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Morgenschnee
Es hatte zu schneien begonnen. Sie musste an einen Eisbären denken, als sie ihn so sah und verbarg ihr Lachen nicht. Ohne ihre Gedanken zu lesen, nahm er ihre Hand, brachte sie in Verlegenheit.
Wieder würde sie nicht nein sagen können. Der Kuss kam, ihr Herz schlug schneller, sie hatte es beenden wollen, diesmal wirklich. Sein Bart kratzte über ihre Wange und knisterte verheißungsvoll. „Gehen wir zu mir?“ Was machte sie nur immer falsch?
In der Dusche brauchte er wieder ewig und sie seufzte und las heimlich seine SMS. Endlich war er fertig, der Eisbär, blauhäutig, als hätte er einmal zuoft unter dem kalten Wasser gestanden. Sie war schon nackt und wartete im Bett, das nervöse Zucken ihrer Lider entging ihm, genauso wie das verräterisch leuchtende Handydisplay. Obwohl sie lange nicht mehr zusammengewesen waren, hatte sich nichts geändert.
Sie sah ihm an, dass er den Tränen nahe war und zog ihren Körper unter ihm weg. „Alles OK?“
Er murmelte irgendetwas wie „Ja, ja...mach dir keine Sorgen, ich bin heute ein neuer Mann...“, aber sie kaufte es ihm nicht ab. Man ändert sich nicht über Nacht, das galt auch für sie. Warum geriet sie auch immer an Melancholiker, wo sie doch selbst so lebensfroh war? Es erschien ihr wie eine Lüge, aber sie wollte an dem Gedanken festhalten. Noch immer schneite es, den ganzen Morgen schon und würde wohl nicht so bald wieder aufhören. „Kannst du jetzt gehen?“, wollte sie sagen, aber ihre Zunge war wie festgefroren. Das Licht schien durchs Fenster, die Sonne war schon auf, beleuchtete die weißbezuckerte Stadt, aber er schlief noch. Sie wusste nicht was sie tun sollte. Vielleicht würde sie ihn wachrütteln und endlich bitten zu gehen, vielleicht. Sein langes Haar hing über den Polsterzipfel hinab, in geheimnisvollen Windungen.Wie sie sich nach ihm gesehnt hatte. Sie strich ihm das Haar aus dem Gesicht, fast liebevoll.
Und dann wieder bei ihm zuhause. Nein, sie hatte ihn nicht weggeschickt, war ganz im Gegenteil mit ihm gegangen und jetzt war sie hier und mied seinen Blick. Mit ihren jasminduftenden Fußknöcheln, in Unterwäsche, fühlte sie sich wie eine Art verzweifelter Clown. Er schien schon wieder verkühlt zu sein, nieste andauernd, obwohl sie es doch war, mit dem auffallenden Mangel an Kleidung. Was machte sie hier? Es wäre so einfach gewesen ihm zu sagen: „Es ist aus, ich kann nicht mehr...ich WILL nicht mehr, bitte geh.“, oder dann später: „Ich geh jetzt, ich halt es nicht mehr aus!“, aber da stand sie und räkelte sich im Licht das durch sein Fenster drang, viel zu nackt und viel zu stark parfümiert, verrückt.
Was wollte sie denn? Was wollte sie denn, das nicht schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war?
Ein Piepsen seines Handy’s ertönte und sie kam zu sich. während er noch, wie ein Wahnsinniger auf die viel zu kleine Tastatur einhämmerte, hob sie ihre Jeans vom Boden auf und zog sich an. Ohne diese spezifische Kurznachricht gelesen zu haben, wusste sie, was darin stand. Sie hatte genug, wollte die süßen Fehler ihres Lebens nicht in alle Unendlichkeit weitermultiplizieren, wollte den Kreis brechen, wollte frei sein, oder zumindest alleine.
Der Schnee fiel wieder. Ein Jahr schon, seit sie mit ihm zusammen gewesen war. Draußen spielten Kinder, bewarfen ihre kältefarbenen Gesichter mit Schnee und quietschten. Sie dachte an sein Eisbärengesicht mit dem unschuldig leidenden Blick und wie gerne sie ihre Faust da manchmal hineingeschlagen hätte. Sie weinte ein bisschen. Vielleicht hatte sie sich nicht geändert.
Die Glühweinstände waren schon in Betrieb. Alles am Winter erinnerte sie an ihn.
Da seufzte sie kurz auf und schrieb die unvermeidliche Kurznachricht.