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Much im Frühling

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14.08.2012
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Much im Frühling

Herbst, vorgestern

Angefangen hatte alles mit Henniger. Also eigentlich mit Leo, der dem Henniger eine Dachwohnung geplant hatte und irgendwann im Sommer Much anrief. Er habe einen Goldfisch an der Angel, sagte Leo, und ob nicht er, Much, und so weiter … das Übliche unter Freunden, und er würde ihm Pläne und Fotos von der Terrasse schicken.
Deshalb, und nur deshalb, fuhr Much an einem ungewöhnlich warmen Herbsttag, noch dazu um die Mittagszeit, zu einer Besprechung mit dem Henniger in die Innenstadt. Zum Glück mit dem Fahrrad, weil er spät dran war, und da er keine Zeit zum Umziehen gehabt hatte, in einigermaßen, nun ja, salopper Aufmachung. Der Fahrtwind blies durch die Löcher der Arbeitshose, das offene Hemd flatterte, und Much genoss die warme Luft. Die Haare hatte er in der Werkstatt lediglich nass gemacht und hinter die Ohren gestrichen und seit einer Woche hatte er sich nicht rasiert. Es war sein neunundvierzigster Geburtstag und er fühlte sich gut.
Doch schon nach den ersten zwei Minuten seines Besuchs ahnte er, dass die folgende Stunde zu den vergeudeten seines Lebens zählen würde. Henniger, ein korpulenter Mittdreißiger, hatte ihm in Morgenmantel und Socken geöffnet und sich grinsend für seinen Aufzug entschuldigt. Er sei bis vier Uhr morgens im Puff gewesen und noch immer fix und fertig, erzählte er ungefragt, er hätte sich die Seele aus dem Leib gevögelt, es diesen Schlampen so richtig besorgt und sein Dings fühle sich an, als sei es in einen Gartenhäcksler geraten. Er schlug Much auf die Schulter und bellte ein dreckiges Lachen. Kaffee bot er ihm nicht an, stattdessen füllte er zwei Gläser mit Whisky, auch das ungefragt.
Die Aussicht von seiner Dachterrasse allerdings war atemberaubend. Mit einer gönnerhaften Geste wies Henniger auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er sie selbst erbaut. Sein anderer Arm lag dabei die ganze Zeit auf Muchs Schulter. Er paffte ihm Zigarrenrauch ins Gesicht und schwadronierte das Blaue vom Himmel herunter, von High-Risk-Fonds, AONs, Futures, Effizienzmarkthypothese. Much verstand kein Wort.
„Sehen Sie sich die fleißigen Ameisen da unten an, Pander, wie sie brav zur Arbeit rennen, diese Versager. Lauter Loser. Scheißlemminge.“
Als sie zurück ins Wohnzimmer gingen, ließ Much die Sonnenbrille auf der Nase, die Einrichtung war ein einziger Alptraum.
Der ganze Henniger war ein Alptraum, der Alptraum jedes aufrechten Werktätigen. Lustlos präsentierte ihm Much die Entwürfe und je länger er redete und je dämlicher Hennigers Fragen wurden, umso leerer fühlte er sich. Er warf Perlen vor die Säue, das war ihm klar, er wollte nur noch raus und diesen Kotzbrocken nie mehr sehen müssen. Spontan beschloss er, Henniger die besten Skizzen vorzuenthalten, und als es schließlich um die Kosten ging, verzehnfachte er im Kopf kurzerhand sein Angebot und addierte aus purem Schalk zusätzlich die ursprüngliche Summe. Dann räusperte er sich, zog an der Zigarette, blickte Henniger fest in die Augen und nannte einen derart absurden Preis, dass Henniger ihn auf der Stelle hochkant rausschmeißen müsste. So ihn nicht vorher der Schlag träfe, diesen Fettwanst.
„Heiliger Dow Jones, ganz schön happig für einen Haufen Alteisen.“ Henniger lachte dröhnend, schlug Much aufs Knie und schenkte ihm vom Glennfiddich nach.
„Junge, Junge! Dreiunddreißigtausend … Na ja, klingt aber fair. Echt reell, definitiv. Ist ja immerhin Kunst. Wird ja wohl mehr wert mit der Zeit. Hähä. Will ich zumindest hoffen.“ Und wieder schüttelte ihn dieses vulgäre Lachen und dazu stieß er Much den Ellbogen in die Rippen.
„Ist gekauft, mein lieber Pander, nullo Problemo. Sind in Wahrheit Peanuts, hähä. Noch einen Schluck?“

Much trat aus dem Haus, steuerte den nächsten Mülleimer an und schmiss die Handvoll Cohibas weg, die ihm Henniger bei der Verabschiedung in die Hemdtasche gesteckt hatte. Was für ein erbärmlicher Wichser!
Es war sinnlos, jetzt in die Werkstatt zurückzufahren, er hatte vier Whisky im Kopf, einen bizarr überteuerten Auftrag in der Tasche und brauchte jetzt erst mal ein kaltes Bier und ein wenig Zeit zum Nachdenken. Das Fahrrad ließ er abgesperrt am May-Picqueray-Platz zurück und schlenderte in das enge Gassengewirr hinter dem Dom. Hier irgendwo, versteckt in einem Souterraingewölbe, war einst das legendäre Anteo Zamboni gewesen, erinnerte er sich. Er wusste noch, wie herrlich kühl es im Sommer da drin immer gewesen war. Mal sehen, ob es das noch gab.
Es war heiß wie in Spanien, er knöpfte sich das Hemd wieder auf und versuchte, im Schatten zu bleiben. Gleichzeitig bemühte er sich, nur an das Bier zu denken, und noch nicht daran, dass er wieder einmal im Begriffe stand, seine Seele zu verkaufen, seine Ideale zu verraten, all die großartigen Ansprüche an sich mit Füßen zu treten. Wieder einmal …
Und wenn schon. Er war schließlich keine zwanzig mehr.

Mit zwanzig hatte er sich hier in diesem Viertel der Stadt, wo sich jetzt Boutique an Café, Café an Bar reihte, nächtelang herumgetrieben, war im Anteo herumgehangen oder im Sacco & Vanzetti, ein paar Gassen weiter, nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem, etwas, das wichtiger war als Rita, als Marlene, als Mona, und wie sie alle hießen, diese allnächtlichen Mädchen, mit denen er unterwegs gewesen war, eines schöner und verrückter als das andere, und alle genauso auf der Suche nach etwas Großartigem, nach dem wirklichen Leben. Nächtelang diskutierten sie, erträumten Utopien, entwarfen Strategien, erschufen in ihren Köpfen die Welt neu und waren überzeugt, die einzigen vernünftigen Menschen in diesem Land zu sein, die einzig wahren Guten. Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag, in Wahrheit reihte sich einfach Nacht an Nacht, und die Tage dazwischen waren dann entweder unerträglich heiß, oder es regnete, oder es war windig und kalt und sonst gar nichts. Im besten Fall hatte er auf dem Heimweg eine Sprühdose bei sich und eine Bankfiliale musste daran glauben, oder die Windschutzscheibe eines geparkten Polizeiautos. Öfter jedoch wurde er mittags vom Virnich, seinem Nachbarn, dem in Würde gealterten SA-Mann, aus dem Bett geläutet, weil er nachts beim Nachhausekommen wieder einmal dessen Philodendron im Stiegenhaus umgeschmissen, umgerempelt, beschimpft hatte. Sofern er überhaupt nach Hause gekommen war. Oder er wurde gar von zwei Polizisten wachgeklingelt, die ihn emotionslos aufforderten, sich auszuweisen, seine Zahnbürste einzustecken und mitzukommen - um halb sechs Uhr morgens - und er absolut keine Ahnung hatte, worum es überhaupt ging, er dann natürlich blöd zurückgeredet hatte, frech geworden war, weil er obendrein drei Tage zuvor Brazil im Kino gesehen hatte, in der Nachtvorstellung, mit Isa oder Mona, er wusste es nicht mehr, betrunken jedenfalls war er gewesen, oder bekifft, vermutlich beides, aber der Film geisterte noch durch seinen Kopf und Worte wie Faschistenpack, Büttel, Folterknechte kamen ihm damals leicht über die Lippen, weit leichter, als Moni oder Rita oder Isa zu sagen, dass er sie vermutlich nicht heiraten werde, aber sie lieben, sie lieben, das täte er, das wolle er tun, das hat er ihnen aber nie gesagt, und sie hätten es wohl auch nicht hören wollen, nicht die Moni, nicht die Marlene, nicht die Kathi, die wollten doch auch nur ihren Spaß haben, Nacht für Nacht, und darüber hinaus für die Weltrevolution sterben. Lieber Himmel, was waren sie jung damals, so jung und unsterblich. Jedenfalls war es nicht gerade schlau gewesen, Polizisten zu beschimpfen, schon gar nicht, wenn die in der Überzahl waren, zwei gegen einen, und dieser eine, einzige, er, Much Pander, obendrein furchtbar verkatert war, gemartert von Kopfschmerzen, gequält von Brechreiz, zerrissen von Liebesleid, vom Nichtverstehen der Welt, vom schieren Unverständnis von allem. Schlussendlich hatte er kapituliert, die halbherzigen Schläge der Polizisten grinsend hingenommen, ertragen, kaum gespürt eigentlich. An den alten Virnich konnte er sich noch erinnern, seinen Nachbarn, wie er durch die halboffene Tür herausgespäht hatte, im Pyjama, und ihn, Much, hämisch angrinste und dann, als er, Much, schließlich aufgab, endgültig kapitulierte, sich verloren gab, sich totstellte, er, Much Pander, gestorben, zumindest sich so fühlend, und er, der alte Virnich, den Polizisten nachher womöglich, wahrscheinlich, ziemlich sicher, garantiert Kaffee und Kuchen angeboten hatte, der alte Haudegen mit dem Blut Unschuldiger an seinen Händen, ihm, Much Pander, zu Fleiß …

Much lehnte an einer Hausmauer. Ihm war schwindlig, er verspürte Übelkeit und leichte Kopfschmerzen und verfluchte Henniger, verfluchte den Glennfiddich, verfluchte die Hitze, verfluchte sich selbst, lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und fühlte sich erschöpft und, ja, seltsam niedergeschlagen. An diesem heißen Tag in dieser Stadt, in diesem Stadtviertel, in dem er so lange nicht mehr gewesen war und in dem er sich jetzt verlaufen hatte. Das war doch ein Witz. Er stieß sich von der Mauer ab, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, strich sich die Haare aus der Stirne und wünschte sich, ein Tourist zu sein.
Die Einheimischen waren ausgesprochen freundlich, schickten ihn da entlang, zeigten dorthin, ließen ihn um diese Ecke biegen, wiesen ihn um jene. Und plötzlich stand er in der winzigen Majakowskijgasse und sah den Eingang zum Anteo Zamboni. Das gab es also tatsächlich noch. Das Sacco war vor Jahren schon geschlossen worden, nach unzähligen Anrainerbeschwerden, das hatte er irgendwann noch mitbekommen.
Als Much das kühle Gewölbe betrat, war ihm, als käme er in eine andere Welt. Aber was ihm wirklich kurz den Atem verschlug, war der Geruch. Es roch so wohlbekannt und unverändert, als wäre er in ein Zeitloch gefallen.
Eine Handvoll Gäste saß an den Tischchen, Nachtvögel mit bleichen Gesichtern, unmöglichen Frisuren und wachen Augen, und an der Bar lehnte ein junger Mann, auch er wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, mit ausgebleichtem T-Shirt, Schlabberhose und Jesussandalen. Er nickte Much freundlich zu und hielt ihm eine Selbstgedrehte hin.
„Willst? Ist ziemlich geiles Zeug.“
Die junge Sinéad O’Connor kam aus der Küche und Much spürte, wie sich seine Nackenhärchen sträubten, nein, natürlich war sie es nicht, es war einfach ein hinreißend schönes Mädchen mit kurzgeschorenem Haar und in seinem silbernen Ohrschmuck spiegelten sich die bunten Lämpchen des Flaschenregals und funkelten wie Lametta.
Much bestellte zwei Bier.
„Much … auf dich.“ Er hob sein Glas.
„Cool, Much. Danke. Ich bin der Brad. So wie Brad Pitt. Also Brad Estinato … Dichter.“ Der Typ kicherte wie ein Schulbub und die Kellnerin lächelte wie ein Engel.
„Alles Gute zum Geburtstag, Much.“ Sie strahlte ihn an.
„Hä? Woher weißt du, dass ich heute Geburtstag hab?“
„Ach, die spinnt“, sagte Brad und grinste, „das sagt sie zu beinahe jedem neuen Gast. Und manchmal landet sie halt einen Glückstreffer.“
„Und heute bist du das Glückskind.“ Das Mädchen beugte sich über die Bar, zog Muchs Kopf zu sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Much bestellte drei Tequila.


Winter, gestern

So war das gewesen im Herbst, so hatte er damals den Brad kennengelernt und Thiota, Brads bezaubernde Freundin. Immer öfter traf er die beiden, mindestens zweimal die Woche, meistens im Anteo und sie redeten und redeten und nach jedem Mal fühlte sich Much ein wenig mehr verstanden, ein wenig klüger und ein wenig jünger. Ein Schulterklopfen von Brad zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Brad auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
Brad vertrödelte seine Tage vorwiegend auf der Kunstakademie, aber in Wahrheit war er Dichter. Genau so hatte er sich vorgestellt, Dichter, nicht Literat oder Schriftsteller. Als ihn Much einmal fragte, ob es ein Buch von ihm gäbe, schaute ihn Brad verständnislos an und schüttelte den Kopf. Er schriebe doch für Thiota, sagte er.
Ende Dezember gab er Much erstmals ein paar seiner Gedichte zu lesen, endlich, im Anteo, wo sonst, und Much schrieb sie sich noch in derselben Nacht in sein Notizbuch ab, kaum eines länger als zehn, zwölf, höchstens fünfzehn Zeilen, und trank dann bis zur Sperrstunde mit Brad Bier und Mescal.
Am nächsten Tag ließ er die Werkstatt kurzerhand Werkstatt sein und fuhr raus aufs Land. Er lief stundenlang durch einen tiefverschneiten Wald und lernte die Gedichte auswendig. Welch vollkommene Poesie, dachte er, so rein, so erhaben, so in sich ruhend wie der Winterwald.
Much stapfte durch die Gegend wie ein Irrer. Er stapfte durch den knietiefen Schnee, sprach, flüsterte, rief die Verse in den eisigen Himmel, rang um Atem, lehnte sich an Baumstämme, blätterte in seinem Büchlein und der Schweiß rann ihm über die Stirn und gefror in seinen Augenbrauen zu glitzernden Perlen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, fühlte sich an irgendetwas erinnert, gemahnt an Gedanken und Ideen, kaum festzuhalten, die er vor dreißig Jahren weniger gedacht, als vielmehr geahnt und nie in Worte hatte fassen können. War dies das Große, das er damals gesucht, aber nicht zu benennen gewusst hatte?
Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte? Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer. Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Er schriebe nur für Thiota, hatte Brad gemeint, dieser Träumer.
Much hatte eiskalte Zehen und fröstelte. Was wusste dieser kleine Scheißkerl mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen? Konnte nicht ein Funken einen ganzen Wald in Brand setzen?
Herr im Himmel, er war doch noch nicht alt.

Es war längst dunkel, als er in die Stadt zurückfuhr, nass, verschwitzt und frierend. In der Eckkneipe neben der alten Schraubenfabrik trank er Tee mit Rum, ließ sich von Chomsky einen Sechserpack Bier geben und stiefelte dann über den verschneiten Hof zur Werkstatt. Er riss eine Dose auf, lehnte sich an das Stahltor, rauchte und starrte minutenlang in den Nachthimmel. Castor und Pollux, Prokyon, Beteigeuze und Bellatrix, Almilam, Saiph und Rigel, alle waren sie da. Nur Sirius schien hinter einem Schornstein hängen geblieben zu sein. Much warf die Kippe in den Schnee und schloss das Tor auf.
Er riss die Seiten mit den Gedichten aus seinem Buch und heftete sie an die Wand über der Werkbank, dann setzte er sich mit dem Skizzenblock davor und begann zu zeichnen. Kurz vor Mitternacht machte er sich schließlich an die Arbeit. Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von Neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.
Im Morgengrauen hatte Estinatos erstes Gedicht Gestalt angenommen.
Um zehn Uhr vormittags fuhr Much nach Hause und lag anschließend zwei Tage im Bett, mit Fieber und mit zerschundenen Händen. Am Abend des dritten Tages tauchten Brad und Thiota mit einem Topf Hühnersuppe auf, machten ihm heißen Grog und verschleppten ihn anschließend ins Anteo. Thiota hatte Geburtstag.

Brad Estinato. Der Name war Much nie ungewöhnlich erschienen, er wusste ja, dass Brads Vater Spanier gewesen war. Señor Bradorico Estinato. An dem Abend, als Brad Much von seiner Kindheit in Cartagena erzählte, lachte er dabei die meiste Zeit, grinste, gestikulierte wie ein Straßenhändler, schnitt Grimassen und starrte dann wieder minutenlang stumm in sein Bierglas. Sein Vater sei ein wohlhabender Mann gewesen, Besitzer eines Varietés, obendrein ein verdammter Mujeriego, ein Weiberheld, der die Frauen behandelt habe wie Putzfetzen, erzählte er, wie den letzten Dreck. Seine gesamte Kindheit hindurch war Brads größter Wunsch gewesen, einen anderen Vater zu haben, doch bevor er alt genug war, Bradorico Senior umzubringen, traf den der Schlag. Er starb während seiner Lieblingsbeschäftigung, als er schwitzend und rammelnd auf einer Dienstmagd oder einer Nutte, einem Esel oder einem Schaf zugange war, egal, war ja eins wie’s andere für diesen Hijo de la Chingada, und dann war er tot, mausetot. Der alte Hurenbock hatte sich schlicht zu Tode gefickt. Am selben Abend noch, er war gerade mal sechzehn, hatte Brad mit zwei Sparbüchern seines Vaters in der Tasche Spanien verlassen, war in die Heimatstadt seiner Mutter gefahren und nannte sich seit damals Brad. Brad Estinato. Ein wohlklingender Name, sonst nichts.


März, heute

Erst Pia stieß ihn mit der Nase darauf, immerhin hatte sie Latein gehabt in der Schule, nicht er. Das war zwar mehr als fünfunddreißig Jahre her, aber sie war eben ein schlaues Mädchen.
„Was soll das heißen, es gibt keine Zufälle?“ Much schüttelte genervt den Kopf. „Das ganze Leben ist eine Reihe von Zufällen. Und ich meine jetzt nicht nur mein Leben oder dein Leben, sondern das Leben an sich.“
„Ach Much, du bist so schrecklich fantasielos.“ Pia griff nach ihren Zigaretten, ohne die Tarotkarten aus den Augen zu lassen. Eine nach der anderen nahm sie vom Stapel und legte sie offen auf den Tisch, schob sie hierhin und dahin, ordnete sie nach einem rätselhaften Plan.
„Was wäre das denn für ein trostloses Leben, wenn in allem überhaupt kein Sinn steckt? Dass alles nur zufällig passiert. Nein, Much, das wäre echt traurig.“
So sehr Much seine Schwester liebte, mit ihr zu diskutieren, egal worüber, brachte ihn regelmäßig auf die Palme. Pia war klug, witzig, charmant, obendrein ungemein attraktiv, aber sie hatte eindeutig einen Dachschaden.
„Wieso traurig? Warum soll ein Wunder weniger wert sein, nur weil es nicht geplant geschieht, sondern zufällig? Ich meine, schau dir doch zum Beispiel nur mal dieses ganze Evolutionsdings an. Das ist eine einzige Aneinanderreihung von Zufällen. Also von zufälligen Fehlern halt. Und was dabei alles rausgekommen ist. Wahnsinn. Ist das etwa kein faszinierendes Wunder? Du liest die falschen Bücher, meine Liebe. Du solltest dir mal den Dawkins vornehmen.“
Was stritt er sich überhaupt mit ihr? Es war doch sowieso zwecklos. Er hätte ihr von der Sache gar nicht erst erzählen sollen, er hätte doch wissen müssen, dass sie ihm sofort wieder mit ihrem Hokuspokus käme. Mit Kraftlinien, Schwingungen, Arthur Köstler, Zahlenmagie. Es war immer dasselbe mit ihr. Herr im Himmel, diese Irre war tatsächlich seine leibliche Schwester? Blut von seinem Blute, Fleisch von seinem Fleische? Das durfte ja nicht wahr sein.
„Sag bloß, du findest nach wie vor nichts dabei, dass der Typ so einen seltsamen Namen hat. Sowas nennst du Zufall? Also wenn ich dich richtig verstehe, hat mit diesem Brad doch der ganze Schlamassel überhaupt erst angefangen.“
Sie lehnte sich im Sofa zurück und schaute ihren Bruder nachdenklich an.
„Ich sag’s dir jetzt noch einmal, Much: Brad Estinato – praedestinatus. Meinst du etwa, ich hab mir das ausgedacht? Kannst ja selbst im Pons nachschauen. Und dieser Typ läuft dir ausgerechnet im Zamboni über den Weg, wo du fünfundzwanzig Jahre lang nicht warst. Und nicht, was weiß ich, beim alten Chomsky zum Beispiel. Noch dazu an deinem Geburtstag. Das kommt dir nicht eigenartig vor?“
„Ein witziger Zufall halt.“
„Sei nicht so stur, ach was sag ich, sei nicht so dämlich. Nur weil du fünf Jahre jünger bist, brauchst du dich nicht benehmen wie ein Fünfjähriger.“
„Pia, bitte.“
„Gib mir mal das große Papier dort und einen Bleistift. Und den roten Filzschreiber.“ Sie schob die Karten zusammen und steckte sich noch eine Zigarette an.
„Du rauchst wie ein Schlot. Pia. Furchtbar.“
„Na und, du ja auch. Setz dich her.“ Sie schnappte sich den Bleistift und strich sich damit eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Also, nur damit ich das jetzt richtig verstehe: Im Herbst verschafft dir der Leo diesen Auftrag beim Henniger.“ Sie malte zwei Kreise aufs Papier, schrieb in den einen ein L, in den daneben ein H.
„Dann entpuppt sich der Henniger als unsympathischer Banause und du willst eigentlich gar nichts mit ihm zu tun haben. Und um sozusagen den Kopf aus der Schlinge zu kriegen, verlangst du diesen aberwitzigen Preis. Du vervielfachst einfach dein ursprüngliches Angebot, richtig? Und um wie viel?“
„Hab ich dir eh gesagt. Ich hab’s mit elf multipliziert.“
„Genau, mit der Elf, der kleinsten zweistelligen Primzahl.“ Pia schrieb eine fette rote Elf in die Mitte des Blattes und darunter ein seltsames Symbol.
„Weißt du, wie die alten Sumerer die Elf nannten?“
„Pia, ich bitte dich.“
„Die Sumerer rechneten mit einem Duodezimalsystem und die Elf betrachteten sie als eine Art retardierendes Moment. Die Zahl des Orion hieß sie bei ihnen, nach den elf hellsten Sternen des Himmelsjägers.“
„Mir reicht’s langsam.“
„Du hältst jetzt den Mund, kleiner Michi. Wie viele Whisky hast du mit dem Henniger damals getrunken?“
„Keine Ahnung. Vier oder fünf.“
„Wahrscheinlich fünf, auch eine Primzahl. Jedenfalls genug, dass du angeduselt warst. Noch dazu bei der Hitze an dem Tag. Und dann bist du besoffen durch die Altstadt gelatscht und prompt über das Anteo gestolpert. Bring mir mal den Brockhaus mit M. Und die Buntstifte.“
Much ging zum Bücherregal und machte auf dem Rückweg einen Abstecher in die Küche, um sich noch eine Flasche zu holen. Pia machte ihn schier verrückt.
„Ma, Maf, Mag … Majakowskij. Da haben wir ihn ja schon. … Na bitte. Ich hab’s ja gewusst. Neunzehnhundertdreißig hat sich der Vladimir aus der Welt terminiert. Das darfst du jetzt selbst ausrechnen, Brüderchen.“
„Was zum Teufel soll ich ausrechnen?“
„Na die Quersumme von Tausendneunhundertdreißig, Dummi.“
„Alles okay mit dir, Pia? Oder brauchst du einen Arzt?“
„Werd nicht frech, Kleiner.“ Sie strubbelte ihm die Haare. „Mein kleiner, zynischer Intellektueller. Hach, ich mag dich einfach.“ Sie schrieb eine Dreizehn aufs Papier, darunter neuerlich ein fremdartiges Zeichen, zog Linien, kritzelte da ein paar Wörter, dort ein paar Zahlen hin.
„Herr im Himmel, Pia, du hast echt eine Schraube locker.“
„Klappe, Much. … So, wo waren wir? Im Anteo lernst du also diesen Tagedieb kennen, diesen kleinen Hippie mit seinem närrischen Flittchen. Die beiden verdrehen dir den Kopf, dann hängst du bald nur mehr im Anteo herum. Gehst kaum mehr in die Werkstatt, benimmst dich wie ein bescheuerter Achtzehnjähriger. Midlifecrisis, oder was? Dann kommt eines Abends der Henniger zu dir, im November, richtig? Verschleppt dich ins Chez Orion, säuft dich unter den Tisch und gibt dir schließlich Zwanzigtausend bar auf die Hand, als Anzahlung, sagt er. Bis dahin hast du aber noch keinen einzigen Handgriff gemacht an dem Ding, sagst du. Und am nächsten Morgen haut’s den Henniger von seiner Dachterrasse runter. Siebenter Stock, stimmt’s? Heiliger Bimbam! Und weil das vermutlich Schwarzgeld vom Henniger war, weiß kein Mensch von dem Haufen Geld. Ist wie ein Lottotreffer. Michi, Michi.“
Während Pia sprach, hatte sie immer wieder auf dem Papier gekritzelt, weitere Kreise gezeichnet, rätselhafte Symbole gemalt, ein schwarzes Kreuz neben das H gemacht, Linien von hier nach dort, von dort nach da gezogen, gerechnet, durchgestrichen, radiert, überschrieben, übermalt. Das Blatt sah mittlerweile aus wie ein früher Basquiat. Sie blickte Much ernst an.
„Ja, mein kleiner Liebling, scheint so, als hättest du dich gehörig in die Bredouille geritten.“
„Komm, Pia, ich bitte dich, lass es gut sein. Echt. Das ist doch alles vollkommener Unsinn. Ich wollte mich doch nur ein wenig unterhalten mit dir. … So von Bruder zu Schwester. Weil ich momentan echt nimmer weiß, wo mir der Kopf steht.“
„Und das wundert dich? Seit Monaten baust du keine vernünftigen Dinge mehr, verkaufst nichts, verkriechst dich in deiner Werkstatt. Weiß der Teufel, was du dort machst. Oder treibst dich im Anteo herum. … Sag mal, Much, bist du etwa verknallt in die Kleine? Schläfst du gar mit der?“
„Machst du Witze?“
„Ich mach mir einfach Sorgen um dich. Seit gut drei Monaten lässt du mich nicht mehr in die Werkstatt. Findest du das etwa normal? Ich will dir doch nur helfen, mein kleiner Michael.“
„Verdammt, Pia, ich bin nicht mehr der kleine Michael. Ich bin kein Schulbub mehr.“
„Ist schon gut, Much. Wir schweifen ab ... praedestinatus heißt auf Deutsch vorherbestimmt, das weißt du ja jetzt. Denk mal drüber nach. Dieser Brad und das Mädchen tun dir einfach nicht gut. Das seh ich auch alles da in dem Diagramm.“
Diagramm? Ich lach mich schief. … Herrgott, Pia, das ist doch nur sinnloses Gekritzel. Und was sind schon Namen? Mein Nachbar heißt Resnik, das kommt vom tschechischen řezník, Metzger, und der Typ ist Tänzer. Und im vierten Stock wohnt ein Herr Lama, kein Witz.“
„Ja, mach dich nur lustig. Warum kommst du dann überhaupt angetanzt und jammerst mir die Ohren voll?“
„Ich wollte dich halt einfach sehen. Muss dann eh wieder weg. Muss noch in die Werkstatt.“
„Wann darf ich dich besuchen, Much? … In der Werkstatt. Ich mein’s ernst.“
„Hm, bald. … Mal sehen.“ Er beugte sich zu Pia und küsste sie.
„Mach’s gut, große Schwester. Ich liebe dich.“
Pia strich ihm zärtlich durchs Haar.
„Pass auf dich auf, Michi.“
In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.


Frühling, morgen

Seit im Februar in der Gino-Lucetti-Straße die alte Fabrik abgerissen worden war, hatte Much morgens für ein paar Minuten Sonnenstrahlen in der Werkstatt. Als er das zum ersten Mal erlebt hatte, war es ihm wie ein Wunder vorgekommen. Die Maschinen, bis dahin nur von Neonröhren beleuchtet, glänzten im goldenen Licht, die Stahlsäulen warfen nie gesehene Schatten und die Staubteilchen zeichneten Striche in die Luft.
Much hatte sich beim alten Chomsky einen Kaffee geholt und als er zurückkam, erlebte er genau diesen magischen Augenblick. Auch heute ließ ihn das Schauspiel nicht kalt. Die ölige Dreckschicht auf der Metora-Säge sah aus wie ein lebender Schimmelpilz, die Kette des Flaschenzuges schleuderte Blitze und die Eisernen Gedichte schienen sich zu bewegen, schienen zu tanzen wie Derwische. Much ging langsam um sie herum und mit jedem seiner Schritte veränderten sie ihre Gestalt, ihre zerschrammten, zerrissenen, geflämmten, verbogenen, verzogenen, verdrehten Oberflächen schillerten in allen Farben, flüsterten Worte ins Sonnenlicht, sprachen zu ihm, Much, von Sonne, von Wald, von längst Vergessenem, von Schnee, von Blut, von Ozeanen, von Träumen. Von Spanien, von Pia, von Thiota. Und als die Sonne weiterwanderte und ihre letzten Strahlen die großen Acetylengasflaschen streiften, dann immer kürzer wurden, sich zurückzogen auf den Hof, zurückkehrten in ihre helle Welt draußen, verstummten die Gedichte nicht, sondern sprachen weiter. Leise raunten sie Much zu, kaum hörbar. Much aber verstand jedes Wort. Thiota, Pia, Isa, Mona, Kathi. Anteo, May, Sophie, Hans, Emiliano, Rosa. So viele Leben, so viele Hoffnungen. So viel Mut und so viel Leid.
So viel Unbeugsamkeit und Optimismus.
Much trank den Kaffee aus und suchte Werkzeug zusammen. Er stopfte es in eine Umhängetasche, verlängerte zu guter Letzt die Schläuche des Schneidbrenners und schleppte alles in den Hof. Dreimal musste er schwer bepackt die Feuerleiter hochsteigen, um den Kram auf das Blechdach zu schaffen, dann machte er sich an die Arbeit.
Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste durch die großen Öffnungen im Dach hinauf in den Frühlingshimmel. Schließlich ging er zum alten Chomsky hinüber, um den Glaserer anzurufen.
Und danach Pia.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.

Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags zu setzen.
Beispiel:

[spoiler]Ich vermute, dass der Autor der Geschichte Rumpelstilzchen ist. Der schreibt doch auch immer von güldenem Haar und benutzt so viele Ausrufezeichen![/Spoiler]

Die eckigen Klammern setzt ihr mit der Tastenkombination Alt-gr+8 bzw. Alt-gr+9.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Raten und Kommentieren!


Tag der Auflösung: 20.12.2013

 

Hallo,

Kaffee bot er ihm nicht an, stattdessen füllte er zwei Gläser mit Whisky, auch das ungefragt.
Die Aussicht von der Dachterrasse allerdings war atemberaubend. Mit einer gönnerhaften Geste wies der Hausherr auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er die selbst erbaut. Sein anderer Arm lag dabei die ganze Zeit auf Muchs Schulter.
Ich finde den Text unheimlich souverän. Der ist sofort da, weiß genau, wie er klingen will.
Das ist ein interessanter Effekt, weil bei vielen starken Texten im Forum genau das nicht da ist, sondern die sind im Ton un-balanciert und das macht viel vom Charme aus.
Die beiden architektonische Begriffe hier sind erfunden? Irgendwelchen Anarchisten nachempfunden? Man merkt das schon, von dem Text geht ein ganz anderer Vibe aus.
Ist interessant: Ich könnte jetzt schon ¾ der Autoren ausschließen, die im letzten Jahr hier die Empfehlungen unter sich ausgemacht haben, weil das eine ganz andere Richtung ist, sich Sprache und einem Stoff zu nähern.
Ich hab jetzt immer jeden Mittwoch auf Sat 1 die Casting-Show „The Taste“ gesehen, da ging es am Anfang viel darum, ob jetzt ein Profi-Koch was macht oder ein Amateur-Koch – und ob es wichtiger ist, aufregend zu kochen und mit hohem Risiko was zu wagen oder etwas etabliertes und in sich Rundes abzuliefern. Die Juroren haben da in ganz ähnlichen Vokabeln gesprochen, wie ich sie für die Text-Kritik im Forum oft bemühe.

„Ist gekauft, mein lieber Pander, nullo Problemo, ich hab’s ja. Sind Peanuts, hähä. Noch einen Schluck?“
Nee – also das wird mir hier zu sehr Karikatur. Es gibt sowas „From the headlines“, das man für einen literarischen Text sich 1:1 an einem emotionalen Thema aus der Tagespresse bedient. Das hat oft den Nachteil, dass es so reißerisch wirkt. Jetzt hier den Mann wirklich „Peanuts“ sagen zu lassen, um ihn als Sinnbild für einen bestimmten Menschenschlag zu brandmarken – ich finde das nicht gut, mir ist das zu predigend.
Bei „Margin Call“ werden diese Bänker dargestellt – aber die bleiben Menschen. Die kriegen z.T. Wunderbare Szenen. Ich find's problematisch, Menschen in Texte zu dämonisieren.

war im Anteo herumgehangen oder im Sacco & Vanzetti,
Ich hab die ersten zwei gegoogelt, weil ich wissen wollte, in welcher Stadt das spielt, und jetzt google ich einfach jeden Namen und seh, dass das alles Anarchisten sind und erkenne den augenzwinkenrnden Gag in 6facher Widerholung – andere würden den Text wahrscheinlich ohne zu googeln zu Ende lese – es ist aber auch ein seltsames Leseerlebnis, einen Satz zu lesen, innezuhalten, zweimal zu googeln, wiki zu überfliegen, und dann weiter zu lesen. So Referenzen – ja, die sind bei Internet-Texten halt schwierig. Gut, vielleicht bin ich der einzige, der so liest. Ich hab bei einer derartigen Häufung von Referenzen manchmal den Eindruck, entweder für Autor oder Leser ginge es jetzt um eine Art Fleißsternchen.

Er riss die Seiten mit den Gedichten aus seinem Buch und heftete sie an eine Wand, dann setzte er sich mit dem Skizzenblock an die Werkbank und begann zu zeichnen. Kurz vor Mitternacht machte er sich an die Arbeit. Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.
Im Morgengrauen hatte Estinatos erstes Gedicht Gestalt angenommen.
Um zehn Uhr vormittags fuhr Much nach Hause und lag anschließend zwei Tage im Bett, mit Fieber und mit zerschundenen Händen. Am Abend des dritten Tages tauchten Fred und Thiota mit einem Topf Hühnersuppe auf, machten ihm heißen Grog und verschleppten ihn anschließend ins Anteo. Thiota hatte Geburtstag.
Das ist toll. Der Text hat eine enorme Bandbreite.
Ich hab eher Probleme mit dem Teil vorher, weil ich dieses Motiv eines Künstlers mit verratenen Idealen, der die Jugend aufflackern sieht – mit diesen Elementen einer „Altersgeilheit“ und einem Neid auf die Jugend und so … ich mag das im Kern nicht. Ich mochte das schon im „Tod in Venedig“ nicht. In „Rushmore“ gibt es sowas ähnliches, aber da wird das Motiv gewandelt. Ich find das in vielen Fällen allein schon deshalb problematisch, weil es einen Autor dazu einlädt, sich mal richtig auszukotzen und in Selbstmitleid zu baden.Diese „Die Jugend ist an die Jugend verschwendet“-Mentalität. Ich finde die Fixierung auf „Jugend“, ob's auf die eigene oder eine fremde ist, - ich seh das oft und fühl mich unwohl dabei, weil ich das Gefühl hab, da die Schöpfer bei ihren Sehnsüchten zu ertappen – da fallen Filter aus.
Viele kreative Menschen scheinen aus einem Erinnerungspool zu zehren von „Ich als junger Mann“ - und dann trauern sie dem später nach. Seh ich ungern bei zu, ganz ehrlich. Das ist auch ein fast ausschließlich männliches Motiv, glaub ich.

Aber hier diese Schöpfungskraft, die man in dem Absatz sehen kann, find ich toll dargestellt. Das wertet dann auch den vorhergehenden Teil enorm auf.

„Keine Ahnung, vier oder fünf.“
„Wahrscheinlich fünf, auch eine Primzahl.
Klingt total plausibel für mich! - ist sehr lustig, der ganze Dialog.

Uhm, okay – ehm. Der Text hat mich zum Ende total überfordert. Keine Ahnung – was damit jetzt gemeint war. Ich hatte das Gefühl, der esoterische Ausflug zu Pia war in der Struktur der Geschichte ein retardierendes Element, bevor es dann zu einem großen Finale wird und ein großer Bogen zum Henninger-Auftrag, zum Verrat der Jugend, zu den Anarchisten und zu dem jugendlichen Liebespaar geschlagen wird. Dabei war der Auftritt bei Pia schon ein zusammenfassendes Finale und Henninger war schon tot – und das war's dann schon und … ehm, ja. Beim letzten Absatz hab ich dann gemerkt, dass das, was ich zu der Geschichte im Kopf hatte, überhaupt nichts damit zu tun hat, worum es der Geschichte geht. Da steh ich dann am Ende und denk mir: Jetzt kannst du entweder noch mal von vorne anfangen zu lesen oder du lässt es halt bleiben. Komisch … bis dahin hat mir der Text echt gut gefallen, aber der letzte Absatz: Komm ich nicht mit. Fehlen mir vielleicht 20 Jahre.
Wird da vielleicht einfach der komplette Schöpfungsmythos von Much abgebildet, muss er zu diesen Wurzeln zurückkehren und muss er alles auf die Reihe kriegen – mit welchen Mitteln auch immer – um zu schaffen. Ist also alles in der Geschichte nur insofern wichtig, dass die Schlpfung im letzten Kapitel gelingt. Und ist es letztlich völlig unwichtig, was dazu beigetragen hat: sondern das sind nur Mittel zum Zweck? Das ist so ein typischer Künstler-Text, da hab ich mal gelernt, Schrifsteller verwendeten da oft Bildhauer als alter ego, weil das so schön passt. Ist nicht so meins.

Ich dachte am Anfang Andrea H., dann dachte ich Dion, dann dachte ich Sentimedes und dann offshore. Ich glaub es ist offshore. Ich hab zwei typische süddeutschen Wendungen gesehen: Setz dich her und nimmer. Das sind aber auch typische österreichische Wendungen. Dion dachte ich kurz bei dem „Peanuts“-Ding, aber dafür greift es später die Position des Alt-68ers zu stark an. Sentimedes hätte von der Anarchie-Geschichte sicher gut gepasst, ich weiß aber nicht mal, ob der noch im Forum aktiv ist und der Text hier öffnet sich schon relativ weit persönlich und zeigt sich verletztlich, das kann ich mir bei Sentimedes nur schwer vorstellen.. Von offshore kenn ich nicht so viele Geschichten, aber ich denke, der Text passt schon sehr gut auf ihn. An Andrea H. hab ich wohl nur gedacht, weil ich mir da mal einen Text wieder wünschen würde und weil der Einstieg da zuzutrauen ist. Aber auf offshore passt glaub ich das Handwerkliche, die Fixierung auf die Jugend, das bisschen 68er-Tum und auch dieser Widerspruch zwischen einem wirklich wohlgefeilten Äußerem und einer brodelnden Struktur, die sich schon an literarische Konventionen hält, aber an welche, die nicht in erster Linie erzählerisch sind (das ist eher meins), sondern eher an feuilletonistsch-literarisch, damit hab ich seit der Schulzeit wenig zu tun, außer man zwingt mich mal, Toni Morrison oder so. Aber ich denke deshalb komm ich mit dem Ende auch nicht klar

Gruß
Quinn

 

Hallo Maske,
hat zur Zeit einen echten Vorteil, krank zu sein, ständig passiert hier was Neues und jetzt auch noch ein neuer Incognitotext.
Und der gefällt mir sehr, sehr gut. Voller Details und Kleinigkeiten und verschrobenem Krams. Wer zum Beispiel kennt denn noch das Wort Schalk oder zu Fleiß. Und diese Namen. Much Pander. Da steckt doch bestimmt ein Wortspiel dahinter. Oder Henniger, der Name erinnert mich an ein Frankfurter Bier und das schmeckt auch scheiße, so wie auch der Henniger ein scheißiger, überzeichneter Neureicher ist, der mit den Insignien modernen Erfolgs nur so um sich schmeißt. Diese Figur ist wirklich überzogen, ein Klischee, der ganze Kerl ist das, aber das hat mich nicht gestört. Und toll geschrieben ist es.
Eigentlich passiert ja ziemlich wenig. Ein Metallkünstler (was ist er eigentlich genau, hab ich nicht rausgekriegt, baut er Installationen für die Gärten?) gerät in eine Sinnkrise. Er hadert damit, seine Ideale verraten zu haben und begibt sich auf einen Stadtspaziergang, der ihn zu den Stätten seiner jugendlichen Umtriebe führt, er verirrt sich in dem Viertel seiner Erinnerung. Ja, eine schöne Idee ist das, denn da kann man sich schon mal verlieren in den Winkeln der Jugenderinnerung. Er trifft dort auf ein Pärchen, auf das sich all seine Sehnsüchte konzentrieren. Doch schließlich erschafft er, zweifelnd an sich selbst und zutiefst neidisch und eifersüchtig auf die Jugend und die Hoffnung des jungen Pärchens, aus dem Geschreibsel des jungen Mannes die Eisernen Gedichte. Vielleicht den Höhepunkt seines Schaffens?
Also ich finde das wunderschön geschrieben.
Sehr stimmungsvoll, mit ganz ganz schönen Stellen drin, die viel zu viele sind, als dass ich sie jetzt alle aufzählen möchte. Es ist weniger eine Geschichte mit Stellen drin, die mich jetzt tief berührt hätten (im Sinne von ist mir furchtbar nahe gegangen oder so, das soll es ja auch nicht), es ist eher eine amüsante, liebevolle Auseinandersetzung eines Sinnkritisierten mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft. Dazu passt auch der Rahmen, die Verbindung aus Jahreszeit und Tag, das gefällt mir ausgesprochen gut. Das ist aber auch keine rein unterhaltsame Geschichte, obwohl sie viel Ergötzliches hat, nein, das ist ein kleines Sprachpanorama, sehr gebildet, da stellt jemand eine kleine Sprachschüttelkugel hin, die mit Wissen spielt und mit Sprachkönnen, ja eine Kugel, die bei jedem Anheben immer wieder mal eine neue kleine Facette zeigt.

Wenn ich frech wäre, aber das bin ich ja zum Glück nicht, würde ich sagen: da hat jemand eine frische Schreibe gehabt. Hihi. Aber nein, das würd sich jetzt keiner mehr trauen. Sag ich lieber, deine Geschichte ist gelungene Sprachverglimpfung.
So und bevor ich mich jetzt um Kopf und sonstwas rede, schließe ich lieber schnell.
Hat großen großen Spaß gemacht. Ich könnte das nicht, so schreiben wie du, selbst wenn ich es probieren würde, aber es ist vielleicht gerade deswegen sehr anregend. Und einfach superschön.
Dankeschön.

offshore warst du das? Ich denk das wegen der Sprache, wegen dem, was der Much so beruflich macht, aber auch wegen dem Zufallskrams mit der Schwester. Vielleicht hast du ja so deine ursprüngliche Geschichte verändert? Weißt schon, die mit den Zufällen.

 

Hallo Maske

Handwerklich finde ich den Text einwandfrei. Ich glaube, dass da viel Arbeit drinsteckt und du vermutlich auch einiges recherchieren musstest, schon wegen der ganzen Details (Finanzprodukte, Sternbilder, die ganzen Arbeitsgeräte etc.). Ich habe beim Lesen auch mehrmals gegoogelt, aber das bietet sich eben an, wenn man einen Text am PC liest. Wäre das jetzt ein Buch gewesen, hätte ich nicht extra das Handy bemüht, ich finde die Informationen, die ganzen Namen fügen sich sauber in die Geschichte ein.

Mir ist auch die Sprachfülle aufgefallen, ich möchte mal beispielhaft drei Stellen zitieren:

Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer.

Kurz vor Mitternacht machte er sich an die Arbeit. Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.

Much ging langsam um sie herum und mit jedem seiner Schritte veränderten sie ihre Gestalt, ihre zerschrammten, zerrissenen, geflämmten, verbogenen, verzogenen, verdrehten Oberflächen schillerten in allen Farben, flüsterten Worte ins Sonnenlicht, sprachen zu ihm, Much, von Sonne, von Wald, von längst Vergessenem, von Schnee, von Blut, von Ozeanen, von Träumen.

Das mag einfach aussehen, aber so zu schreiben - finde zumindest ich - ist ziemlich schwierig und erfordert viel Arbeit. Also ich kann mir gut vorstellen, dass du an diesen Formulierungen oft gefeilt hast, bis sie so waren - wenn du das im ersten Versuch gleich so flüssig runtergeschrieben hast, Respekt. Also das Handwerkliche ist echt einwandfrei an dem Text.

Inhaltlich konnte er mich leider nicht so packen. Ich fand das Intro unterhaltend - klar, den Henniger hast du überzeichnet, das haben Quinn und Novak auch gesagt, fand ich auch. Aber ich fands unterhaltsam, hat mich jetzt nicht gestört oder so.
Der Mittelteil - ja, das war mir zu nostalgisch. Der Much hängt seiner eigenen Jugend nach, ich kann das zwar prinzipiell schon verstehen, frage mich aber gleichzeitig, was in seinem Leben alles schief gelaufen ist. Er kommt mir sehr unglücklich vor, bevor er auf Fred und Thiota trifft, und wenn man unglücklich ist und immer an die Vergangenheit denkt, dann muss man die Gründe dafür in der Gegenwart suchen. Much macht aber genau das nicht, er versucht irgendwie, seine Jugend wiederzubeleben, indem er ständig mit Fred und Thiota rumhängt - was haben die eigentlich von diesen Begegnungen? Also mir kommt das eher wie eine Flucht vor, etwas, das zwar vorübergehend schön sein mag, aber letzten Endes nicht die Probleme von Much beheben kann.
Dass er sich von den Gedichten selbst inspirieren lässt, finde ich dann eine schöne Idee - das könnte jetzt durchaus auch ein Ansatz sein, seine Gegenwart zu verändern und glücklicher, oder besser gesagt zufriedener, zu werden. Ob es ihm gelingt, lässt der Text letzten Endes offen, aber zum Schluss wirkt Much zufriedener, ausgeglichener auf mich als zu Beginn.
Was mir an dem Text aufgefallen ist - vieles wird angedeutet, aber richtig konkret wird er selten. So erfahren wir nicht, worüber die Gedichte von Fred handeln, wir wissen auch nicht, was für eine Skulptur der Much daraus gebaut hat. Und wir wissen auch nicht, worüber Fred und Much die ganze Zeit bis in den Morgengrauen reden. Ich denke, in diesem Fall ist das auch in Ordnung - es geht hier hauptsächlich um Gefühle, also bspw., welche Gefühle lösen die Gedichte bei Much aus? Und das bringst du rüber, die entsprechende Stelle hab ich ja oben schon zitiert. Also fass das nicht als Kritik auf - ich denke, einen solchen Text muss man auch so umsetzen.
Gut gefallen hat mir die Begegnung mit Pia, der Schwester. Als sie so mit Primzahlen angefangen hat und Verbindungen gemalt hat - das fand ich spannend. Da wurde der Text auch mal konkret, ich fand das hat nochmal Schwung reingebracht. Ich dachte auch, jetzt kommt nochmal ne Pointe - aber irgendwie führte auch ihr Diagramm ins Leere, hab ich so das Gefühl. Also der Ansatz war schon interessant, aber schlau bin ich nicht draus geworden. Vielleicht wolltest du damit aber auch sagen, dass solch esoterischen Ansätze selten zu etwas führen ... oder doch nur alles Zufall ist :)

Dann zum Schluss - ich will ehrlich sein, ich hab das nicht kapiert.

Er stopfte es in eine Umhängetasche, verlängerte zu guter Letzt die Schläuche des Schneidbrenners und schleppte alles in den Hof. Dreimal musste er schwer bepackt die Feuerleiter hochsteigen, um den Kram auf das Blechdach zu schaffen, dann machte er sich an die Arbeit.

Also er schleppt seinen ganzen Krempel aufs Dach, und arbeitet dann wieder an der Skulptur? Und dann ruft er seine Schwester an, vermutlich, um sie mal wieder in die Werkstatt einzuladen, weil er die jetzt geräumt hat? Oder weil er ihr etwas Fertiges zeigen will? Hab ich leider nicht verstanden.

Also - handwerklich, wie gesagt, einwandfrei. Da ist es ein toller Text auf hohem Niveau. Inhaltlich fand ich vor allem den Beginn und das Gespräch mit Pia unterhaltsam. Sonst ist es ein Text, in dem vor allem ein Gefühl im Vordergrund steht - ich hab die ganze Zeit gedacht, dass es eben noch zu einer Pointe oder einer Erklärung oder irgendetwas kommt am Ende - insofern hat mich der Schluss dann etwas enttäuscht.

Stiegenhaus, Anrainer - der Autor kommt aus Österreich. Ich tippe auf offshore, der sich auch schon in einem anderen Text mit Zufällen beschäftigt hat und in einem handwerklichen Beruf arbeitet, was zum Prot. in dieser Geschichte passt.

Viele Grüsse,
Schwups

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich bin ziemlich beeindruckt von diesem Text. Nee, streich das "ziemlich". Ich bin beeindruckt. Vor allem natürlich von der Sprache, die hat einen wunderbaren Klang und bleibt dabei trotzdem ganz entspannt. Und dass ich durch so einen Text hindurchsegle, ohne mir zu denken, hier könnte man besser so oder so, das kommt auch höchst selten vor. Ich könnte jetzt ein paar geniale Stellen zitieren, aber vielleicht mach ich das später, um mir die Wartezeit auf die Entlarvung zu verkürzen.
Selbst der überzeichnete Henniger hat mich nicht gestört. Was ist nur los mit mir? Und diese Beziehung zu dem jungen Künstlerpärchen hat mir sehr gut gefallen, besonders als er da mit Diamantaugenbrauen im Wald rumtrappt und sich fragt, was die da haben, was er nie hatte. Ich seh das auch nicht als reine Nostalgie, denn es ist ja nicht so, dass er sich seine eigene Jugend zurückwünscht in der er zwar wild, aber in der Liebe nicht wirklich leidenschaftlich war. Er wünscht sich ihre Jugend. Und hat Angst, was verpasst zu haben. Und wenn er dann das Gedicht in so ein Blechmonster umarbeitet ist das ja auch irgendwie ein Scheitern, weil er ihm da ja auch jede Leichtigkeit nimmt und es erstarren lässt. Schon dieses Schuften ist ja was ganz anderes als das verliebte Dichten. Wobei Scheitern triffts auch nicht, er fühlt sich ja gut dabei. Aber gelingt es ihm wirklich, das fremde Gefühlsgut, dass er vorher nicht packen konnte und sich doch zueigen machen wollte, so zu bannen?
Aber der Text ärgert mich natürlich auch. Weil er offensichtlich schlauer ist als ich. Also ich versteh auch nicht, warum er das alles aufs Dach schleppt, welche Erkenntnis es da gab. Man wird ja auch total paranoid dadurch, dass da ein Name ein sprechender ist. Da wittert man hinter allem Symbolismus oder Anagramm. Diese Stelle mit der Schwester hat mich auch total an das Focaultsche Pendel erinnert, wo man sieht, dass man immer symbolische Beziehungen herstellen kann, wenn man denn nur will. Dass sowas letztlich zum Verfolgungswahn führt. Vielleicht gehts ja auch darum, dass der Leser einen Verfolgungswahn kriegt und da versucht zu schlüsseln, wo es gar nichts zu entschlüsseln gibt. Aber das glaube ich eigentlich nicht und fände es wahrscheinlich auch doof. Also werde ich es wohl noch ein paar Mal lesen und mich ärgern, dass mir die Schlüssel fehlen und mich freuen, dass es so schön geschrieben ist.

Was mich noch ärgert ist, dass ich nicht weiß, wer das geschrieben hat. Wie kann das sein, dass jemand so saugut schreibt und ich ihn nicht erkenne? Ich kenn wohl Leute, die Schlüsseltexte schreiben und das saugut tun, aber ich nenn jetzt keine Namen, bevor man wieder über mich lacht.

Bisschen nutzloser Kommentar, aber eins hab ich: looser = loser

PS: Kann man Texte auch empfehlen, wenn man sie nicht versteht?

PPS: Boh Maske, weißt Du dass ich heute den ganzen Tag die Ballade von Nicola und Bart summen musste (von der ich nur eine Strophe auswendig kann, was das ganze noch nerviger macht!)?


Nach Nochmaligem Lesen kurz vor Entlarvung (den Terminus habe ich mir übrigens letzte Woche eigenständig korrekt etymologisiert):

Hehe, nun sind mir doch noch ein paar Meckerwinzigkeiten aufgefallen:

Mit einer gönnerhaften Geste wies der Hausherr auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er die selbst erbaut.
"sie" fänd ich nen Hauch eleganter.

Er wusste noch, wie herrlich kühl es im Sommer da drin immer gewesen war.
da würd ich: im Sommer immer da drin ...

blätterte in seinem Büchlein und der Schweiß rann ihm über die Stirn und gefror in seinen Augenbrauen zu glitzernden Diamanten
Ohne das "glitzern" hätte es noch einen unmetaphorischeren Klang. Unmöglich zu erklären.

Ab hier alles Lob

Spontan beschloss er, Henniger die besten Skizzen vorzuenthalten, und als es schließlich um die Kosten ging, verzehnfachte er im Kopf kurzerhand sein Angebot und addierte aus purem Schalk zusätzlich die ursprüngliche Summe.
:D Schalk ist auch ein schönes Wort.

„Junge, Junge! Dreiunddreißigtausend … Na ja, klingt aber fair. Echt reell, definitiv. Ist ja immerhin Kunst. Wird ja wohl mehr wert mit der Zeit. Hähä. Will ich zumindest hoffen.“ Und wieder schüttelte ihn dieses vulgäre Lachen und dazu stieß er Much den Ellbogen in die Rippen.
„Ist gekauft, mein lieber Pander, nullo Problemo, ich hab’s ja. Sind Peanuts, hähä. Noch einen Schluck?“
Das mochte ich auch sehrsehrsehr. Je teurer es ist umso kunst muss wohl sein. Ich glaube so shoppen viele Reiche sich ihre Kunstdeko zusammen. Nur geben die das natürlich nicht so zu.

nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem, etwas, das wichtiger war als Rita, als Marlene, als Mona, und wie sie alle hießen, diese allnächtlichen Mädchen, mit denen er unterwegs gewesen war, eines schöner und verrückter als das andere, und alle genauso auf der Suche nach etwas Großartigem, nach dem wirklichen Leben. Nächtelang diskutierten sie, erträumten Utopien, entwarfen Strategien, erschufen in ihren Köpfen die Welt neu und waren überzeugt, die einzigen vernünftigen Menschen in diesem Land zu sein, die einzig wahren Guten. Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag, in Wahrheit reihte sich einfach Nacht an Nacht, und die Tage dazwischen waren dann entweder unerträglich heiß, oder es regnete, oder es war windig und kalt und sonst gar nichts. Im besten Fall hatte er auf dem Heimweg eine Sprühdose bei sich und eine Bankfiliale musste daran glauben, oder die Auslage eines Juweliers.
Diese Suche ist auch so gut eingefangen, das Bild der nie zur Premiere führenden Generalprobe ist hervorragend. Und die Mädchen, die alle toll sind, aber nicht genug sind, um als Ziel zu gelten.

Öfter jedoch wurde er mittags vom Virnich, seinem Nachbarn, dem in Würde gealterten SA-Mann, aus dem Bett geläutet, weil er nachts beim Nachhausekommen wieder einmal dessen Philodendron im Stiegenhaus umgeschmissen, umgerempelt, beschimpft hatte.
Auch wunderbar, weil man den empörten SA-Mann so hört, wie er sich mit überschlagender Stimme steigert.

Schlussendlich hatte er kapituliert, die halbherzigen Schläge der Polizisten grinsend hingenommen, ertragen, kaum gespürt eigentlich.
Hier kommt ja so ne ähnliche Reihe, aber da ist es leider schwächer. Nicht nur weil es zum zweiten Mal derselbe Witz ist.

zwei gegen einen, und dieser eine, einzige, er, Much Pander, obendrein furchtbar verkatert war,
und an solchen Kleinigkeiten wird es dann ganz greifbar, wie saugut dieser Text gemacht ist.

im Pyjama, und ihn, Much, hämisch angrinste und dann, als er, Much,
das tut unheimlich viel für diesen gemütlich-südlichen Ton. Erinnert mich auch ein bisschen an diese Brenner-Krimis von dem Dings.

Nachtvögel mit bleichen Gesichtern, unmöglichen Frisuren und wachen Augen
einfach nur schön

Ein Schulterklopfen von Fred zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Fred auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
Mann, ich hör jetzt auf, weil mich das so langsam auch voll neidisch macht!

Ok, hier noch, aber mehr zum Inhalt:

Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, fühlte sich an irgendetwas erinnert, gemahnt an Gedanken und Ideen, kaum festzuhalten, die er vor dreißig Jahren weniger gedacht, als vielmehr geahnt und nie in Worte hatte fassen können. War dies das Große, das er damals gesucht, aber nicht zu benennen gewusst hatte?
Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte? Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer.
Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Er schriebe nur für Thiota, hatte Fred gemeint, dieser Träumer.
Much hatte eiskalte Zehen und fröstelte. Was wusste dieser kleine Scheißkerl mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen?
Da wird das so greifbar, wie ungreifbar das ist. Und ich finde es halt spannend, dass es nicht bloß Erinnerung sondern eher Nostalgie ist - das kann ja auch die Sehnsucht nach einem Ort oder einer Vergangenheit sein, die man so nie wirklich erlebt hat. Also dieses Parasitäre des Much finde ich sehr spannend. Wie er von ihrer Jugend, Liebe und Kunst zehrt. Und dass er dann das Gedicht nachbaut, in so einem Gewaltakt so ein Monster schafft, finde ich ganz großartig. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob ihm da was glückt, oder ob er sich da ganz ins ackernde Epigonentum verirrt, wie es mir anfangs schien. Zumindest das Spiel der Sonne macht das statische Blechmonster dann ja wieder zu etwas Leichtem und Bewegtem. Das ist fast wie ein göttlicher Gnadenackt für den armen alten Much. Und das macht ja auch ne gute Skulptur aus, die Dynamik die bei Vielansichtigkeit durch die Bewegung des Betrachters und durch die Interaktion mit der Umgebung, mit Licht und Raum entsteht. Das ist hier auch ein sehr guter Text über Kunst mit allem was man sich wünschen kann: Kommerzialisierung, Paragone zwischen Wort- und Gegenstandskunst, geniehaftem Schöpfen und demiurgischem Ackern.
Und wenn man das Licht als Gnadenakt sieht, dann könnte tatsächlich auch der Tod vom Henninger ein Gnadenakt gewesen sein. Womit Pia wahrscheinlich alle Rechenschritte falsch, aber das Ergebnis richtig hätte :D

„Was wäre das denn für eine trostloses Leben, wenn in allem überhaupt kein Sinn steckt? Dass alles nur zufällig passiert. Nein, Much, das wäre echt traurig.“
:D Die bastelt sich aber auch echt einen zurecht. Wo nimmt die denn das "prae" her? Ist sie verrückt, oder bin ich blind?
Keine Ahnung. Vier oder fünf.“
„Wahrscheinlich fünf, auch eine Primzahl.
Ok, die bastelt sich einen. Ich mag die Stelle sehr. Bin auch ein Fan vom Irrsinn der Esoterik. Und das ist hier treffend aber doch charmant aufgeschippt.

Als er das zum ersten Mal erlebt hatte, war das wie ein Wunder gewesen.
Gnade! Sag ich doch!

Also, die Geschichte hat mit dem zweiten Lesen nichts eingebüßt. Ich liebe sie noch mehr als zuvor. Auch über die Zeit müsste man ja mal reden. Vorwärts vom vorgestern zu gestern zu morgen. Also aus der Vergangenheit in die Zukunft, aus Muchens Herbst durch den Winter in den Frühling. Das passt schon. Also die Geschichte ist immer noich rätselhaft. Aber sie verwirrt mich nicht mehr. Ich fühle festen Boden unter den Füßen. Das ist schön.
Der Mensch, der diese Geschichte geschrieben hat, hat eine wunderbare Sprache, eine hervorragende Bildung, Kunst- wie Technikverständnis, er ist leicht amüsiert aber auch fasziniert von Esoterik und Magie und hat ein Herz für Revoluzzer. Er macht keine Zeichensetzungs- und nur einen Rechtschreibfehler.

Verdammt noch eins, das kann doch nur

Ich hab Angst, es auszusprechen

Und jetzt hör ich mir mal die ganze Ballade von Nicola and Bart an ...

PS: Einer meiner Freunde kam aus Much. Der war auch im Frühling ein armes Schwein, weil der Bus nach draußen da höchstens einmal die Woche fährt.

So, wenn ich erst ganz zum Schluss beantwortet werde, kann ich ja zwischendrin noch einen Gedanken loswerden, der mir unterdessen noch gekommen ist: Also wenn ich das so sehe, dass der Sonnenstrahl Much da die Erleuchtung bringt (unabhängig ob man das jetzt als Zufall oder Bestimmung lesen möchte), finde ich es gut, dass er da nicht nur passiver Empfänger dieses Glücks bleibt, sondern selbst aktiv wird, sich noch mehr von diesem Glück (also dem Licht) zu holen. Das ist wirklich sehr optimistisch und schön als Gedanke. Und es ist auch schön, dass man länger an dieser Geschichte bleiben und an ihr herumdenken kann, auch wenn das für den Autor bedeutet, dass ihm die Kommentare zum Treibsand werden können. ;)

 

Hallo Maske

Gleich zu Beginn spürte ich wie die Worte und Sätze flossen, sich zu Bildern formierten und Gestalt annahmen. Ich meinte, in der Sprache Vertrautes herauszuhören. Die Indizien liessen mir zwei Namen aufblitzen, abwägend, ob es vom Inhalt her zutreffen könnte.

Mit einer gönnerhaften Geste wies der Hausherr auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er die selbst erbaut.

Mit diesem Satz fiel meine Illusion völlig in sich zusammen, zu ahnen, wer sich hinter der Maske verbirgt. Nein, dies entspricht nicht den Auserwählten.
Wäre der Anblick der (Pier Paolo) Pasolinikirche und des Émile-Pouget-Turm noch um ein fiktives Bauwerk ergänzt gewesen, nämlich der „Notre-Dame-des-fleurs“ von Jean Genet, wäre mir der Rahmen eines Kaleidoskops von Provokationen erfüllt gewesen.

Das Fahrrad ließ er abgesperrt am May-Picqueray-Platz zurück und schlenderte in das enge Gassengewirr hinter dem Dom. Hier irgendwo, versteckt in einem Souterraingewölbe, war einst das legendäre Anteo Zamboni gewesen, erinnerte er sich.

Und mit May-Picqueray und Anteo Zamboni nimmt das Kaleidoskop einen verwirrend schnell drehenden Verlauf. Der Fünfzehnjährige Anteo wurde immerhin von Pier Paolo Pasolinis Vater den Schergen übergeben, die ihn lynchten.

Es war heiß wie in Spanien, er knöpfte sich das Hemd wieder auf und versuchte, im Schatten zu bleiben.

Mehr und mehr dreht es ins Surreale. Spanien war eine Assoziation auf den heissen Herbsttag, das Haus von Anteo steht in Bologna (Italien) und die Namen der handelnden Figuren stramm Deutsch. Federico Fellinis Botschaften waren da einfacher zu entschlüsseln.

… Nacht für Nacht, und darüber hinaus für die Weltrevolution sterben.

Dieser Monstersatz, der Vorstehendem voranging, lüftete mir nun doch das Geheimnis, wer hinter der Maske steckt. Natürlich, diese Kombinationen von Sprache, umtriebigen Mädchennamen und bakuinscher Trotzigkeit, dazu ist meiner Meinung nach nur einer fähig!

Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.

Diese Sätze könnten dazu verleiten, stattdessen an einen Wiener zu denken – er hätte von Neuem aber wahrscheinlich grossgeschrieben -, doch täuscht Du mich nicht. :D

In Gedanken habe ich diese skurrile Geschichte mit Deinen anderen verglichen. Doch es steckt da Entwicklung drin, wenn auch das Verwirrliche die Klarheit und Schönheit vertuscht. Dein Wille Dichter und nicht Literat oder Schriftsteller zu sein, bestimmt auch dieses Stück.

Es hat mir insgesamt gefallen, insbesondere der Frühling hatte es mir angetan. Noch habe ich keine Kommentare gelesen und lasse meine Meinung vom Stapel, ehe ich da hineinschaue. Nicht dass ich es noch einzig auf das Kaleidoskop von Provokationen fixiere, es steckt da mehr drin.

Schöne Grüsse

Anakreon


Hallo Kubus. Hättest Du eine venezianische Maske übergezogen, hätte ich Dich vielleicht nicht erkannt, aber die kubische Form der Tarnung ist entlarvend. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Also, ich hol mal tief Luft. :D
Ich glaub mit dem Ende macht ihr mich noch fertig. Ich hab mir das alles ganz einfach gedacht und versteh von daher gar nicht, was ihr alle nicht versteht. :D Tja, ich kann es auch anders ausdrücken: wenn ihr alle so zweiflerisch seid, dann bin ich wohl ziemlich auf dem Holzweg. :dozey: Ich schreibs mal trotzdem hin, obwohl ich mich dann bestimmt als so ein Romantikbolzen oute und überhaupt, ach was solls, ich hab mir bei dem Ende überhaupt nichts, aber auch rein gar nichts Ungewöhnliches gedacht. Der Much erschafft halt aus den Gedichten des jungen Mannes ein eigenes Kunstwerk.
Ein Monument der Unbeugsamkeit und des Optimismus. Das sieht er in den Gedichten verkörpert, in den jungen Menschen selbst und nun auch in seinem Metallkunstwerk. Und das strahlt und schimmert schon in der Werkstatt und schmeißt mit Blitzen, dass es eine Pracht ist. Und wohin sonst soll man so einen Glanz wohl hinbringen als nach oben, wo die Sonne damit spielen kann, da gehört ein Gefunkel einfach hin, wo jeder es sehen kann und jeder sich daran erfreuen kann. Ich find das völlig normal.
Naja, oh je, jetzt weiß ich auch nicht.
Ach und fiz:

PS: Kann man Texte auch empfehlen, wenn man sie nicht versteht?
:D
Bestimmt

Die vielen smileys sind für den, den ich für den Autoren halte. Er liebt sie. Sehr sogar. Hehe.

 

Hallo Maske,

wow, ist echt ein wuchtiger Text, den du hier ablieferst. Muss schon sagen, das Teil hat eine enorme Sogkraft. Das Thema Jugend und Verrat der Ideale, das finde ich echt sehr gut dargestellt. Ist ja schon oft bemüht worden, aber dank deiner Wortgewalt und deiner starken Bilder hast du dem echt was Unverbrauchtes eingehaucht. Das hat mich richtig mitgenommen. Also allein diese langen Sätze im Mittelteil, das muss man erstmal hinbekommen mit den ganzen Kommata, ohne dass es lästig wird.
EIn bisschen "lästig" hingegen fand ich den Dialog zwischen Much und seiner Schwester. Das lief ir doch zu sehr und dafür zu lange im gleichen Rhythmus ab: Sie sagt etwas und er sagt, sie sei verrückt. Sie sagt etwas und er sagt, sie sei durchgeknallt, sie sagt etwas und ...
Da wäre in meinen Augen weniger mehr gewesen. "Mehr" hingegen hätte ich mir dann am Ende gewünscht. Also dein Text ist geistreich und intensiv genug, damit ich gerne ins deuteln komme, aber ich fühle mich doch etwas zu sehr allein gelassen an dieser Stelle, an der du abbrichst.
Hätte er Thiota angerufen, dann wäre meine Lesart in die Richtung gegangen, dass er sie mit "seinen Gedichten" dem Spanier ausspannen will. Jetzt, da er seine Schwester anruft, nun ja, da hat das ja dann wirklich ein versöhnliches Ende. Er findet zurück zum Lebensbejahenden Schaffen und ist stolz darauf, will es feiern.
Wie auch immer, geschrieben ist der Text auf jeden Fall auf sehr hohem Niveau. Nur den Dialog, da würde ich noch mal ein bisschen das Muster abklopfen und auflockern.
Ach ja und auch die Comic-Sprache des H., da würde ich vll auch ein bisschen zurückschrauben. Ich finde das in den seltensten Fällen angebracht, ein Lachen zu wörtlich schreiben. Aber ist vielleicht nur mein Empfinden.

In jedem Fall sehr gern gelesen und ich bin gespannt, wer sich her offenbaren wird :)

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

„Alles okay mit dir, …
… liebe Maske?

… oder brauchst du einen Arzt?“
Hehe, was für ein herrlich durchgeknallter Text!
(Kürzlich las ich wieder einmal eines meiner Lieblingsbücher, "Spielplatz der Helden" von Michael Köhlmeier. Zwei der Protagonisten darin heißen Leo und Much. Ein Zufall?)
Also ganz schlau bin ich aus deiner Geschichte zwar nicht geworden, aber, ich will’s mal so sagen, ich mochte sie schon sehr gern.
Weil sprachlich ist sie gehörig extravagant, zumindest stellenweise, also da, wo die Sprache so atemlos wird, diese dahinfließenden Endlossätze, z.B. in der Szene, in der sich Much an seine Jugend erinnert, oder wo er durch den Winterwald rennt und dann in der Werkstatt wütet. Das sind ja regelrechte Wortkaskaden, teils redundant bis zum Gehtnichtmehr, aber genau diese Nachdrücklichkeit und Vehemenz gefallen mir, diese adjektivischen und adverbialen Amokläufe finde ich einfach toll. Ob ich sowas in Romanlänge aushielte weiß ich allerdings nicht.
So einen Stil findet man eigentlich kaum hier im Forum, widerspricht er doch jeder Lehrbuchmeinung, wie ein moderne Kurzgeschichte geschrieben sein sollte und möglicherweise wirst du dafür von so manchem ans Kreuz genagelt oder gevierteilt, oder beides. Aber genau das macht auch den Reiz des Stils für mich aus. Ein richtiger Maskenballtext halt.
Und die Handlung? Hm, irgendwie eigenartig. Also zum Teil trägt die Geschichte ja wahrlich die Züge einer Groteske. Alleine diese vielen Anspielungen auf die verschiedensten anarchistischen Märtyrer, allen voran der fünfzehnjährig gelynchte Mussolini-Attentäter Anteo Zamboni. Oder ausgerechnet eine Kirche nach dem schwulen, antiklerikalen Herrseibeiuns Pasolini (ich gehe davon aus, dass es sich um Pier Paolo handelt) zu benennen oder ein Altstadtgässchen nach einem russischen Futuristen usw., entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität, ist einfach herrlich blöd.
Oder der Henniger, der wird als vermeintliche Hauptfigur eingeführt, und dann haut’s ihn einfach vom Dach, ganz zu schweigen von Pia und ihrer aberwitzigen Methode, ein aussagekräftiges „Diagramm“ zu erstellen.
Über diesen ganzen augenzwinkernden Unfug hinaus gab mir die Geschichte allerdings auch genug zum Nachdenken. Ein Mann in der zweiten Halbzeit seines Lebens wird all seiner Versäumnisse gewahr, trauert den Träumen seiner Jugend nach, die er offenbar verraten hat, nimmt sozusagen einen zweiten Anlauf, seine verlorenen Ideale wiederzufinden. Ist halt irgendwie so das klassische Midlifecrisis-Ding.
Dramaturgisch ist die Geschichte für mein Gefühl … ja, äh, eigenartig aus der Balance irgendwie. Also man kommt schon in so einen Lesefluss, jede Szene für sich ist homogen, aber so im Ganzen ist das schon, ich weiß gar nicht wie ich’s nennen soll, durcheinander und seltsam und fragwürdig gewichtet, z.B. die Stelle, wo es um Freds Vater geht … hat der alte Sodomit irgendwas mit der Geschichte zu tun? Oder ist dir, Maske, da einfach deine Fabulierlust durchgegangen? Fast scheint es mir, als wären das verschiedene Fragmente eines größeren Ganzen, und ich als Leser muss mir die Leerstellen selbst ausfüllen.
Mir wäre es lieber gewesen, du hättest, anstatt dich in Nebensächlichkeiten zu verlieren, mehr Gewicht auf die Charakterisierung Muchs gelegt. Der wird mir nämlich, trotz aller Sympathie, die ich ihm als Altersgenosse entgegenbringe, nicht wirklich erfassbar. Schon gar nicht durch solche Sätze:

Welches Geheimnis brannte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen?
Also diese beiden Sätze taten mir in ihrer pathetischen Banalität beinahe weh, sorry, die empfinde ich weit unter dem beachtlichen Niveau des restlichen Textes.
Sehr gut gefallen wiederum hat mir die Dialogszene zwischen Much und seiner Schwester, die klingt wunderbar echt, wie gesprochen. Da wurden mir die beiden so richtig lebendig, vor allem Pia, das verrückte Huhn.
In dieser Dialogszene wird ein Teil der Geschichte ja sozusagen von hinten aufgerollt, und auch Hennigers Rolle wird erst in diesem Moment so richtig klar. Henniger war lediglich das erste Glied einer Kette von Kausalitäten, er, bzw. sein Glennfiddich waren schuld daran, dass Much auf Fred und Thiota (jessas, den Namen musste ich auch suchmaschinen, herrlich schräg!) trifft. Und Hennigers unverhoffte Anzahlung und sein Tod erfüllen quasi die Rolle eines Deus ex Machina, und ermöglichen es Much, der offenbar von einer schweren Sinnkrise gebeutelt ist, sich endlich an die Verwirklichung seiner Träume, die wiederum von Fred und Thiota in ihm wiedererweckt worden sind, zu machen, ohne sich die nächsten Monate über Geld den Kopf zerbrechen zu müssen. Sorgen macht er sich eigentlich nur über seinen Geisteszustand, weil er die Arbeit an den Eisernen Gedichten derart obsessiv betreibt, oder? Hab ich das richtig gelesen?
Ja, und den Schluss finde ich eigentlich recht schwach, also handlungsmäßig erscheint mir der beinahe wie eine Verlegenheitslösung. Sprachlich ist er natürlich auch mitreißend. Im Gegensatz zu Schwups und Novak und fiz glaube ich ihn allerdings zu verstehen:

Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste hinauf in den Frühlingshimmel.
Also ich lese das so:
Much schleppt Werkzeug und den Schneidbrenner aufs Blechdach und schneidet sich ein Loch rein. Eine Art Oberlichte, was weiß ich.
Aber warum tut er das? Nur damit er die Sonne auch tagsüber in der Werkstatt hat? Und damit ist er dann alle Sorgen los, oder was? Ich weiß nicht recht.
Vielleicht liege ich mit dieser Interpretation aber auch völlig daneben.

Und, was will mir die Geschichte eigentlich sagen?
Keiner entkommt seinem Schicksal? Keiner ist seines Glückes Schmied? Und wenn er es doch zu sein vermeint, ist es nur Chimäre? Hmm …

Auf jeden Fall finde ich den Text hinreißend geschrieben, den werde ich sicher noch einmal lesen und darüber nachdenken, ja, hat mir sehr gut gefallen.

offshore

Ich kenne von Berg zu wenig Texte, um ihn stilistisch einordnen zu können, allerdings hatte er sich auch einmal an dieser Zufall/Kausalität/Entropie versus Determinismus-Kiste versucht, in Gottes Fliegenklatsche. Und wie schon Schwups fand auch ich ein paar typische Austriazismen.
Oder Harrytherobot? Der hat sich zwar in letzter Zeit etwas rar gemacht, allerdings ist er stilistisch und themenmäßig ausgesprochen wandlungsfähig und immer für eine Überraschung gut. Oder gar 7miles, der alte Wortjongleur?
Na ja, in Wahrheit hab ich eigentlich keine Ahnung.

 
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Hey Maske,


ich hab die Geschichte gestern Nacht gelesen, und dann hab ich sie gleich nochmal gelesen, und ich finde sie wirklich toll. Sprachlich toll, aber nicht nur. Ich les den Schluß wie Novak, und mir gefällt das. Ich weiß nicht, ob du da was ändern musst … also für mich nicht. Es ist halt dein Stil letztlich. Also vielleicht allgemein, am Anfang und am Ende vom Text. Da darf man ein Tick deutlicher und pedantischer sein als sonst sein, finde ich. Nicht langweilig, aber ein bisschen klarer für den Leser halt. Aber wie auch immer.


Mit zwanzig hatte er sich hier in diesem Viertel der Stadt, wo sich jetzt Boutique an Café, Café an Bar reihte, nächtelang herumgetrieben, war im Anteo herumgehangen oder im Sacco & Vanzetti, ein paar Gassen weiter, nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem, etwas, das wichtiger war als Rita, als Marlene, als Mona, und wie sie alle hießen, diese allnächtlichen Mädchen, mit denen er unterwegs gewesen war, eines schöner und verrückter als das andere, und alle genauso auf der Suche nach etwas Großartigem, nach dem wirklichen Leben. Nächtelang diskutierten sie, erträumten Utopien, entwarfen Strategien, erschufen in ihren Köpfen die Welt neu und waren überzeugt, die einzigen vernünftigen Menschen in diesem Land zu sein, die einzig wahren Guten. Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag, in Wahrheit reihte sich einfach Nacht an Nacht, und die Tage dazwischen waren dann entweder unerträglich heiß, oder es regnete, oder es war windig und kalt und sonst gar nichts. Im besten Fall hatte er auf dem Heimweg eine Sprühdose bei sich und eine Bankfiliale musste daran glauben, oder die Auslage eines Juweliers. Öfter jedoch wurde er mittags vom Virnich, seinem Nachbarn, dem in Würde gealterten SA-Mann, aus dem Bett geläutet, weil er nachts beim Nachhausekommen wieder einmal dessen Philodendron im Stiegenhaus umgeschmissen, umgerempelt, beschimpft hatte. Sofern er überhaupt nach Hause gekommen war. Oder er wurde gar von zwei Polizisten wachgeklingelt, die ihn emotionslos aufforderten, sich auszuweisen, seine Zahnbürste einzustecken und mitzukommen - um halb sechs Uhr morgens - und er absolut keine Ahnung hatte, worum es überhaupt ging, er dann natürlich blöd zurückgeredet hatte, frech geworden war, weil er obendrein drei Tage zuvor Brazil im Kino gesehen hatte, in der Nachtvorstellung, mit Isa oder Mona, er wusste es nicht mehr, betrunken jedenfalls war er gewesen, oder bekifft, vermutlich beides, aber der Film geisterte noch durch seinen Kopf und Worte wie Faschistenpack, Büttel, Folterknechte kamen ihm damals leicht über die Lippen, weit leichter, als Moni oder Rita oder Isa zu sagen, dass er sie vermutlich nicht heiraten werde, aber sie lieben, sie lieben, das täte er, das wolle er tun, das hat er ihnen aber nie gesagt, und sie hätten es wohl auch nicht hören wollen, nicht die Moni, nicht die Marlene, nicht die Kathi, die wollten doch auch nur ihren Spaß haben, Nacht für Nacht, und darüber hinaus für die Weltrevolution sterben.

Also ich kann damit was anfangen. Ich find das wunderschön geschreiben und gleichzeitig auch platt genug. Ich hab das gefühl, die Gefahr ist immer da, dass es too much wird und du verpasst die Ausfahrt gewissermaßen. Aber hier funktioniert es. Der ganze Text eigentlich. Der Text ist zweifelsohne klug, aber das ist halt ein Gefühlstext. Der ist schon cool, aber der ist auch nicht so cool und ich mag das. Also für mich funktioniert der Text auf dieser Gefühlsebene. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass dem Autor nicht viel am Text liegt. Dass da nicht viel reingeflossen ist.


War dies das Große, das er damals gesucht, aber nicht zu benennen gewusst hatte?
Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte? Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer. Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Er schriebe nur für Thiota, hatte Fred gemeint, dieser Träumer.
Much hatte eiskalte Zehen und fröstelte. Was wusste dieser kleine Scheißkerl mit den bunten Glasperlen und den Wollfäden im Haar, die ihm Thiota in die Zöpfchen hineinflocht? Was wussten die zwei, was Much nicht wusste? Welches Geheimnis loderte in den beiden? Und könnte er, Much, die Reste seiner eigenen Glut noch einmal anfachen?
Herr im Himmel, er war doch noch nicht alt.

Das mag ich auch. Hab ich vielleicht irgendwo schon mal gelesen, aber hab ich es so gut gelesen? Also … man kann das natürlich blöd finden, dieses Jugend-Nostalgie-Ding, aber dann kann man ja alles blöd finden. Dann kann man die ganze Gefühlswelt mit Kitsch zusammenfassen und das wars.
Also das ist nun mal ein Teil des Lebens. Man wird älter, und dann geht früher oder später was verloren, ein Traum oder eine Illusion zerplatzt, und plötzlich ist man nicht mehr unbesiegbar, eine Verletzung kommt dazu, Knie kaputt, Herz kaputt, man findet es plötzlich dumm, für die Weltrevolutlon zu sterben und man findet das aber schade, aus meinem Mund klingt das vielleicht albern, aber ey … vor paar Wochen hat mir ein Siebzehnjähriger aus dem eins gegen eins heraus ins Gesicht gedunkt. Was geht? Vor paar Jahren noch hätte das nicht nur keiner geschafft, das hätten sich so ein Milchgesicht gar nicht erst getraut. Und jetzt sowas. Bald schnappen mir Glass, Zigga und Alex auch noch alle Bunnies weg, ich sehs schon kommen.


Dieses Zwischending, die Geschichte von Freds Vater … ist wirklich nett, aber das hat für mich jetzt wenig mit der Geschichte zu tun eigentlich. Oder?
Bolano?

Das Highlight ist das mit der Schwester. Weil sie ja über Primzahlen reden, und der Dialog so schon toll ist, und sie mir auch voll sympathsich ist, die Schwester, du kannst das gut mit Frauen, das hab ich schon bei anderen Texten von dir gesehen ( glaub ich :) ) aber die Botschaft ist doch: Nutz die Chance! Guck mal, was dir da in den Schoß gefallen ist, jetzt kannst du Kunst machen, das ist doch vorherbestimmt! Und weil es vorbestimmt ist: Handle dementsprechend! Sogar das Geld ist da, du kannst es wirklich tun, Sechser im Lotto! Da musst jetzt nicht mehr für so Wichser wie Henninger arbeiten! Und sie fragt: Und? Was machst du jetzt? In Bars rumsaufen? Dieses Flittchen vögeln? Ist das dein Ernst? Checkst du es denn nicht? Warum lässt du mich nicht mehr in die Werkstatt?
Also ich finde die ganze Szene rührend. Und am Ende hat die Schwester ja auch Tränen in den Augen. Was an sich schon wieder rührend ist. Weil Much ja so viel daran liegt … und sie das natürlich weiß, sie hat das alles gesehen und miterlebt über die Jahre. Auch wie er früher war, sie weiß das mittlerweile besser als er selbst.

Das Blatt sah mittlerweile aus wie ein früher Basquiat

Basquiat find ich auch cool. So alt kannst du nicht sein, glaub ich.

Und dann der Schluß: da schafft er was. Und er stellt es oben aufs Dach. Klar. Wo denn sonst? Da wird er quasi erlöst. Und er ruft bei Pia an. Mir gefällt das.

Was mir auch gefällt: das davor, wo er das erste Ding schafft. Wie er da kämpt, und schuftet und bohrt und und und … er macht sich völlig fertig und fühlt sich großartig. Also … eigentlich, wenn man ganz genau ist – das hätte zum Schluß kommen müssen. Statt das Glitzern in der Werkstatt in der Sonne. Wobei das ja auch schön ist.
Ich mag diesen Kampf auch, ich mag das allgemein, wenn da Kampf drin steckt, wenn dieses Gefühl rüberkommt, und in dem Text ist das auch drin. Ist glaub auch allgemein so, im Leben, in der Kunst, wenn man etwas anssehen kann, wie viel Schweiß drin steckt, wie viel Arbeit … das schätzen Menschen. Und sie sehen es auch. Also ich meine, das sehen zu können. Ist wirklich ein toller Text.

Much aber verstand jedes Wort. Thiota, Pia, Isa, Mona, Kathi. Anteo, May, Sophie, Hans, Emiliano, Rosa. So viele Leben, so viele Hoffnungen. So viel Mut und so viel Leid.
So viel Unbeugsamkeit und Optimismus.
Ich muss da fast an Redemption Song von Bob Marley denken. Alle lieben den Song (zumindest in meiner Welt ), aber warum eigentlich? Ich denke, weil das Gefühl rüberkommt: Am Ende ist alles okay. Die ganze Scheiße und das Leiden und alles. Ich glaub Bob lag im Sterben, und hat nach hinten geschaut und ahnte vielleicht, dass der ganze Kampf, den er gekämpft hat, den jeder veilleicht kämpfen muss, dass er den nicht unbedingt gewonnen hatte, aber gelohnt hatte es sich trotzdem, und man soll unbedingt weiterkämpfen, weil man zum Schluss dann doch irgendwie gewinnt. Das ist so ein Versprechen, mehr oder weniger, am Ende … am Ende wird man siegen. Und zwar: So oder so. Und dann sagt er halt: wont you help to sing another song of freedom? Its all I ever had … Redemption songs.
Ich mag den Text. :)


Kubus? Es muss Kubus sein. Ich lag bisher immer falsch, aber … wenn ich jetzt falsch liege, dann weiß ich auch nicht. Aber vielleicht hab ich auch hier wen nicht auf dem Schirm. Hal a.k.a Meridian a.k.a was weiß ich? Rick vielleicht sogar? Ich bin voll gespannt.

 
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Hallo Maskierte/r,

ich habe die Geschichte schon vor Tagen durchgelesen und konnte mich nicht so recht dafür entscheiden, wie ich mit ihr umgehen soll. Mich störte etwas an ihr und ich konnte es nicht richtig deuten. Andererseits ist sie souverän geschrieben, viele tolle Sätze und Beschreibungen dabei (wenn sie nicht zu sehr redundant werden) und auch die Idee gefällt mir recht gut. Beim Drübernachdenken kam ich zu dem Schluss, dass ich die Geschichte nicht zusammenfassen konnte. Der Aufbau und die Proportionen machten mir zu schaffen, es war für mich kein durchgehend roter Faden, weil es zu viele Nebenschauplätze gibt.

Da sind Versatzstücke drin, die mir für die Geschichte nicht dienlich scheinen. Mir kam das dann vor wie eine Mürbeteigkugel, die schon beim anfänglichen Ausrollen dicke Risse bekommt und man nicht mehr die Chance hat, das Teil am Stück auszurollen, sondern einseitig mehr Material auswellt, das man dann in der Form nicht benötigt. Das ist nun etwas schwierig, diesen Vergleich herzunehmen, weil ich fast davon ausgehe, dass ich es mit einem männlichen Autor zu tun habe, der dann wohl weniger mit Backen am Hut hat ;)

Das hört sich jetzt negativer an, als ich das meine. Aber es stört mich im Gesamtpaket doch sehr.
Da ist einmal der lange Absatz, in dem über die alten Zeiten erzählt wird; genauso wie die Erläuterungen zu Freds Vater. Dann ist mir als Leser zu offensichtlich, dass der zweifellos sehr authentisch und gekonnt geschriebene Dialog mit seiner Schwester als kleiner Kunstgriff zum Erklären ganz vieler Umstände herhalten muss - wenn auch sehr unterhaltsam verpackt.

Wenn ich mich dann frage, was mir die Geschichte im Grunde erzählen will und von meiner Interpretation ausgehe, könnte ich auf einiges verzichten, was mir erzählt wird. Nicht, weil es schlecht geschrieben ist, sondern nur, weil es schmückendes Beiwerk ist, was mich ein Stückweit auch ablenkt.

Much scheint Fred ein wenig hörig zu sein, anders kann ich mir diese überschwängliche Euphorie, was Fred mit seiner Dichtkunst und seiner Lebensart-/Weisheit bei ihm anrichtet, nicht erklären.
Vielleicht hat er auch nur eine Midlife crisis und sucht sich in der unbekümmerten Jugend ein wenig Elan.
Oder, und das war mein erster Gedanke, den ich auch am ehesten vermute, hat Fred einen Punkt in Much angestoßen, der ihn schon fast wahnhaft kreativ werden ließ. Das neugewonnene Licht durch den Fabrikabriss ließ ihn dann auch noch das Dach lichten, damit seine Werke lebendiger bleiben.
Much kann einem fast ein wenig leid tun, hat er dann wohl ja einige Jahre vor sich hingedarbt, ohne richtig zufrieden zu sein.

Ich habe die Geschichte trotz alledem gerne gelesen, noch lieber sicher, wenn sie etwas gekürzt auf den Punkt gebracht wäre - auch wenn ich jetzt noch einiges zu bekritteln oder zu hinterfragen habe:


Zum Glück mit dem Fahrrad, weil er spät dran war, und da er keine Zeit zum Umziehen gehabt hatte, in einigermaßen, nun ja, salopper Aufmachung.
Ganz schlüssig wird mir nicht, wieso das zum Glück mit dem Fahrrad ist, denn es gibt im weiteren Teil des Satzes keinen Bezug dazu. Oder wegen der warmen Luft? Hm.


Die Haare hatte er in der Werkstatt lediglich nass gemacht und hinter die Ohren gestrichen
Wegen der Hitze, um sich abzukühlen? Oder lediglich anstatt sich die Haare zu waschen (was in dem Zusammenhang keinen Sinn ergäbe), also von daher verstehe ich das nicht recht. Zum Umziehen hat es nicht gereicht, aber damit er nicht ganz wie ein Waldschrat aussieht, klebt er sich die Haare an den Kopf und fährt danach Fahrrad, was alles eh wieder durcheinander wirbelt? Much scheint etwas verpeilt zu sein.

Als sie zurück ins Wohnzimmer gingen, ließ Much die Sonnenbrille auf der Nase, die Einrichtung war ein einziger Alptraum.
Das ist für mich ein typischer Satz, bei dem ein Semikolon die beste Entscheidung wäre.

„Heiliger Dow Jones, ganz schön happig für einen Haufen Alteisen.“ Henniger lachte dröhnend, schlug Much aufs Knie und schenkte ihm vom Glennfiddich nach.
Eigentlich passt es nicht zu Muchs restlichem Verhalten, dass er den ersten Whisky überhaupt getrunken hat.


Es war sinnlos, jetzt in die Werkstatt zurückzufahren, er hatte vier Whisky im Kopf, einen bizarr überteuerten Auftrag in der Tasche und brauchte jetzt erst mal ein kaltes Bier und ein wenig Zeit zum Nachdenken.
ich zähle drei und kann mir nicht vorstellen, dass Much noch länger als nötig bei Henninger bleibt und somit einen vierten trinkt.

Es war heiß wie in Spanien, er knöpfte sich das Hemd wieder auf und versuchte, im Schatten zu bleiben. Gleichzeitig bemühte er sich, nur an das Bier zu denken, und noch nicht daran, dass er wieder einmal im Begriffe stand,
im Begriff sein, also in dem Fall war


seine Seele zu verkaufen, seine Ideale zu verraten, all die großartigen Ansprüche an sich mit Füßen zu treten.
Nur, weil er einen normalen Auftrag annimmt oder weil er für einen Arsch mit Geld arbeitet? Da wird mir nicht ganz klar, mit was Much hadert.

Folgender langer Absatz finde ich unnötig und bringt der Geschichte keinen Mehrwert, sondern ist einer der Risse im Teig:

Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag [...] ziemlich sicher, garantiert Kaffee und Kuchen angeboten hatte, der alte Haudegen mit dem Blut Unschuldiger an seinen Händen, ihm, Much Pander, zu Fleiß …
Much lehnte an einer Hausmauer. Ihm war schwindlig, er verspürte Übelkeit und leichte Kopfschmerzen und verfluchte Henniger, verfluchte den Glennfiddich, verfluchte die Hitze, verfluchte sich selbst, lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und fühlte sich erschöpft und, ja, seltsam niedergeschlagen.
Diese Wiederholungen mag ich nicht.


An diesem heißen Tag in dieser Stadt, in diesem Stadtviertel, in dem er so lange nicht mehr gewesen war und in dem er sich jetzt verlaufen hatte.
nur gut, dass es nicht noch diesig war ;)

Er stieß sich von der Mauer ab, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, strich sich die Haare aus der Stirne und wünschte sich, ein Tourist zu sein.
Stirn (Leerzeichen zuviel) / aber müsste er sie nicht hinter die Ohren streichen, wenn sie denn schon so lange sind?


Eine Handvoll Gäste saß an den Tischchen, Nachtvögel mit bleichen Gesichtern, unmöglichen Frisuren und wachen Augen, und an der Bar lehnte ein junger Mann, auch er wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, mit ausgebleichtem T-Shirt, Schlabberhose und Jesussandalen.
ausgeblichenem (oder ist das regional verschieden?)



Die junge Sinéad O’Connor kam aus der Küche und Much spürte, wie sich seine Nackenhärchen sträubten, nein, natürlich war sie es nicht, es war einfach ein hinreißend schönes Mädchen mit kurzgeschorenem Haar und in seinem silbernen Ohrschmuck spiegelten sich die bunten Lämpchen des Flaschenregals und funkelten wie Lametta.
ihrem silbernen Ohrschmuck (seinem hört sich komisch an)


und ein wenig jünger. Ein Schulterklopfen von Fred zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Fred auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
sehr schön

Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer. Much ahnte, dass da in zwölf Zeilen womöglich mehr drinnen steckte, als er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte.
Das ist mir zu pathetisch. Da ich die Gedichte selber nicht zu lesen bekomme (oder wenigstens eines)
fühle ich mich hier als Leser außen vor und kann dem nicht nachfühlen.

Folgender Absatz ist wiederum für mich ein Riss im Teig - und unnötig für die Geschichte.

Fred Estinato. Der Name war Much nie ungewöhnlich erschienen, er wusste ja, dass Freds Vater Spanier gewesen war [...] Fred Estinato. Ein wohlklingender Name, sonst nichts.


Es war immer dasselbe mit ihr. Herr im Himmel, diese Irre war tatsächlich seine leibliche Schwester? Blut von seinem Blute, Fleisch von seinem Fleische? Das durfte ja nicht wahr sein.
Dieses Echauffieren ist mir zu theatralisch. Much kennt seine Schwester ja schon einige Jahrzehnte und dann wundert er sich noch so über sie?


„Ja, mein kleiner Liebling, scheint so, als hättest du dich gehörig in die Bredouille geritten.“
Das verstehe ich nicht. Wenn Henninger tot ist, hat Much die Kohle. Ist doch prima.

Und das wundert dich? Seit Monaten baust du keine vernünftigen Dinge mehr, verkaufst nichts, verkriechst dich in deiner Werkstatt.
Wenn jemand was verkauft, macht er also noch anderes als Auftragsarbeiten. Ist das der Schlüssel zur Geschichte?

In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.
Huch, ist das kitschig.


Die ölige Dreckschicht auf der Metora-Säge sah aus wie ein lebender Schimmelpilz, die Kette des Flaschenzuges schleuderte Blitze und die Eisernen Gedichte schienen sich zu bewegen, schienen zu tanzen wie Derwische.
Die Umsetzung der Gedichte in die Muchsche Stahl-Interpretation ist mehr als ein eisernes Gedicht. Für das, was ich als Leser da hereininterpretiert habe, ist das fast wie eine kalte Dusche, wenn das so genannt wird. Da fände ich eine Umschreibung, wenn ein dem Vorgang/dem Ergebnis adäquates Wort fehlt, besser.


Am späten Nachmittag war er wieder unten in der Werkstatt, trank Bier, rauchte und grinste hinauf in den Frühlingshimmel. Schließlich ging er zum alten Chomsky rüber, um Pia anzurufen.

mir ist das rüber etwas zu umgangssprachlich im restlichen Wortgebrauch.


So im ersten Moment erinnert die Geschichte an Rick, mit dem "damals-als-wir-noch-rauchend-in-der-kneipe-saßen". Aber Ricks Geschichten sind harmonischer, der schreibt linearer. Zu offshore könnte das Genre passen, aber ich bin mir da sehr unsicher, ob er das von seinem bisherigen Niveau her stemmen könnte. Ich denke fast, dass da ein altes Mitglied wieder mal aktiv geworden ist, den/die ich grade gar nicht auf dem Schirm habe.

 
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Hej,

mir hat der erste Teil sehr gut gefallen. Es hat einfach Spaß gemacht, das zu lesen.

Mit dem Auftauchen des jungen Pärchens hab ich die Erwartung auf weitere Enthüllungen bezüglich Much verknüpft. Dann geht es aber um Fred.
Gut, denke ich, geht es eben um Fred, auch eine interessante Person.
Dann taucht die Schwester auf.
Gut, denke ich, die wird mir mit ihren Tarot-Karten sicher etwas Wichtiges sagen wollen.
Und dann geht es wieder um Much, und obwohl ich den letzten Absatz durchaus schön finde, fehlt mir der Schlüssel dazu.

Noch ein bisschen Textkram:

Dann räusperte er sich, zog an seiner Zigarette, blickte Henniger fest in die Augen und nannte einen derart absurden Preis, dass Henniger ihn auf der Stelle hochkant rausschmeißen müsste.
mir kommt die Zeit hier nicht richtig vor:
Dann räusperte er sich, zog an seiner Zigarette, blickte Henniger fest in die Augen und nannte einen derart absurden Preis, dass Henniger ihn auf der Stelle hochkant hätte rausschmeißen müssen.

Das Sacco war vor Jahren schon geschlossen worden, nach unzähligen Anrainerbeschwerden, das hatte er irgendwann noch mitbekommen.
Das hat mich irritiert, weil es doch gar nie um das Sacco ging, vorher und nachher auch nicht.

Der Name war Much nie ungewöhnlich erschienen,
Hier stehe ich voll-kommen auf dem Schlauch. Später wird der Name mit vorherbestimmt übersetzt.
Warum macht sich die Schwester eigentlich soviel Mühe, um ihm lediglich zu beweisen, dass etwas vorherbestimmt, also unabänderlich ist - unabhängig davon ob es jetzt gut oder schlecht genannt wird?

Am Ende würd ich gerne tiefer in diese Stimmung eintauchen, aber mir fehlt das Verständnis.

Sehr gerne hab ich's trotzdem gelesen.

LG
Ane

Malinche. Wenn nicht, hat sie jemand lebend aufgegessen und lässt sich jetzt die Geschichten von ihr diktieren.

 

Hallo Maskierte/r,

ich bin ziemlich neu hier und hätte mich aus diesem Grund auch noch nicht an einen Kommentar zu einer eurer immer sehr hochklassigen Maskenballgeschichten herangetraut, wenn ich nicht genau diesen Text von jemandem empfohlen bekommen hätte. Also habe ich die Geschichte gelesen, ein paar Stunden vergehen lassen, nochmal gelesen, einen Tag vergehen lassen und wieder gelesen, und mir dann gedacht: Scheiß drauf, jetzt kannst du sie kommentieren auch gleich, kennt dich ja eh niemand. Denn da muss ich demjenigen, der mir die Empfehlung zukommen hat lassen, recht geben. Sprachlich beeindruckend und inhaltlich wirkungsvoll, aber auch rätselhaft, habe ich mich Zeile für Zeile mit dieser Geschichte angefreundet.

Ich bin, wie einige andere auch, über die Stelle mit Much's Schwester Pia gestolpert, die ihm irgendeinen übernatürlichen Sinn an den ganzen Zufällen aufquatschen will. Ich war mir nicht ganz sicher. Steckt da wirklich etwas dahinter? Ich wartete und wartete immer auf eine Pointe, eine Auflösung, aber die kam nicht. Und irgendwann habe ich mir gedacht, ich habe es entweder nicht verstanden, oder es steht gar keine Auflösung dahinter. Mit zweiterem habe ich mich schließlich abgefunden, denn ich glaube lieber an Zufälle als an esoterischen - oder wie sich das auch immer schimpft - Krimskrams.

Für mich war es aber gar nicht relevant, ob ich den Text auch wirklich und vollkommen verstehe, ich mochte hauptsächlich die Idee des Autors, den Protagonisten die Gedichte in ein handwerkliches Kunstwerk zu verwandeln. Man spricht ja immer von sprachlicher Gewalt, wenn einen ein Text auf dieser Ebene besonders beeindruckt. Und diese Symbolik, die sprachliche Gewalt der Worte, tatsächlich lebendig werden zu lassen, das finde ich wirklich toll.

Ich bin ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass es ein Österreicher sein muss. Ich weiß nicht, in welchen Gegenden der Name Much noch aus Michael abgeleitet wird, aber für mich klingt das einfach österreichisch, für meinen Geschmack sogar etwas zu österreichisch. Und neben den von Schwups bereits erwähnten Begriffen ist mir dabei auch noch das Wort Schulbub aufgefallen.
Mitraten, um wen es sich bei der Maske handelt, würde nicht wirklich viel Sinn machen, weil ich noch kaum jemanden kenne hier. Dennoch denke ich an jemanden, dem ich diese Geschichte gerne in die Schuhe schieben möchte. Aber derjenige, der mir die Geschichte empfohlen hat, würde wohl nicht so von sich selbst überzeugt sein und sich nun als Autor entpuppen? Oder doch? Verdenken könnte ich es ihm zumindest nicht, im Gegenteil.

Wie auch immer, mich hat die Geschichte glücklich und zufrieden zurückgelassen. Und das Wort Sprachgewalt für mich neu definiert.

Grüße,
rehla

 

Es war sein neunundvierzigster Geburtstag und er fühlte sich gut.

Lieber Maskenträger,

eigentlich hat die Maske gar nicht so viel gebracht: Menschen, die so schreiben, begegne ich überhaupt mit einer für wesentliche Punkte übersehenden Sympathie. Aber deine Sprache hat mich an vielen Stellen schlicht umgehauen, weggeworfen, aber nicht aus den Text, sondern in ihn hinein, und obwohl ich so gebannt daran klebte, weil ich ja selbst hineinfallen wollte, habe ich einiges nicht verstanden, aber ich hatte am Ende nicht das Gefühl, dass das unbeabsichtigt geschieht, es ist, glaube ich, ein Text, der nicht endgültig verstanden werden kann, vielleicht gar nicht verstanden werden will. Vielleicht sage ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal mehr dazu, für den Moment muss dir mein Staunen über die Sprache genügen ...

(Ich habe die Kommentare von den anderen gelesen, aber nicht die ganze Textkritik, deswegen können hier auch Wiederholungen vorkommen, verzeih das bitte!)

Ein paar Anmerkungen:

Doch schon nach den ersten zweit Minuten seines Besuches ahnte er, dass die folgende Stunde zu den verschwendeten seines Lebens zählen würde.
Der Satz hat mich irgendwie gestört, einerseits das Zählen und Berechnen, als würde er ganz klar und bewusst wissen, wie genau das dauert und wie es sich anfühlen wird, man hat da manchmal ein Gefühl in solchen Momenten, aber hier klingt mir das zu mechanisch, und ein bisschen so, wie Much nicht denkt. Zumindest würde ich den Satz anders formulieren, so sagt er nicht nur etwas Technisches, sondern sagt es auch so - technisch, war einer der wenigen Sätze, die mich stolpern ließen. (Aber ich hab auch nen sehr unsicheren Gang!)

Er sei bis vier Uhr morgens im Puff gewesen und noch immer fix und fertig, erzählte er ungefragt, er hätte sich die Seele aus dem Leib gevögelt, es diesen Schlampen so richtig besorgt und sein Dings fühle sich an, als sei es in einen Gartenhäcksler geraten. Er schlug Much auf die Schulter und bellte ein dreckiges Lachen. Kaffee bot er ihm nicht an, stattdessen füllte er zwei Gläser mit Whisky, auch das ungefragt.
Die Sprache in deinem Text ist echt fetzig, sie bellt und tut so, als würde sie beißen. Sie nimmt kein Blatt und keine Hand vor den Mund, das wird sehr schnell klar, auch später habe ich mir das gedacht, als dann auch noch ein Satz nachgeschoben wird, den es nicht so gebraucht hätte, der in vielen anderen Texten unpassend gewesen wäre, aber hier genau richtig nachgebellt wird. Und es ist kein Kläffen, eher ein interessantes Wuffen, ich habe jedenfalls gerne zugehört.

Mit einer gönnerhaften Geste wies der Hausherr auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er die selbst erbaut.
Warum nicht einfach "sie" stattdessen?

Sein anderer Arm lag dabei die ganze Zeit auf Muchs Schulter. Er paffte ihm Zigarrenrauch ins Gesicht
Kleinkram: Mir mag die Choreographie nicht ganz einleuchten, wenn ich jemanden ins Gesicht paffe, dann ist das in meinen Augen eher so ein Ins Gesicht Hinein Paffen, aber wenn er den Arm um Muchs Schulter gelegt hat, was ja dann eine Umarmung ist, dann müsste er, wenn schon ins Gesicht, den ganzen Rauch ins Ohr pusten oder irgendwie Am Gesicht Vorbei Paffen. Wirklich nicht kriegsentscheidend, aber vielleicht hilft das zu sehen, wie Bilder von anderen gesehen werden. Von mir, andere sehen anders.

So ihn nicht vorher der Schlag träfe, diesen Fettwanst.
Da stimmt etwas nicht.

Heiliger Dow Jones
Fand ich gut! Ich mochte den Henniger, gewiss hast du da überspitzt, aber ich hab das nicht ganz als Karikatur verstanden, ich konnte den schon ernst nehmen, aber es stimmt schon, ein bisschen bleibt er ein Geist, jemand, den sich Much bloß erträumt, oder eralpträumt.

„Junge, Junge! Dreiunddreißigtausend … Na ja, klingt aber fair. Echt reell, definitiv. Ist ja immerhin Kunst. Wird ja wohl mehr wert mit der Zeit. Hähä. Will ich zumindest hoffen.“
Fand ich witzig! Hatte da auch eine abgefahrene Stimme im Kopf, als ich das als. Da packst du sehr gekonnt einen Ton in die Zeilen, das gelingt nicht vielen.

Es war heiß wie in Spanien, er knöpfte sich das Hemd wieder auf und versuchte, im Schatten zu bleiben. Gleichzeitig bemühte er sich, nur an das Bier zu denken, und noch nicht daran, dass er wieder einmal im Begriffe stand, seine Seele zu verkaufen, seine Ideale zu verraten, all die großartigen Ansprüche an sich mit Füßen zu treten. Wieder einmal …
Vielleicht "an sich selbst"?, hab das erst falsch gelesen.

nie alleine, aber immer auf der Suche nach etwas, nach irgendetwas, etwas Großem, etwas, das wichtiger war als Rita, als Marlene, als Mona, und wie sie alle hießen, diese allnächtlichen Mädchen, mit denen er unterwegs gewesen war, eines schöner und verrückter als das andere, und alle genauso auf der Suche nach etwas Großartigem, nach dem wirklichen Leben.
HAMMER! Das ist ein ganz anderer Ton, ein ganz anderer Gedanke, eine andere Stimme, ein anderer Much, Moment, aber ich fand das sehr genial formuliert, das ist ein Gedanken, den ich oft denke, aber noch nie so klar vor Augen hatte - so ausgeschrieben.

Nächtelang diskutierten sie, erträumten Utopien, entwarfen Strategien, erschufen in ihren Köpfen die Welt neu und waren überzeugt, die einzigen vernünftigen Menschen in diesem Land zu sein, die einzig wahren Guten.
Mir kam das "entwarfen Strategien" irgendwie unnötig vor, so als hättest du das nachträglich rein geschoben - damit es halt drei Sachen sind.

Sie benahmen sich, als wären die Nächte die Generalprobe für den nächsten Tag
Hm, mich hat da ein bisschen der Wechsel von Plural "Nächte" zu Singular "den nächsten Tag" irritiert, also ich weiß, was gemeint ist, aber irgendwie steht es nicht ganz richtig da, finde ich.

betrunken jedenfalls war er gewesen, oder bekifft, vermutlich beides,
Das war ein schwacher Moment im Text.

er, Much Pander, obendrein furchtbar verkatert war, gemartert von Kopfschmerzen, gequält von Brechreiz, zerrissen von Liebesleid, vom Nichtverstehen der Welt, vom schieren Unverständnis von allem.
Richtig gut, ich muss da vieles rausschreiben, weil da echt viele gute Sachen drin sind!

An den alten Virnich konnte er sich noch erinnern, seinen Nachbarn, wie er durch die halboffene Tür herausgespäht hatte, im Pyjama, und ihn, Much, hämisch angrinste und dann, als er, Much, schließlich aufgab, endgültig kapitulierte, sich verloren gab, sich totstellte, gar tot war, er, Much Pander, gestorben, zumindest sich so fühlend als ob, und er, der alte Virnich, den Polizisten nachher womöglich, wahrscheinlich, ziemlich sicher, garantiert Kaffee und Kuchen angeboten hatte, der alte Haudegen mit dem Blut Unschuldiger an seinen Händen, ihm, Much Pander, zu Fleiß …
Das ist überhaupt einer der geilsten Sätze in dem Text! Über das "als ob" ließe sich streiten, aber dieses Kapitulieren wird hier wahnsinnig gut beschrieben, wie das auch immer ein Prozess ist und wie man das am besten macht, wie es sich auch anfühlt, wie du dich sprachlich präzise an den Kern einer Sache tastest - "wahrscheinlich, ziemlich sicher, garantiert" - und dann am Ende das Spiel mit "das Blut Unschuldiger an seinen Händen" - doch, echt gut! (Dieses sprachliche Tasten sehe ich beim Inhalt auch, wobei es hier mehr zu tasten gibt und auch wenn die Hände das ganze Objekt zu fassen kriegen, sind sie doch zu kurz, um jeden Fleck mit ihrer Haut zu bedecken, zu begreifen.)

Eine Handvoll Gäste saß an den Tischchen, Nachtvögel mit bleichen Gesichtern, unmöglichen Frisuren und wachen Augen, und an der Bar lehnte ein junger Mann, auch er wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, mit ausgebleichtem T-Shirt, Schlabberhose und Jesussandalen. Er nickte Much freundlich zu und hielt ihm eine Selbstgedrehte hin.
Das war in meinen Augen die stilistisch unentschlossenste Stellung, viele Floskeln, komische Formulierungen, du bedienst dich hier nur Fremdgut, ich deute es hier - geschuldet der souveränen Sprache, der Sympathie und so - verstehe ich das als Spiegel der Szene, so wie es in der Sprache aussieht, so sieht es in der Bar aus.

Der Typ kicherte wie ein Schulbub und die Kellnerin lächelte wie ein Engel.
Herrlich!

Thiota
Ich las das THIOETHER.

sie redeten und redeten und nach jedem Mal fühlte sich Much ein wenig mehr verstanden, ein wenig klüger und ein wenig jünger.
Sehr schön!

Ein Schulterklopfen von Fred zählte fünf Minuten, ein Lächeln von Thiota eine Stunde, eine Umarmung von ihr einen Tag und ein paar von Fred auf eine Serviette gekritzelte Zeilen eine Woche.
Ich mag, das sich die Dinge in ihrer gefühlten Bedeutung unterscheiden, dass das einmal ausgesprochen wird, dass sich ein Text so etwas auch traut, aber hier scheint mir das Zählen wieder zu Berechnend, was zählt er da überhaupt, wie kann ein Lächeln eine Stunde zählen, ist es das Glücksgefühl oder würde er eine Stunde seines Lebens zahlen, um dieses Lächeln noch einmal sehen zu können? Bei der Szene stand ich achselzuckend daneben.

Wie konnte ein Zweiundzwanzigjähriger so etwas schreiben? Woher hatte der solche Worte, solch eine Wut und solch eine Weisheit? Wusste er etwas, das Much nicht wusste? Nie erfahren hatte?
Ein schöner Gedanke, aber Erfahrungen sind nicht altersbeschränkt, wenn ein kleiner Junge im richtigen Moment und mit dem richtigen Gefühl einem Moment entgegen stolpert und er das alles bewusst wahrnimmt, dann könnte er, wenn er die Worte hätte, auch schon Dinge sagen, die manche Menschen trotz 1,87m und Nahsichtkorrektur nie in ihrem Leben sehen oder immer wieder übersehen werden.

Die Sätze waren so klirrend kalt, so bitter, so scharf. So glasschneidend hart. So klar und zart und gleichzeitig tonnenschwer.
ABSOLUTER HAMMER!
Ich bin schwer beeindruckt und freue mich gerade, dass wir Menschen hier im Forum haben, die zu solchen Sätzen fähig sind, ehrlich, das ist High End!

Er malträtierte sich und das Werkzeug und erst recht den Stahl, er schnitt, hämmerte, schweißte, verbog, schlug, haute und drosch. Er verbeulte, begradigte, fräste, schliff, verwarf, begann von neuem. Er kämpfte wie ein Berserker. Er fühlte sich großartig.
Auch sehr gut! So etwas ist auch immer mutig, so lässt sich die Sprache nur malträtieren, wenn man sein Handwerk versteht! Und das in seiner zweifachen Bedeutung: sein Handwerk versteht!

Cartagena
Da musste ich an das Kartagener-Syndrom denken, eine Erbkrankheit, dessen charakteristisches Symptom der SITUS INVERSUS ist, also alle Inneren Organe sind seitenverkehrt und ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob du dir das dabei gedacht hast, aber wenn pHrÄdestinato daher kommt und dann das Leben ... nein, ist ja nur eine verrückte Leseart, aber schon interessant wie ein Stadtname die Wahrnehmung beeinflussen kann.

Sein Vater sei ein wohlhabender Mann gewesen, Besitzer eines Varietés, obendrein ein verdammter Mujeriego, ein Weiberheld, der die Frauen behandelt habe wie Putzfetzen, erzählte er, wie den letzten Dreck.
Auch sehr interessant dieser Widerspruch in der Beschreibung seines Verhaltens gegenüber Frauen. Beides ist eine beleidigende Abwertung. Wenn ein Text so souverän daher kommt, wenn die Sätze nicht auf das Papier gefallen, sondern ins Papier gemeißelt wurden, ertappe ich mich immer dabei, wie ich in jedem Satz Sonderbares sehe, was ich sonst als Zufall unterstellen würde, scheint mir hier Kalkül. Und es ist so ein Hin- und Herwenden der Frauen, Putzfetzen und Dreck zugleich, kann grad gar nicht zusammenfassen, was der Vergleich mit mir macht.

Seine gesamte Kindheit hindurch war Freds größter Wunsch gewesen, einen anderen Vater zu haben, doch bevor er alt genug war, Fredorico Senior umzubringen, traf den der Schlag. Er starb während seiner Lieblingsbeschäftigung, als er schwitzend und rammelnd auf einer Dienstmagd oder einer Nutte, einem Esel oder einem Schaf zugange war, egal, war ja eins wie’s andere für diesen Hijo de la Chingada, und dann war er tot, mausetot.
So etwas nenne ich FLOW, einen Textfluss der ganz unbeirrt durch die Zeilen sprudelt und mich als Leser mitreißt, nicht unsanft, eine fast angenehme Hilflosigkeit hatte ich beim Lesen deines Textes.

„Was wäre das denn für eine trostloses Leben, wenn in allem überhaupt kein Sinn steckt? Dass alles nur zufällig passiert. Nein, Much, das wäre echt traurig.“
Das ist ein heftiger Gedanke, aber so ab dem letzten Absatz hab ich den Inhalt gar nicht mehr zu fassen bekommen.

Pia war klug, witzig, charmant, obendrein ungemein attraktiv, aber sie hatte eindeutig einen Dachschaden.
Einfach sympathisch dein Stil!

So sehr Much seine Schwester liebte, mit ihr zu diskutieren, egal worüber, brachte ihn regelmäßig auf die Palme
Was stritt er sich überhaupt mit ihr?
Ich finde, dass das kein Streit ist, ein philosophisches Entgegenhauchen von Gedanken, ja, vielleicht eine einfache Diskussion, aber als Streit lese ich das überhaupt nicht. Wenn das schon ein Streit ist, wird ja überall und mit jedem nur noch gestritten, wie hier im Forum über den neuen Namen.

"(...) Du vervielfachst einfach dein ursprüngliches Angebot, richtig? Und um wie viel?“
„Hab ich dir eh gesagt. Ich hab’s mit elf multipliziert.“
Das war aber nicht sein Rechenweg bei Henniger, da hat er es ja verzehnfacht und die ursprüngliche Summe addiert, fand es aber dann witzig, dass er das so genau erinnert und das auch sagt und dass das überhaupt eine Rolle hier spielt, fand ich witzig.

„Die Sumerer rechneten mit einem Duodezimalsystem und die Elf betrachteten sie als eine Art retardierendes Moment. Die Zahl des Orion hieß sie bei ihnen, nach den elf hellsten Sternen des Himmelsjägers.“
„Mir reicht’s langsam.“
Kann er nicht vorher auch Sterne benennen? Ich finde die Stelle grad nicht, aber da scheint er sich auch ein bisschen mit den Dingen beschäftigt zu haben. Könnte ein Widerspruch sein, oder auch einfach eine Nebenwirkung aus der Beziehung zu seiner Schwester, Pia.

Wahrscheinlich fünf, auch eine Primzahl.
Finde ich lustig, dass es hier auch plötzlich um Primzahlen geht, hab in meinem vorletzten Text von "Primzahlzwillingen" geschrieben, da diente es der Romatik, ich mag es, wie wir hier die Mathematik zweckentfremden.

In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen.
Ich fand's nicht zu kitschig, aber ich schreibe auch zu oft zu kitschig.

Die Maschinen, bis dahin nur von Neonröhren beleuchtet, glänzten im goldenen Licht, die Stahlsäulen warfen nie gesehene Schatten und die Staubteilchen zeichneten Nebelstreifen in die Luft.
Boah, einfach gut geschrieben!

Die ölige Dreckschicht auf der Metora-Säge sah aus wie ein lebender Schimmelpilz
Eigentlich ein starkes Bild, aber ich frage mich: hast du schon einmal einen toten Schimmelpilz gesehen?

Mir haben die Personen gefallen, Henninger war ein bisschen überzeichnet, aber ich habe das nicht als Karikatur verstanden, eher als niedergeschriebenes Vorurteil seitens Much. Interessant fand ich da "Muchs Aufmachung" gegen "Hennigers Aufzug", weil Much sich aufmacht und Henniger zurücklehnt, und an etwas Festem zieht, vielleicht gegen Muchs Aufmachung, ich weiß es nicht, ist wie bei den Putzfetzen und dem Dreck. Pia, gegen Ende, hat sie mich ein bisschen genervt, aber ich hatte das Gefühl, dass sie gar nicht so nerven soll, aber sie tut es eben, zumindest bei mir. Ich mochte auch die Kapitelchen, dieses "vorgestern, gestern, heute, morgen" vermischt mit den Jahreszeiten/ Monaten, das hat einen sonderbaren Effekt. Das waren jetzt noch so Gedanken, die ich hatte bei dem Text und ich schäme mich fast, weil ich zur Handlung fast gar nichts sagen kann, es wirkt für mich alles logisch, und diese Logik rührt daher, weil uns vor jeder Szene Muchs Gedankenwelt offenbart wird und wir in etwa ahnen können, wie etwas passiert, auch wenn das kein Vorwurf sein soll, was Vorhersehbarkeit angeht, da bin ich keine Pia und selbst Pia würde das nicht sehen. A

m Ende denke ich, dass man dem WARUM dieses Textes nur näher bzw. nah genug kommt, wenn man den Stil und die Sprache mit befragt. Die Architektur all der Szenen scheint mir wie das Gekritzel von Pia am Ende, zufällig irgendwie, aber doch bestimmt, darüber lässt sich streiten, ist das jetzt alles zufällig zu einer Geschichte geworden und ist das alles bewusst so geschrieben worden, ist die Erzählung Folge berechnenden Plottings oder eine Aussage, die sich wie der Urheber, hinter einer Maske versteckt.

Ein sehr beeindruckendes Stück, auch wenn ich es durch eine Scheibe betrachte, schon klarsichtig gedacht, kein Milchglas oder so, aber die Sägespäne und der Rauch, der am Fenster hängt, vernebelt mir noch ein bisschen die Sicht, aber wenn man das Fenster putzen würde, wenn man die ganze Werkstatt sauber macht und alles in Ordnung bringt, dann hat die Werkstatt einen wesentlichen Teil ihrer Eigenheit eingebüßt.

Deswegen schließe ich jetzt die Augen!

Beste Grüße
markus.

Hinter der Maske versteckt sich jemand, der es sprachgewaltig hinter den Ohren hat. Zwischenzeitlich musste ich auch an Andrea H. denken, an "Ein Schmetterling auf Lechners Fuß", aber die Erzählung war stilistisch nicht so breit gefächert, aber Andrea H. könnte auf jeden Fall so schreiben; Quinn kann auch so schreiben, aber ob er so einen Kommentar aus spielerischem Motiv schreiben könnte? Ich weiß nicht, ist auch an manchen (sehr seltenen) Stellen zu unentschlossen in manchen Gedanken, das passiert Quinn eigentlich nicht), was mich halt daran denken lässt, bei meiner vorletzten Geschichte sprach er davon, das, was man sagen will, auch die Sprache sagen zu lassen, nicht nur die Wörter und vielleicht ist das ein falscher Gedanke, aber ich finde, dass der Text das hier macht. Vielleicht finde ich und sehe ich das auch bloß, weil mir Quinn das gesagt hat. Und nachdem ich eure Spoiler gelesen habe, muss ich auch ernsthaft an ernst denken, weil viele Gedanken und Ideen ernst-haft sind. Von der Werkstatt, dem Zeichnen, die Gedichte, das passt alles zu ernst. Auch die gesammelten Gleichzeitigkeiten schimmern da irgendwie durch, das stimmt schon. Puh, ich habe keinen blassen Schimmer, wer das geschrieben haben könnte, aber ich würde mir wünschen, bald mehr davon zu lesen!

 

Und wer hier Gebilde aus Worten erschaffen hat, vor denen man steht wie vor mancher abstrakter Kunst ... gleich bald ist es soweit :)

 
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Hallo XY,

ich bin echt spät dran, aber ... jetzt :)

Die Aussicht von seiner Dachterrasse allerdings war atemberaubend. Mit einer gönnerhaften Geste wies der Hausherr auf die Kuppel der Pasolinikirche, dann hinüber zum Émile-Pouget-Turm, als hätte er die selbst erbaut.

Hehe.

Starker erster Teil. Auch deshalb so stark (mein Empfinden), weil es hier einen Gegenspieler gibt und keine Mitspieler, wie in den folgenden Zeitabschnitten. Aber geht ja nicht um Henninger, geht um Much, und Henniger bildet halt den Anfang der Kette von Ereignissen, oder eines Lebensabschnittes, wie man es auch nennen mag.

So, da hatte ich mich also eingekuschelt im ersten Teil und dachte, ach, jetzt wird mir so eine hübsche Geschichte erzählt, aber wurde gar keine hübsche Geschichte (huch), also doch wurde eine, nur so anders als erwartet. Wurde eine Kunstgeschichte mit Interpretationscharakter oder jedenfalls eine, die am Ende erst mal mehr Fragen aufwirft, als man glaubt beantwortet zu bekommen. Und dann denkt man so drüber nach, was will der Autor mit dem Ende, was will ich damit und darauf hat man Lust oder keine und man findet für sich eine Antwort oder keine, aber mit kuscheln wars vorbei :). D.h. der Text ist trotzdem schön. Man liest das so und freut sich, findet allerlei schön, und es hat schon was, ist natürlich auch ordentlich Melancholie dabei, wenn er sich da verjüngt und etwas hinterherjagdt, was er nicht mehr ist, wie er sich da verbiegt um mithalten zu wollen, alles aus dem "jetzt" für ein "gestern" hergibt. Irgendwie sucht er sich ja in der Vergangenheit, sprich Jugend. Also, diese Nichtakzeptanz des Alters ist für mich schon das zentrale Thema und das Ende dann doch ein Ankommen, nicht mehr die Gedichte des Jungen, sondern seine Kunst strahlt, da wird aus der dunklen Werkstatt ein Ort, in den die Sonne scheint und er bricht aus, öffnet Werkstatt und auch sich selbst, denn der letzte Satz lässt vermuten, dass Pia wieder teilhaben darf an seiner Welt. Sind ja auch nicht mehr die Gedichte, von denen ein Zauber ausgeht, sondern von seinem Kunstdings, seinem Werk, nicht mehr das eines anderen. Wenn auch die Gedichte ihn inspiriert haben mögen, geschaffen hat er es jetzt. Also, für mich stellt das Ende ein Ankommen da, ein Befreiung, ein Loslassen, ein gutes Ende für Much. So meine Lesart.

Die Schwester ist schon geil. Und was mir an diesem Teil gefallen hat, wie da Blödsinn und Ernst gemischt werden, Albernheiten und doch bittere Realität, denn die ganzen Kringel und Zahlen und Dingsbums, da steckt schon ein Haufen Kritik am Brüderchen drin. Und auch Liebe, denn Pia will ja helfen. Was Much dann am Ende auf seinen Weg zurückbringt, weiß ich zwar nicht so genau, vielleicht genau das, nicht was Pia da tut, sondern weil sie es tut.
Übrigens mag ich Pia als Figur super gern, die ist wunderbar irre. Also sympathisch irre.

Was ich nicht verstanden habe, ist, wie die Zusammenhänge um Henninger und dem Pärchen sind. Waren die jetzt irgendwie dabei, haben die sich die 20 000 unter den Nagel gerissen, für mich werden die durch die Schwester zu was beschuldigt, aber ich habe keine Ahnung, was jetzt der konkrete Vorwurf ist.

Dann kommt eines Abends der Henniger zu dir, im November, richtig? Verschleppt dich ins Chez Orion, säuft dich unter den Tisch und gibt dir schließlich Zwanzigtausend bar auf die Hand, als Anzahlung, sagt er. Bis dahin hast du aber noch keinen einzigen Handgriff gemacht an dem Ding, sagst du. Und am nächsten Morgen haut’s den Henniger von seiner Dachterrasse runter. Siebenter Stock, stimmt’s? Heiliger Bimbam! Und weil das vermutlich Schwarzgeld vom Henniger war, weiß kein Mensch von dem Haufen Geld. Ist wie ein Lottotreffer. Michi, Michi.“

20 000 ohne Arbeit und weil keiner davon weiß, muss auch das Finanzamt nicht ausgezahlt werden. Aber Henninger stirbt einen Morgen später, die beiden werden mit keinem Wort erwähnt, also, für mich waren die nicht dabei.
Ist die Anschuldigung von Pia - Tagedieb - also wörtlich zu nehmen? Sie haben ihm die Tage geklaut? Das fände ich ja großartig. Ja, ich will das so haben und glauben und meine Tagediebe sind Wortkrieger :).
Aber wenn ich das so lese und verstehen will - passt mir dieser Satz so gar nicht dazwischen:

„Ja, mein kleiner Liebling, scheint so, als hättest du dich gehörig in die Bredouille geritten.“

Oder meint Pia damit die Einbahnstraße, in die er eingebogen ist? Dann ist ja mal gut, dass da bald mal die Sonne rauskommt und ihm in seine dunkle Kammer leuchtet.

Sehr gern gelesen. Zur Sprache sag ich jetzt nichts, haben alle vor mir schon gesagt und ich seh schon, wie Du da im Glück vor Dir hertaumelst und ständig irgendwo gegenrennst. Nichts zu der tollen! Sprache und zum sicheren Stil zu sagen, ist meine erste Hilfe ;).

Beste Grüße, Fliege

 

Erst mal ganz vielen Dank für eure wunderbaren Kommentare. Morgen werde ich euch allen ein bisschen was zum Text sagen und in den nächsten Tagen dann auf die einzelnen Kommentare eingehen.
Auf jeden Fall habt ihr mir mit euren Lobeshymnen eine echte Weihnachtsfreude bereitet.

offshore

 
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Quinn schrieb:
Ich finde den Text unheimlich souverän … Der Text hat mich zum Ende total überfordert.

Schwups schrieb:
Also das Handwerkliche ist echt einwandfrei an dem Text … Dann zum Schluss - ich will ehrlich sein, ich hab das nicht kapiert.]

fiz schrieb:
Ich bin beeindruckt. Vor allem natürlich von der Sprache … und mich ärgern, dass mir die Schlüssel fehlen.

Anakreon schrieb:
Es hat mir insgesamt gefallen … Federico Fellinis Botschaften waren da einfacher zu entschlüsseln.

weltenläufer schrieb:
geschrieben ist der Text auf jeden Fall auf sehr hohem Niveau … aber ich fühle mich doch etwas zu sehr allein gelassen an dieser Stelle, an der du abbrichst.

Ane schrieb:
Sehr gerne hab ich's trotzdem gelesen … aber mir fehlt das Verständnis.

rehla schrieb:
mich hat die Geschichte glücklich und zufrieden zurückgelassen. Und das Wort Sprachgewalt für mich neu definiert … ich habe es entweder nicht verstanden, oder es steht gar keine Auflösung dahinter.

offshore schrieb:
Hehe, was für ein herrlich durchgeknallter Text!

Also irgendwie klingt mir da schon ein gemeinsamer Tenor aus den Komms, allerdings ist mir noch nicht recht klar, welche Erkenntnis ich daraus gewinnen werde. Muss ich das Ende der Geschichte wirklich radikal überarbeiten oder soll ich mich ganz entspannt aufs Sofa schmeißen und mir denken, eigentlich kann ich schreiben was ich will, sofern es nur saugut (© fiz) geschrieben ist?
Andererseits kamen einige der Interpretationen meinen Intentionen (meinen Gefühlen?) beim Schreiben schon sehr nahe. Auch wenn sie nicht alle übereinstimmten, waren sie doch sehr hellsichtig und für mich ungemein interessant zu lesen, weil ja selbst ich noch nicht alle Tiefen der Geschichte zur Gänze ausgelotet habe.
Sehr schön und treffend fand ich z.B. JuJus Analogie, die er zwischen dem Bob Marley-Song und Muchs Verfasstheit zu erkennen meint:

JuJu schrieb:
… und hat nach hinten geschaut und ahnte vielleicht, dass der ganze Kampf, den er gekämpft hat, den jeder vielleicht kämpfen muss, dass er den nicht unbedingt gewonnen hatte, aber gelohnt hatte es sich trotzdem, und man soll unbedingt weiterkämpfen, weil man zum Schluss dann doch irgendwie gewinnt. Das ist so ein Versprechen, mehr oder weniger, am Ende … am Ende wird man siegen. Und zwar: So oder so.

Und JuJu war es auch, der diese Textstelle zitierte (Hervorhebungen von mir):

Much aber verstand jedes Wort. Thiota, Pia, Isa, Mona, Kathi. Anteo, May, Sophie, Hans, Emiliano, Rosa. So viele Leben, so viele Hoffnungen. So viel Mut und so viel Leid.
So viel Unbeugsamkeit und Optimismus.

Darin steckt für mich schlussendlich Muchs Erkenntnis: Dass es feige und niederträchtig wäre, sich angesichts des Schicksals all dieser tapferen, ungewöhnlichen Menschen selbst zu bemitleiden, seinen eigenen lächerlichen Kummer zu überschätzen und das eigene Leben nicht bis zum letzten Atemzug auszukosten. Wir alle haben nur dieses eine.
Und noch einmal JuJu:

Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass dem Autor nicht viel am Text liegt. Dass da nicht viel reingeflossen ist.

Ja, das kann ich schwer leugnen. Und sorry, wenn ich jetzt ein bisschen aushole. (Hab aber eh lange genug die Klappe halten müssen):

Zu dieser Geschichte kam es auf die typisch offshoremäßige, nahezu vollkommen konzeptlose Art. Auch wenn das jetzt blöd klingt, auf gewisse Weise schrieb sich der Text wieder einmal selbst, und wie so oft von hinten nach vorne bzw. hin und her.
Tatsächlich habe ich mit dem Gespräch zwischen Much und Pia begonnen, noch in der Absicht, aus dem Thema Zufall (Dr. Störke) etwas mehr herauszuholen. (Vielleicht erinnert sich auch noch die eine oder der andere von euch an diese schräge Brautigan-Plagiatssache im letzten Winter, die ja auch eine Folge aberwitziger Zufälle war. Ursprünglich wollte ich in paar Elemente dieser Posse sogar einbauen.)
Ja, und weil ich zuerst vorhatte, eine Groteske zu schreiben, gefiel mir die dämliche Idee, z.B. ausgerechnet eine Kirche nach Pier Paolo Pasolini, einem linken, antiklerikalen, noch dazu homosexuellen Säulenheiligen des Antifaschismus, zu benennen. Und dadurch wiederum begann ein Samen zu keimen, der mir eigentlich schon vor einigen Jahren eingepflanzt worden war, genauer gesagt vor vier Jahren, als mein damals fünfzehnjähriger Sohn mich auf Anteo Zamboni ansprach, von dem sie in der Schule gehört hatten. Seit damals geistert mir diese tragische Figur im Kopf herum, als Sinnbild gleichsam dafür, wie unsere Welt aussehen könnte und sollte. Und jetzt ist mein zweiter Sohn in diesem Alter, und wenn ich mir den manchmal so anschaue und mir denke, verdammt, in diesem Alter haben sie den kleinen, tapferen Anteo gelyncht, hat sich der quasi ans Kreuz nageln lassen für seine Ideale, dann löst das halt wirklich herzzusammenschnürende Gefühle in mir aus, da könnte ich glatt heulen.
Ich will nicht sagen, dass ich mit dem Text Anteo ein Denkmal setzten wollte, aber sobald er sich einmal in die Geschichte gestohlen hatte, wenn auch nur als Name, war die Idee einer reinen Groteske natürlich vom Tisch. Und dann begann der Text plötzlich mehr und mehr in Richtung eigene Jugenderinnerungen zu driften, was mich allerdings nicht weiter störte, schreibe ich ja ohnehin in erster Linie für meine Buben. Ihr hier im Forum seid ja quasi nur akzidentelle Nutznießer meiner Marotte.

Und warum habe ich mir die Maske überhaupt aufgesetzt?

Probeleserin schrieb:
offshore, das ist ein Satz! Geht es nicht noch länger? Vielleicht mag dieses Stakkato ja auch jemand, andere finden das vielleicht super, auch die Wiederholungen, aber ich fühle mich da dumm hingestellt als Leser – mir ist es fast zu viel.
(Der betreffende Satz war zu dem Zeitpunkt eh nur lächerliche sieben Zeilen lang, jetzt hat er zehn.)
Irgendwie befürchtete ich, dass ich mit diesem irren Stil am Geschmack eines Gutteils der Forumsmitglieder womöglich (vermutlich?) vorbeischreibe. Aber ich wollte es einfach wissen, wollte einfach die Sau rauslassen, wollte so schreiben, wie ich es das letzte Mal als Siebzehnjähriger versucht hatte, kompromisslos und ohne Rücksicht auf irgendwelche literarische Konventionen, die ich damals obendrein gar nicht kannte.
Na ja, und da bot sich der Maskenball einfach an, schon alleine deshalb, weil sich da in aller Regel die wirklichen Kapazunder der Texte annehmen, und ich eben wissen wollte, was passiert, wenn man auf den Konsens, wie eine moderne Kurzgeschichte auszusehen hat, einfach pfeift. Ehrlich gesagt, und das schwöre ich bei meiner letzten Schachtel Zigaretten, rechnete ich eher mit Unverständnis und Verrissen, allerhöchstens mit ambivalenter Zustimmung, und nicht mit beinahe einhelligem Lob. Dass es dann gerade diese Textstellen waren, die bei so vielen von euch zündeten, hat mich wirklich überrascht.

Im Laufe der nächsten Tage werde ich auf jeden einzelnen Kommy eingehen und in meinen Antworten sicherlich noch einiges zum Inhalt sagen. Mag sein, dass es etwas dauert, weil ich mich im Sinne des offshoreschen Prioritätensetzens in den nächsten Tagen weniger im Virtual Life, sondern mehr auf dem einen oder anderen realen Berg herumtreiben werde. Und es mag auch sein, dass meine Antworten gegen Ende dann immer kürzer werden, weil sich ja doch einiges wiederholt. Damit sich keiner übergangen fühlt, lest ihr am besten alle meine Stellungnahmen.

Noch einmal ein ganz großes Danke an alle, Ihr habt mir mit eurem Lob eine wirklich riesige Freude gemacht, und meine beiden Buben sind verdammt stolz auf ihren alten Pöt.

PS
Und meinem Hang zu groteskem, vollkommen sinnentleerten Quatsch werde ich in Hinkunft im joe offshore Blog nachgehen.

So, und jetzt will ich gleich mal anfangen:

@ Quinn

Quinn schrieb:
Ich finde den Text unheimlich souverän.
Das nur eineinhalb Stunden nach dem Posten als allerersten Kommentarsatz unter dem Text zu lesen, war, .. ja, echt urleiwånd.

Der ist sofort da, weiß genau, wie er klingen will.
Und da musste ich gleich mal grinsen, weil ich doch selbst oftmals nicht so recht weiß, wie ich will, dass meine Texte und deren Sprache klingen sollen. Einmal so, einmal so …

Das ist ein interessanter Effekt, weil bei vielen starken Texten im Forum genau das nicht da ist, sondern die sind im Ton un-balanciert und das macht viel vom Charme aus.
Trotz mehrmaligem Lesen wurde ich nicht ganz schlau aus diesem Satz. Meintest du, Quinn, dass die Unbalalanciertheit der anderen Texte charmant ist, oder die Balance in meinem? (Läse ich so einen Satz in einer Geschichte, schriebe ich im Kommentar dazu vermutlich: missverständlicher, weil uneindeutiger Bezug …)
Egal, ich hab den Satz einfach mal zu meinen Gunsten interpretiert.

… weil das eine ganz andere Richtung ist, sich Sprache und einem Stoff zu nähern.
Tja, ich nenn‘s mal ganz nonchalant die offshoresche Richtung.

Nee – also das wird mir hier zu sehr Karikatur.
Also das war mir schon klar, dass ich den Henniger gewaltig (zu sehr?) über die Stränge schlagen lasse. Aber vielleicht empfindet ihn Much ja genau so - so voller Plattitüden, so leer, so Klischee. Und dann darf er auch so karikierend gezeichnet werden, dachte ich mir.

… andere würden den Text wahrscheinlich ohne zu googeln zu Ende lesen – es ist aber auch ein seltsames Leseerlebnis, einen Satz zu lesen, innezuhalten, zweimal zu googeln, wiki zu überfliegen, und dann weiter zu lesen. So Referenzen – ja, die sind bei Internet-Texten halt schwierig. Gut, vielleicht bin ich der einzige, der so liest. Ich hab bei einer derartigen Häufung von Referenzen manchmal den Eindruck, entweder für Autor oder Leser ginge es jetzt um eine Art Fleißsternchen.
Ja, ich weiß, das ist schwierig. Mir, der ich seit fast zwanzig Jahren so gut wie nicht mehr fernsehe, geht es ähnlich mit vielen deiner Kommentare. Mit den zahlreichen Anspielungen auf bzw. Vergleichen mit Filmen, Serien usw. kann ich meist überhaupt nichts anfangen und muss mich dann, so es mich interessiert, auch schlau machen. Ist natürlich prinzipiell eine Gratwanderung, wenn man das eigene Wissen bei allen anderen voraussetzt.
Allerdings, wenn nun mal gewisse Bezüge zur Realität wichtige Bestandteile einer Geschichte sind, muss ich sie auch mit Namen nennen, und soll ich mir da jedesmal überlegen, jessas, hoffentlich wissen das die Leser auch? Mein halbes Leben lang, in den finsteren Zeiten, als es das Internet noch nicht gab (ja, liebe mitlesende Kinder, sowas gab es tatsächlich einmal), hatte ich beim Lesen einen zweibändigen(!) Brockhaus aus dem Jahre 1974(!) zur Hand, einfach deshalb, weil niemand alles wissen kann. Insofern verstehe ich deine Bedenken bezüglich des Sich-Schlaumachens nicht recht.

Das ist toll. Der Text hat eine enorme Bandbreite.
Das finde ich schön, dass du das so siehst, weil ich selbst das manchmal als eine Schwäche empfinde, mich bisweilen in alle Richtungen zu verzetteln. Enorme Bandbreite. Ja, das klingt cooler als z.B. ausuferndes Geschwafel.

Aber hier diese Schöpfungskraft, die man in dem Absatz sehen kann, find ich toll dargestellt. Das wertet dann auch den vorhergehenden Teil enorm auf.
Wieder so eine Stelle, wo ich mir beinahe sicher war, dafür gevierteilt und anschließend ans Kreuz genagelt zu werden.

Ich hab eher Probleme mit dem Teil vorher, weil ich dieses Motiv eines Künstlers mit verratenen Idealen, der die Jugend aufflackern sieht – mit diesen Elementen einer „Altersgeilheit“ und einem Neid auf die Jugend und so … ich mag das im Kern nicht.
Für mich sind Muchs Motive für seine Beziehung zu Fred und Thiota weniger sexuelle Frustration oder Neid auf deren Jugend, sondern vielmehr das Fasziniertsein von deren Persönlichkeiten, und daraus entsteht dann halt eine tiefe Freundschaft. Und umgekehrt sieht Fred in Much möglicherweise die Vaterfigur, die er sich immer gewünscht hat. Deshalb hab ich auch die Szene über Freds Vater - die in einer anfänglichen Version beinahe 800(!) Wörter umfasste – nicht zur Gänze rausgehaut.
Vielleicht, weil ich selbst gerade in letzter Zeit immer wieder einmal ähnliche Erlebnisse hatte. Also ich treffe zufällig die Kinder von Freunden oder Bekannten, die ich zuletzt sah, als sie Teenager waren, und sehe mich plötzlich mit (kleinen) Erwachsenen konfrontiert, mit richtigen Persönlichkeiten. Das ist manchmal wirklich toll, und hat eigentlich nichts mit Nostalgie zu tun

Ich hab zwei typische süddeutschen Wendungen gesehen: Setz dich her und nimmer. Das sind aber auch typische österreichische Wendungen.
Obwohl ich diesmal echt darauf geachtet habe, Austriazismen zu vermeiden. Ich ließ mir dabei sogar von einem probelesenden Forumsmitglied helfen (z.B. Mistkübel=Mülleimer, usw.). Tja, war aber ein süddeutsches Forumsmitglied. Dumm gelaufen.

Aber auf offshore passt glaub ich […] auch dieser Widerspruch zwischen einem wirklich wohlgefeilten Äußerem und einer brodelnden Struktur,
Ich könnte mein Schreiben nicht besser charakterisieren, falls du mit brodelnder Struktur einen durcheinanderen, herzlich ungeplanten Aufbau meinst, ein naives Dahinfabulieren, ein Mich-immer-wieder-selbst-davon-überraschen-lassen, wohin mich der Text letztlich führt. Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann einmal, mich nicht ausschließlich in endlosem Herumtüfteln an Wortwahl, Satzrhythmik, usw. zu verzetteln, sondern mehr Augenmerk auf den verdammten Plot zu legen.
Aber ich bin ja noch jung und durchaus lernfähig.

Vielen Dank, Quinn.

@ Novak

Novak schrieb:
Und der gefällt mir sehr, sehr gut. Voller Details und Kleinigkeiten und verschrobenem Krams … Und toll geschrieben ist es … Also ich finde das wunderschön geschrieben … Sehr stimmungsvoll, mit ganz ganz schönen Stellen drin, die viel zu viele sind, als dass ich sie jetzt alle aufzählen möchte …
das ist ein kleines Sprachpanorama, sehr gebildet, da stellt jemand eine kleine Sprachschüttelkugel hin, die mit Wissen spielt und mit Sprachkönnen, ja eine Kugel, die bei jedem Anheben immer wieder mal eine neue kleine Facette zeigt … Und einfach superschön
Ach Novak, was soll ich zu deinem Kommentar schon groß sagen? Das ist ja weniger ein Kommentar, als vielmehr eine einzige Lobeshymne. Wie schon unter der Milo - Geschichte hast du es wieder einmal geschafft, dass ich beim Lesen deiner Worte Gänse(küken)haut bekam (Hier darfst du dir jetzt so viele Smileys vorstellen, wie du magst.)

Vielen, vielen Dank, Novak, für dieses schöne Weihnachtsgeschenk.


Fortetzung folgt

 
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@ Schwups

Du lobst ja vorwiegend die handwerklichen und sprachlichen Stärken des Textes, Schwups, darum will ich mit dir auch ein wenig über das Handwerk plaudern.

Schwups schrieb:
Das mag einfach aussehen, aber so zu schreiben - finde zumindest ich - ist ziemlich schwierig und erfordert viel Arbeit. Also ich kann mir gut vorstellen, dass du an diesen Formulierungen oft gefeilt hast, bis sie so waren - wenn du das im ersten Versuch gleich so flüssig runtergeschrieben hast, Respekt.
Ja und nein, bzw. nein und ja. Manchmal passiert‘s mir, leider sternschnuppengleich selten, dass ich in so einen richtigen Schreib-Flow gerate. Aufgrund meines desaströsen Zweieinhalbfinger-Tippsystems sehe ich mich dann zwar mit einem zu 90% rotunterwellten Text konfrontiert (ein Chat z.B. ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit, die Chat-Partner müssten annehmen, es mit einem vollkommen Hirnbefreiten zu tun zu haben), weshalb ich solche Rohfassungen auch lieber mit dem Bleistift in ein Schreibheft hinein fetze, obendrein dreimal schneller als auf der Tastatur, ja, und da habe ich dann zumindest mal etwas, mit dem sich was anfangen lässt.
Aber dann geht die richtige Arbeit erst los. Brauch ich dir wohl kaum zu erzählen. Da kann dann schon mal eine halbe Stunde für eine Zeile draufgehen. Die dann am nächsten Tag womöglich wieder rausfliegt.
Diese Geschichte war schon zwei Wochen vor dem Großen Update soweit fertig, und in meiner typischen Ungeduld hatte ich schon eine PN an Fliege formuliert, ob es möglich sei, den Text noch am letzten Termin vor dem Umbau einzustellen. Das hätte für mich den Vorteil gehabt, dass die Auflösung am letzten Tag vor der Pause stattgefunden hätte, und ich somit eine ganze Woche Zeit, mir meine Antworten (Rechtfertigungsversuche?) zu überlegen. Dann wurde mir das aber zu stressig, und gut war’s. So kam ich zu beinahe drei zusätzlichen Wochen, in denen ich die Geschichte fast täglich in der Mangel hatte, bzw. sie mich.
Insofern bin ich froh, dass bis jetzt nur ganz wenige für mich nachvollziehbare stilistische Beanstandungen kamen, weil ich die wohl kaum berücksichtigen könnte. Für mich selbst ist der Text sprachlich zu, na ich sag mal ca. 97% perfekt, ja da steckt wirklich verdammt viel Arbeit drin. Als ich ihn schließlich an Fliege schickte, konnte ich ihn beinahe auswendig vom vielmaligen Lesen … Da hing er mir echt schon zum Hals heraus.

Ich glaube, dass da viel Arbeit drinsteckt und du vermutlich auch einiges recherchieren musstest, schon wegen der ganzen Details (Finanzprodukte, Sternbilder, die ganzen Arbeitsgeräte etc.)
Bis auf die Fachbegriffe aus der Welt des Kapitalverbrechens der Finanzspekulation hatte ich nicht viel nachzuschlagen, weil ich ja wie gesagt vorwiegend aus meiner eigenen Lebenswelt schöpfte. Die Astronomie z.B. ist seit frühester Jugend eine Passion von mir und nach wie vor kann ich locker fünf Dutzend Sterne am Nachthimmel mit ihrem Namen anreden, und meine Arbeit ist sowieso meine allergrößte Passion. Einzig eine Wikipedia-Liste spanischer Städte sah ich mir durch, weil ich einen möglichst wohlklingenden Namen suchte. (@ markus: nicht in allem steckt ein Geheimnis.) Ach ja, und Majakowskijs Sterbejahr musste ich auch nachschauen, und daraus ergab sich wieder eine herrlicher (offshorescher?) Zufall:
Die Majakowskijgasse stand nämlich schon längst im Text, als ich für das Erwähnen der nächsten Primzahl nach der Elf, der Dreizehn, eine Begründung suchte. Und tatsächlich jagte sich Vladimir 1930 eine Kugel in den Kopf. Bingo. Sowas mag ich einfach.
Und was z.B. die sumerische Zahlenmythologie betrifft, da war nix mit Recherche, ist lediglich offshorescher Unfug.

Gut gefallen hat mir die Begegnung mit Pia, der Schwester. Als sie so mit Primzahlen angefangen hat und Verbindungen gemalt hat - das fand ich spannend. Da wurde der Text auch mal konkret, ich fand das hat nochmal Schwung reingebracht. Ich dachte auch, jetzt kommt nochmal ne Pointe - aber irgendwie führte auch ihr Diagramm ins Leere, hab ich so das Gefühl. Also der Ansatz war schon interessant, aber schlau bin ich nicht draus geworden. Vielleicht wolltest du damit aber auch sagen, dass solch esoterischen Ansätze selten zu etwas führen ... oder doch nur alles Zufall ist.
Ja, diese Dialogszene mag ich auch sehr gern, obwohl da natürlich ein verdammter Knoten drinsteckt, den es mir einfach nicht zu lösen gelang, der mir beim darüber Nachdenken förmlich auch mein Hirn verknotete. Pia sieht in ihrer Hokuspokus-Gläubigkeit von Fred und Thiota eine Gefahr für Much ausgehen und will ihn sozusagen vor den beiden warnen, was natürlich vollkommener Quatsch ist, bzw. ein klassischer Logikfehler. Wenn sie wirklich an ein determiniertes Schicksal und dessen Unabwendbarkeit glaubt, kann sie ihrem Bruder so oder so nicht helfen. Aber ich muss gestehen, dass ich irgendwann auf die Plausibilität dieser Szene pfiff und mir einzureden versuchte, dass Much und vor allem Pia mit ihrem charmanten Gelabere dem Leser vermutlich eh den Verstand aus dem Kopf quasseln. Und die meisten mochten Pia ja auch.

Was mir an dem Text aufgefallen ist - vieles wird angedeutet, aber richtig konkret wird er selten. So erfahren wir nicht, worüber die Gedichte von Fred handeln, wir wissen auch nicht, was für eine Skulptur der Much daraus gebaut hat.
Ich hätte ja sehr gerne eines von Freds Gedichten zitiert und auch Muchs Werke näher beschrieben, dafür hätte ich sie allerdings erst erschaffen müssen. Und wäre ich dazu in der Lage, triebe ich mich wohl kaum hier im Forum herum, sondern wäre längst berühmt und unermesslich reich.
Du bist übrigens nicht der einzige, der von einer Skulptur spricht, Schwups, obwohl in der letzten Szene explizit von den Eisernen Gedichten (Plural) die Rede ist. Also ich stellte mir das als eine ganze Serie vor, für jedes Gedicht eine Skulptur.
Und was Muchs abschließende Aktivitäten auf dem Blechdach betrifft, hat offshore in seinem Kommentar ja schon sehr Kluges gesagt. Offenbar war er, offshore, der erste, der die Szene richtig las, also richtig im Sinne des Autors, also mir.

Vielen Dank, Schwups.

@ feirefiz

fiz schrieb:
Ich bin ziemlich beeindruckt von diesem Text … Wie kann das sein, dass jemand so saugut schreibt und ich ihn nicht erkenne?
Heiliger Bimbam!
Dein Kommentar, fiz, machte mich ähnlich sprachlos, wie der von Novak. Mittlerweile habe ich zwar aufgeört, mit meinem Status als blutiger Anfänger zu kokettieren, wie ich es noch bei meine ersten Texten tat, aber trotzdem ist derartiges Lob, vor allem aus der Liga, in der ihr spielt, für mich einfach ein ziemlicher Hammer. Streich das ziemlich. Ein irrer Hammer.

Diese Antwort an dich begann ich gleich, nachdem ich deinen ursprünglichen Kommentar gelesen hatte, fiz. Dachte mir, bei dir könne ich mich ähnlich kurz fassen wie bei Novak, weil, was soll man denn sagen, wenn man derart mit Rosen überschüttet wird?
Aber dann hab ich gestern Nacht deine Kommentarergänzung gelesen und auf die will ich dir wirklich ausführlich und angemessen antworten, die ist ja erst der Megahammer! Dafür will ich mir wirklich Zeit nehmen.
Also gedulde dich bitte noch ein wenig, fiz.

Verdammt noch eins, das kann doch nur …
Ich hab Angst, es auszusprechen.
Ach fiz, sei kein Mädchen, das interessiert mich doch brennend, auf wen du getippt hast. (Wenn du dich nicht öffentlich zum Affen machen willst, flüstere es mir heimlich ins Ohr.)

Danke, fiz, und du hörst von mir, allerdings als letzte.


@ Anakreon

Mehr und mehr dreht es ins Surreale … es steckt da mehr drin.
Hallo Kubus. Dein Wille Dichter und nicht Literat oder Schriftsteller zu sein, bestimmt auch dieses Stück.
Anakreon, du alter Charmeur!
Jetzt muss ich schon wieder in Offtopic-Gefilde abschweifen, weil ich die Tatsache, dass du mich ausgerechnet für Kubus hieltst, als eine Art literarischen Ritterschlag empfinde. Wenn ich an den Frühsommer letzten Jahres zurückdenke, als ich kg.de entdeckte, sind es hauptsächlich zwei Namen, die ich damit assoziiere: Quinn, dessen Kommentare mich ungemein beeindruckten, und Kubus, von dem die allererste Geschichte war, die ich überhaupt im Forum las, und anschließend gleich noch ein paar weitere von ihm. Und ich weiß noch, wie ich mir damals dachte, verdammt, offshore, hier hast du höchstens als Leser etwas verloren, angesichts des Niveaus kam ich mir wie ein regelrechter Blödmann vor, kein Witz.
Aus Jux und Tollerei hast du diesen Autorentipp aber wohl kaum abgegeben, weil auch JuJu, immerhin der Verfasser der besten Geschichte 2012 dasselbe tat. Wahnsinn. Irgendwie fühle ich mich jetzt so richtig erwachsen.

Vielen Dank, Anakreon


Fortsetzung folgt.

 

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