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Mozart
Als ich klein war, hatte ich einen Freund, Mozart. Wir waren unzertrennlich, teilten unsere Kleidung, Mittagessen, einfach alles. Klingt bis hierhin ganz schön, aber die Sache hatte einen Haken: Nur ich konnte ihn sehen.
Diese Tatsache machte es ihm schwer von anderen, insbesondere von meinen Eltern, akzeptiert zu werden. In vielen Gesprächen versuchte zunächst meine Mutter, und als diese schließlich aufgegeben hatte, auch mein Vater, mich von der Idee abzubringen einen „imaginären“ Freund, wie sie es nannten, zu haben. Ich jedoch konnte mit dieser Beschreibung nicht viel anfangen, verstand ihre Sorge um mich nicht, wollte Mozart auch nicht verlassen und pflegte unsere Beziehung weiterhin mit einer –für manch Außenstehenden -erschreckenden Hingabe. So vergingen die Jahre. Ich feierte meinen vierten, meinen fünften und schließlich auch meinen sechsten Geburtstag kurz vor der Einschulung. Meine Eltern hatten sich allmählich damit abgefunden, hofften wohl, dass diese Phase von selbst vorbei ginge und zum ersten Schultag bastelte meine Mutter sogar eine zweite, etwas kleinere Schultüte für Mozart, der sich sichtlich darüber freute, als ich sie ihm zeigte.
Von da an gingen wir also jeden Morgen zusammen zur Schule und mittags zurück. Da er keine eigenen Hefte besaß, schauten wir zusammen rein und manchmal half er mir sogar beim Rechnen, wenn ich nicht weiter wusste. In der Klasse galt ich jedoch ziemlich schnell als Außenseiter, die anderen Kinder mieden mich und auch den Lehrern war ich als Sonderling bekannt. Zwar hatte ich gelernt, mich nicht mehr laut mit Mozart zu unterhalten und auch er hatte sich wohl damit abgefunden, in der Klasse stehen zu müssen, weil der Platz neben mir belegt war, doch gab ich mir nie sonderlich Mühe mich mit den anderen anzufreunden, ferner war ich froh, wenn sie mich in Ruhe ließen. Nur manchmal lud ich andere Kinder zum spielen zu mir nach Hause ein, doch nur aus dem Grund, dass ich meine Eltern dadurch etwas beruhigen konnte und so ihren lästigen Fragen entkam.
Das Leben ging weiter, die Schule fiel mir nicht allzu schwer und da ich gute Noten schrieb, waren sowohl die Lehrer als auch meine Eltern zufrieden. Besonders in Deutsch wurde ich gelobt, als ich in einem Aufsatz von den kleinen Abenteuern von mir und Mozart berichtete. Ich hätte eine herausragende Fantasie, so hieß es.
Eigentlich hätte es noch lange so bleiben können, ich war glücklich und wollte gar keine Veränderung. Da traf ich zum ersten Mal auf Titus. Er kam neu in die Klasse, ich erinnere mich noch genau, es war Ende Oktober. Da an diesem Tag, meine Sitznachbarin, an dessen Namen ich mich noch nicht einmal wirklich erinnern kann, fehlte, wurde er aufgefordert neben mir Platz zu nehmen. Ich weiß bis heute nicht was es war, aber irgendetwas faszinierte mich an ihm. Er war weder besonders groß, noch klein, weder dünn, noch dick, aber er hatte strahlende Augen und wirkte, obwohl er noch etwas schüchtern war, selbstsicher. Erst später ist mir aufgefallen, dass er wohl das genaue Gegenteil von mir darstellte und wir uns vielleicht gerade deshalb so gut ergänzten.
Doch am Anfang, war ich lediglich verwirrt, zeigte ich mich gewohnt abweisend, ging auf seine Erzählungen nicht wirklich ein und glaubte, dass sich sein Interesse an mir schnell verlieren würde. Ich sage es gleich voraus: Dem war nicht so. Ganz im Gegenteil ließ er sich von mir nicht beirren und als sich herausstellte, dass wir denselben Heimweg hatten, lief er wie selbstverständlich neben mir. Diese Art von Aufmerksamkeit schmeichelte mir und allmählich verlor ich meine Scheu. Natürlich hatte ich Mozart nicht vergessen, er ging, wie gewohnt neben mir, doch als wir schließlich vor meinem Haus waren und Titus und ich uns für den nächsten Tag verabredeten, sah er irgendwie geknickt aus. Den ganzen Nachmittag sprachen Mozart und ich nicht viel, obwohl ich wirklich mein Bestes gab ihn aufzumuntern.
In den folgenden Wochen unternahm ich schließlich immer mehr mit Titus und da ich ihm nicht von Mozart erzählen konnte, blieb dieser lieber zu Hause. Eines morgens dann, es war an meinem 8. Geburtstag, eröffnete mir Mozart, er wolle lieber nicht mit in die Schule kommen, fühle sich krank. Zwar war dies eine ungewohnte Situation für mich und doch war ich insgeheim sogar ein bisschen froh darum. Schließlich schlug er vor sich nach der Schule an unserem Lieblingsbaum im Garten zu treffen, wo ich ihn auch vor Jahren das erste Mal gesehen hatte. Ich willigte ein. Doch als es dann Nachmittag war, ging ich direkt in mein Zimmer, erledigte meine Hausaufgaben gewissenhafter als sonst und traute mich nicht hinunter zu gehen, ja noch nicht einmal aus dem Fenster in den Garten zu schauen. Je dunkler es draußen wurde, je mehr die Zeit verging, umso schlechter fühlte ich mich.
Des Öfteren stand ich kurz davor meinen Entschluss zu ändern, wollte nur noch hinausrennen, um ihn zu treffen, an dessen Anwesenheit ich mich doch so gewöhnt hatte, doch tat ich es nicht, sondern blieb, wo ich war.
Lange lag ich abends wach im Bett, den Blick starr in die Dunkelheit gerichtet, bemüht nicht an ihn zu denken und schließlich, es war wohl schon nach Mitternacht, schlief ich zugleich erschöpft und traurig ein. Denn während Mozart auf mich wartete, ein letztes Mal und vergeblich draußen, am Kirschbaum auf mich wartete, war ich, trotz meiner gerade mal acht Jahren, ein stückweit erwachsen geworden.