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Miss Landens Morgenblüte
Ben Kretlow
Miss Landens Morgenblüte
Mitch legte den Hörer auf, nahm einen letzten, hastigen Zug von dem Zigarettenstummel,
den er die letzten vier Minuten in seiner rechten Hand unbeachtet abbrennen ließ, bevor
er ihn im überfüllten Aschenbecher ausdrückte und sich mit der selbigen Hand
gedankenverloren über die Stirn strich, um ihre Nummer letztendlich doch erneut zu
wählen.
“Hast du ihm gesagt, dass er ja pünktlich hier sein soll?“, fing Mitch das Gespräch sofort
an, als hätte er gar nicht zuvor aufgelegt.
“Ja, habe ich, Mitch!“, wisperte sie fast unverständlich zurück.
“Carol, das ist wichtig. Er muss pünktlich hier sein“, konnte Mitch die Anspannung in seiner
Stimme nicht zurückhalten.
“Er wird da sein, Liebling, auf die Minute genau. Du solltest meinen Worten mehr Achtung
schenken und dich nicht unnötig in Rage bringen“, gab Carol ihm leicht aufgebracht zu
verstehen, zugleich versuchend, ihn zu beruhigen. Er war ein hoffnungsloser Neurotiker.
Seine Stimme brachte nichts mehr heraus. Drei Sekunden ewiger Stille lagen zwischen den
beiden.
“Mitch?“, unterbrach Carol fragend sein Schweigen, bevor er aus seinen Gedanken
zurückfand, um, ohne ein weiteres Wort rauszubekommen, aufzulegen.
Der nervöse Kerl war mittlerweile drei Tage in diesem dunklen, schlicht gehaltenen
Hotelzimmer, das er nur bei Nacht verließ, um sich im kleinen Eckladen, der
vierundzwanzig Stunden geöffnet hatte, billige Soda, Whiskey, schlechte Snacks, zwei
Schachteln Kippen für den Tag sowie die jeweils aktuelle Ausgabe der New York Post zu
kaufen. Diese drei Tage und Nächte schienen ihm bereits wie eine jahrelange,
hoffnungslose Routine. Er war halt seit je her nie ein geduldiger Zeitgenosse.
Mitch sah und empfing niemanden und wurde auch nie von irgendeiner Seele irgendwo
unterwegs gesehen. Aus gutem Grund hielt er sich so bedeckt. Hier würde ihn niemand
finden, niemand von diesen Assgeiern, die ihm auf die Schliche kommen wollten,
versicherte er Carol: “Eher finden mich die Russen als diese verdammten Schwachköpfe
von Banditen.“
Mitch stand plötzlich vom harten, abgefetzten Holzstuhl auf und ging hinüber zum Fenster,
strich die Gardinen zur Seite, nur die alte Tischlampe leuchtete in dem miefigen Zimmer. Es
regnete in Strömen, kein Auto war auf der Straße unterwegs und keiner dieser üblichen
Nachtschwärmer und Trinker aus den Bars zu sehen, die sonst mit gut gefülltem Kopf nach
Hause schlendern. Niemand. Nichts.
Null Uhr zweiundvierzig, die Uhr tickte in dieser geräuschlosen Atmosphäre unendlich laut,
bemerkte der noch recht jung wirkende Mann, während er zurück zum schmalen
Schreibtisch ging, auf dem die Lampe mal schwächer, mal stärker leuchtete; die
Glühbirne macht es wohl nicht mehr lang, dachte er sich, während er sich wieder setzte,
noch einmal zum abgeschotteten Fenster blickte, dann zum Telefon vor ihm, bevor seine
Augen flüchtig über die vergilbte Bibel huschten, die in solchen abgewrackten Hotels in
jedem Zimmer in Übermaßen vorhanden zu sein schien, um schlussendlich zurück auf den
alten Apparat zu schauen und den Telefonhörer zu greifen. Er wählte ihre Nummer und
beugte sich nach vorn.
Carol saß neben Isabelle und Lynn auf ihrer Couch, ganz angeregt plaudernd und sich
amüsierend; die Stunden vergaßen sie total. Sie nutzte sein Fernsein, um einen ihrer
altberüchtigten Frauenabende zu lancieren, die immer bis hinein in den Morgen gingen.
Mitch schätzte das nie besonders und konnte ihre Freundinnen nicht leiden, weshalb er
nicht wissen sollte, dass sie in ihrem Haus nach Ewigkeiten diese kleine Gesellschaft hielten.
Isabelle und Lynn sollten keinen Mucks von sich geben, während das Telefon klingelte,
wobei sie nicht wussten, warum Mitch nicht in der Stadt war (er war kein Reisetyp) und was
Carols Heimlichtuerei am Telefon sollte, als sie erneut den Hörer hob, ihren linken
Zeigefinger vor den Lippen in Richtung der beiden Frauen hielt, aber darüber im selben
Augenblick schmunzelnd, dass beide vergeblich leise tappend in die Küche
verschwanden, um ihre Gläser nachzuschenken.
“Wann wollte er losfahren?“, fragte Mitch gleich drauf los, ohne ihre liebe Begrüßung zu
beachten, geschweige denn zu erwidern.
“Muss schon auf dem Weg sein“, gab Carol kurz zurück, während sie in Richtung Küche
blickte, von wo aus sie das Gelächter ihrer Freundinnen vernahm, in der Hoffnung, sie
kämen nicht mit Trompeten und Konfetti zurück ins Wohnzimmer gestürmt.
“Muss schon auf dem Weg sein?“, gab Mitch unkontrolliert von sich, ohne Funken von
Beherrschung.
“Hey Freundchen“, ergriff Carol nun das Wort und verzichtete einen Moment auf ihre
flüsternde Diskretion, “nicht in diesem Ton, ja? Er ist auf dem Weg, glaube mir doch ein
verfluchtes Mal! Es soll mit dem Teufel zugehen, wenn er nicht jeden Moment an deiner Tür
klopft und dir seine hässliche Flosse reicht, verstanden?“
“Okay, hör mir bitte zu“, ruderte Mitch ein wenig zurück: “Ich ruf dich später an, wenn er
wieder fort ist und das verdammte Zeug hoffentlich dabei hatte. Dieses Päckchen wird uns
reich machen. In Europa werden sie uns den Arsch für dieses Pulver der Ekstase küssen,
diese Weißnasen!“
“Mach das“, bemerkte Carol knapp, noch immer verärgert, während sie plötzlich zur
Küchentür sah, durch die just in jenem Moment Isabelle und Lynn lachend mit den
nachgefüllten Gläsern traten, und auflegen musste.
“Und wie geht es Mr. Oberspießer Mitchell Landen?“, flachste Isabelle neckisch und
augenzwinkernd, während Lynn Carols Heimlichtuerei am Telefon nachäffte:
“Ja, Mitch... Flüster, flüster... Ja, ja, fass mir an die Füße, Darling.“ Alle drei lachten
schallend auf, als es bei Mitch, auf die Minute genau ein Uhr, an der Tür klopfte und er zur
selben hektisch rüber sprintete und sie öffnete, völlig überrascht, wen er tatsächlich vor
sich sah und wie ihm plötzlich geschehen sollte.
“Carol, wie kommt es auf einmal, dass du nach all den Monaten gerade heute wieder für
uns Zeit hast?“, plauderte Isabelle drauf los, nachdem es sich die Frauen auf der weichen
Couch wieder gemütlich gemacht hatten.
Carol schaute verschmitzt auf das Glas in ihren Händen, lächelte erleichtert, während sie
zu einem befreienden Schluck ansetzte, um schließlich vollkommen bei Sinnen zu erwidern:
“Ach, wisst ihr...“, ihr Schmunzeln blitzte funkelnd durch: “Er kommt nie wieder nach Haus.“
Geschrieben am Dienstag – Februar 26, 2013.
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