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Mobile Fressmaschinen
Nach einem heißen Sommertag donnerte und blitzte es endlich. Dunkle Wolken zogen auf und ein warmer Wind blies mir kräftig ins Gesicht. Ein Schweißtropfen kroch meine Schläfe hinunter. Nun war es soweit. Ich blickte sehnsüchtig zum Himmel hinauf. Die lang ersehnte Abkühlung nahte.
Schon nach ein paar Minuten prasselten dicke Regentropfen auf meine heiße Haut. Die kleinen Bäche suchten ihren Weg über die Wangen und Lippen, an meinem Hals hinunter, bis sie gierig vom Hemd aufgesogen wurden.
Heute war der Tag gekommen. Die Abrechnung nahte.
Ich streckte meine Arme dem kühlen Regen entgegen und ließ die Wassertropfen an ihnen hinunterlaufen. Diesen Moment hatte ich in den letzten Wochen herbeigesehnt wie keinen anderen. Die Gartenschere lag ordentlich vor meinen Füßen. Ihre roten Griffe leuchteten gefährlich im Gras. Wie gut, dass ich am Tag zuvor noch den Rasen gemäht und das scharfe Gartenwerkzeug im Baumarkt besorgt hatte.
Wochen der gnadenlosen Zerstörung lagen hinter mir. Keine meiner mühsam gepflegten Sonnenblumen, Astern, Geranien und Blaukissen hatten sie verschont. Jeder zarte neue Trieb war schon nach einem Tag dem Untergang geweiht. Jedes noch so kleine Pflänzchen wurde ein Opfer ihrer maßlosen Gier. Mein Zorn war wie dieses Gewitter, von Minute zu Minute angeschwollen. Er erfüllte mich von Kopf bis Fuß und würde sich heute, wie der immer lauter werdende Donner erbarmungslos entladen. Selbstsicher lächelte ich, beugte mich im strömenden Regen nach unten und griff entschlossen zur Gartenschere.
Als ich zur Seite sah, erspähte ich schon ihre braunen Körper, wie sie lautlos über die kurzen und triefenden Halme glitten. Zu Hunderten krochen sie aus der Hecke und den Sträuchern, auf der Jagd nach meinen Blumen und der letzten Zucchini, die ich vorgestern gerade noch durch einen Bretterzaun sichern konnte. So ein Regenguss lockte diese mobilen Fressmaschinen aus ihren Verstecken. Nun hatte ich endlich genug Zeit, alle ins Jenseits zu befördern.
Zwei große Schritte, eine Handbewegung mit der Schere nach unten, ein knautschendes Geräusch und es gab eine, der auf spanischem Salat eingeführten Übeltäter, weniger. Wieder einen Ruck nach unten, ratsch, wieder eine weniger.
Inzwischen klebten meine Kleider völlig durchnässt an meinem kalten Körper. Nach einer Stunde begann ich zu frieren. Keine einzige Nacktschnecke mehr konnte ich entdecken. Mein Rasen war mit ihren Leichen übersät. Tropfend und zitternd lief ich ins Haus zurück, zog die Klamotten aus und ließ mich erschöpft aufs Bett fallen.
Am nächsten Morgen lief mir das Wasser im Mund zusammen, als ich endlich das leckere Zucchinirezept gefunden hatte. Heute würde ich meine Frau mit meinen Kochkünsten überraschen. Mit einem kleinen schwarzen Küchenmesser bewaffnet, stakste ich gemütlich zum Gemüsebeet. Die Spuren des gestrigen Feldzuges waren noch überall sichtbar. Fröhlich beugte ich mich hinunter und wollte die Frucht meiner wochenlangen gärtnerischen Mühen ernten. Ich erstarrte.
Die Hälfte der Zucchini war angefressen und eine fette braune Nacktschnecke machte sich gerade an die zweite Hälfte. Ohne zu zögern, glitt mein Küchenmesser durch ihren glatten schleimigen Körper. Danach rutschte mir vor Entsetzen das Messer aus der Hand und verschwand zwischen den abgefressenen Stilen des Rosmarins. Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog. Schwindlig und schwarz vor Augen, setzte ich mich auf den Boden. Alles drehte sich. Ich sah lauter riesige Schnecken auf mich zukriechen. Ich muss mindestens eine Stunde ohnmächtig gewesen sein, als mich eine Kinderstimme wieder zurück in die Realität holte:
„Papa, Mittagessen. Mama hat Gemüselasagne mit den tollen Zucchini vom Penny gekocht. Dein Lieblingsessen, oder?“