Er wusste nur zu gut, dass mit Franziskas Vater nicht zu spaßen war, dass man sich nicht ungestraft mit Leuten wie ihm anlegte. Herr Ministerialrat Hofinger, diese Säule der Gesellschaft, ein Kavalier alter Schule, in Wahrheit ein Pharisäer wie aus dem Buche, ein erbärmliches, seelenloses Arschloch, und derart arrogant, dass er Milo das Du-Wort entzogen hatte, kaum dass Franziskas Grab zugeschaufelt war. Und der ihm kurzerhand Lucie weggenommen hatte und sie ins Internat steckte, nicht weil ihm ihr Wohlergehen am Herzen lag, sondern einzig, um Milo zu quälen, diesen dahergelaufenen kroatischen Handwerker, diesen langhaarigen Tunichtgut, der sich erfrechte, sich Lucies Ziehvater zu nennen. Der alte Hofinger konnte einem wie ihm das Leben zur Hölle machen, ohne auch nur einen Fuß vor die Türe seines Büros zu setzen, der brauchte nur zum Telefon zu greifen und die Kavallerie setzte sich in Marsch. Nein, das war keine Spazierfahrt, die ganze Sache war wirklich kein Witz.
Sie erreichten den kilometerlangen Tunnel unter dem Velebit und Lucie war ganz aufgeregt, weil sie in einer Viertelstunde das Meer sehen würde. Als sie die andere Seite des Gebirges erreichten, schlief sie tief und fest. Vor ihm lag das Meer, honigfarben und glitzernd.


Onkel Josip war vollkommen aus dem Häuschen, als sie plötzlich vor seiner Bude standen. Erst starrte er sie an wie Gespenster, dann fiel er Milo um den Hals, drückte Lucie und wollte sie nicht mehr loslassen. Tränen kullerten ihm übers Gesicht wie einem Kind, er wischte sie lachend weg und holte eine Flasche Travarica aus dem Bootsschuppen.
„Milo, Milo, heiliger Strohsack, heiliger Himmel! Und Lucie, mein kleiner Liebling, Lucie! Jessas, was bist du groß geworden, und so hübsch, noch hübscher als deine Mama, das gibt’s ja nicht!“
Der alte Zausel tanzte umher und führte sich auf wie ein Verrückter, dann füllte er die Gläser. Entschlossenen Widerstand vermochte er, Milo, ihm nicht entgegen zu setzen, nicht nach so einem Tag, nicht an solch einem Abend. Der Abend war außergewöhnlich schön, die Wolken hatten sich verzogen und der Himmel dehnte sich endlos. Lucie jagte die Katzen durch den Garten und Josip grillte Lammkeulen, goss den Travarica über die Dinger und bespritzte sie mit Öl und der Himmel wurde rot wie das Feuer. Milo tat nichts anderes, als im Liegestuhl zu lümmeln, selig vor sich hin zu grinsen und Josips Geschimpfe über Franziskas Vater, diesen gottverfluchten Hurensohn, den vermaledeiten, zu lauschen. Das Feuer knisterte hinter Josip und sein Kopf schien in Flammen zu stehen.


Ob sie mit Josip aufs Meer rausfahren dürfe, fragte sie, kaum dass sie ihn wachgerüttelt hatte.
„Hmm? Was?“, knurrte er.
„Darf ich? Wir wollen angeln, hat er mir versprochen gestern.“
„Was? Mitten in der Nacht? Seid ihr verrückt?“
Milo vergrub das Gesicht im Kissen. Er wollte zurück in seinen Traum, er wollte Franziska noch ein wenig festhalten.
„He, wach auf, du Schlafmütze!“
„Ja ja … äh, was wollt ihr machen?“
Er streckte sich und rieb sich die Augen fast aus dem Kopf.
„Krebse fangen. Perlenmuscheln, Seesterne, solche Sachen halt.“
„Mit der Angel, soso.“
„Hat Josip gesagt, ja … Borgst du mir deinen Pullover?“
Milo setzte sich auf und blinzelte ins Sonnenlicht. Lucie stand neben dem Bett und hatte seinen grauen Pullover an. Das alte Ding reichte ihr bis zu den Knien, die Ärmel hatte sie hochgekrempelt und auf dem Kopf trug sie Josips Wollmütze. Sie grinste ihn an, nein, sie lächelte, sie strahlte. Ein Anblick von herzzerreißender Schönheit. Milo betrachtete sie, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und biss sich auf die Lippe. Er schluckte und schloss für einen Moment die Augen. Mit jedem Tag sah sie Franziska ähnlicher.
„Schau ich nicht aus wie ein richtiger Matrose, Milo?“
„Na ja, mehr wie ein kleiner Landstreicher. Komm her.“
Lucie hüpfte aufs Bett, schlang die Arme um ihn und rieb das Gesicht an seiner Wange.
„Milo Stoppelbart, mmh.“ Sie kicherte.
„Schau mal.“ Sie drehte ihm die linke Schulter zu und schob den Ärmel hoch. Auf ihrem Oberarm prangte ein dunkelblauer Anker.
„Teufel, du hast ja eine Tätowierung! Wie ein echter Seemann.“
„Nur Kugelschreiber. Komm doch mit, Papa. Bitte.“
„Meinst du etwa, ich bin auf Urlaub, mein Schatz?“
Sie packte ihn an den Ohren und drückte ihre Nase an seine. „Bitte bitte bitte!“
„Mal sehen, du kleine Nervensäge. Jetzt machst du dem dummen Milo erst mal einen Kaffee, einen richtig starken.“
„Ay ay, Käpt’n Stoppelbart.“ Sie sprang vom Bett und flitzte aus dem Zimmer.
„Squornhöllischvierstark!“, rief er ihr nach und ließ sich wieder auf die Matratze sinken.
Er schnappte sich die Sonnenbrille vom Nachtkästchen, setzte sie auf die Nase und machte sich eine Zigarette an. Er stieß eine Rauchwolke unter die Decke, kratzte sich über die Bartstoppeln und gähnte, dass er den Kiefer knacken hörte. Er hustete und grinste in die Luft.
„Wir sind nicht auf Urlaub, mein Schatz", murmelte er, „wir sind zu Hause.“

 

Hey Mr. offshore!

Ich habe es doch tatsächlich geschafft, endlich diese Geschichte zu lesen.

Ich bin GErührt und BErührt. Eine wunderschöne, in Bildern geschriebene Kurzgeschichte. Einfühlsam, bewegend.

Ich bin spät dran mit meinem Kommentar und weiß nicht, ob das hier schon angesprochen wurde... ich bin gestolpert über den Begriff "Ziehvater". Ist das jetzt die Bezeichnung, die Lucies Großvater für ihn wählt, oder ist er nicht der leibliche Vater? Und: warum nennt Lucie ihn nicht "Papa", sondern "Milo", als sie sich nach langer Zeit wiedersehen?

Na ja, ich stand beim Schreiben vor dem Dilemma, dass es im gesamten ersten Absatz fast ausschließlich um Milos Hände geht. Und hätte ich nicht bisweilen einen anderen Begriff für Hände verwendet, wäre es zu einem regelrechten Wortwiederholungs-Overkill gekommen. Und so viele Synonyme gibt’s da halt leider nicht. Pfoten?

Ich fänd "Pranken" vielleicht noch ganz gut!? :)

Und ansonsten alles toll! :D

"Wir sind nicht auf Urlaub, mein Schatz", murmelte er, "wir sind zu Hause."

...beschreibt für mich eher ein Gefühl, egal, wie es ausgehen wird in Deiner kleinen Geschichte. Hier fühlen sie sich zu Hause.

Liebe Grüße,
Meraviglia

 

Servus Meraviglia,

... ich bin gestolpert über den Begriff "Ziehvater". Ist das jetzt die Bezeichnung, die Lucies Großvater für ihn wählt, oder ist er nicht der leibliche Vater?

Also bei uns in Österreich ist Ziehvater der gängige Begriff für einen Mann, der zwar nicht der leibliche Vater eines Kindes ist, sich um dieses aber annimmt, als wäre er es.

Und: warum nennt Lucie ihn nicht "Papa", sondern "Milo", als sie sich nach langer Zeit wiedersehen?

Bei Milo versus Papa spielte ich sozusagen mit den unterschiedlichen Bedeutungen der Anredeform. Milo steht für die innige, tiefe Freundschaft der beiden, und wenn Lucie Milo dann am Schluss Papa nennt, hat das natürlich auch was Symbolisches, hebt die Beziehung sozusagen auf eine höhere Ebene. Tja, so hab ich mir das vorgestellt. (Und überhaupt ist es ja mittlerweile gang und gäbe, dass Kinder ihre Eltern mit Vornamen anreden.)

Ich fänd "Pranken" vielleicht noch ganz gut!?

Nein, das passt gar nicht, Milo hat ja eher solche Hände.

Ich bin GErührt und BErührt. Eine wunderschöne, in Bildern geschriebene Kurzgeschichte. Einfühlsam, bewegend.
[…]
Und ansonsten alles toll.

Tja, Meraviglia, da schick ich dir jetzt ein ganz großes Dankeschön. Dein Lob freut mich umso mehr, weil für mich selbst die Milo-Geschichte nach Nordwand meine zweitliebste hier im Forum ist. Das steckt wirklich viel Herzblut von mir drin.

offshore

 

Hey, Mister!

Nur eine kurze Antwort...

Nein, das passt gar nicht, Milo hat ja eher solche Hände.

--> Klauen??? ;) Einen Versuch hatte ich nun noch.

Also bei uns in Österreich ist Ziehvater der gängige Begriff für einen Mann, der zwar nicht der leibliche Vater eines Kindes ist, sich um dieses aber annimmt, als wäre er es.

Also bei uns in Deutschland ist das auch der gängige Begriff für das, was Du beschrieben hast. :D Mir war jetzt nur nicht ganz klar, ob Milo der leibliche Vater ist oder nicht. Aber jetzt weiß ich es. Danke für die Aufklärung.

Und überhaupt ist es ja mittlerweile gang und gäbe, dass Kinder ihre Eltern mit Vornamen anreden.

Naja, hin und wieder schon, aber die meisten sagen schon "Mama" oder "Papa", denke ich. Mein Papa hat auch immer geschimpft: "Ich heiße nicht Papa...!" Aber ich war hartnäckig. :)

Da steckt wirklich viel Herzblut von mir drin.

Das ist mir wohl aufgefallen. :thumbsup:

Ein schönes Wochenende wünscht Dir
Meraviglia

 

Ach offshore,

da hatte ich im Rahmen meiner 'Aufarbeitung' der letzten Monate deine ganz wunderbare Geschichte gefunden, die mich unglaublich berührt hat, und einen (bei mir seltenen) längeren, über den grünen Klee lobenden, Kommentar verfasst, und dann - ich bin halt kein Digital-Native - irgendwie alles wieder unwiederbringlich gelöscht, Mist.
Nun also doch wieder kürzer, denn mir fehlt die Geduld: Das hier ist so toll, einfühlsam, einfach schön geschrieben!!!
Und erstens ist es eh so, die Liebe und Zeit miteinander zählt, nicht irgendeine DNA, und zweitens, der Moment und das Wissen um Verbundenheit sind wesentlich, gerade für ein Kind mit traumatischen Erfahrunge, nicht das Vernünftige, Gesetzeskonforme. Egal wie's kommt; ich finde, Milo macht das Richtige. Und ehrlich jetzt, welcher Richter wird ihn verurteilen, nachdem er Lucie gehört hat?
Ja, und eine Weile wird es wohl klappen, am Meer, mit Hilfe, und diese Weile ist eben wichtig. Je älter die Kleine wird, umso mehr kann sie sowieso über ihr Leben selbst entscheiden. Schule und sowas, das lässt sich nachholen. Ich jedenfalls drücke den Beiden die Daumen (woran du siehst, wie sehr ich drin bin in deiner Geschichte :-)!
Sehr berührt und gern gelesen!

Eva

 

Hallo ernst offshore,

dieser Milo ist ein feiner Kerl und ich wünsch ihm, dass der olle Hofinger ihm nicht schon auf den Fersen ist. Ja, das ist eine Kurzgeschichte. Super, diese sensiblen Beschreibungen und Charakterisierungen. In aller Kürze zeichnest du die Schicksale – wie Schiele: Etwas brüchig, in zittrigen, feinen Linien entsteht deine Geschichte wie aus dem Nichts (die Betrachtung der Hände) und beinhaltet doch so viel Schwere (Unfalltod Franziskas), soviel Dramatik (Entführung und Autofahrt), soviel Zärtlichkeit. Die Begrüssung zwischen Milo und Lucie und wie Josip die Beiden empfängt, das sind ganz grosse Momente voller Liebe. Da wird nichts hinterfragt, nichts erklärt. Eine kleine Geschichte mit grossen Dimensionen – wie das Meer. Das gefällt mir sehr.

Kein Lob ohne Gemecker:

Wohl kaum wie ein Held der Arbeit, vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm.
Das dünkt mich ein etwas übertriebener Kommentar. Das sind sichtbare Schrammen an Handwerkerhänden, damit wird man noch kein Zombie. (He, ich weiss, wovon ich rede. Ich hab mir so manches Sägeblatt aus den linken Fingern gezogen und mir mit der Blechschere dreieckige Narben verpasst.) Milos wirkliche Wunden sind ja nicht sichtbar …

„Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie gelächelt …
Ist Feststellung hier das richtige Wort? Wäre Forderung oder Befehl vielleicht besser? Feststellen kann man doch nur was ist, nicht was sein soll?
… Milo (…) und kaute auf der Zigarette, die seit Stunden zwischen seinen Lippen baumelte.
Bist du Nichtraucher? Eine Zigarette, die seit Stunden zwischen den Lippen baumelt? Uah, die is aufgeweicht, da hilft auch allenfalls kein Filter mehr. Ausserdem wäre es so, dann hätte er seit Stunden nicht auf Lucies Spässe reagiert? Ne, geht nicht, echt!
und die Kavallerie setzte sich in Marsch.
Kavallerie ist mir hier zu abgedroschen. Damit drohte Steinbrück zu oft den Schweizern. Armee, Kompanie?
weil sie in einer Viertelstunde das Meer sehen könne.
könne > würde
Und Lucie, mein kleiner Liebling, Lucie! Jessas, bist du groß geworden,
Jessas >Jesses
„Ja ja … äh, was wollt ihr machen?“
Entweder Ja, ja … oder jaja
Sie grinste ihn an, nein, sie lächelte, sie strahlte
sie lächelte kann m.E. weg. Da bin ich gestolpert.
und drückte ihre Nase an seine. „Bitte bitte bitte!“
„Bitte, bitte, bitte!“ Oder: Bittebittebitte um im Kinderton zu bleiben.

So, das war’s. Ich hoffe, du kannst das nach all den vielen Komms noch gebrauchen. Hat mich sehr gefreut, so eine feine Geschichte zu lesen!

Lieben Gruss,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Gisanne

dieser Milo ist ein feiner Kerl und ich wünsch ihm, dass der olle Hofinger ihm nicht schon auf den Fersen ist. Ja, das ist eine Kurzgeschichte. Super, diese sensiblen Beschreibungen und Charakterisierungen. In aller Kürze zeichnest du die Schicksale – wie Schiele: Etwas brüchig, in zittrigen, feinen Linien entsteht deine Geschichte wie aus dem Nichts (die Betrachtung der Hände) und beinhaltet doch so viel Schwere (Unfalltod Franziskas), soviel Dramatik (Entführung und Autofahrt), soviel Zärtlichkeit. Die Begrüssung zwischen Milo und Lucie und wie Josip die Beiden empfängt, das sind ganz grosse Momente voller Liebe. Da wird nichts hinterfragt, nichts erklärt. Eine kleine Geschichte mit grossen Dimensionen – wie das Meer. Das gefällt mir sehr.

Da bekam ich beim Lesen echt Gänsehaut, Gisanne, kein Witz. Ich weiß nicht, wie oft ich mir diesen Absatz jetzt durchgelesen habe, also auswendig gelernt habe ich ihn nicht gerade, aber beinahe.
So ein schönes, großes Lob! Ganz vielen Dank dafür.

Kein Lob ohne Gemecker:
Wohl kaum wie ein Held der Arbeit, vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm.
Das dünkt mich ein etwas übertriebener Kommentar. Das sind sichtbare Schrammen an Handwerkerhänden, damit wird man noch kein Zombie. (He, ich weiss, wovon ich rede. Ich hab mir so manches Sägeblatt aus den linken Fingern gezogen und mir mit der Blechschere dreieckige Narben verpasst.) Milos wirkliche Wunden sind ja nicht sichtbar

Milo denkt ja nicht über die verbliebenen, sichtbaren Narben an seinen Händen nach, sondern malt sich die aberwitzige Vorstellung aus, alle sich jemals zugezogenen Verletzungen und Wunden gleichzeitig und auf einmal zu haben, wie eben erst passiert, frisch, klaffend und bluttriefend ...
... Von den aufgeschlagenen Knien der Kindheit über die blutigen Lippen nach den jugendlichen Raufereien bis zu dem abgerissenen Finger im vorletzten Winter.
usw. Versuch dir das mal vorzustellen. Also da finde ich mein Bild nicht allzu weit hergeholt.

„Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie gelächelt …
Ist Feststellung hier das richtige Wort? Wäre Forderung oder Befehl vielleicht besser? Feststellen kann man doch nur was ist, nicht was sein soll?

Verdammt, Gisanne, du hast keine Ahnung, wie lange ich an dieser Stelle um das perfekte Wort gerungen habe. So wirklich passt mir Feststellung nach wie vor ja auch nicht. Aber sowohl Forderung als auch Befehl treffen nicht ganz das, was ich ausdrücken wollte. Weder bittet Franziska Milo, noch befiehlt sie ihm etwas, für sie ist das im Grunde nicht mehr als die Erwähnung einer Sache, die für sie sowieso selbstverständlichen ist, verstehst du, was ich meine?

… Milo (…) und kaute auf der Zigarette, die seit Stunden zwischen seinen Lippen baumelte.
Bist du Nichtraucher? Eine Zigarette, die seit Stunden zwischen den Lippen baumelt? Uah, die is aufgeweicht, da hilft auch allenfalls kein Filter mehr. Ausserdem wäre es so, dann hätte er seit Stunden nicht auf Lucies Spässe reagiert? Ne, geht nicht, echt!

Machst du Witze, Gisanne? Fragst du mich als nächstes, ob das Gras blau ist?
Klar könnte ich den Satz raushauen, warum steht der da überhaupt? Vielleicht wollte ich damit ausdrücken, dass Milo trotz seiner Nervosität aus Rücksicht auf Lucie im Auto nicht raucht. Ja, ich glaub, so war’s.

und die Kavallerie setzte sich in Marsch.
Kavallerie ist mir hier zu abgedroschen. Damit drohte Steinbrück zu oft den Schweizern. Armee, Kompanie?

Na ja, das ist bei uns in Wien halt einfach so ein geflügeltes Wort. Will ich nicht ändern.

weil sie in einer Viertelstunde das Meer sehen könne.
könne > würde

Will ich auch nicht ändern, obwohl ich da echt lange herumprobiert habe. Ausschlaggebend für könne war dann letztendlich der Umstand, dass Lucie im Tunnel ja einschläft, das Meer also tatsächlich nicht in einer Viertelstunde sieht, sondern es allenfalls hätte sehen können. Alles klar?

Und Lucie, mein kleiner Liebling, Lucie! Jessas, bist du groß geworden,
Jessas >Jesses

Vergiss es, Gisanne, so sagt man vielleicht bei euch in der Schweiz, in Wien heißt es immer noch jessas! Allemal.

„Ja ja … äh, was wollt ihr machen?“
Entweder Ja, ja … oder jaja

Okay, darüber lass ich mit mir reden.

Sie grinste ihn an, nein, sie lächelte, sie strahlte
sie lächelte kann m.E. weg. Da bin ich gestolpert.

Okay, darüber auch. … Novak, glaub ich, hat’s auch gestört, oder Hacke.
... Nein lieber doch nicht. Ich mein, der Text ist doch ohnehin schon so komprimiert, und lächeln ist einfach ein soo schönes Wort …

und drückte ihre Nase an seine. „Bitte bitte bitte!“
„Bitte, bitte, bitte!“ Oder: Bittebittebitte um im Kinderton zu bleiben.

Da hab ich weniger nach grammatikalischen oder semantischen Gesichtspunkten entschieden, sondern eher nach ästhetisch-optischen. So wie ich’s geschrieben habe, gefällt’s mir beim Lesen einfach am besten, sieht so irgendwie am richtigsten aus. Und ich glaube auch nicht, dass ich damit irgendeine Regel verletze. Friedel z.B. hat es stillschweigend hingenommen. Und das begreife ich allemal als Absolution.

Vielen lieben Dank, Gisanne, für deinen tollen Kommentar.

offshore

 

Servus Eva,

ich muss mich entschuldigen bei dir. Als ich am Samstag Gisannes Kommentar entdeckte und anklickte, habe ich deinen schlicht übersehen. Der fiel mir erst heute auf, und das ist mir umso peinlicher, weil du so schöne Worte zu meiner Geschichte sagst.
Ich bin glücklich und stolz, dass sie dich dermaßen berühren konnte.

... und einen (bei mir seltenen) längeren, über den grünen Klee lobenden, Kommentar verfasst, und dann - ich bin halt kein Digital-Native - irgendwie alles wieder unwiederbringlich gelöscht, Mist.

Du Arme. Ich bin zwar selbst ein computertechnologischer Säbelzahntiger und wahrhaft der Falsche, um dir einen Rat geben zu können, obendrein weiß ich ja nicht, was du genau angestellt hast, ich tu es trotzdem:
Ich bin schon lange dazu übergegangen, meine Kommentare im Word zu schreiben, zu speichern und sie erst dann ins Edit-Fenster zu kopieren. Sollte dir das Missgeschick allerdings im Word passiert sein (oder in welchem Schreibprogramm auch immer), solltest du vielleicht die Einstellung für die automatische Zwischenspeicherung auf möglichst kurze Intervalle runtertunen.

Na ja, umso schöner, dass du dir trotzdem noch einmal die Mühe gemacht hast.

Vielen lieben Dank dafür und dein großes Lob, Eva.

offshore

 

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