Museumsbesuch
19.07.1993
Er betrat den riesigen Saal, der vor Verzierungen nur so strotze. 20m hoch musste sie sein, wenn die Angaben in dem Prospekt stimmten, das ihm die freundliche Dame am Eingang angeboten hatte. Ebenfalls entnahm er den Zeilen, dass es sich hier wohl um das königliche Wohnzimmer handeln musste, was auch unschwer an dem Mobilar zu erkennen war.
Langsam ging er in den Saal hinein, während er nach einem passenden Platz suchte, um seinen Wunschtraum zu erfüllen. Seine Blicke gingen vorbei an den braun lackierten Schränken, die durch die Verzierungen an den Türen ihren Wert erhalten hatten, weiter über den Kamin, dessen Feuer erloschen war, über die königliche Couch, dort stoppten sie. Die königliche Couch! Das war der richtige Platz. Er ging, immernoch im gleichen Tempo wie vorher, darauf zu und lies sich auf dem roten Pelzüberzug nieder. Sein Traum würde in Erfüllung gehen, und niemand könnte ihn daran hindern.
Minutenlang saß er. Besucher des Schlosses gingen an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen. Er kannte dieses Gefühl. Keiner nimmt ihn wahr. Aus den Minuten wurden Stunden.
Schließlich beschloss er, sich seinen langersehnten Traum endlich zu erfüllen. Endlich. Langsam griff er die weiße Stofftasche, die er vorher neben sich gelegt hatte, aber nahm die Hand nach wenigen Augenblicken wieder heraus. Sein Traum würde erfüllt werden.
21.07.1993, Ausschnitt aus der Tageszeitung:
...Heute fand man in der Wohnung des Bombenattentäters, der sich vorgestern im Schloss Neustein zusammen mit etlichen Besuchers des Schlosses gesprengt hatte, einen Abschiedsbrief. Offenbar hatte der Täter schon längere Zeit Selbstmordabsichten, und erfüllte sich durch den Tod einen langersehnten Traum, wie er in seinen Brief schrieb.