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Mintgrüner Passat
"Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs."
"Sind wir nicht."
"Aber natürlich. Soll ich dir den Zettel zeigen?"
"Du hast deinen Zettel noch? Er hat doch ausdrücklich gesagt, dass wir den verbrennen sollen."
"Echt?"
"Echt."
"Muss ich vergessen haben."
"Vermutlich hast du auch vergessen, dass wir das auf keinen Fall tun sollten."
"Was tun?"
"Was du gerade getan hast. Der Boss hat gesagt, dass wir, egal was wir tun, das da auf keinen Fall tun sollen."
"Aber wir sind doch im Auftrag des Herrn..."
"Gib mir mal das Klebeband."
...
Es war im Sommer 1998, ein Jahr, das sich trotz seiner besonderen Ereignisse eigentlich in nichts von anderen Jahren unterschied. Polenkalle, Hotte the Shrank Meier, Jacques und ich waren damit beschäftigt, in regelmäßigen Abständen den ein oder anderen Kasten Helles zu vernichten, die Welt an sich einen guten Mann sein zu lassen und den Frauen auf die 'intern zu glotzen.
Polenkalle war in etwa soviel Pole wie Jacques ein Franzose oder ich ein Frauenheld war. Woher er diesen Spitznamen hatte, wird auf ewig sein Geheimnis bleiben. Böse Zungen behaupteten gerne, er hätte ihn irgendwo geklaut, was ich allerdings irgendwie uncharmant fand. Vielleicht war sein wuchtiger Körperumfang seiner schon fast übermenschlichen Affinität zu Salzstangen zuzuschreiben, vielleicht seinem kompletten Mangel an körperlicher Bewegung, vermutlich aber eher einer fruchtbaren Kooperation der beiden. Fruchtbarkeit ist überhaupt ein Wort, das einem beim Anblick von Kalles drillingsgebärendem Bauch öfter in den Sinn kommt.
Diesen Gedanken auszusprechen, wäre aber glatter Selbstmord gewesen, denn Kalle war der beste Freund von Hotte. Nimmt man ein bis sieben ausgewachsene Braunbären, drei original finnische Elche und einen halbvollen Kleiderschrank, püriert das Ganze und gibt es dann in eine halbwegs menschliche Gussform, erhält man nach ein paar Stunden beständigen Rührens einen Hotte. Netter Kerl eigentlich und das mit dem Denken wird ja eh oft überbewertet, sag ich immer.
Was mich anging, ich war so eine Art Gegengewicht zu den beiden, metaphorisch gesehen. Real gesehen wirkten wir, wenn ich links neben ihnen in einer Reihe stand, wie eine binäre Vier. Ganz bestimmt war ich höher als Kalle breit und vermutlich war ich auch schmaler als Hottes Oberarm, aber das haben wir nie ernsthaft gemessen.
Jacques war gar kein Franzose. Das ist in etwas alles, was man über ihn wissen muss.
"So, Männers, auf die Gesundheit", sagte Hotte.
"Ja, prost und so", sagte ich.
"atakrebs", sagte Kalle.
"En chanté", näselte Jacques.
...
"Ihr habt was?"
"Naja, wir sind da also rein und dann... also..."
"Ich glaubs ja nicht! Ich hab euch doch extra gesagt, dass ihr, egal, was ihr tut, das auf keinen Fall tun sollt."
"Tut mir Leid. Ehrlich, kommt nicht wieder vor."
"Ja, das kommt ganz sicher nicht wieder vor. Weil das das letzte Mal war, dass ich euch beiden Weicheimer sowas hab machen lassen."
"Naja, Boss, also ich hab ja wenigstens meinen Zettel verbrannt, aber er... ach ja, wir haben ihn übrigens dabei."
"Was?"
"Wir haben ihn mitgebracht."
"Wen?"
"Na ihn."
"Wo?"
"Kofferraum."
"Nee, oder?"
"Doch."
...
Wir saßen in Hottes Partykeller, der erstaunliche Ähnlichkeiten mit einer Finnischen Herrensauna kurz nach Betriebsschluss aufwies, wenn zuvor mehrere Nashörner darin eine willenlose Orgie mit Kartoffelchips und Kräuterlikör gefeiert hatten. Alles war von einer gewissen Siffigkeit umgeben, die einem das beruhigende Gefühl gab, sich wie zu Hause fühlen zu können, da man hier sowieso nichts mehr kaputtmachen konnte.
"Wisst ihr, worauf Frauen am meisten ste'en? Komplimente. Eine Frau möschte nur 'ören, dass sie schön ist, Augen, Nase, Mund - egal."
"Egallement", korrigierte ich Jacques Inkonsequenz in Sachen Akzent.
"Quoi?"
"Vergiss es. Und du meinst, das klappt bei allen Frauen?"
"Mais oui! Ge'e zu einer Frau und säusle ihr sanft ins Ohr, dass sie einen süßen 'intern 'at und sie wird disch sofort innig lieben."
"Sie würde mir eher sofort eine schallern, dass die Heide wackelt. Innig und so."
"Das liegt daran, dass du aussiehst, als wärst du auf dem Weg zur Schön'eitskur aus dem Bus gefallen, mon ami."
"Wer ne Salzlette?" Polenkalle hielt uns irgendwas Matschiges vor die Nase. Matschig ist ja normalerweise der natürliche Todfeind der Salzstange, aber angesichts Kalles natürlicher Eigenart, alles und jeden über kurz oder lang hoffnungslos mit Bier zu bekleckern, gingen sie in diesem Fall eine erstaunlich unappetitliche Symbiose miteinander ein.
"Nee, du, lass ma stecken."
"Mgut... Mehr mfmür mich", nuschelte er und drückte sich die Dinger in die Speiseröhre.
"Kauen, Junge. Kauen."
"Mbist dnu irre? Mwann dnas denn noch?"
"Am besten kurz vorm Schlu... ach, vergiss es. Aber kotz hier gleich nicht auf Hottes schönen Teppi... obwohl... ach, vergiss es."
...
"Was machst du denn jetzt schon wieder?"
"Der Boss hat doch gesagt, dass wir ihn entsorgen sollen."
"Ja, aber doch nicht so."
"Aber..."
"Pack sofort die Kettensäge weg!"
"Sonst passt es aber nicht."
"Ich bin kein Mörder. Und du bist auch keiner."
"Hast du nen besseren Plan?"
"Wir binden ihm einen Stein ans Bein und dann geht’s ab in den Weiher."
"Und das ist kein Mord?"
"Nein, das ist eine Herausforderung. Wenn er rechtzeitig wach wird, kann er sich retten."
"Und wenn er nicht schwimmen kann?"
"Herausforderung."
...
Irgendwie schienen die Jungs mir nicht zuzuhören.
"Nee, jetz mal im Ernst, Jungs, ich..."
"Hier, kennter den schon?" Polenkalle ließ keinen Zweifel aufkommen, dass es ihm vollkommen gleich war, ob wir den schon kannten, sondern fuhr einfach fort, wobei er sich vor inneren Lachkrämpfen schüttelte, was wiederum interessante Wellenmuster auf seinem Hemd ergab. "Kommt ne Frau zum Arzt und sagt..."
"Jungs, ich hab... ey, hört mir doch mal zu hier!" Irgendwie schienen die Jungs aber das sagte ich schon.
"... kommt der Mann also zum Arzt und sagt Herr Doktor, mein eines Ei ist aus Holz und das andere aus Metall... nee, Moment, der ging anders... ich habs gleich. Ihr schmeißt euch weg, ich sags euch. Kommt ein Mann zum Proktologen und sagt..."
"Wat isn Protokolloge?"
"Proktologe, Hotte. Proktologe. Kommt der Mann also dahin und..."
"Wo'in?"
"Zum Proktologen, sag ich doch... nein, sitzt ne Frau im Taxi und sagt..."
"Was denn jetzt?"
"Herr Doktor, ich hab einen Knoten in meiner Brust."
"Aber das macht keinen Sinn, mon ami. Was macht denn der Arzt im Taxi?"
"Was weiß ich. Vielleicht saugt er die Polster. Tut auch nichts zur Sache, jedenfalls antwortet der Kellner..."
"Jungs, jetzt hört mir doch endlich mal zu!" Mein dritter Versuch war von Erfolg gekrönt, was vermutlich auch daran lag, dass Kalle sich hoffnungslos in seiner Witzekiste verlaufen hatte und mehr als dankbar für die Unterbrechung war. "Ich hab nen neuen Job."
"Nee, oder?"
"Doch, wirklich."
"Wer besitzt denn genug Dumm'eit, jemanden wie disch einzustellen?"
"Kennt ihr den alten Lothar Tremmel vom Schrottplatz?"
"Eisenlotte?"
"Genau der. Der hat mich als Nachtwächter eingestellt. Morgen ist mein erster Tag... Nacht... meine erste Schicht."
...
"Okay, dann lass uns diesen Nachtwächter mal schön baden."
"Bist du sicher, dass der Stein schwer genug ist?"
"Guck dir den Typen doch mal an, der wiegt doch nix."
"Auch wahr. Also, auf drei."
"Auf drei oder nach drei?"
"Auf."
"Okay. Eins..."
"Zwei..."
"Dr..." In diesem Moment schlug ich die Augen auf. Nicht, dass das wichtig gewesen wäre oder an meiner Lage irgendwas geändert hätte. "...ei"
Die beiden Typen gaben sich wirklich die größte Mühe, mich so hart wie möglich auf dem Wasser aufprallen zu lasen. Und selbst, wenn sie sich diese Mühe nicht gegeben haben, was ich eigentlich nicht beurteilen konnte, waren sie dennoch erfolgreich damit. Es tat ziemlich weh, doch ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern, denn irgendetwas zog mich nach unten. Außerdem waren meine Hände und Füße mit Klebeband zusammengebunden. Vermutlich wäre ich in dieser Nacht also jämmerlich ertrunken, wenn das Wasser an dieser Stelle nicht nur nen knappen Meter tief gewesen wäre.
"Ich hab von Anfang an gesagt, hier geht’s nicht."
"Hast du nicht. Du hast gesagt..."
"Ich weiß, was ich gesagt habe!"
"Schon gut, reg dich nicht auf. Auf jeden Fall geht’s hier nicht."
"Ja... und was machen wir jetzt?"
"Ich hätte noch die Kettensäge im Wagen."
"Nix da. Wir überlegen uns was anderes. Komm, holen wir den Kerl aus dem Wasser. Nachher erkältet er sich noch und stirbt an schlimmem Husten oder so."
"Das ist albern. Aber du hast Recht."
Meine Begleiter wateten also in das kühle Nass, befreiten mich von meinem Stein und trugen mich ans Ufer. Einer von ihnen zog eine Tupperdose aus dem Wagen und reichte mir eine Salamistulle. Recht lecker eigentlich.
Dann stellten sie sich mir vor. Fips und Sven waren letzte Nacht in Eisenlottes Schrottplatz eingebrochen und wollten den schönen mintgrünen Passat ihres Bosses mitgehen lassen, wobei der Nachtwächter - damit war vermutlich ich gemeint - sie erwischt hatte. Wie die Karre da hingekommen war oder warum er sie so dringend wiederhaben wollte, wussten sie angeblich nicht. Sven meinte, es hätte auf irgendnem Zettel gestanden, den er aber verbrannt hätte. Fips hätte seinen Zettel wohl noch, aber der war inzwischen eingenickt. Egal, jedenfalls waren wir jetzt hier.
"Der Boss hat gesagt, dass wir dich irgendwie loswerden sollen. Is ja nix Persönliches oder so, du weißt einfach zuviel."
"Ihr hättet es mir nicht erzählen müssen."
"Du hättest nicht zuhören müssen."
"Punkt für euch. Was machen wir jetzt?"
"Weiß nicht... Fips, hast du ne Idee?" Sven warf solange mit kleinen Kieselsteinchen nach seinem Kumpel, bis dieser aufwachte, ein wenig Schleim in den Hohlräumen seines Kopfes umverteilte und dann verschlafen in unsere Richtung brüllte.
"Sachma, hast du Scheiße im Sack oder was?"
"Hoffentlich nicht. Aber mal was anderes: Hast du ne Idee?"
"Leck mich, ich bin müde."
"Nee, das ist wichtig. Hast du jetz ne Idee oder nicht?"
"Was willst du von mir?" Fips streckte sich zu einem unter anderen Umständen und anderer sexueller Ausrichtung meinerseits eventuell als niedlich durchgehenden Gähnen und begann, sich rhythmisch am Hintern zu kratzen, was wiederum ganz bestimmt unter keinen Umständen als niedlich durchgegangen wäre.
"Hier, er hier", sagte Sven und bewegte den Kopf in meine Richtung.
"Ach so, ja. Hätt ich fast vergessen. Wie wärs mit der Kettensä..." Sven warf umgehend noch ein paar Steine in Fips Richtung.
"Wie wärs denn", begann ich, denn ich war der Meinung, es wäre an der Zeit dazu, das Gespräch in eine für mich günstige Richtung zu lenken, "wenn ihr mich einfach gehen lasst. Wir könnten so tun, als hättet ihr mich nie mitgenommen."
"Nee, das geht nicht", meldete Fips sich erneut. "Der Boss hat gesagt, wir sollen dich auf keinen Fall laufen lassen."
"Ihr könntet mir den Wagen geben."
...
An anderer Stelle begann man mich inzwischen zu vermissen. Nicht sehr, nur ein wenig.
"Naja, und dann hab ich ihr gesagt, sie soll sich gefälligst ein Ei braten und mich in Ruhe lassen."
"Momentement... du willst mir also sagen, du 'ättest einer Frau einen Korb gegeben? Du? Einer Frau?"
"Jo", nickte Polenkalle stolz. "Die war vielleicht was angepisst, kann ich dir sagen."
"Wann 'at disch denn das letzte Mal eine Frau angesprochen... damals war Dalmatien sischer noch französische Provence."
"Dalma..."
"Dalmatien, mon ami. Isch finde es uner'ört, dass du disch mit der Geschischte meines Landes so wenig auskennst."
"Lass stecken, Hans. Also, ich hab ihr jedenfalls gesagt, dass sie sich ihren bekackten Wachturm in die Perücke schmieren kann."
"Sacht ma", unterbrach the Shrank die beiden, "wo bleibt eingtlich... hier, Dings..."
"Stimmt, wo bleibt der eigentlich?"
"Vermutlisch 'ält er sisch für was Besseres, jetzt wo er den neuen Job 'at. Seitdem 'at er nischt ein einziges Wort mit mir geredet."
"Er hat den Job seit einem Tag."
"Eben."
"Ach, scheiß der Hund drauf. Der kommt schon noch. Also, dann hab ich der Tusse jedenfalls noch gesagt, sie soll..."
Wie gesagt. Nicht sehr, nur ein wenig.
...
"Krokodile!"
"Was?"
"Krokodile, Mann! Wir verfüttern ihn ganz einfach."
"Meinst du, sowas geht? Ich meine, so viele Krokodile gibt’s doch hier auch nicht, oder?"
"Nerv jetzt nicht mit Details, wenn ich nachdenke."
"Ich hab mal gehört, dass Schweine einen ausgewachsenen Mann in einer Stunde abknabbern können. Schweine gibt’s hier bestimmt irgendwo." Fips strahlte um die Wette. Mit was auch immer.
"Jungs, ich will euch ja nicht stören", mischte ich mich ein, "aber dieses Klebeband fängt langsam an tierisch zu jucken."
"Selbst Schuld."
"Was? Ich meine... hey, ich hab mir das Zeug nicht um die Hände gewickelt. Und euch drum gebeten hab ich auch nicht."
"Ja..." Das schien Sven kurzzeitig aus dem Konzept gebracht zu haben. "Trotzdem selbst Schuld."
"Nee, Jungs, jetzt mal in Echt. Ich meine, ihr haut mir mit irgendwas auf den Kopf..."
"Schraubenschlüssel."
"Ihr haut mir mit nem Schraubenschlüssel auf den Kopf..."
"Zehner."
"Ihr haut mir damit auf den Kopf, steckt mich in den Kofferraum von diesem mintgrünen Passat da, der übrigens verdammt unbequem ist, und schleppt mich hier mitten in die Walachei. Ich finde, ich könnte jetzt echt ein wenig Zuwendung vertragen."
"Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, tret ich dir so dermaßen in die Eier, dass... dass... es ziemlich weh tun wird. Mann, wir versuchen hier, uns zu konzentrieren." Ich glaubte, in den Zuckungen in Svens Augenwinkeln eine leichte Abneigung gegen meine Person deuten zu können und hoffte angesichts meiner Situation, dass sich das nicht nachhaltig auf unser Verhältnis auswirken würde.
"Wo waren wir?"
"Schweine", half ich aus, in der Hoffnung, die Situation so etwas zu entspannen.
"Ach ja. Also, wo gibt’s denn hier Schweine?"
"Wir könnten welche anlocken", sagte Fips stolz. "Ich hab noch Leberwurststullen im Wagen."
"Naja... um ehrlich zu sein, die hab ich... also..."
"Och nee. Dich kann man auch keine zwei Minuten alleine lassen."
"Ja, tut mir auch Leid. Aber steh du doch mal drei Stunden vor diesem Schrottplatz Schmiere. Das war arschkalt da und meine letzte Mahlzeit war diese labbrige Erbsensuppe aus der Dose. Da fällt mir übrigens was ein."
"Na, dann sag mal."
"Was mögen Schweine noch lieber als Menschenfleisch?"
"Weibliche Schweine?"
"Richtig... falsch. Also... außerdem."
"Woher soll ich das wissen?"
"Trüffel! Schweine lieben Trüffel. Wir müssen nur ein paar davon hier auslegen und schwupps ist unser Freund hier Geschichte."
Irgendwie fühlte ich mich von Minute zu Minute sicherer in meiner Haut.
...
"Aber eine Sache musst du mir mal erklären. Wenn die sich eh durch die Decke reingebohrt haben, warum hat er im ersten Teil dann nach den Zugangscodes fürs Tor gefragt?" Polenkalle wirbelte mit seinen Salzstangen durch die Luft, dass es eine wahre Freude war.
"Das war einfach très metaphorique. Es geht um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Darüber'inaus ist es eh eine Liebesgeschischte."
"Das ist keine Erklärung."
"Das erklärt alles. Es passiert auf einer anderen 'andlungsebene."
"Nee, aber das ist doch voll kacke. Ich meine, da werden einem drei Filme vorgesetzt, ja, mit tonnenweise Minutenlänge und wasweißich und das soll dann die Erklärung für alles sein? Metaphorik und Liebe?"
"Oui. Mehr gibt es nischt."
"Nächstes Mal such ich die Filme aus. Wenn unser Nachtwächter hier gewesen wäre, hätten wir dich eh überstimmt und den anderen genommen."
"Isch se'e mir keine Filme über Schmuckstücke an."
"Da wird viel gezaubert und so. Außerdem wären die ausreichend lang gewesen, damit wir die Kiste leer kriegen." Kalle deutete mit seiner halbvollen Flasche auf die ebenfalls noch halbvolle Bierkiste in der Ecke.
"Das wäre sein Anteil gewesen. Den 'ätten wir ohne ihn eh niemals geschafft, selbst wenn der Film zwölf Stunden lang gewesen wäre." So ungern ich es auch zugebe, aber da hatte Jacques leider Recht. Wann immer wir in der Vergangenheit nen Kasten leer gemacht hatten, war grob die Hälfte daran meistens an mich gegangen. Nicht rühmlich, aber immerhin wahr.
"Der Film ist zwöl... ach, egal. Wir gehen jetzt sofort los und suchen ihn. Du holst Hotte ausm Bett und ich such den Stadtplan."
Endlich, wurde ja auch Zeit.
...
Wir saßen relativ gemütlich am Lagerfeuer. Sven summte irgendwelche alten Dinger von Bob Dylan, Fips pulte sich witzige Sachen zwischen seinen Zähnen hervor und ich vertrieb mir die Zeit, indem ich versuchte, mir den Daumen auszurenken, um mich irgendwie aus dem Klebeband zu befreien. Aber irgendwie ließ sich das störrische Ding partout nicht dazu bewegen, sich selbst einen Knoten in den Knorpel zu machen.
"Warum jagen wir ihm nicht einfach ne Kugel in den Kopf?" Ich zuckte zusammen. Seit Stunden waren die beiden dabei, sich eine nette Todesart für mich auszudenken und das war die erste, die vielleicht tatsächlich funktionieren könnte. Weder das Bewerfen mit rostigen Nägeln noch der Erstickungstod durch das Indienasestecken zweier Marienkäfer hatte sich nach längerem Nachdenken als praktikabel erwiesen.
"Hast du zufällig ne Kugel da?", antwortete Sven zwischen zwei Takten von The Man in Me.
"Ich hab noch die Alufolie von den Wurststullen... die du gegessen hast. Vielleicht könnte ich daraus..."
"Ja, vielleicht könntest du dir auch nen Knopf an die Backe tackern."
"Weiß nicht. Das probier ich vielleicht danach mal aus."
Wäre ich ein berühmter Held, zum Beispiel ein Megaspion mit goldenen Eiern oder so, würde man sich hinterher bstimmt ziemlich interessante Geschichten über meine Rettung erzählen. Heldenhafte Kämpfe gegen mannshohe Krokodile, wilde Schießereien mit aus Zweigen und Kaugummis improvisierten Steinschleudern und das ein oder andere erotische Intermezzo mit der vollbusigen Amazonenkriegerin vielleicht.
Klar, hätte mir sicher alles gefallen - vor allem das dritte - aber die Wahrheit sah anders aus. Sehr viel weniger heroisch und ein klein wenig uninteressanter. Um nämlich ehrlich zu sein, gelang es mir irgendwann doch, nachdem Fips und Sven wenig später über ihren Plänen bezüglich Tischtennisbällen, zwei Eimern Wasser und einem Bindfaden eingeschlafen waren, meinen Daumen auszurenken und mich aus dem Klebeband zu winden. Dann hab ich mich weggeschlichen und bin nach Hause.
Ich glaube ja, die Leute müssen sich ständig neue Geschichten ausdenken, weil die Realität selbst so schrecklich langweilig ist.
...
"Na endlich! Mann, wo hast du so lange gesteckt?"
"Ich... Arbeit halt. Mit Krokodilen gekämpft und mir ne Steinschleuder... und so..."
"Hier, erklär unserm Franzosen mal, dass das mit der Metaphorik totaler Bullshit ist."
"Was?"
"Na hier... Dings... wie hieß der Film noch gleich? Sach doch mal fix." Polenkalle sah sich Hilfe suchend nach Francois um und bemerkte erst nach etwa zwei Minuten, dass der gar nicht im Raum war. "Ach ja, der wollte ja Hotte wecken. Wir waren nämlich echt so kurz davor, dich suchen zu gehen. Ich konnte nur den Stadtplan nicht finden."
"Küche. Ist irgendwann hinter den Kühlschrank gerutscht."
"Na sowas. Salzlette?"
"Nee, lass mal stecken, Kalle. Aber was Helles wär gut. Ich hab Bierdurst."