- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Mutter
Gewidmet Simon A. Ridder.
Er weiß schon, warum.
Mutter
Sie tat es. Dauernd. Das war sicher.
Beweise hatte er keine, doch die brauchte er auch nicht. Warum sonst hatte sie sich ihm immer mehr entzogen? Hatte seine Bedürfnisse nicht mehr befriedigt?
Während Ted seine Frau ansah, krampfte sich sein Magen zusammen.
Sie betrog ihn. Ihn, ihren sie liebenden Mann.
Jetzt saß sie ihm lachend gegenüber auf dem Sofa. Doch wenn er das Haus verlassen würde… was wäre dann?
Mutter hatte es kommen sehen, hatte es schon immer gewusst. Das erkannte Ted jetzt. Das würde nicht gut gehen. Hatte sie gesagt. Steffi sei nicht die richtige.
Doch er war dumm gewesen. Ein böser Junge. Hatte nicht auf Mutter gehört. Dabei hatte Mutter immer Recht. Hatte schon immer Recht gehabt.
Und jetzt betrog Steffi ihn, seine Steffi.
Ted nahm wahr, wie sich ihre rot bemalten Lippen bewegten, wie sie ihm etwas erzählte. Etwas zu erzählen versuchte. Was sie sagte, hörte er nicht, dafür war das Rauschen zu laut. Das Rauschen in seinen Ohren. Das Rauschen des Zorns. Er kannte das Geräusch. Wie Meer, hatte er immer zu Mutter gesagt.
Und jetzt begann auch das Brennen. Fraß sich langsam von seinem Magen durch seine Eingeweide nach oben.
Ted wusste nicht, warum, aber musste plötzlich einen Satz denken, einen Satz, den Mutter früher immer zu ihm gesagt hatte: Mein Junge. Der sich nichts gefallen lässt.
Das hatte sie voller Stolz gesagt. Voller Stolz über ihn.
Langsam rutschte Ted näher an seine Frau heran. Seine Frau, ha, Steffi war es gar nicht wert, seine Frau zu sein.
Seine Sicht verlor an Schärfe, als sich rote Wolken vor seinen Augen verdichteten.
So war es immer gewesen, erinnerte sich Ted. Wenn er wütend wurde.
Vor seinem Gesicht rasten verschwommene Szenen vorbei. Steffi mit einem Mann im Café. Steffi mit dem Mann im Kino. Steffi in den nackten, muskulösen Armen des Mannes.
Und dieser Mann, das war nicht Ted.
Zwei Hände bewegten sich auf Steffis Gestalt zu. Bereit, sich um ihren Hals zu legen.
Erst dann erkannte Ted, wessen Hände das waren. Seine eigenen.
Steffi schien zu verstummen. Zumindest bewegten sich ihre Lippen nicht mehr.
Sie sah ihm direkt in die Augen, strahlte ihn an. Vielleicht erwartete sie einen Kuss.
Ja, sie begann langsam, die Augen zu schließen. Sie würde sich wundern. Verdient hatte sie es.
Ted griff nach ihrem Hals. Wie schlank er doch war. Fast zerbrechlich. Seine Hände konnten ihn einmal ganz umfassen.
Angetrieben von dem Rauschen der Wut und dem schmerzhaften Brennen, das mittlerweile seinen Rachen erreicht hatte, zog Ted den Griff zu.
Steffi hatte die Augen wieder geöffnet. Der erwartungsvolle Blick war von ihrem Gesicht gewichen. Nun machte sich dort ein anderer Ausdruck breit. Ein Ausdruck von Verständnislosigkeit. Aber hauptsächlich von Angst. Todesangst.
Unbeirrt würgte Ted weiter, drückte seine Daumen in ihre Kehle, quetschte ihre Luftröhre.
Er würde sich nichts gefallen lassen, niemals. Mutter konnte stolz auf ihn sein. Er würde sie nicht enttäuschen.
Steffis Gesicht hatte nun eine deutlich bläuliche Färbung angenommen.
Ganz im Kontrast zu dem roten Lippenstift, der ihren Mund zierte, fand Ted.
Was einem alles in solchen Momenten auffiel.
Zierliche Finger zerrten an Teds Händen. Es waren Steffis Finger.
Doch er war stärker, war er schon immer. Er war Mutters starker Junge.
In ihrem Kampf trat sie den kleinen Beistelltisch um. Den mit der Schale.
Die Walnüsse rollten über den Boden, als Glas wie Holz zerbrach.
Gedanken über den Lärm machte sich Ted nicht, in seiner Raserei.
Er erkannte nicht einmal die traurige Ironie der Szene. Er hatte Steffi diese Schale einst zur Verlobung geschenkt.
Langsam wurde Steffis verzweifelte Gegenwehr schwächer. Das Leben verließ ihren Körper. Er hatte bald gewonnen, hatte sie besiegt, hatte Rache genommen.
Der weibliche Körper in seinen Händen erschlaffte nun vollends. Die Augen in denen noch kurz zuvor Furcht gestanden hatte, wurden glasig.
Doch Ted hörte noch nicht auf, fuhr fort, ihr den Hals zuzudrücken. Bis der letzte rote Nebelfetzen vor seinen Augen verschwunden war. Bis sich seine brennenden Eingeweide abgekühlt hatten.
Mit wieder aufgeklartem Blick betrachtete er den Leichnam seiner Frau.
Wie schön sie doch eigentlich war. Weder der immer noch blaue Glanz in ihrem Gesicht, noch die schwarz-roten Flecken, die seine Finger und sein Ehering an ihrem Hals hinterlassen hatten, konnten ihr Antlitz trüben.
Zweifel ob seiner Tat keimten in ihm auf. Doch er kämpfte sie nieder. Sie hatte es verdient. Sie hätte schlimmeres verdient. Wenn es möglich gewesen wäre.
Steffi hatte ihn betrogen. Hatte damit auch Mutter betrogen.
Keiner durfte Mutter betrügen.
Wieder zog der langsam erkaltende Frauenleib Teds Blick auf sich.
Wie Steffi da lag. Schön, unbewegt, wehrlos. Vor allem wehrlos.
Auf eine fremde, abartige Weise erregte Ted dieser Gedanke.
So sehr, dass er vor sich selbst erschrak.
Ohne zu wissen, was er eigentlich tat, griff er nach ihrer Bluse, begann sie zu öffnen. Knopf für Knopf.
Es fühlte sich schmutzig an, was er da tat. Doch seine Phantasien hielten ihn in einem morbiden Bann. Jetzt würde sie sich ihm nicht mehr entziehen können. So wie sie es lange getan hatte. Wie sie da lag, war ihr Körper ihm hilflos ausgeliefert.
Jetzt würde nach seinen Regeln gespielt werden. Endlich.
Mit diesem Gefühl der Macht erfüllt begann er, seine eiskalten aber doch schweißnassen Finger über ihren entblößten Oberkörper streicheln zu lassen. Sie würde das alles über sich ergehen lassen müssen.
Der Tod machte alles so viel einfacher.
Mit der Gewalt eines Blitzes zuckte ein Gedanke durch sein Gehirn.
Wie es wohl wäre, Steffi noch einmal zu lieben? Noch ein letztes Mal.
Seine Hand wanderte von der kalten Brust hinunter zu der blauen Jeans, zog den Reißverschluss hinunter.
Doch er hielt inne, musste wieder an Mutter denken. Mutter mochte nichts, was schmutzig war.
Sie würde ihn dafür bestrafen. Allen Schmutz aus ihm heraus prügeln.
Er war sich sicher, Mutter würde es herausfinden. Irgendwie. Und er wollte sie nicht enttäuschen.
Ted schreckte auf, als es an der Haustür klingelte.
Das mussten die Nachbarn sein. Sie hatten den Lärm gehört.
Verdammte Steffi. Hätte sie den Tisch nicht leiser umstoßen können?
Mit dem Blick eines gehetzten Tieres sah er sich um. Hilflos.
Doch Mutter würde ihm helfen. Da war er sich sicher. Das hatte sie immer getan. Seit er klein war.
Mutter würde für ihn da sein, ihn beschützen.
Zitternd nahm Ted die kleine Graburne vom Regal hinter ihm, schlang seine Arme um sie.
Während er sich, die Urne in den Armen, zurück neben den Leichnam setzte, schloss er die Augen.