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Musenkuss
„Urbane Legenden - sicher haben auch Sie schon davon gehört: Vogelspinnenbrut in der Yucca-Palme. Menschen, die mit einer frischen OP-Narbe und fehlender Niere bewusstlos am Straßenrand gefunden werden...“ An dieser Stelle verließ mich meine Inspiration. Drei Tage blieben mir noch für meinen Artikel über moderne großstädtische Mythen und ich war so schreibblockiert, dass mir nicht mal ein drittes Beispiel einfallen wollte. Ratlos blinzelte ich ins müde Morgenlicht und ließ meine Gedanken schweifen. Hatte nicht meine Freundin Dorit vor ein paar Tagen erst eine Bemerkung zum Thema gemacht?
„Wie findest du diese Idee?“ Dorits Stimme erinnerte an einen Yogi, der im Lotussitz eine Handbreit über dem Boden schwebt. „Breiten Sie ein Gummilaken auf dem Bett aus, rollen Sie es an den Rändern hoch und verteilen Sie ein bis zwei Liter Massageöl darauf.“
„Bloß nicht! Ich will doch nicht auf der Matratze herumrodeln wie ein Fischstäbchen in der Teflonpfanne!“ Vor allem: Wer würde hinterher saubermachen? Dorit lachte und schlug die Seite des Ratgebers für ausgeschlafene Frauen um, überflog die nächste und blätterte weiter, bis ein Funke in ihren Augen aufblitzte.
„Braten Sie panierte Zwiebelringe und werfen Sie diese über den erigierten Penis Ihres Liebhabers.“
„Damit der Kerl wie eine Imbissbude riecht.“ Ich winkte ab. Vor allem: Wer würde hinterher saubermachen?
„Dann muss er eben nach dem Wurfspiel noch mal duschen – am besten kalt, dann kannst du von vorne anfangen. Mal sehen, was sie als nächstes vorschlagen...“ Dämonisch kichernd blätterte Dorit weiter, aber meine Gedanken duschten noch.
„Sag mal - was hältst du eigentlich von Sex unter der Dusche?“
„Hab ich noch nie ausprobiert.“ Dorit zuckte die Achseln. „Duschen ist für mich nur ein notwendiges Übel. Ich bade lieber.“
„Und? Hast du schon mal in der Badewanne...?“
„Allerdings.“ Die Miene meiner Freundin verdüsterte sich. „Das Resultat war eine gediegene Eierstockentzündung. Nee - solange mir ein schönes breites Bett zur Verfügung steht, sehe ich nicht ein, warum es mir im Fahrstuhl, auf dem Flugzeugklo oder an irgend einem anderen unwirtlichen Ort mehr Spaß bringen soll. Das ist eins von diesen modernen Märchen.“
Dorit in ihrer pragmatischen Art hatte sicher mal wieder Recht, doch die Idee beschäftigte mich weiter. Heiße Flut auf fiebriger Haut, nasse Körper, die sich im Tosen des Wassers vereinten... Der Gedanke daran ließ meinen Atem schon wieder asthmatisch werden.
„Tu es, dann hat die liebe Seele Ruh!“, pflegte meine Großmutter bei solchen Gelegenheiten zu sagen, und ihre Weisheiten hatten mich noch nie in die Irre geleitet.
Leise stand ich vom Schreibtisch auf und trat ans Bett. Laszlo schlief noch immer. Nur sein lakritzschwarzer Schopf sah unter der Decke hervor. Wie jeder gute Streuner wusste er ein warmes, trockenes Lager und eine streichelnde Hand zu schätzen, und ich gewährte ihm beides gern und verdächtig oft. Behutsam ließ ich meine Hand unter die Decke gleiten und begann ihn zwischen den Schulterblättern zu kraulen, wie er es so liebte.
„Mmmm.“ Mit einem tiefen Schnurren rollte er sich auf den Rücken und streckte die Arme nach mir aus, aber ich entzog mich ihm schnell.
„Ich will frühstücken. Geh erst mal duschen. Vielleicht nachher – auf dem Küchentisch...“
Die Aussicht darauf machte ihn schlagartig munter.
„Warum soll ich dann jetzt schon duschen?“ Die Arme unter dem Kopf verschränkt, grinste er mich dreckig an. Ich überlegte einen Moment. Schließlich sollte das Experiment ganz spontan wirken.
„Weil ich dich so gern unter der Dusche singen höre. Also mach schon!“ Mit einem Ruck zog ich ihm die Decke weg und nahm den Weg in die Küche. Ich sah mich nicht nach ihm um – schließlich wollte ich nicht schon vorher schwach werden.
Mit demonstrativem Klappern stellte ich Tassen und Teller auf den Tisch, ließ die Kaffeemaschine aber noch ausgeschaltet. Wer trinkt schon gern abgestandenen Kaffee? Ich lauschte, bis das Wasser untermalt von Laszlos Bariton gleichmäßig rauschte, dann streifte ich den Morgenmantel von meinen Schultern und schlüpfte durch die angelehnte Tür ins Bad. Feuchtwarme Dampfschwaden wie im tropischen Regenwald hüllten mich ein, doch zum Schwitzen brachte mich die Silhouette von Laszlos Prachtkörper hinter der beschlagenen Glastür der Duschkabine. Er drehte mir den Rücken zu. Den Kopf in den Nacken gelegt, ließ er das Wasser auf Gesicht und Brust prasseln. Ganz hingegeben und selbstvergessen schien er zu genießen. Langsam hob er die Arme, um sich die nassen Haare aus der Stirn zu streichen. Es war ein atemraubender Anblick. Ich ahnte mehr, als dass ich es sah, wie er das Duschgel aufschäumte. In langsamen Kreisen glitten seine seifigen Hände über seinen Hals, die Schultern und Achselhöhlen, massierten seine Brust, wanderten tiefer... und meine Selbstbeherrschung kapitulierte. Ich wollte diese Hände auf meinem Körper spüren.
Ganz kurz zuckte Laszlo zusammen, als ich ihn von hinten umarmte und meinen Busen an seinen Rücken schmiegte, dann drehte er sich um und zog mich an sich. Haut an Haut... und Wasser... seine nassen Lippen auf meinen, seine nassen, glitschigen Hände auf meinem Rücken, meinem Po... Die rauen Morgenstoppeln streiften über mein Gesicht, meinen Hals, meine Brust... Laszlo fasste meine Hüften, hob mich hoch und stützte meinen Rücken gegen die glatte, nasse Fliesenwand. Keuchend bohrte ich meine Finger in seine Schultern. Das warme Strömen hüllte uns ein wie ein Wasserfall, wir nahmen nichts wahr außer unserer Lust, unserer Gier – auch nicht das Shampoo, das aus der umgekippten Flasche um unsere Füße sickerte.
Es ging so schnell, dass ich nicht mal quietschen konnte: Laszlos Schrecklaut, als er ausrutschte, die plötzliche Bodenlosigkeit unter mir, und im nächsten Moment lag ich auf dem Boden der Dusche. Die Redewendung „Feuer im Hintern“ war auf einmal fühlbar real geworden. Mit schreckgeweiteten Augen beugte sich Laszlo über mich. „Alles in Ordnung?“ Seine Stimme klang zittrig. Ich atmete einmal tief durch und nickte tapfer. Laszlo half mir vorsichtig hoch, wickelte ein Handtuch um meinen Körper, schnappte sich ein zweites und schleppte mich zum Bett.
„Kein Krankenwagen?“ Er beugte sich über mich, küsste meine Wange und strich mir eine nasse Strähne aus der Stirn. Sein liebevoll-besorgter Blick hätte jeder Krankenhaus-Soap zur Ehre gereicht. Ich lächelte und schüttelte den Kopf.
„Ist noch mal gut gegangen.“ Mit der Spitze meines Zeigefingers zeichnete ich die Kontur seiner unverschämt sinnlichen Lippen nach, die so wundervoll küssen konnten. Der Schmerz verblasste schon.
„Wo tut es denn am meisten weh?“ Die Rolle des Lebensretters stand Laszlo ausgesprochen gut. Ein feiner Schleier von Feuchtigkeit ließ seine Haut schimmern, aus seinen panterschwarz glänzenden Haaren rannen Tropfen seinen Hals entlang und sammelten sich in der Vertiefung zwischen Hals und Schulter.
„Hier!“ Ich rieb meinen Po.
„Hm.“ Er rollte sich auf den Rücken, zog mich auf sich und streichelte fachkundig meinen Hintern. „Kein äußerer Schaden festzustellen.“ Ich seufzte beseligt.
„Den Küchentisch probieren wir besser ein andermal aus. Ich glaube, ich brauche doch etwas Bettruhe“, murmelte ich und begann das feine Rinnsal in seiner Halsgrube aufzulecken; schließlich kannte ich seine moan zones. „Oder eher gesagt...“ – ich biss ihn ganz zart in die Kehle – „... brauche ich ein Bett. Ruhe nicht unbedingt.“
Vorsichtig ließ ich meinen Po auf den Schreibtischstuhl sinken.
„Mach dir keine Sorgen, es ist wirklich alles in Ordnung... nach dieser Therapie!“ Ich lächelte versonnen. „Nein, Laszlo, du brauchst nicht zu kommen heute Abend... Ich muss sowieso noch arbeiten... Ja, ich verspreche dir, dass ich vorsichtig bin... Ich melde mich!“ Ich hauchte einen Abschiedskuss ins Telefon, richtete meinen Blick auf den Bildschirm und scheuchte mit einem Mausklick den Schoner weg:
„Moderne urbane Legenden – sicher haben auch Sie schon davon gehört: Vogelspinnenbrut in der Yucca-Palme. Menschen, die mit einer frischen OP-Narbe und fehlender Niere bewusstlos am Straßenrand gefunden werden...“ Dramatisch wie ein Klaviervirtuose ließ ich meine Finger auf die Tastatur fallen. „... orgiastischer Sex unter der Dusche – alle diese Phänomene sind nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Bereich der Sage zu verweisen. Doch gerade im Zeitalter der elektronischen Massenkommunikation via Internet erfahren diese Gerüchte eine geradezu explosionsartige Aufblähung und Verbreitung...“ Wie im Märchen vom Hasen und dem Igel waren meine Gedanken schon einen ganzen Satz weiter, wenn meine Finger gerade erst den Punkt hinter den letzten getippt hatten. Vergnügt pfiff ich vor mich hin. Kein Zweifel: Die Reihe der Musen musste um einen weiteren Namen ergänzt werden.