Nachbarschaft
Nachbarschaft:
Wir wohnen, wie eine große Familie, in einem zwölfstockigen Haus. Jeder kennt hier jeden und jeder weiß über seinen Nachbar bescheid. Seit einigen Tagen ist bei uns ein neuer Nachbar eingezogen. Viele fragen sich wie er so ist. Der alte Nachbar ist mit nur 42 Jahren verstorben. Er hatte selten Besuch und wenn dann nur von seinem Arzt.
Es war ein ganz netter, immer freundlich und höfflich. Doch mit seinen Nachbarn hat er sich nicht oft unterhalten, er war eher ein Einzelgänger. Seltsam war er. „Ich habe mal beobachten, wie unser alter Nachbar mit Bäumen geredet hat“ – erzählte mir die alte Dame aus dem zehnten Stock. „Und öfters mal hat er ein Baum umarmt oder gestreichelt“ – erzählte mir die alte Dame auch. Aber wir haben ihn trotzdem gemocht. Keiner hatte sich über den alten Nachbar beschwert, ein ganz Ruhiger war das. Dass er verstorben ist, haben wir erst nach einer Woche gemerkt.
Es roch schon nach Verwesenem im Flur, erzählte mir die alte Dame. Erst dann haben die Nachbarn aus seinem Stock gemerkt, dass in seiner Wohnung etwas nicht stimmt und die Polizei gerufen. Die Polizisten haben dann in die Wohnung aufgemacht: Er lag tot auf dem Sofa und der Fernseher lief noch. „Euch trifft keine Schuld, dass Herr K. verstorben ist“ – sagte ein Polizist. Wir waren alle erleichtert. Und auch traurig, dass er verstorben ist. Einige sagen er ist aus Einsamkeit verstorben, für ihn habe es keinen Sinn mehr gegeben zu leben. Es ist doch so, wenn man niemanden hat, hat man auch keinen Sinn zu leben. Was ist das denn für ein Leben ohne Menschen, die
dich lieben und die du lieben kannst!?
Ich habe ihn auch gemocht, aber ich konnte mich nicht mit ihm unterhalten. Über unseren alten Nachbarn habe ich nur durch die alte Dame aus dem zehnten Stock einiges erfahren. Sehr oft stand sie draußen und unterhielt sich mit der alleinerziehenden Mutter aus dem elften Stock, wenn ich mein Müll weggebracht habe. Mit der alten Dame war ich sehr gut befreundet, doch ihr Name fällt mir momentan nicht ein. „Er hat seine Familie bei einem Autounfall verloren. Und seid diesem Unfall hat er sich von seiner Umwelt abgeschottet. Nach dem Unfall hat er alles verkauft was er besaß und hierhin gezogen.“ – erzählte die alte Dame. Sein Arzt meinte: „Es ist eine sehr gute Entscheidung hierhin zu zeihen, wo so viele Menschen um ihn herum leben. Er braucht Gesellschaft. Und in diesem Haus, wo so viele Mensch so eng bei einander leben, wie eine große Familie, wird er ganz bestimmt Freunde finden.“
Wir haben doch alles was in unserer Kraft stand getan, um ihn zu helfen über den Autounfall hinwegzukommen. Wir waren immer freundlich zu ihm, haben ihn immer gegrüßt. Schade, dass er jetzt nicht mehr am Leben ist. Er wird uns allen ganz bestimmt fehlen. Selten habe ich ihn draußen gesehen nur mal aus dem Fenster, wenn er einkaufen gegangen ist. Manchmal auch wenn er sein Müll rausgebracht hat. Ich werde ganz bestimmt immer an ihn denken, wenn ich aus dem Fenster gucke. Er war immer so freundlich und so hilfsbereit, kaum zu glauben, dass er ganz alleine war.
Ein paar mal hat er der alleinerziehender Mutter aus dem Elften geholfen, ihre Taschen nach oben zu tragen, der Fahrstuhl war defekt. Niemandem wünsche ich so ein Leben ganz allein. Gestern, beim spazieren gehen, habe ich ein paar Worte mit der Dame aus dem Zehnten gewechselt. Sie erzählte mir eine interessante Geschichte über unseren alten Nachbarn: „Er war früher Vorstand einer großen Firma nach dem Autounfall hat er angefangen zu trinken. Er musste später an einer Therapie teilnehmen. Während seiner Therapie haben alle seine Freunde und Verwandte den Kontakt zu ihm abgebrochen. Mit der Hoffnung ein neues Leben anzufangen, ist er in unser Haus gezogen, aber auch mit der Hoffnung hier neue Freunde zu finden.“ Wir sind hier wie eine große Familie, wir sorgen doch für einander. Er hat sich selber von uns abgewendet und kaum ein Wort mit uns gesprochen. In der letzten Zeit hat er uns nicht mal gegrüßt.
Seltsam fand ich das schon aber wenn ein Mensch mit keinem zutun haben will, sollte man ihn in Ruhe lassen. Wer will schon mit einem Verrückten befreundet sein!? Er war doch nicht normal. Uns trifft keine Schuld, dass er verstorben ist. Für ihn und für uns wäre doch das Beste gewesen, wenn er gleich in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen wäre, die alte Dame aus dem zehnten meinte das auch. Wir hätten jetzt unsere Ruhe und unser alter Nachbar wäre noch am Leben.
Uns trifft doch keine Schuld, dass er verstorben ist. Er hat Selbstmord begangen sagten uns die Polizisten. Tabletten hat er geschluckt. Wir können doch nichts dafür wenn er durchdreht und Tabletten schluckt. Er hätte uns doch um Hilfe bitten können. Wir hätten ihm ganz bestimmt geholfen, die alte Dame ist auch meiner Meinung.
von Nyktimos