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Mintgrüne Maden

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Mintgrüne Maden

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Mintgrüne Maden

Bevor er mir eine Hausaufgabe auf den Weg mitgibt, sagt Dr. Hasselbring, soll ich mir noch diese Maden vorstellen. Er deutet die Länge mit Daumen und Zeigefinger an. Welche Farbe sie gehabt haben, fragt er, und ich sage Mintgrün, eine kränkliche Farbe. Und sie hatten dicke schwarze Borsten auf dem Rücken, als ich sie aus der braunen Packpapiertüte in meine Hand schüttelte.

Es fühlt sich weich an, das Zeug, wie Marshmellows, die Borsten kitzeln ein bisschen in meiner Hand. Wir lachen alle drei, John, den wir in Kuala Lumpur kennen gelernt haben, mein Spezi Püring und ich.

Die nachdrängelnden Käufer in der Schlange schieben uns von dem Stand weg, wir geraten in den beständigen Menschenstrom zwischen den Bazarbuden, flanieren weiter. Die Maden schüttle ich im Gehen zurück in den Beutel. Wir kaufen noch eine Stange Brot und zwei Flaschen Cola und gehen zum Padang-na-Pirna, einem Park in der Nähe. Dort hocken die Einheimischen auf Decken, rauchen und kauen Betelnüsse, Kinder scheuchen ein paar Tauben auf. Dort lassen wir uns auf dem lückenhaften, sonnverbrannten Rasen nieder. Dort lässt sich John die Tüte geben und schüttelt eine Made in seine Hand.

Bye-bye civilisation, sagt er, legt den Kopf gackernd in den Nacken und lässt sich das fleischige Insekt in den Rachen fallen. Er würgt zweimal, einen Moment sieht es aus, als würde die Larve wieder herauskommen, aber dann reibt John sich den Bauch.

Püring verzieht das Gesicht und holt die Schnapsflasche aus dem Rucksack, die wir am Abend zuvor angebrochen haben. Er nimmt einen Schluck daraus. Dann lässt er sich eine Made geben.

They taste a little nutty, behauptet John und macht dazu ein Gesicht wie ein französischer Gourmet. Püring antwortet nicht, und sieht auch die Made nicht an. Aber er führt die Hand zum Mund, beißt die Hälfte mit spitzen Zähnen ab und schlingt sie hinunter. Eine Weile lang starrt er die zappelnde zweite Hälfte in seiner Rechten an, dann wirft er sie fort und nimmt noch einen zweiten Schluck aus der Pulle. Ich sehe ihm in die Augen.

Allmählich verwandelt sich das verzerrte Gesicht Pürings in das von Dr. Hasselbring. Mir fällt auf, dass ich das Gesicht verzogen habe und glätte es mit der Hand. Es schüttelt mich ein bisschen.

"Gut", sagt der Doktor und wischt sich eine Strähne aus der Stirn. "Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben die Made in der Hand und schließen die Faust. Wie fühlt sie sich an?"

Ich blase die Backen auf und puste die Luft wieder heraus.

"Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie es, aber es ist wichtig, dass wir bis an die Grenze gehen", erklärt der Doktor.

Ich nicke und blicke auf meine leere Handfläche. Sie ist ziemlich blass. Stecknadelkopfgroße rötliche Flecken ergeben ein schwaches Muster – wie früher im Fernsehen, in der Geisterstunde. Stellenweise schimmern die Adern grünlich durch, seltsam, dass es grünlich aussieht, denke ich, im Biologiebuch waren die Venen immer blau. Dieses Grün erinnert mich an die Farbe der Made, und da liegt sie wieder auf meinem rechten Handteller, das Besteck dazu sind die Finger der Linken, sie rollt sich ein wenig zusammen, krümmt sich wie ein abgeschnittener kleiner Finger.

"Jetzt schließen Sie die Hand, bitte," sagt Dr. Hasselbring.

"Kein Problem", höre ich mich antworten, meine Zunge ist kühn, und ich überlege, ob sie recht hat. Wahrscheinlich hat sie nur Angst vor dem, was auf sie zukommt. Ich folge der Anweisung und spüre das wurmförmige Ewas in meiner Faust, es windet sich, ich drücke die Finger fester zusammen. Die anderen beiden, John und Püring, lachen.

"Du siehst irgendwie etwas blass aus", sagt Püring.

Ich schlucke, lasse mir die Schnapsflasche geben, nehme einen Mund voll. Die Flüssigkeit brennt auf der Zunge, ich lasse sie dort, solange es geht. Ich schmecke nur Alkohol, spüre wie mir der Dunst davon ins Gehirn steigt. Langsam hebe ich die Faust an den Mund, schließe die Augen und halte die Fingernägel eine Weile lang auf die Lippen gepresst. Schließlich leere ich die Faust in den Mund und habe den Wurm in mir, es fühlt sich an wie eine zweite Zunge, die Made bewegt sich, mir wird fast übel, ich kann das Dings nicht schlucken, es bewegt sich in einem fort, ich kann einfach nichts hinunterschlucken, was sich bewegt, ich kann nicht. Ich spucke das Vieh aus, wende mich ab. Ich würge, aber es kommt nichts. Ekelschübe verrenken meinen Körper, fast kugele ich mir den rechten Arm dabei aus, es tut weh, gleichzeitig muss ich lachen. Dann fühle ich eine Hand in meinem Nacken. Als ich aufsehe, fällt mein Blick auf eine mit braunem Leder gepolsterte Tür.

„Ruhig“, sagt Dr. Hasselbring. Er steht hinter mir, ich habe mich von ihm weggedreht.

„Genug für heute“, sagt er, und als ich mich wieder zu ihm umwende, drückt er mir das Glas Wasser in die Hand, das er vor einer Stunde auf den Schreibtisch gestellt hat.

Aber die Flüssigkeit erinnert mich an den Schnaps. Statt zu trinken massiere ich mir das Gesicht, es fühlt sich kalt und nass an. Schließlich nehme ich meine Mappe und gehe hinaus.

Erst unten auf der Straße fällt mir auf, dass der Reißverschluss der Mappe offen ist, und als ich ihn zuzippen will, da sehe ich eine braune Packpapiertüte darin, eine Tüte, die da nicht hineingehört.

 

Hallo Stefan,
deine Geschichte ist mal wieder sehr flüssig und anschaulich geschildert, wie zu erwarten! Doch ich muss zugeben, dass mir zu vieles unklar ist. Für eine KG von einer knappen Din-A4-Seite sind mir zuviele Spezialausdrücke drin, die nicht erklärt werden, sondern verwirren, also wo sind die Jungs (auch wenn es nicht wichtig ist), was ist ein "Spezi Püring", was für Hausaufgaben gibt der Doktor deinem Prot, was für eine Mappe hat dein Prot etc. Und überhaupt, soll das eine Psychotherapie sein? Diese Methoden erscheinen mir sehr seltsam, ich habe eher den Eindruck, dass der Junge das Ekel-Erlebnis noch einmal durchmachen muss. Und den Schluss finde ich enttäuschend. Tut mir Leid, dass ich nichts anderes dazu sagen kann.
LG tamara

 
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Hi tamara,

erstmal danke fürs Lesen.

Dein Problem mit der Formulierung "mein Spezi Püring" ist verständlich. Spezi sagt man in Bayern zu einem Freund oder Kumpel. Püring ist ein Name.

Es steht nicht im Text, wo die Jungs sind. Weil es nicht wichtig ist, das hast du richtig erkannt. Im Text steht Basar, und Kuala Lumpur wird erwähnt - das reicht für meine Zwecke.

Was ist das für eine Mappe? Sie hat einen Reißverschluss und am Ende ist eine Papiertüte drin, die nicht hineingehört. Wozu sie dem Ich-Erzähler dient, welche Farbe die Mappe hat oder was sonst drin ist, wird nicht erwähnt - weil es nicht wichtig ist.

Ist das eine Psychotherapie? Gut möglich. Oder ein Wissenschaftler an der Uni? Wäre auch denkbar, glaube ich. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten. Auch das ist nicht entscheidend.

Mir ist klar, dass die Story eine gewisse Unschärfe hat, was es dem Leser nicht ganz einfach macht. Aber diese Unschärfe ist für mich auch ihr Reiz. Sie lässt dem Leser die Freiheit der eigenen Interpretation.

Eine Story ist eine Art Rätsel - manchmal mit mehreren Lösungen. Am meisten Spaß macht es, wenn man das Rätsel gerade eben noch lösen kann. Dieses befriedigende Erlebnis hattest du hier offenbar nicht. Ich kenn diese Art der Frustration, die verleidet auch mir so manche Geschichte. Aber die Möglichkeit des Scheiterns gehört nunmal dazu, wenn man sich an ein Rätsel macht ...

Aber ich glaube, das meiste hast du verstanden, dir fehlt nur ein Mosaiksteinchen. Vielleicht findest du es, wenn du dir nur noch mal den Anfang und das Ende der Story durchliest?

Grüße aus München,
dein Stefan

 

Hi!

Also erstmal: Ich mag Deinen Schreibstil. Liest sich sehr locker, flüssig und gleichzeitig nicht trivial.
Doch wirklich. Ich glaube, ich würde viel geben, um genau so schreiben zu können.

Aber der Plot... Ich weiß nicht.
Ist ja ganz witzig und so. Der erste Teil kommt rüber wie eine Folge Dschungelcamp auf RTL2, und die Tatsache, dass der Prot davon einen psychischen Schaden erleidet, betrifft mich persönlich nicht die Bohne.
Das einzige, was mir gefällt ist die Tüte in der Tasche am Ende. (Das liegt aber nur daran, dass ich allgemein auf Geschichten stehe, in denen Leute den Verstand verlieren...)
Ist wahrscheinlich Geschmacksache, aber mich hat es nicht angesprochen. Mir fehlt irgendwie... die Aussage, das Konzept, die Moral, die Idee, dieses Gefühl, dass mir die Geschichte etwas mitgegeben hat.

Ich finde, aus Deinem Talent könntest Du mehr machen. Viel, viel mehr, vorrausgesetzt, Du würdest mit einem Plot arbeiten, der Deinen schreiberischen Fähigkeiten angemessen ist.


Schöne Grüße, Feline

 

Hallo,

mir hat die KG gefallen.

Aber verstanden habe ich sie erst nach dem dritten Mal durchlesen. Ob das nun an mir liegt :D ?
Deine Wechsel von der Sitzung zu Kuala Lumpur sind schwer zu erkennen; aber wieso sollte man eine Geschichte nicht auch dreimal lesen, wenn sie doch so reizt, dass man es letztendlich tut um sie zu verstehen?

Am besten gefällt mir folgender Satz:

Mir fällt auf, dass ich das Gesicht verzogen habe und glätte es mit der Hand. Es schüttelt mich ein bisschen.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo leixoletti

Ich hatte komischerweise keine Mühe beim ersten Mal Durchlesen, ob das an mir liegt?
(Blöder Witz, tschuldige bernadette :) )

Die Geschichte beschreibt einen Ausschnitt aus dem Leben eines Mannes, der an einer schweren Madenphobie leidet. Du hast die Gefühle, die fliessenden Übergänge von Realität zur ekligen Erinnerung gut rübergebracht. Dein Stil ist flüssig und angenehm zu Lesen.
Viel mehr Hintergründe braucht der Plot nicht, die Tüte in der Mappe ist die unangenehme Hausaufgabe, richtig?
(Ob's wohl mintfarbene Lakritze drin hat, :susp: )

Ich kann Deinen Protagonisten gut verstehen. Als kleiner Junge spielte ich auf dem Schulweg mal mit einem Erdklumpen in der Linken, während ich in der Rechten eine angebissene Schokoladenwaffel hielt. Gedankenverloren biss ich in das Ding in meiner Linken.
Es dauerte Jahre, bis ich die Assoziation von Schokoladenwaffel mit Erdgeschmack loswurde.

Du hast mich gut unterhalten.
Liebe Grüsse
dot/

 

Als kleiner Junge spielte ich auf dem Schulweg mal mit einem Erdklumpen in der Linken, während ich in der Rechten eine angebissene Schokoladenwaffel hielt. Gedankenverloren biss ich in das Ding in meiner Linken.
Es dauerte Jahre, bis ich die Assoziation von Schokoladenwaffel mit Erdgeschmack loswurde.

:D :lol:

Ich hab' mal als Kind ein Glas Fanta getrunken, in der Maikäfer waren, hat auch etwas gedauert bis ich wieder welche trinken konnte... :D :bla:

Naja, aber jetzt zur Geschichte:

Mir hat sie ganz gut gefallen, unter dem Aspekt dass man sie auch als Geschichte aufnimmt, die Dinge offen lässt.
Eigentlich bin ich persönlich nicht so der Fan dieser Und-nun-denkt-euch-euren-Teil Dinger, aber hier fange ich alles gut umgesetzt, und das Thema auch ungewöhnlich und interessant.
Und gut dass ich jetzt weiß was ein Spezi ist. :)
Bei uns sagt man Spezi manchmal zu einem, von dem man dnekt er hat nicht alle Tassen im Schrank. :D
Auch mir hat dein Stil sehr gut gefallen. :thumbsup:

Ganz liebe Grüße, Bella. :bounce:

 

Sali dot,

Ich hatte komischerweise keine Mühe beim ersten Mal Durchlesen, ob das an mir liegt?

Du hast drei Vorteile:
Zwanzig Monate mehr Lebens-, ein Jahr mehr kg.de-Erfahrung und - du bist Schweizer (ich kenne nur intelligente Eidgenossen, wenn ich es mir recht überlege :D ).

Ciao
bernadette

 

Hallo Feline, bernadette, dot und Lady,

vielen Dank euch vieren fürs Lesen, und sorry, dass ich erst jetzt antworte - ich habe die Beiträge von Feline und bernadette wohl irgendwie übersehen. Die meisten von euch scheinen irgendwie von der Story profitiert zu haben.

Feline, du mochtest die Tüte in der Tasche. Offenbar hat die Version des Protagonisten, die bei deiner Lektüre entstanden ist, den Verstand verloren und nur deshalb dort eine Tüte gesehen?

Bernadette, du hast die Story offenbar gleich dreimal gelesen, das freut mich besonders. Ich hoffe, du hattest am Ende das Gefühl, sie verstanden zu haben. (Aber was heißt schon verstehen? Einen Sinn für sich darin entdecken, finde ich.)

Dotslash und Bella, ihr habt euch an Schokoladenerde und Käferfanta erinnert. Wären das nicht auch Geschichtenkeime?

Grüße,
Stefan

 
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Hallo liebe Leser,

ich hab nach einiger Zeit erkannt, dass ihr alle irgendwie mehr Recht hattet als ich und hab die Story nochmal umgearbeitet (siehe nächstes Posting). Verändert haben sich der Titel und die ersten paar Sätze. Vor allem ist der Schluss nun viel länger.

Grüße,
Stefan

 
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Neue Version

Auch ein Mut

Dr. Hasselbring sitzt hinter seinem Schreibtisch und verlangt das Unmögliche von mir. Wie in der ersten Therapiestunde soll ich mir wieder diese Raupen vorstellen. "So lang vielleicht?", fragt er und macht eine Schublehre aus Daumen und Zeigefinger. Welche Farbe sie gehabt haben, fragt er, steht vom Schreibtisch auf und setzt sich schräg hinter mich. Mintgrün waren sie, eine kränkliche Farbe. Und sie hatten dicke schwarze Borsten auf dem Rücken, als ich sie aus der braunen Packpapiertüte in meine Hand schüttelte.

Es fühlt sich weich an wie Marshmellows, die Borsten kitzeln ein bisschen in meiner Hand. Wir lachen alle drei, John, den wir in Kuala Lumpur kennen gelernt haben, mein Spezi Püring und ich.

Die nachdrängelnden Käufer in der Schlange schieben uns von dem Stand weg, wo wir das Zeug gekauft haben, wir geraten in den beständigen Menschenstrom zwischen den Bazarbuden, schlendern weiter. Die Raupen schüttle ich im Gehen zurück in ihre Tüte. Wir kaufen noch eine Stange Brot und zwei Flaschen Cola und gehen zum Padang-na-Pirna, einem Park in der Nähe. Dort hocken die Einheimischen auf Decken, rauchen und kauen Betelnüsse, Kinder scheuchen ein paar Tauben auf. Dort lassen wir uns auf dem lückenhaften, sonnenverbrannten Rasen nieder. Dort verlangt John die Tüte, und eine Raupe rutscht in seine Hand.

"Bye-bye civilisation", sagt er, legt den Kopf gackernd in den Nacken und lässt sich das fleischige Insekt in den Rachen fallen. Er würgt zweimal, einen Moment sieht es aus, als würde die Larve wieder herauskommen, aber dann reibt John sich den Bauch.

Püring verzieht das Gesicht und holt die Schnapsflasche aus dem Rucksack, die wir am Abend zuvor angebrochen haben. Er nimmt einen Schluck daraus. Dann lässt er sich eine Raupe geben.

"They taste a little nutty", behauptet John und macht dazu ein Gesicht wie ein französischer Gourmet. Püring antwortet nicht, und sieht auch die Raupe nicht an. Aber er führt die Hand zum Mund, beißt die Hälfte mit spitzen Zähnen ab und schlingt sie hinunter. Eine Weile lang starrt er die zappelnde zweite Hälfte in seiner Rechten an, dann wirft er sie fort und nimmt noch einen zweiten Schluck aus der Pulle. Ich sehe ihm in die Augen.

Allmählich verschwindet das Gesicht von Püring, und die Stimme von Dr. Hasselbring führt mich zurück ins Therapiezimmer. Mir fällt auf, dass ich das Gesicht verzogen habe und glätte es mit der Hand. Es schüttelt mich ein bisschen.

"Gut", sagt der Doktor und fischt sich eine Strähne aus der Stirn. "Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben die Raupe in der Hand und schließen die Faust. Wie fühlt sie sich an?"

Ich blase die Backen auf und puste die Luft wieder heraus.

"Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie es, aber es ist wichtig, dass wir bis an die Grenze gehen", erklärt der Doktor.

Ich nicke und blicke auf meine leere Handfläche. Sie ist ziemlich blass. Stecknadelkopfgroße rötliche Flecken ergeben ein schwaches Muster – wie früher im Fernsehen, in der Geisterstunde. Stellenweise schimmern die Adern durch, ihre Farbe erinnert mich an die Raupe, und da liegt sie wieder auf meinem rechten Handteller, das Besteck dazu sind die Finger der Linken, sie rollt sich ein wenig zusammen, krümmt sich wie ein abgeschnittener kleiner Finger.

"Jetzt schließen Sie die Hand, bitte," sagt Dr. Hasselbring.

"Kein Problem", höre ich mich antworten, meine Zunge ist kühn, und ich überlege, ob sie recht hat. Wahrscheinlich hat sie nur Angst vor dem, was auf sie zukommt. Ich folge der Anweisung und spüre das wurmförmige Etwas in meiner Faust, es windet sich, ich drücke die Finger fester zusammen. Die anderen beiden, John und Püring, lachen.

"Du siehst irgendwie etwas blass aus", sagt Püring.

Ich schlucke, verlange die Schnapsflasche, nehme einen Mund voll. Die Flüssigkeit brennt auf der Zunge, ich lasse sie dort, solange es geht. Ich schmecke nur Alkohol, spüre wie mir der Dunst davon ins Gehirn steigt. Langsam hebe ich die Faust an den Mund, schließe die Augen und halte die Fingernägel eine Weile lang auf die Lippen gepresst. Schließlich leere ich die Faust in den Mund und habe den Wurm in mir, es fühlt sich an wie eine zweite Zunge, die Raupe bewegt sich, mir wird fast übel, ich kann das Dings nicht schlucken, es bewegt sich in einem fort, ich kann einfach nichts hinunterschlucken, was sich bewegt. Ich spucke das Vieh aus, wende mich ab. Ich würge, aber es kommt nichts. Mein Körper verrenkt sich, fast kugele ich mir den rechten Arm dabei aus, es tut weh, gleichzeitig muss ich lachen. Dann fühle ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich aufsehe, fällt mein Blick auf eine mit braunem Leder gepolsterte Tür.

„Ruhig“, sagt Dr. Hasselbring. Er sagt es so, wie man Pferde besänftigt. Der Doktor drückt mir das Glas Wasser in die Hand, das er vor einer Stunde hingestellt hat.

Als ich getrunken habe, setzt er sich wieder hinter seinen Schreibtisch und zieht er etwas aus einer Schublade hervor. Es ist eine halb gefüllte Packpapiertüte, wie man sie für Obst verwendet. Aber Obst wird's nicht sein, das ist mir klar.

"Ihre grünlichen Raupen habe ich nicht auftreiben können. Mehlwürmer sind kein guter Ersatz, aber sie sind essbar..."

"Wie bitte", frage ich, obwohl ich genau verstanden habe.

"Sie wissen, es ist nötig, dass wir bis zur Grenze gehen," insistiert der Doktor.

Ich schüttele den Kopf. Dr. Hasselbring aber öffnet die Tüte und lässt ein paar von den Würmchen in seine Hand gleiten.

"Warum nicht? Sind doch ganz manierlich, die kleinen, oder?" Er hält mir die offene Hand hin, damit ich einen Blick darauf werfe. Es sind honigbraune Würmchen, so lang wie ein Fingerglied, vielfach segmentiert und sehr beweglich. Die Miniaturausgabe der Raupen gewissermaßen, leichter zu schlucken, aber...

"Nein, das... das geht nicht, das geht nicht, sorry, das tu ich nicht," stoße ich hervor.

Dr. Hasselbring gibt die Mehlwürmer in die Tüte zurück und lächelt mich an. Lächelt. Es könnte nett gemeint sein, aber es ist nicht nett. Nein, er lacht über mich. Genau wie Püring und John gelacht haben. Es ist der kandierte Vorwurf von Feigheit. Gell, das schaffst du nicht: Das bedeutet dieses Lächeln.

"Mir ist egal, was ich bin", sage ich als hätte er seinen Vorwurf nicht gelächelt sondern gesprochen. Ich sage es so beherrscht wie möglich. "Ich ess das Zeug nicht."

"Sie drücken sich? Sie sind bockig?", fragt der Doktor.

"Wenn Sie's so nennen wollen. Ich ess' den Kram nicht. Nie und nimmer, keine Lust, fertig und aus."

Das Lächeln von Dr. Hasselbring verliert sich, sein Gesicht wird steinhart. Ich überlege, ob ich jetzt das Grundgesetz gebrochen habe, oder wie er es genannt hat. Alles tun, was er verlangt. Jetzt hast du die Therapie versaut, denke ich. Als mir das klar wird, räuspert sich Dr. Hasselbring.

"Sie sind drüber weg, Herr Mayer", sagt er ernst und ziemlich leise. Ich verstehe nicht und blicke ihn fragend an.

"Ich meine: Sie brauchen nicht mehr kommen. Sie mögen keine Raupen, und deswegen haben Sie sich geweigert. Sie haben den Konflikt geführt, und der Mut zum Konflikt ist auch ein Mut."

Dr. Hasselbring sieht auf seine Hände und erkennt, dass er immer noch die Tüte in der Hand hat. Er zuckt mit der Schulter.

"Vielleicht kommt mal ein Angler vorbei", sagt er und steckt die Mehlwürmer zurück in die Schublade.

"Jetzt sitzen Sie nicht so bedrückt da. Sie haben's nachgeholt. Sie haben mir die Antwort gegeben, die Ihnen damals nicht eingefallen ist." Er steht auf, schüttelt abschließend meine Hand. Auch ein Mut, hallt es in mir nach. Auch ein Mut. Ich nehme meine Mappe und gehe hinaus.

 

Hallo leixoletti,
also die neue Version deiner Geschichte gefällt mir besser, als die erste. Einige Sachen kommen klarer raus und auch der längere Schluß hat mir sehr gut gefallen. Der Prot hat es geschafft, nein zu sagen und somit auch eine Art von Mut bewiesen und die Therapie erfolgreich abgeschlossen.
"Auch ein Mut". Wenn man den Schluss liest, wird natürlich klar, was damit gemeint ist. Wenn man vorher den Titel hört, klingt er zunächst etwas komisch. Mir ging es jedenfalls so. Vielleicht, wenn du "auch eine Art von Mut" schreiben würdest. Obwohl, mir hat auch der erste Titel "Mintgrüne Maden" gut gefallen.
Was mir noch aufgefallen ist, du verwendest ziemlich viele Wortwiederholungen in deiner Geschichte, manche vielleicht absichtlich, aber einige auch nicht.
Ich schreib hier mal, welche mir aufgefallen sind und noch ein paar andere Kleinigkeiten:

"...und macht eine Schubleere aus Daumen und Zeigefinger."
Das Wort Schubleere kenne ich nicht.


"Dort lassen wir uns auf dem lückenhaften, sonnverbrannten Rasen nieder. Dort lässt sich John die Tüte geben und lässt eine Raupe in seine Hand fallen.
"Bye-bye civilisation", sagt er, legt den Kopf gackernd in den Nacken und lässt sich das fleischige Insekt in den Rachen fallen. Er würgt zweimal, einen Moment sieht es aus, als würde die Larve wieder herauskommen, aber dann reibt John sich den Bauch.
Püring verzieht das Gesicht und holt die Schnapsflasche aus dem Rucksack, die wir am Abend zuvor angebrochen haben. Er nimmt einen Schluck daraus. Dann lässt er sich eine Raupe geben."

In diesem Abschnitt kommen zu oft die Wörter lassen und läßt vor.
Ich denke, die Wortwiederholung von "dort" am Anfang einiger Sätze war beabsichtigt.


sonnverbrannten Rasen
Müsste es nicht sonnenverbrannten Rasen heißen? Bin mir aber nicht sicher.


...das Besteck dazu sind die Finger der Linken, sie rollt sich ein wenig zusammen, krümmt sich wie ein abgeschnittener kleiner Finger.
zweimal Finger


"Ich schlucke, lasse mir die Schnapsflasche geben, nehme einen Mund voll. Die Flüssigkeit brennt auf der Zunge, ich lasse sie dort, solange es geht."
Zweimal lasse. Vielleicht: Ich schlucke und verlange die Schnapsflasche."


Der Doktor drückt mir das Glas Wasser in die Hand, das er vor einer Stunde auf den Schreibtisch gestellt hat.
Als ich getrunken habe, setzt er sich wieder hinter seinen Schreibtisch
Zweimal Schreibtisch. Vielleicht einfach: Als ich getrunken habe, setzt er sich wieder hin.


Es ist eine halb gefüllte Packpapiertüte, wie man sie verwendet, um Obst einzupacken.
Hier würde ich einfach Papiertüte schreiben, um die Wiederholung pack - einzupacken zu vermeiden.


"Wie bitte", frage ich,...
Hier fehlt das Fragezeichen.

So, das war´s. Hab sie gerne gelesen, deine Geschichte, obwohl mir teilweise beim Lesen die Haare zu Berge standen. :D ( Zum Beispiel da, wo du beschreibst, wie er die Raupe in den Mund steckt. )

LG
Blanca :)

 

Hallo leixoletti,

irgendwie ein typisches Lehrstück, diese Geschichte. Eine einfache Konstellation, die zu einer eigentlich einfachen Erkenntnis führt. Wäre es in der Praxis doch nur immer so leicht, sie umzusetzen. ;)

Hat mir gefallen, sim

 

Hallo Blanca,

erstmal danke fürs Lesen der doch recht langen Story.

Die Anmerkungen zu den Wortwiederholungen lass ich mir gern gefallen. Das sagen sie mir in der Arbeit auch immer. Muss mir das en detail angucken und ändern.

sonnverbrannt: Mein Wörterbuch sagt, das ist Österreichisch oder Schweitzerisch - du hast also recht.

Schubleere: Huh, mein Wörterbuch sagt, es heißt Schublehre. Jedenfalls ist das ein Ding, das aussieht wie eine Kreuzung zwischen Amboss und Rechenschieber :) Es wird benutzt, um Längen zu messen - ist genauer als ein Lineal.

"Wie bitte", frage ich,...
Hier fehlt das Fragezeichen.
-> Okay, formal gesehen hast du recht. Aber das soll eine etwas tonlose Frage wiedergeben, eine Frage, bei der der Protagonist am Satzende mit der Betonung nicht hochgeht. M.a.W, ich plädiere auf literarische Freiheit.

Grüße,
dein Stefan

 

Hallo Sim,

auch dir vielen Dank fürs Lesen.

Lehrstück - das ist nicht gerade ein Kompliment, finde ich. Wenn das ein Theatermensch wie du sagt, denke ich an Brecht, und dessen Stücke mag ich nicht, sind mir zu lehrreich. So geht es mir oft: Ich torkele zwischen unverständlich und "ZU ÜBERDEUTLICH" hin und her... Vielleicht kann ich noch ein paar Sätze am Schluss einsparen, mal sehen.

Grüße,
Stefan

 

Hallo leixoletti

Mit der Tür ins Haus: Mir hat die erste Version besser gefallen.
Gerade diese Unschärfe, wie du es in deinem Posting erklärt hast, fand ich gelungen.

Der neue Titel verwirrte mich, warum ihn nicht bei "Mintgrüne Maden" belassen?
Der war doch klasse. Egal, betrachten wir mal "Auch ein Mut" für sich.

Herr Mayer befindet sich in einer Therapiesitzung, die ihn vor seiner Kriechzeugphobie heilen soll. Jedenfalls hat der Leser zuerst den Eindruck. Doch wie zum Schluss - Überraschung - ersichtlich wird, will der Patient seine Minderwertigkeitsprobleme los werden. Dr. Hasselbring entlockte ihm in der ersten Therapiestunde eine mögliche Ursache und reitet nun bewusst darauf herum. Am Ende überwiegt Herr Mayers Ekel, und der trägt seinen Teil dazu bei, dass der Patient selbstbewusst "Nein" sagt. Somit hat er nicht die Phobie bezwungen, sondern ein Stück Selbstbestimmung zurückgewonnen.
Deshalb stört es mich, dass Dr. Hasselbring sagt, er sei drüber hinweg.

Meiner Meinung nach musst du nur "Sie sind drüber weg, Herr Mayer" mit "Das war's, Herr Mayer" ersetzen. So erhält die Pointe der Geschichte das richtige Gewicht und der Leser wird damit überrascht, dass nicht die Madenphobie im Zentrum stand.

LG./

 

Hi dotslash,

danke für deine Meinung. Sie hat mir ein wenig zu denken gegeben. Zu einem richtigen ergebnis bin ich nicht gekommen, muss ich gestehen. Deiner Zusammenfassung stimme ich zu, nur würde ich statt Minderwertigkeitsgefühlen eine gewisse Konfliktscheu setzen - aber vielleicht haben beide etwas miteinander zu tun.

Was ich nicht verstehe, ist, warum dieses "drüber weg" dich stört. Er könnte doch auch meinen, Mayer sei über seine Selbstunsicherheit/Konfliktscheu hinweg?

Ich überlege, wirklich "Das war's, Herr Mayer" zu schreiben und die Geschichte dann ganz schnell enden zu lassen, so dass das Ende offen bleibt. Wenn du das gemeint hast, ist es auf jeden Fall eine gute Idee.

Danke + Grüße in die Schweiz,
dein Stefan

 

Hi leixoletti

Stimmt, du hast es mit Selbstunsicherheit, bzw. Konfliktscheue besser formuliert.

Nehmen wir an, der Doktor würde einen ganzen Satz machen, der würde dann lauten:
"Sie sind über ihre Selbstunsicherheit/Konfliktscheue (hin)weg." Das hört sich doch seltsam an. Eher würde er in diesem Fall sagen. "Sie haben ihre Konfliktscheue besiegt."
Klar, du möchtest ja mit dem finalen Ausspruch des Dr. zuerst noch einmal in die falsche Richtung lenken, so dass sich der Leser fragt:
ja wie jetzt, das war alles? Jetzt hat er keine Angst/Ekel mehr vor Maden?
Aber nach dem Selbstbestimmungs-Aha-Effekt kam mir die Aussage einfach komisch vor, war mehr so das Bauchgefühl entgegen Erklärungen des Verstands.

Mit "Das war's, Herr Mayer" erzeugst du meines Erachtens eine unverbindliche Aussage, die für beide "Problemfälle" passt. Dass du die Geschichte dann gleich da enden lassen würdest, kann ich nur begrüssen.
;)

Lieben Gruss
dotslash

 

Hallo,

die zweite Version hat mir besser gefallen. In ihr wird sie Situation sofort klar.
Die Ekel-Szenen hast Du schön beschrieben :)
Die "Moral" aus dem Lehrstück finde ich auch gut: Wir müssen uns nicht zu Dingen zwingen, die wir glauben, tun zu müssen.

Freundliche Grüße,

Fritz

 

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