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Nachbarskind

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21.04.2015
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Nachbarskind

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
Die Henkel der Tüten entgleiten meinen Fingern, ich renne zu ihr, knie vor ihrem kleinen Körper. Will sie packen, an mich ziehen – warum schreit sie nicht? –, ihr übers feine braune Haar streichen und sagen, alles wird gut, war doch gar nicht so hoch, nur ein halber Stock, halb so wild.
Was, wenn ich etwas kaputt mache, sie falsch bewege?
Sie hebt den Kopf, rappelt sich auf, ihre Augen viel zu groß. Ich strecke ihr die Hand hin, da zuckt sie zurück und fängt an zu weinen. Leise rede ich auf sie ein, verspreche ihr, dass es bestimmt nicht so schlimm ist, dass wir zusammen ihre Mama holen. Die Kleine schluckt, sieht mich an, versteht mich nicht. Ihre größeren Geschwister sprechen Deutsch, oft höre ich sie im Treppenhaus oder im Hof rufen, aber die Jüngste wirft nur mit Brocken um sich.
Sie sagt etwas, ihre kehlige Stimme bebt. Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne, aber ich nicke, lächle sie an und biete ihr noch einmal meine Hand an. Sie greift danach, schnieft und wir gehen zusammen zur Haustür.
Zwei der Älteren kommen aus der Wohnung im Hochparterre, ihr raues Lachen bricht ab, als sie mich mit der wimmernden Kleinen im Treppenhaus sehen.
„Was ist passiert?“, fragt der Kräftige.
„Sie ist aus dem Fenster gefallen.“
Er bückt sich, nimmt sie auf den Arm und redet auf sie ein. Der andere hämmert gegen die Wohnungstür und brüllt etwas. Dann dreht er sich zu mir um.
„Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.“
„Ihr solltet ins Krankenhaus, sie ist kopfüber aus dem -“
Die Tür wird aufgerissen. Zeternd nimmt eine untersetzte Frau mit grauen Haaren das Mädchen entgegen. Im Wohnzimmer hinter ihr sitzt der Mann, den sie bei schönem Wetter in seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben. Neben ihm stellen sie Klappstühle auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal rauchen sie Shisha und diskutieren. Sie winken mir zu, wenn ich nach Hause komme.
Die genauen Verhältnisse habe ich nie kapiert, viele Leute über mehrere Wohnungen im Block verteilt. Ich weiß nur, dass die Mutter der Kleinen schräg unter mir wohnt, mit einem der zwei Typen zusammen ist und oft in der Wohnung dieser Frau hier vorbeikommt. Vielleicht die Oma.
„Da muss ein Arzt drauf schauen, sie könnte eine Gehirnerschütterung haben oder so was.“
Alle drei nicken, die beiden Männer bedanken sich erneut. Die Diskussion zwischen den dreien geht von vorne los, sie verschwinden in der Wohnung, ein lauter, wuselnder Pulk. Die glasigen Augen des Mädchens starren über die Schulter der alten Frau, bevor die Tür geschlossen wird.

Der Einkauf liegt über den Gehweg verteilt. Jogurt, Milch, Pizza, alles zittert in meiner Hand, als ich die Sachen zurück in die Tüten packe. Oben in der Wohnung öffne ich das Fenster zur Straße. Halte Ausschau. Nach einem Krankenwagen, einem Auto, das wegfährt, irgendeiner Bewegung.
Ich habe sie gesehen, bevor sie fiel. Ihre Hände haben nach dem Blumentopf gegrapscht, die schmalen Arme auf dem Fensterbrett, das Knie als Stütze im Rahmen, damit sie hinaufklettern kann.
Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.

Zwei Wochen vergehen. Mehrfach stehe ich vor der Wohnungstür ihrer Mutter und der älteren Frau im Hochparterre, lausche nach der kehligen Stimme. Ich traue mich nicht zu klingeln. Es ist laut im Haus, immer knallt oder rumpelt etwas, jemand schreit durchs Treppenhaus, lacht oder singt.
Ihr kleiner Lärm fehlt.
Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet.
Meine Freunde sagen, ich reagiere über. Seitdem es aus dem Fenster gestürzt ist, denke ich jeden Tag an das Mädchen. Ich bin als Baby von der Waschmaschine gefallen. Meine Mutter hatte mich nur kurz abgelegt, nur kurz nicht hingesehen. Passiert.
Wie oft ist die Kleine mir spät abends mitten im Winter barfuß und im dünnen Schlafanzug im Treppenhaus begegnet? Manchmal hat sie sich vor mir versteckt, manchmal ist sie mir kichernd bis ins oberste Stockwerk gefolgt.
Sie wirkte okay. Nur nackte Füße. Jeder erzieht anders.
Ich fühle mich zehn Kilo leichter, als sie kurz vor Weihnachten mit ihrer großen Schwester auf den Treppenstufen vorm Haus sitzt. Sie ruft „Hallo“ und versteckt das Gesicht in den Händen. Ihre Augen blitzen zwischen den Fingern hervor, sie grinst, springt auf und rennt weg.
An Heiligabend kaufe ich kleine Schokoschneemänner und Schokoengel mit Flügeln aus goldener Pappe. Abends, als das Treppenhaus dunkel und ruhig ist, verteile ich sie vor den Haustüren. Ich mache das, seit ich hier eingezogen bin.

„Wo warst du?“, fragt sie mich.
Ich leere den Briefkasten, zwinkere ihr zu. „Ich war arbeiten.“
„Kommst du?“ Sie hüpft die drei Stufen zum Hochparterre hinauf.
„Wohin denn?“
„Spielen.“
„Zu dir nach Hause?“
Sie nickt.
„Ist das eine Einladung?“
Sie sagt etwas, das ich nicht verstehe, und rennt die Treppe hoch. Vor ihrer Wohnungstür wartet sie auf mich, dreht eine Haarsträhne zwischen den Fingern.
„Hast du denn deine Mama gefragt?“
Hinter ihr geht die Tür auf. Die Kleine dreht sich um, gestikuliert, plappert auf ihre Mutter los.
Die Frau nickt mir zu und zieht das Mädchen in die Wohnung.

Sie sitzt auf der Schaukel im Innenhof und weint. Eine Gruppe Kinder steht in der Nähe, darunter ihre Schwester. Sie beachten die Kleine nicht.
Ich schmeiße den Müllsack in die Tonne und gehe zu ihr. Hocke mich vor sie.
„Alles okay?“
Sie umklammert die Stahlkette, sieht an mir vorbei. Die Augen sind gerötet, Rotz läuft ihr aus der Nase.
„Hat dich jemand geärgert?“
Nur ein Schniefen. Eins der Kinder schreit etwas zu uns rüber, die Kleine schreit zurück, sieht mich an und brabbelt los. Hin und wieder kriege ich ein Wort zu fassen, der Rest kommt nicht zu mir durch.
„Maus, ich verstehe dich nicht, tut mir leid.“
Sie stoppt, runzelt die Stirn.
„Tut weh“, sagt sie und zeigt auf ihr Knie. Die Hose ist an der Stelle aufgescheuert.
„Hat dich jemand geschubst?“
Sie versteht nicht.
Ich deute auf die Gruppe Kinder.
Sie zuckt mit den Schultern.
„Wollen wir rein gehen? Nach Hause?“
„Nein, nicht nach Haus.“
Ich stehe auf, sehe mich um. Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit und ich weiß nicht, wonach ich eigentlich suche. Meine Hand wandert zum Hals, tastet nach dem kleinen Stein an der Halskette. „Der soll dich beschützen“, hat meine Mutter mir damals ins Ohr geflüstert. Lazulie haben wir ihn genannt. An Lapislazuli hab ich mich als Kind ständig verheddert.
Ich öffne den Verschluss.
„Hier, für dich“, sage ich und hänge ihr die Kette um. Ihre großen Augen ein Fragezeichen. „Der Stein beschützt dich.“
Sie nimmt ihn in die Hand, die Lippen bewegen sich, kein Ton kommt heraus. Ich streiche ihr übers Haar und gehe zurück zum Haus.

Der Innenhof liegt im Dämmerlicht des Abends. Tauender Schnee tropft von Dächern und Bäumen. Ich krame nach dem Schlüssel, als etwas Blaues im Augenwinkel aufblitzt. Links von mir, neben den Fahrrädern, leuchtet der Stein zwischen Matsch und Schneeresten. Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung. Braune Schlieren im Waschbecken, als ich heißes Wasser über die feinen silbernen Glieder laufen lasse.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.

 

@RinaWu,

hach, ich hätte ja ewig weiterlesen können. Warum hast du aufgehört? Wenn ich schniefe und en Tempo brauche nach ner Geschichte, dann war sie mal so richtig gut. Mehr als gut. Dann hat sie mich zum Leben erweckt, sozusagen.

Spannend, die Gedanken an Schuld, Versäumnisse, ein bisschen Klischeedenken, Empathie und so viele Zweifel, der Alltag des Menschen. Wie ein blinder Schmetterling im Sturm.

Wirklich ein sehr feiner Text.
Gratulation und Griasle.

Morphin

 

Hallo @RinaWu

und willkommen bei der Challenge.

Los geht's!

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.

Guter erster Satz. Alltag unterbrochen von einem tragischen Ereignis. Schön kurz und trotzdem eindringlich.

Das Klatschen von Haut auf Asphalt hallt durch den Innenhof.

Hier bin ich skeptisch. Es ist ja mehr als nur Haut, die auf den Boden klatscht. Haut und Knochen, ein Körper, aber nur Haut? Da denke ich eher an ein Fell aber nicht an einen kompletten Menschen.

Sie hebt den Kopf, rappelt sich auf, ihre Augen viel zu groß, zu dunkel.

Das Aufrappeln bedeutet für mich: sie steht auf. Das kontrastiert ein bißchen mit der Dramatik, die vorher anklingt. Das klingt für mich nach: nichts passiert, alles okay!

Ihre Geschwister sprechen Deutsch, oft höre ich sie im Treppenhaus oder im Hof rufen, aber die Jüngste wirft nur mit Brocken um sich.

Mit Brocken meinst du die Sprache, okay. Ich kenne diesen Ausdruck aber nur aus dem Zusammenhang: ich spreche ein paar Brocken Italienisch, Französisch, was auch immer. In diesem Ausdruck sehe ich die Gefahr, dass man den Ausdruck wortwörtlich nimmt. Er klingt in meinen Ohren nicht idiomatisch.

Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne, aber ich nicke, lächle sie an und biete ihr noch einmal meine Hand an.

Hier sehe ich zwei Probleme: zum einen benötigt man rudimentäre Kenntnisse der Sprache um das so genau definieren zu können. Was oder wie klingt Türkisch oder Albanisch. Dann kommt etwas hinzu, was sie nicht erkennt. Stimmiger wäre es in meinen Augen, wenn sie grob die Region zuordnet, osteuropäisch z.B.

Das zweite Problem: Mit der Nennung der Nationalität beschwörst du die Klischees von Migranten herauf, die ihre Kinder vernachlässigen. Ich will das nicht überdramatisieren, aber die Frage muss erlaubt sein: warum müssen es Migranten sein. Außerdem verrätst du uns das Alter des Mädchens nicht. Du sagst, sie ist die Jüngste, aber wie alt denn genau? Wäre wichtig, auch um sich den Sturz bildlich vorzustellen. Aus Erfahrung mit Flüchtlingskindern (älter als 10 allerdings) kann ich sagen, dass die Jüngsten häufig das beste Deutsch sprechen.

Zwei der Älteren

Die Zuordnung fällt mir schwer. Gehören sie zur Familie?

Sie stellen Klappstühle neben ihm auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal bauen sie die Sisha auf, und diskutieren.

Shisha

Satzbau irritiert mich wegen des 'manchmal'

Könnte die Oma zu sein.

Die genauen Verhältnisse kapiere ich nicht, viele Leute über mehrere Wohnungen im Block verteilt. Ich weiß nur, dass die Mutter der Kleinen schräg unter mir wohnt, mit einem der zwei Typen zusammen ist und oft in der Wohnung dieser Frau hier vorbeikommt.

Auch hier bist du nah am Klischee und ich stelle wieder die Frage: welche Rolle spielt das für deine Geschichte?

Könnte die Oma zu sein.

Könnte die Oma sein.

Jogurt, Milch, Pizza, alles zittert in meiner Hand, als ich die Sachen zurück in die Tüten packe.

erst sagst du 'alles', dann 'die Sachen'. Wie wäre es mit: die Sachen zittern in meiner Hand, als ich sie zürück in die Tüte packe.

Nach einem Krankenwagen, einem Auto, das wegfährt, irgendeiner Bewegung.
Ich habe sie gesehen, bevor sie fiel. Ihre Hände haben nach dem Blumentopf gegrapscht, die schmalen Arme auf dem Fensterbrett, das Knie als Stütze im Rahmen, damit sie hinaufklettern kann.
Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.

Zwei Wochen vergehen.


Hier frage ich mich: kommt da noch ein Krankenwagen? Und wenn keiner kommt, warum verständigt sie dann nicht die Polizei. Sie muss ja davon ausgehen, dass die Eltern nichts unternehmen. Stattdessen: Zeitsprung? War (ihr) wohl nicht so wichtig.

Zwei Wochen vergehen. Mehrfach stehe ich vor der Wohnungstür ihrer Mutter und der ihrer Oma, lausche nach der kehligen Stimme. Ich traue mich nicht zu klingeln. Es ist laut im Haus, immer knallt oder rumpelt etwas, jemand schreit durchs Treppenhaus, lacht oder singt.
Ihr kleiner Lärm fehlt.
Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet, als wären sie gleich mit der Sprache rausgerückt.

Du deutest hier häusliche Gewalt an, aber der Sturz war doch ein Unfall, oder nicht. Wie kommt es alos zu der Schlußfolgerung der Ich-Erzählerin? Oder meinst du unterlassene Hilfeleistung?

Sie wirkte okay. Keine blauen Flecken. Jeder erzieht anders.

Auch hier: eine Anspielung auf häusliche Gewalt? Aber noch immer ist mir nicht klar, warum sie diesen Verdacht hegt?

Ich fühle mich zehn Kilo leichter, als sie kurz vor Weihnachten mit ihrer großen Schwester auf den Treppenstufen vorm Haus sitzt.

Wo war sie die ganze Zeit?

„Wo warst du?“, fragt sie mich.
Ich leere den Briefkasten, zwinkere ihr zu. „Ich war arbeiten.“
„Kommst du?“ Sie hüpft die drei Stufen zum Hochparterre hinauf.
„Wohin denn?“
„Spielen.“
„Zu dir nach Hause?“

Sie spricht also mittlerweile Deutsch. Oder sind das die Brocken, die du meintest?

plappert auf ihre Mutter los.

Kombination von 'drauf los plappern' und 'auf jemanden einreden', habe ich in der Form noch nicht gehört.

Hinter ihr geht die Tür auf. Die Kleine dreht sich um, gestikuliert, plappert auf ihre Mutter los.
Die Frau nickt mir zu und zieht das Mädchen in die Wohnung.

Dieser Absatz ist komisch. Das Mädchen sagt: Komm, wir spielen. Sie gehen hoch, die Mutter zieht das Kind in die Wohnung. Ende. In einer anderen Situation beschreibst du die Familie als freundlich und aufgeschlossen (sie winken ihr zu) in anderen wieder als wortkarg, schroff un ablehnend.

Nur ein Schniefen. Eins der Kinder schreit etwas zu uns rüber, die Kleine schreit zurück, sieht mich an und brabbelt los. Hin und wieder kriege ich ein Wort zu fassen, der Rest kommt nicht zu mir durch.

Jetzt hat sie wieder Sprachprobleme.

„Wollen wir rein gehen? Nach Hause?“
„Nein, nicht nach Haus.“

Wieder eine Andeutung von häuslicher Gewalt.

Ich stehe auf, sehe mich um. Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit und ich weiß nicht, wonach ich eigentlich suche.

Dieser Satz berührt mich.

Der Innenhof liegt im Dämmerlicht des Abends. Tauender Schnee tropft von Dächern und Bäumen. Ich krame nach dem Schlüssel, als etwas Blaues im Augenwinkel aufblitzt. Links von mir, neben den Fahrrädern, leuchtet der Stein zwischen Matsch und Schneeresten. Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.

Das Ende ist traurig und lässt mich, wie die Geschichte insgesamt, etwas ratlos zurück. Du zeichnest meines Erachtens kein klares Bild, weder von der Ich-Erzählerin, noch von der Familie des Kindes. Sie vermutet häusliche Gewalt, aber der Sturz, der ein Unfall war, kann nicht der Auslöser gewesen sein. Sie steht der Familie nicht ablehnend gegenüber, aber ruft weder einen Krankenwagen noch spricht sie mit der Familie. Der Stein als Schutz gegen häusliche Gewalt ist etwas schwach und ich verstehe nicht, warum sie ihn dann wieder im Dreck findet. Hat das Kind die Geste nicht verstanden, hat sie den Stein verloren?

Insgesamt wirft der Text bei mir mehr Fragen auf, als dass er Antworten bietet. Wohlwollend könnte ich sagen, dass du diese Ambivalen zum Ausdruck bringen möchtest, aber so recht überzeugen mag mich das nicht.

LG,

HL

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend @RinaWu,

du erzählst die Begegnung zwischen einem kleinen Mädchen mit Migrationshintergrund und deiner Protagonistin. Sie sieht in dem Mädchen etwas, vielleicht auch etwas von sich selbst und kümmert sich um sie. Ich finde, dass dir das gut gelungen ist, ohne dass ich es als übertrieben wahrgenommen hätte. Ganz kurz habe ich mir die Frage gestellt, ob deine Protagonistin übergriffig handelt und vielleicht eine Grenze überschreitet. Aber ich finde, dass das nicht der Fall ist. Liegt wohl vor allem daran, dass du das auch geschickt schon mit in den Text eingebaut hast. Sie bekommt die Rückmeldung, dass sie überreagiert und für mich hat einfach das Mitgefühl, die Empathie überwogen. Sie wünscht sich, dass es der Kleinen gut geht. Ja, ich habe es ihr abgekauft.
Problematisch fand ich, dass ich ein gewisses Vorurteil herausgelesen habe. Deine Geschichte impliziert ja irgendwo, dass die Erziehung bei Eltern mit Migrationshintergrund nicht optimal läuft. Ich zitiere die Stelle mal direkt, um meinen Eindruck hier zu untermauern:

Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne, aber ich nicke, lächle sie an und biete ihr noch einmal meine Hand an.
Offensichtlich kennt sie sich mit ihrer Kultur nicht richtig aus und dann stellst du das kleine Mädchen als leidend dar. Man könnte sagen, dass sie seelisch misshandelt wird. Ich habe mich irgendwie schwer getan, dass die Familie einen Migrationshintergrund hat. Da würde ich nach meinem Geschmack noch einmal drauf schauen. Kannst du das vielleicht etwas offener formulieren?

Stark fand ich dann das Ende. Sie findet ihre Kette wieder, die doch das kleine Mädchen beschützen soll. Ich habe mich gefragt, was wohl passiert ist und mir meine eigenen Gedanken gemacht. Mir hat das offene Ende gefallen, da steckte auch eine gewisse Traurigkeit drin. So, ich gehe in der Textarbeit detaillierter auf meinen Leseeindruck ein:

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
Toller erster Satz! Ich war sofort drin.

Zwei der Älteren kommen aus der Wohnung im Hochparterre, ihr raues Lachen bricht ab, als sie mich mit der wimmernden Kleinen im Treppenhaus stehen sehen.
Ich finde das eine interessante Stelle. Denn du sagst hier viel, in wenigen Sätzen. Ich habe es so interpretiert, dass sie nicht in dieses System gehört, ein Eindringling von außen könnte man sagen. Sie sind misstrauisch, wissen nicht, was sie mit deiner Protagonistin anfangen sollen.

Könnte die Oma zu sein.
Kleinigkeit: "zu" streichen.

Die glasigen Augen des Mädchens starren über die Schulter der alten Frau, bevor die Tür sich schließt.
Gut geschrieben und ich konnte mir das gut vorstellen, die Verzweiflung des kleinen Mädchens kommt hier raus. Und ich hatte auch den Eindruck, dass das Mädchen sich den Kontakt mit deiner Prota wünscht. Das war für mich entscheidend, dass ich die Beziehung dir so abkaufen konnte. Es ist mehr ein Austausch, sie sind gegenseitig für einander wichtig - es ist also kein ungewolltes Einmischen von außen. Ich finde, dass genau das der Grat ist, auf dem sich deine Geschichte bewegt. Für mich hat es funktioniert.

Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.
Es geht ihr nahe, sie fühlt das Leid der Kleinen. Aber dennoch finde ich es von dir hier geschickt gemacht, dass sie eben nicht sofort losgerannt ist. Das wäre mir nicht ganz glaubwürdig vorgekommen, aber so ist es passend. Denn als sie sieht, dass sie gefallen ist, macht sie sich eben doch Vorwürfe. Das hat sich für mich menschlich gelesen.

Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet, als wären sie gleich mit der Sprache rausgerückt.
Finde das Wort "Zeugen" hier geschickt eingebaut, das passt zu deiner Geschichte.

Meine Freunde sagen, ich reagiere über. Seitdem ich sie habe stürzen sehen, denke ich jeden Tag an das Mädchen. Ich bin als Baby von der Waschmaschine gefallen. Meine Mutter hatte mich nur kurz abgelegt, nur kurz nicht hingesehen. Passiert.
Hier habe ich mich kurz gefragt, ob sie nicht etwas zu stark auf das Mädchen fokussiert ist. Finde es wichtig, dass du einerseits die Freunde mit eingebaut hast und andererseits zeigt, dass sie sich eben auch ein bisschen in dem kleinen Mädchen selbst sieht. Ja, ich kann das doch so nehmen.

Hinter ihr geht die Tür auf. Die Kleine dreht sich um, gestikuliert, plappert auf ihre Mutter los.
Die Frau nickt mir zu und zieht das Mädchen in die Wohnung.
Ich finde es irgendwie eine traurige Stelle. Mir ist beim Lesen der Eindruck gekommen, als hätte die Kleine keine Chance, wäre eine Gefangene ihrer Umstände.

Sie sitzt auf der Schaukel im Innenhof und weint. Eine Gruppe Kinder steht in der Nähe, darunter ihre Schwester. Sie beachten die Kleine nicht.
„Nein, nicht nach Haus.“
Ich habe diese beiden Stellen mal rausgenommen, weil sie gut zeigen, wie du die Empathie erzeugst für das kleine Mädchen. Sie ist am Leiden, fühlt sich so unwohl und niemand ist für sie da.

Lazulie haben wir ihn genannt. An Lapislazuli hab ich mich als Kind ständig verheddert.
Als ich das Wort Lapislazuli für die Challenge verwendet habe, habe ich mir etwas ganz ähnliches gedacht. Daher fand ich das hier clever gemacht. :-)

Links von mir, neben den Fahrrädern, leuchtet der Stein zwischen Matsch und Schneeresten. Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
Ich fand das Ende stark. Du lässt offen, was genau mit der Kette passiert ist, warum sie auf dem Boden liegt. Fand ich gut.

Insgesamt eine gut geschriebene Geschichte und soweit mein Leseeindruck. Schön, dass du bei der Challenge dabei bist.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @RinaWu

Eine sehr gute Geschichte hast Du geschrieben.
Inhalt und Verpackung ergänzen sich. Die Sprache ist für meinen Geschmack etwas zu reduziert. Das erschwert den Zugang zu den Figuren. Die Erzählerin nimmt sich emotional sehr zurück, was oft angeraten wird, hier aber einen artifiziellen Eindruck erzeugt.
Andererseits erzeugt das eine Stimmung der emotionalen Kälte undGleichgültigkeit, die wiederum zum Thema passt.
Auf jeden Fall ist dieser Stil konsequent durchgezogen.
Einstieg und Ende sind geradezu beispielhaft für eine gute Kurzgeschichte.

Schöne Grüße
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @Morphin,

Spannend, die Gedanken an Schuld, Versäumnisse, ein bisschen Klischeedenken, Empathie und so viele Zweifel, der Alltag des Menschen. Wie ein blinder Schmetterling im Sturm.
Vielen Dank für deinen schnellen und wohlwollenden Kommentar, freut mich sehr, wie du die Geschichte aufgenommen hast. Sie zu erzählen schwurbelt schon länger in meinem Kopf herum, weil das etwas ist, das ich selbst ähnlich erlebe bei mir im Haus und mich immer wieder beschäftigt. Dann fiel mir der erste Satz ein und los ging's.
Mir war wichtig, sie einfach so zu erzählen, wie sie ist, ohne auf die kleine Stimme zu hören, die mir sagte, man könne mir Voreingenommenheit gegenüber Migranten vorwerfen. Davon wollte ich mich bewusst frei machen. Denn nein, mir geht es nicht um Voreingenommenheit und Klischees, sondern einfach darum, zu erzählen, was tagtäglich passiert. In deutschen und Migrantenfamilien, ich mache da keinen Unterschied. In diesem Falle ist es so passiert und die Sprachbarriere zwischen mir und der Kleinen ist ein entscheidender Punkt, warum ich noch immer unsicher bin, ob es ihr wirklich gut geht, daher für die Geschichte auch einfach wichtig. Ich finde es schön, dass du das so annehmen konntest.

Viele Grüße und bis ganz bald :)

Hallo @HerrLehrer,

auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung.

Es ist ja mehr als nur Haut, die auf den Boden klatscht. Haut und Knochen, ein Körper, aber nur Haut?
Ich weiß, was du meinst. In meiner Erinnerung klang es wie ein Klatschen, vielleicht weil Hände und Gesicht, die auf dem Asphalt aufschlugen, das verursacht haben. Muss mal überlegen, ob es ein anderes Wort gibt, das das Geräusch noch besser beschreibt.

Hier sehe ich zwei Probleme: zum einen benötigt man rudimentäre Kenntnisse der Sprache um das so genau definieren zu können. Was oder wie klingt Türkisch oder Albanisch. Dann kommt etwas hinzu, was sie nicht erkennt. Stimmiger wäre es in meinen Augen, wenn sie grob die Region zuordnet, osteuropäisch z.B.

Das zweite Problem: Mit der Nennung der Nationalität beschwörst du die Klischees von Migranten herauf, die ihre Kinder vernachlässigen. Ich will das nicht überdramatisieren, aber die Frage muss erlaubt sein: warum müssen es Migranten sein. Außerdem verrätst du uns das Alter des Mädchens nicht. Du sagst, sie ist die Jüngste, aber wie alt denn genau? Wäre wichtig, auch um sich den Sturz bildlich vorzustellen. Aus Erfahrung mit Flüchtlingskindern (älter als 10 allerdings) kann ich sagen, dass die Jüngsten häufig das beste Deutsch sprechen.

Zum ersten Problem: Ich denke, wenn man in einem diversen Umfeld aufwächst, hat man mittlerweile ein recht gutes Gehör für Türkisch, Albanisch, Arabisch, Spanisch, whatever ... Jedenfalls ist das so meine Erfahrung. Ich habe überlegt, ob ich hier unspezifischer sein sollte, aber dachte dann eben, dass das ja auch symbolisiert, dass all diese Sprachen immer mehr in unseren Alltag hineinwachsen, wir sie also auch besser erkennen. Eine Stelle also, an der durchschimmert, dass da was zusammenwächst.
Gleichzeitig gibt aber eben Sprachen, die nicht jeder Deutsche verstehen kann (türkisch, albanisch, kurdisch, arabisch, ...), weil wir sie nicht in der Schule lernen und im Freundeskreis auch eher in Brocken. Damit komme ich zu Problem Nummer zwei: Wie du vielleicht oben schon in meinem Kommentar an Morphin gelesen hast, liegt es mir fern, hier Klischees heraufzubeschwören. Kindervernachlässigung gibt es überall, das hat für mich keine Nationalität. Es sind in dieser Geschichte Migranten, weil die Sprachbarriere zwischen der Kleinen und der Protagonistin ein Punkt ist, der entscheidend ist. Die Kleine will sich mitteilen, kann es aber nicht. Warum nicht? Weil sie kaum deutsch spricht. Die Sprache, die ihre Eltern und sogar Geschwister bereits beherrschen, weil sie schon die zweite oder dritte Generation sind, die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen oder aber sozial besser vernetzt sind. Warum die Kleine so schlecht deutsch spricht, soll auf andere Ebenen hindeuten, die ich hier gar nicht so ins Detail erklären will sondern lieber erst mal abwarte. Nur so viel: Kinder, die vernachlässigt werden, haben oft Sprachprobleme. In ihrer eigenen, aber erst recht in einer fremden Sprache. Und Vernachlässigung hat Ebenen, die sich auf so unterschiedliche Art manifestieren. Beispielsweise gibt es Familien, die eine bestimmte Gefühlskälte nur an einem Kind auslassen, der Rest wird liebevoll behandelt. Es gibt Rivalitäten zwischen bestimmten Geschwistern, die es an anderer Stelle nicht gibt. All sowas ...

Auch hier bist du nah am Klischee und ich stelle wieder die Frage: welche Rolle spielt das für deine Geschichte?
Warum Klischee? Ich wehre mich da schon ein wenig. Es gibt das doch. Das ist doch kein Klischee, das ist einfach so. Und das wertet doch auch nicht, wenn ich sage, dass da eine Großfamilie auf mehrere Wohnungen verteilt lebt. Allein in meinem Block wohnt eine große Familie auf ca. 5-7 (ich weiß es wirklich nicht) Wohnungen verteilt, da sind die Verhältnisse eben nicht ganz klar. Das ist ebenfalls nicht wertend gemeint, sondern beschreibt nur, wie die Protagonisitin versucht, die Familiendynamik und die Rolle der Kleinen darin zu verstehen. Und es spielt eine Rolle für die Geschichte, weil es die Einschätzung, wie sie nun richtig handeln sollte, für die Erzählerin noch schwieriger macht.

Und wenn keiner kommt, warum verständigt sie dann nicht die Polizei. Sie muss ja davon ausgehen, dass die Eltern nichts unternehmen.
Das finde ich zu einfach gedacht. Was soll sie der Polizei sagen? Da ist ein Kind aus dem Fenster gefallen, es ging ihm aber ganz gut, denke ich, ich habe es zur Familie gebracht, aber nun höre ich keine Sirenen, also müssen Sie kommen? Ich glaube nicht, dass das logisch ist. Denn woher soll sie denn wissen, dass die Eltern nicht vielleicht doch einen Arzt angerufen, einen anderen Ausgang vom Innenhof benutzt haben, schon längst unterwegs sind? Das ist so heikel, Nachbarschaft ist ein so komplexes Konstrukt, wie ich finde, da ruft man nicht die Polizei, weil man befürchtet, die Eltern haben nichts unternommen. Auch das Jugendamt reagiert bei sowas nicht zwangsläufig. Ich habe mich mit dem Thema schon oft auseinander gesetzt und sinnvollerweise werden die Eltern hier sehr geschützt - bevor da etwas passiert, müssen die Warnzeichen schon extrem eindeutig sein. Und genau die Eindeutigkeit fehlt der Protagonistin ja. Deshalb ist sie hin- und hergerissen.

Du deutest hier häusliche Gewalt an, aber der Sturz war doch ein Unfall, oder nicht. Wie kommt es alos zu der Schlußfolgerung der Ich-Erzählerin?
Nein, ich sage nirgendwo etwas von häuslicher Gewalt in dem Sinne, dass ich sie in der Geschichte, direkt bei der Kleinen andeute. Ich beschreibe, was in der Protagonistin vorgeht, wie ihre Gedanken weiterspinnen in eine Richtung, die vielleicht übertrieben ist, einfach weil sie ein ungutes Bauchgefühl hat und noch nicht weiß, wie sie es deuten soll. Aufgrund der Nachrichten, der Medien, all den Geschichten, die man zu diesem Thema hört, ist man viel sensibler und spinnt da manchmal vielleicht auch etwas weiter, das schon viel früher aufhört oder in eine andere Richtung läuft.

Auch hier: eine Anspielung auf häusliche Gewalt?
Ich sehe das eher als genaue Beobachtung der Protagonistin. Vor dem Sturz hat sie die Kleine öfter in Situationen gesehen, die ihr seltsam vorkommen, die erahnen lassen, dass das Mädchen oft alleine ist, sie bei Kälte nachts barfuß durchs Haus läuft - Anzeichen von Vernachlässigung. Die Erzählerin spinnt den Gedanken weiter, weil sie sich Sorgen macht. Sie beobachtet die Kleine, sucht nach Anzeichen, die es notwendig und vor den Behörden haltbar machen würden, einzugreifen.

Das Mädchen sagt: Komm, wir spielen. Sie gehen hoch, die Mutter zieht das Kind in die Wohnung. Ende. In einer anderen Situation beschreibst du die Familie als freundlich und aufgeschlossen (sie winken ihr zu) in anderen wieder als wortkarg, schroff un ablehnend.
Genau. Auch das trägt zur Verunsicherung bei. Ein Teil der Familie wirkt aufgeschlossen, die Mutter des Mädchens aber sehr ablehnend. Das eine schließt das andere ja nicht aus.

Wieder eine Andeutung von häuslicher Gewalt.
Auch hier: Finde ich nicht. Sie will einfach nicht nach Hause. Wo ist denn da von Gewalt die Rede? Sorry, aber ich muss mir hier ein bisschen wehren, weil das da so einfach nicht steht. Das Mädchen kann aus vielen Gründen nicht nach Hause wollen. Langeweile zu Hause, keiner, der mit ihr spielt, Eltern die gereizt sind, was auch immer. Es deutet an, dass sie sich nicht wohl fühlt daheim, aber nicht, dass ihr Gewalt widerfährt.

Ich habe das Gefühl, dass du mehr auf den Aspekt der Gewalt eingehst und dementsprechend alles, was daraus entsteht, als ich in der Geschichte eigentlich erzähle. Da ist eine Erzählerin, die sich mit einem Mädchen konfrontiert sieht, dass verloren wirkt, einsam, und sie will ihr helfen, hadert aber selbst damit, wie. Ich sehe das irgendwie exemplarisch für viele Situationen im Leben.

Danke dir, das gibt mir viel zum Nachdenken.
Viele Grüße

Hallo @MRG,

vielen Dank fürs Gedanken-dalassen :)

Sie sieht in dem Mädchen etwas, vielleicht auch etwas von sich selbst und kümmert sich um sie. Ich finde, dass dir das gut gelungen ist, ohne dass ich es als übertrieben wahrgenommen hätte.
Das freut mich. Ja, du hast recht, die Kleine berührt etwas in ihr. Dass ihr Verhalten nicht übertrieben rüberkommt, ist gut. Ich wollte es schaffen, ihre Hin- und Hergerissenheit zu beschreiben, diese Frage: Wie verhalte ich mich denn jetzt richtig?

Deine Geschichte impliziert ja irgendwo, dass die Erziehung bei Eltern mit Migrationshintergrund nicht optimal läuft.
Tut sie das? Wo steht das denn? Nur weil ihre Nachbarn keine deutsche Familie sind, sondern mit Migrationshintergrund, impliziert das etwas? Das finde ich schwierig. Wie oben schon beschrieben, gibt es Vernachlässigung überall. Irgendwie habe ich das ein bisschen befürchtet, also dass das Thema wird. Und habe sogar kurz überlegt, die Nationalitäten zu ändern. Und dann dachte ich mir: Nee, auf keinen Fall. Ich weiß nicht, aber mein Wohnblock ist ein wilder Mix an Nationalitäten, das komplette Viertel eigentlich. Da ist eben nicht jeder Nachbar deutsch. Das ist in meinem Alltag ganz normal. Und da passieren eben solche Geschichten wie diese in manchen Familien, ganz egal, woher sie kommen.
Ich frage mich gerade, ob die Herkunft auch Thema wäre, bzw. es sich offener anfühlen würde, wäre die Nachbarsfamilie Spanisch oder Französisch ... Nicht, dass ich es ändern werde, aber nur mal als Überlegung. Sie ist nämlich einzig und allein aus dem Grund osteuropäisch, weil die Familie, auf der die Geschichte beruht, es auch ist.

Ich habe es so interpretiert, dass sie nicht in dieses System gehört, ein Eindringling von außen könnte man sagen. Sie sind misstrauisch, wissen nicht, was sie mit deiner Protagonistin anfangen sollen.
Abgefahren. Ja, kann man so lesen. Ich meinte eigentlich nur, dass sie sich erschrecken, als sie die weinende Kleine sehen und deshalb aufhören zu lachen.

Und ich hatte auch den Eindruck, dass das Mädchen sich den Kontakt mit deiner Prota wünscht. Das war für mich entscheidend, dass ich die Beziehung dir so abkaufen konnte. Es ist mehr ein Austausch, sie sind gegenseitig für einander wichtig - es ist also kein ungewolltes Einmischen von außen.
Das freut mich sehr, wie du es liest. Ja, so sehe ich es auch, das ist schon etwas Beidseitiges.

Vielen Dank auch für die anderen Stellen, die du rausgepickt hast, war schön zu lesen, wie du das aufgenommen hast, gerade diese Grenze zwischen Empathie und zu viel Einmischen.

Auch über deinen Kommentar werde ich die kommenden Tage noch viel nachdenken.
Viele Grüße!

Hallo @Kellerkind,

vielen Dank dir fürs Vorbeischauen und Eindruck dalassen.

Die Sprache ist für meinen Geschmack etwas zu reduziert. Das erschwert den Zugang zu den Figuren. Die Erzählerin nimmt sich emotional sehr zurück, was oft angeraten wird, hier aber einen artifiziellen Eindruck erzeugt.
Ja, ich weiß, was du meinst und versteh dich.
Ich habe diesen Stil gewählt, weil ich versuchen wollte, alles Wertende so gut wie nur möglich rauszulassen. Sondern zu beschreiben, wie die Erzählerin das alles wahrnimmt und selbst nicht genau weiß, wo sie es nun eigentlich hinpacken soll. Soll sie es bewerten oder nicht? Wenn ja, wie? Das war so der Hintergrund dazu.

Einstieg und Ende sind geradezu beispielhaft für eine gute Kurzgeschichte.
Danke dir, das freut mich zu lesen.

Schöne Grüße zurück!

RinaWu

 

Hallo @RinaWu

Deine Geschichte gefällt mir. Ich habe sie in einem Rutsch gelesen, war den Protagonisten nahe und konnte mir alles bildlich vorstellen. Deine mitfühlende Prota weckt meine Sympathie. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie da in dem bunt gemischten Wohnblock lebt. Die Kleine geht ihr ans Herz, sie ist ihr nicht egal - das finde ich schön. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viele Menschen immer nur wegsehen und denken - "das geht mich nichts an". Dann die Verständigungsprobleme wegen der Sprache, die unterschiedlichen Kulturen. Das hast Du gut herausgearbeitet. Auf mich wirkt es nicht so, als wäre das ein Problem, das mit Migration zu tun hat, denn Du beschreibst, dass die Prota als Kind selbst von der Waschmaschine gefallen ist. So was kann überall passieren. Den Einstieg find ich sehr gelungen. Hat sofort meine Neugierde geweckt. Das Ende hat mich betroffen zurückgelassen. Du lässt es offen, überlasst es der Phantasie Deiner Leser, sich zu überlegen, was da wohl passiert ist.

Hier ein paar kleine Anmerkungen:

Will sie packen, an mich ziehen – warum schreit sie nicht? –, ihr übers feine braune Haar streichen und sagen, dass alles gut wird, dass es gar nicht so hoch war, nur ein halber Stock, halb so wild.
Was, wenn ich etwas kaputt mache, sie falsch bewege?

Der eingeschobene Teil hat mich irgendwie aus dem Fluss gerissen. Würde das ohne Bindestriche machen.

Die genauen Verhältnisse kapiere ich nicht, viele Leute über mehrere Wohnungen im Block verteilt.

Das klingt ein wenig holprig.
Vorschlag: Die genauen Verhältnisse kapiere ich nicht. Da sind zu viele Leute über mehrere Wohnungen im Block verteilt.

Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet, als wären sie gleich mit der Sprache rausgerückt.

Das hast Du gut ausgedrückt. Jeder weiß, dass ein solches Grauen existiert - leider viel zu oft und doch wird weggeschaut. Keiner will etwas damit zu tun haben.
Deine Prota ist anders.

Seitdem ich sie habe stürzen sehen, denke ich jeden Tag an das Mädchen.

Das klingt ein wenig holprig.
Vorschlag: Seitdem die Kleine gestürzt ist, denke ich jeden Tag an sie.

Meine Mutter hatte mich nur kurz abgelegt, nur kurz nicht hingesehen. Passiert.

Das klingt ein wenig abgehackt.
Vorschlag: Schon war's passiert.

Das ist für mich eine entscheidende Stelle, die zeigt, dass es jedem Kind passieren kann, egal, aus welcher Kultur es kommt.

„Lädst du mich etwa ein?“
Sie sagt etwas, das ich nicht verstehe, und rennt die Treppe hoch.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.
Vorschlag: "Ist das eine Einladung?"

Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 

Hallo Rina,
danke für deine Geschichte.
Ich will dir kurz die vorsichtige Rückmeldung geben, dass ich ebenfalls das Gefühl hatte, es existiert eine körperliche Komponente in der Erziehung.
Vllt. als Beispiel:

Sie wirkte okay. Keine blauen Flecken. Jeder erzieht anders.
Und ja, neben häuslicher Gewalt, die grundsätzlich keine Nationalität hat, denke ich doch, dass es in anderen Kulturkreisen durchaus noch andere Erziehungsmethoden gibt - was selbstverständlich nicht bedeutet, alle Albaner schlagen ihre Kinder. Eine meiner besten und wundergartollsten Freundinnen ist Kosovoalbanerin, eine großartige Mutter - was du in einer Geschichte auch thematisieren darfst.
Das muss nicht deine Intention gewesen sein. Leseeindrücke differieren manchmal von der Autorenabsicht. :}

Das Ende mit der verlorenen/ zurück gelassenen Kette finde ich sehr spannend. Deine Protagonistin verbindet mit der Kette eine Erinnerung und aufgelegte Schutzwirkung. Für sie ist es eine große Geste, sie dem Mädchen zu schenken, gerade weil sie die ganze Zeit mich sich hadert, wie weit sie sich einmischen darf und sollte. Dem Mädchen ist die Bedeutsamkeit nicht klar. Das enttäuscht deine Prota und lässt sie hilflos zurück, weil sie hoffte sich dem Mädchen genähert zu haben.

Gern gelesen und weitergedacht.
Viele Grüße
wegen

 

Hallo @Silvita,

Dann die Verständigungsprobleme wegen der Sprache, die unterschiedlichen Kulturen. Das hast Du gut herausgearbeitet. Auf mich wirkt es nicht so, als wäre das ein Problem, das mit Migration zu tun hat, denn Du beschreibst, dass die Prota als Kind selbst von der Waschmaschine gefallen ist. So was kann überall passieren.
Genau - schön, dass du es so gelesen hast, vielen Dank für diese Rückmeldung.

Der eingeschobene Teil hat mich irgendwie aus dem Fluss gerissen. Würde das ohne Bindestriche machen.
Hmm, muss ich drüber nachdenken, denn der eingeschobene Teil soll ja unterbrechend wirken. Sie überlegt, was sie tun soll, die Kleine anfassen, hochziehen, bewegen und zwischendrin springt ihr der Fetzen in den Kopf: Verdammt, warum schreit sie nicht?!

Das klingt ein wenig holprig.
Vorschlag: Seitdem die Kleine gestürzt ist, denke ich jeden Tag an sie.
Guter Vorschlag, danke.

Das klingt ein wenig abgehackt.
Vorschlag: Schon war's passiert.
Das trifft nicht ganz das, was ich sagen will. Das abgehackte "Passiert." soll eher in die Richtung gehen: Sowas passiert halt. Ich möchte das hier aber ganz bewusst so knapp halten, wie so eine kurze Rückversicherung an sich selbst, die die Protagonistin da im Kopf ausspricht.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.
Vorschlag: "Ist das eine Einladung?"
Ebenfalls: guter Vorschlag, danke dir!

Das Ende hat mich betroffen zurückgelassen. Du lässt es offen, überlasst es der Phantasie Deiner Leser, sich zu überlegen, was da wohl passiert ist.
Ja, ich will hier offen lassen, ob das Mädchen die Kette verloren oder sogar weggeworfen hat, weil sie sich der Symbolik nicht bewusst war. Was übrig bleibt, ist ein Gefühl von Hilflosigkeit der Protagonistin, das ich durch dieses offene Ende andeuten wollte.

Viele Grüße!

Hallo @wegen,

auch dir Danke für deine Rückmeldung.

dass ich ebenfalls das Gefühl hatte, es existiert eine körperliche Komponente in der Erziehung.
Okay, verstehe. Die Stelle, die du danach zitierst, hab ich beim Schreiben eher so gemeint, dass die Protagonistin, die das Mädchen nun schon öfter einsam und zu seltsamen Nachtzeiten und dürftig bekleidet bei zu kaltem Wetter gesehen hat, anfängt, sie zu beobachten. Abzuchecken, ob es Anzeichen gibt, dass da mehr passiert, als ein gewisser Grad an Vernachlässigung, ob also der Kleinen aktiv etwas angetan wird. Aber das passiert ja im Kopf der Erzählerin. Es ist praktisch ihr Zwiegespräch mit sich selbst, um sich zu versichern, dass sie nichts übersehen hat, dass sie nicht sehenden Auges dabei ist, ohne etwas unternommen zu haben. Ich weiß nicht, vielleicht bin ich da komplett schief gewickelt, aber für mich existiert diese Stelle nur im Kopf der Erzählerin, es wird nicht aktiv in der Geschichte erzählt, dass es bei der Kleinen Anzeichen von körperlicher Gewalt gibt.

Und ja, neben häuslicher Gewalt, die grundsätzlich keine Nationalität hat, denke ich doch, dass es in anderen Kulturkreisen durchaus noch andere Erziehungsmethoden gibt - was selbstverständlich nicht bedeutet, alle Albaner schlagen ihre Kinder. Eine meiner besten und wundergartollsten Freundinnen ist Kosovoalbanerin, eine großartige Mutter - was du in einer Geschichte auch thematisieren darfst.
Das muss nicht deine Intention gewesen sein. Leseeindrücke differieren manchmal von der Autorenabsicht. :}
:) Ja, da hast du recht. Danke für diese Rückmeldung.

Das Ende mit der verlorenen/ zurück gelassenen Kette finde ich sehr spannend. Deine Protagonistin verbindet mit der Kette eine Erinnerung und aufgelegte Schutzwirkung. Für sie ist es eine große Geste, sie dem Mädchen zu schenken, gerade weil sie die ganze Zeit mich sich hadert, wie weit sie sich einmischen darf und sollte. Dem Mädchen ist die Bedeutsamkeit nicht klar. Das enttäuscht deine Prota und lässt sie hilflos zurück, weil sie hoffte sich dem Mädchen genähert zu haben.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen, schön, wie du das gelesen hast. Freue mich sehr, dass das Ende so funktioniert.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu

Vor Kurzem habe ich deinen Text Regenküsse im Wortkrieger Jahrbuch gelesen. Ich war erstaunt, wie du es schaffst, in einem so kurzen Text so viel Emotionen unterzubringen und genau das gleiche Gefühl hatte ich bei dieser Geschichte auch. Du schreibst toll.
Mit deinem offenen Schluss schaffst du es, mich in eine Gefühlswelt zu versetzen die Mitleid, Frust, Resignation, Wut und Enttäuschung weckt.
Mir hat dein Text sehr gut gefallen. Mit deiner Prota konnte ich mich sofort Identifizieren und mir ihr Mietverhältnis in diesem Haus gut vorstellen.

Ich tue mich schwer, dir etwas zu deinem guten Text zu schreiben. Ich traue mich jetzt einfach.

Das Klatschen von Haut auf Asphalt hallt durch den Innenhof.
Wie klatscht Haut? Ich weiß wie ein Körper klingt der auf Asphalt landet.
Will sie packen
Etwas packen, hat für mich so einen negativen Beigeschmack. Auf den Arm nehmen, an mich drücken. Das wären so meine ersten Gedanken gewesen.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.
Total authentisch für mich. Ja, genauso wird oft gedacht und danach: Hätte ich mal bloß nachgeschaut.
Ich fühle mich zehn Kilo leichter, als sie kurz vor Weihnachten mit ihrer großen Schwester auf den Treppenstufen vorm Haus sitzt.
Da musste ich zuerst überlegen und dann schmunzeln. Toll.
Ich stehe auf, sehe mich um. Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit und ich weiß nicht, wonach ich eigentlich suche.
Wie kann ich etwas Gutes tun? Das Gefühl kenne ich auch.

Mir hat deine Challenge Geschichte sehr gut gefallen.

Liebe Grüße
CoK

 

Hallo @CoK,

vielen lieben Dank für deine motivierenden Worte.

Ich habe seit Wochen nicht mehr geschrieben, weil mein Arbeitsleben mich bis Ende letzten Jahres dermaßen aufgefressen hat, dass ich das neue Jahr bisher damit verbracht habe, mir wieder überall mehr Raum zu schaffen. Und als ich die fünf Wörter gesehen habe hier, dachte ich "cool", aber gleichzeitig "krieg ich niemals bis Ende Februar hin". Ja und dann, vor ein paar Tagen, da fiel mir der erste Satz ein zu dieser Geschichte, die ich schon lange erzählen will, aber nie so recht wusste, wie. Und dann habe ich sie in einem Rutsch runtergeschrieben, kurz abhängen lassen und raus damit. Und irgendwie haben die Worte da dann auf einmal ganz gut reingepasst ;)

Mit deinem offenen Schluss schaffst du es, mich in eine Gefühlswelt zu versetzen die Mitleid, Frust, Resignation, Wut und Enttäuschung weckt.
Das freut mich - auch wenn das nicht nicht besonders gute Gefühle sind, aber genau so habe ich es mir gewünscht.

Wie klatscht Haut? Ich weiß wie ein Körper klingt der auf Asphalt landet.
Hmm ja, das wurde schon mal erwähnt. Irgendwie macht das "Klatschen" von Haut auf Asphalt für mich Sinn, wenn ich daran denke, wie es sich angehört hat. Oder wie es zum Beispiel klingt, wenn ein Kind stolpert und volle Kanne auf den Boden fällt, sich mit den Händen versucht abzufangen. Dann klatscht das so. Hmm. Ich überlege noch, ob ich ein anderes Geräusch finde. "Der Aufprall des Körpers auf dem Asphalt hallt durch den Innenhof" schwirrt mir als Alternative im Kopf rum, aber irgendwie ist mir das zu ungenau.

Etwas packen, hat für mich so einen negativen Beigeschmack.
Verstehe dich. Ich habe "packen" hier gewählt, weil es etwas Grobes hat und die Panik der Erzählerin ausdrücken soll, die sie in dem Moment fühlt.

Ja, genauso wird oft gedacht und danach: Hätte ich mal bloß nachgeschaut.
Ja und gleichzeitig: Hätte man früher nachgeschaut und es wäre nichts passiert, hielten einen die Nachbarn vielleicht für übergriffig, maßregelnd. Ist total schwierig diese Frage, wann greife ich ein?

Vielen Dank für deine Überlegungen, freut mich, dass dir der Text gefallen hat.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu,

lange her mein letzter Kommentar hier, daher bin aus der Übung.

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen. Ich fand das Thema interessant und den Zwiespalt der Frau, keine Vorurteile zu haben und doch welche zu haben. Zumindest habe ich es so verstanden.
Es wurde ja schon einiges geschrieben, daher kurz zwei Dinge :

Das Ende war so plötzlich. Ich dachte erst du hast den Rest ausversehen vergessen.
Naja, war gewollt, mir aber zu offen. Hätte gerne noch weiter gelesen.

Dann die Sache mit der Kette. Fühlte sich für mich beim Lesen fremd an. Ich weiß, du musstest dieses Wort unterbringen aber ich finde man merkt das an der Stelle auch.

Wirklich gern gelesen.

Liebe Grüße
Charly1406

 

Hallo @Charly1406,

danke dir fürs Vorbeischauen.

Ich weiß nicht, ob ich sagen würde, dass die Frau Vorurteile hat. Ich würde eher sagen, sie ist unsicher, sehr sensibel und ratlos, was in dieser Situation das richtige Handeln ist. Hätte sie Vorurteile, würde sie aus so einer Situation eher fliehen oder komplett auf Angriff gehen, glaube ich. Irgendwelche Vorbehalte stehen nicht im Text, wie ich finde, sondern eher ihre Zerrissenheit ob der unklaren Situation.

Ja, ein offenes Ende taugt nicht jedem, das verstehe ich. Dass du gerne noch weiter gelesen hättest, freut mich natürlich ;)

Das mit der Kette fühlte sich für mich recht natürlich an, aber klar, auch hier ist das Geschmackssache, da kann ich jetzt gar nicht viel dazu sagen. Für mich ein logischer Schritt, ein weiterer auf die Kleine zu, aber ich verstehe auch, wenn das ein Ticken too much ist, das kann durchaus sein.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu ! :-)

Deine Geschichte habe ich sehr gerne gelesen. Du schaffst es aus einem kleinen Set an Worten eine großartige Wirkung zu entfalten. Mir gefällt, wie nah der Text an der Erzählerin bleibt. Deine Sprache weicht nichts in Diffuse oder Ungefähre aus, in ein "Ich-weiß-nicht-so-recht-was-und-wer-ich-bin." Sie bleibt hart an den Veränderungen, die der Fall eines Kindes auslöst - ein scheinbar kleines Ereignis, das aber im Innenleben der Ich-Erzählerin eine Denk-Kette auslöst, die vage auf Kindesmisshandlung hindeutet. Als eine Art sozialrealistische Schilderung eines migrantischen Milieus habe ich deine Geschichte nicht gelesen. Da sehe ich keinen Schwerpunkt in deiner Geschichte, da ist der Text zu sehr auf das Verhalten der Erzählerin ausgerichtet, als dass er das Thema Kindesmisshandlung in sozial prekärer Umgebung einordnen kann.

Ich habe mit dem Kommentar begonnen, wurde aber mehrfach unterbrochen - daher sind die Zitate chronologisch durcheinander, tschuldige dafür.

Die Tür wird aufgerissen. Zeternd nimmt eine untersetzte Frau
Deine Sprache ist eine einfache und effektvolle, Wirkung entsteht bei dir nicht aus einzelnen Stellen, Phrasen, sondern aus dem "Ganzen", deine Texte sind schlicht-und-ergreifend gut gewebt, die Worte passen. Sehr gut gewebt. Zeternd, hm, weiß nicht, ob das wirklich das passende Wort ist, dazu wird es meiner Ansicht nach zu selten aktiv verwendet. Das Wort bricht aus dem Text, aber - Ansichtssache.
Die genauen Verhältnisse kapiere ich nicht,
Müsste hier nicht Vergangenheit stehen? Das "kapieren" bezieht sich auf die Wohnverhältnisse im Block (oder?). Sie wohnt jedoch in dem Block; sie hat also die Wohnverhältnisse nie kapiert. Ist aber nur eine Kleinigkeit.

Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch
Du verwendest die Sprachmelodie des Türkischen und Albanischen als Metapher. Die Metapher verstärkt den Eindruck, den die Ich-Erzählerin von der Sprache hat. Sie soll dem Leser eine Vorstellung geben, wie sich die Stimme des Kindes anhört. Im Grunde könnte hinter dem Komma etwas ganz anderes stehen. Mir scheint es, dass du mit der Metapher aber etwas anderes intendierst: Du möchest die Wohnverhältnisse, das ethnische Milieu darstellen. Braucht es das? Mir scheint es, dass du darauf ganz verzichten könntest.

Hier schließe ich mich MRG an, der Satz sollte offener formuliert sein. Die Metapher kann rasend schnell als Bewertung im ersten, und als Abwertung im zweiten Schritt gelesen werden, was du als Autorin nicht möchtest, aber ... ja, da steht eben der Satz, wie er eben steht. Sie kann ja nur deswegen Albanisch und Türkisch in einem Atemzug nennen, weil sie eine große zwischen den Migranten und den anderen ziehen kann. Meine Sprache und die der anderen. Vielleicht schieße ich hier über das Ziel heraus. Ich möchte hier keine große politische Diskussion beginnnen. Aber für eine kleine Metapher wie dieser braucht der Text das meiner Meinung nicht. Hier steht aber Ansicht gegen Ansicht.

Das Klatschen von Haut auf Asphalt
Die klatschende Haut ... Haut ist zu leicht und zu dünn, um nach einem Fall auf den Asphalt zu klatschen.
Ihre Hände haben nach dem Blumentopf gegrapscht,
Hm, "grapschen" hat ja etwas gieriges und negatives, andererseits "grapscht" hier ein Kind ... bin nur darüber gestolpert.

Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet, als wären sie gleich mit der Sprache rausgerückt. Meine Freunde sagen, ich reagiere über. Seitdem es aus dem Fenster gestürzt ist, denke ich jeden Tag an das Mädchen. Ich bin als Baby von der Waschmaschine gefallen. Meine Mutter hatte mich nur kurz abgelegt, nur kurz nicht hingesehen. Passiert.
Wie oft ist die Kleine mir spät abends mitten im Winter barfuß und im dünnen Schlafanzug im Treppenhaus begegnet? Manchmal hat sie sich vor mir versteckt, manchmal ist sie mir kichernd bis ins oberste Stockwerk gefolgt.
Sie wirkte okay. Keine blauen Flecken. Jeder erzieht anders.
Das ist ein gute Stelle (oder besser Stellen-Komplex, haha), weil hier der Umgang der Erzählerin mit dem Ereignis verdeutlicht wird. Einerseits kann ja so ein Sturz passieren, wie sie aus eigener Erfahrung weiß, andererseits könnte ja die Schlagzeile in der Zeitung vom Nachbarhaus berichten. Aus diesem kognitiven Hin-und-Her ordnet sie alle möglichen Indizien, Erfahrungen, Erinnerungen ein. Waschmaschine, Schlafanzug, die Freunde ... die letzte Zeile, @RinaWu, verstehe ich noch nicht. "Jeder erzieht anders" - wie reagiert deine Erzählerin, wenn das Kind blaue Flecken hätte? Was würde sie tun, oder besser gefragt, was denkt sie darüber?

**
Das war's! Mehr habe ich nicht zu ergänzen!

Lg, heute aus Südberlin
kiroly

 

Hallo @kiroly,

wow, danke dir für den tollen Kommentar, der bringt wieder viel Denkstoff mit sich.

Als eine Art sozialrealistische Schilderung eines migrantischen Milieus habe ich deine Geschichte nicht gelesen. Da sehe ich keinen Schwerpunkt in deiner Geschichte, da ist der Text zu sehr auf das Verhalten der Erzählerin ausgerichtet, als dass er das Thema Kindesmisshandlung in sozial prekärer Umgebung einordnen kann.
Danke für diese Rückmeldung. Ich sehe das ähnlich :)

Wirkung entsteht bei dir nicht aus einzelnen Stellen, Phrasen, sondern aus dem "Ganzen", deine Texte sind schlicht-und-ergreifend gut gewebt, die Worte passen. Sehr gut gewebt
Ui, danke, das freut mich sehr. Bei diesem Text hier sind die Worte auch seit Langem mal wieder richtig rausgesprudelt, vielleicht weil sie schon recht lange in mir gebrodelt haben, keine Ahnung. Aber die knappe Sprache hat sich gleich richtig angefühlt und so habe ich dann automatisch weitergewebt (gefällt mir, dein Bild).

Müsste hier nicht Vergangenheit stehen? Das "kapieren" bezieht sich auf die Wohnverhältnisse im Block (oder?). Sie wohnt jedoch in dem Block; sie hat also die Wohnverhältnisse nie kapiert. Ist aber nur eine Kleinigkeit.
Guter Punkt, danke dir.

Du verwendest die Sprachmelodie des Türkischen und Albanischen als Metapher. Die Metapher verstärkt den Eindruck, den die Ich-Erzählerin von der Sprache hat. Sie soll dem Leser eine Vorstellung geben, wie sich die Stimme des Kindes anhört. Im Grunde könnte hinter dem Komma etwas ganz anderes stehen. Mir scheint es, dass du mit der Metapher aber etwas anderes intendierst: Du möchest die Wohnverhältnisse, das ethnische Milieu darstellen. Braucht es das?
Beim ersten Punkt bin ich bei dir, es geht mir um den Klang, darum zu sagen, dass die Erzählerin diese Sprache eben nicht spricht, den Klang aber verbinden kann mit einer Sprache, die sie regelmäßig hört und kennt. Klar könnte im Grunde hinter dem Komma etwas anderes stehen, das stimmt. Ich verstehe aber immer noch nicht, warum dort etwas anderes stehen sollte? Warum muss es offener sein? Also, ich denke du meinst damit etwas Breitgefächerteres, oder? So wie "osteuropäisch" oder "slawisch" oder wie auch immer. Da mag mir einfach nicht einleuchten, wieso? Ist es wirklich so angreifend, wenn ich die Sprache Türkisch oder Albanisch verwende, um einen Klang im Ohr zu erzeugen?
Und nein, ich intendiere damit nicht, ethnisches Milieu darzustellen, darum geht es mir nicht. Es geht wirklich um den Klang, wie du es ja weiter oben eigentlich echt treffend zusammenfasst.
Ja, du merkst schon, ich finde es total seltsam, dass das Erwähnen bestimmter Sprachen auslöst, dass darunter noch eine andere Schicht liegt, eine Verurteilende.
Und irgendwie - wie oben schon beschrieben in einer anderen Antwort von mir - sträube ich mich dagegen, das Ganze offener und damit ungenauer zu machen, nur um zu vermeiden, dass es möglicherweise falsch verstanden werden könnte. Ich finde, wenn man die Geschichte liest, ist doch klar, dass es hier nicht um Verurteilung oder Anprangerung geht. Der Fokus liegt doch ganz woanders.

ja, da steht eben der Satz, wie er eben steht
Genau: Da steht eben nur "klingt wie Türkisch oder Albanisch". Wo ist das denn be- oder abwertend? Das sehe ich da einfach nicht. Bin ich betriebsblind?

Aus diesem kognitiven Hin-und-Her ordnet sie alle möglichen Indizien, Erfahrungen, Erinnerungen ein. Waschmaschine, Schlafanzug, die Freunde ... die letzte Zeile, @RinaWu, verstehe ich noch nicht. "Jeder erzieht anders" - wie reagiert deine Erzählerin, wenn das Kind blaue Flecken hätte? Was würde sie tun, oder besser gefragt, was denkt sie darüber?
Das "Jeder erzieht anders" in Bezug auf die Kleine, die mit nackten Füßen im Treppenhaus rumrennt, allein gelassen wirkt, was bei der Erzählerin schon ein komisches Gefühl auslöst, sie dann anfängt genauer hinzusehen, nichts körperlich Alarmierendes entdeckt und zu den Vorkommnissen im Hausflur sich selbst zuspricht: "Jeder erzieht eben anders." Hier schwingt auch so die Überlegung mit, wie schnell ein Infragestellen anderer Erziehungsmethoden und Umgehensweise mit Kindern als übergriffig oder anmaßend von den Eltern verstanden werden kann.

Das war's! Mehr habe ich nicht zu ergänzen!
Vielen Dank, mein Kopf raucht ... :D

Viele Grüße
RinaWu

 

Hey Rina,

Das Klatschen von Haut auf Asphalt hallt durch den Innenhof.
Finde ich unglücklich, weil ich den Umstand: kleines Mädchen fällt eine halbe Etage, also max. 1,5m nicht mit dem Klatschen, das durch den Hof hallt, übereinbringen kann. Ich stelle mir da unter Aufprall eher ein dumpfes Geräusch vor, oder wenn laut, dann fällt sie auf einen Blumenkasten, den sie zerdeppert, oder so.

Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne,
Schwierig, ich kann verstehen, dass Du vermitteln willst, wie deine Prota das aufnimmt, ungeordnet, unsortiert. Damit machst Du aber das Türchen auf für alle kritischen Leser, die dann wahlweise fragen, wie kann sie das wissen oder warum weiß sie das nicht? Auch hier würde ich einen Schritt zurückgehen und das allgemeiner lassen.

Ihr solltet ins Krankenhaus, sie ist kopfüber aus dem -“
Das offene Satzende wäre prädestiniert für einen Dreipunkt.

Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.
Das finde ich gut, vor allem mit dem Zittern, das ihre Erschütterung zeigt.

Sie wirkte okay. Keine blauen Flecken. Nur nackte Füße. Jeder erzieht anders.
Den zweiten Satz würde ich streichen, es gibt keinen Anhaltspunkt, Züchtigung zu vermuten.

„Wo warst du?“, fragt sie mich.
Ich leere den Briefkasten, zwinkere ihr zu. „Ich war arbeiten.“
„Kommst du?“ Sie hüpft die drei Stufen zum Hochparterre hinauf.
„Wohin denn?“
„Spielen.“
Huch, ich denke, nur die älteren Geschwister sprechen Deutsch. Sie nur Brocken.

Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
Schöner passender Schluss.

Für mich ein Text über Nebeneinander-her-leben und große Fremdheit trotz räumlicher Nähe. Die Prota wird durch ein Ereignis, das sozusagen aus dem Himmel fällt, in Kontakt gebracht, ihre Bubble kollidiert mit der Bubble der Familie der Kleinen und sie läuft mit ihrer Art, ihrem Deutsch-sein auf. Da wird eine bestimmte Denkart über vermeintliche Selbstverständlichkeiten konterkariert. Ihrer Hilfe wird gedankt, doch ihre Einmischung ist unerwünscht, deshalb wird sie nicht in die Wohnung eingeladen und ihre Frage nach dem Krankenhaus bleibt unbeantwortet. Niemandem ist es wichtig, dass sie etwas erfährt, denn die Bubbles sind wieder auseinander getitscht. Und letztlich ist auch der Lapislazuli genau dafür ein Symbol: ihre Hilfe, ihr Mitgefühl werden nicht benötigt. Das wird nie klar gesagt, sondern durch Unterlassung deutlich, dadurch, dass etwas nicht geschieht. Das finde ich stark.

Peace, l2f

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @AWM,

vielen Dank für deinen Kommentar.

du findest auch mit wenigen Worten eine Balance, die zeigt, dass das Leben deiner Prota weitergeht, dass sie dieses Vorkommniss jetzt nicht zum Mittelpunkt ihres Lebens macht, aber dass es ihr einfach nicht aus dem Kopf geht, was mit dem Mädchen ist.
Das hast du gut beschrieben. Ja, es ist nicht der Mittelpunkt der Erzählerin, aber ja, es lässt sie auch nicht los. Das ist dieses Thema, das mich aus diversen Gründen gerade umtreibt. Man bekommt etwas mit, das konträr zu dem ist, was man kennt. Das Grober wirkt, vielleicht im eigenen Verständnis falsch - aber was tut man dann? Mischt man sich ein oder lässt man es?

Kein Muss: Aber ich denke mir, dass deine Prota ja weiß, was für eine Nationalität die haben. Außerdem hört es sich so an, als spreche das Mädchen wirklich drei Sprachen. Eben Türkisch, Arabisch und dann noch etwas anderes und es hört sich an, als kenne deine Prota Türkisch und Arabisch. Ich weiß nicht, ob das von dir beabsichtigt ist.
Hier muss ich jetzt wohl kurz privat werden :D Denn nein, die Erzählerin weiß es eben nicht. Diese Geschichte habe ich selbst erlebt und das Mädchen wohnt in meinem Haus. Und seit drei Jahren bin ich nicht dahinter gekommen, welche Sprache das ist, wo ihre Wurzeln liegen oder eben die ihrer Familie. Die Sprache hat bestimmte Worte und Melodien, die ich aus dem Türkischen und Albanischen kenne, aber ich kann es nicht zuordnen. Das versuche ich hier zu sagen. Ich verstehe nicht so ganz, wieso es klingt, als spreche das Mädchen drei Sprachen, denn da steht ja: klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne [...] Das beschreibt ja den Klang, wonach klingt das?
Ja, die Prot kennt Türkisch und Albanisch, aber das heißt ja nicht, dass sie es versteht. Ich erkenne, ob jemand Türkisch spricht, weil ich einzelne Worte oder vielleicht sogar nur ihren Klang kenne, aber ich kann sie nicht für mich übersetzen.

Das ist ein komischer Vergleich, weil sie ja in dem Moment ein lauter, wuselnder Pulk sind. Das ist wie wenn man über einen Polizisten schreiben würde, er ist wie ein Polizist.
Guter Punkt! Danke.

Würde ich umstellen. Seitdem das Mädchen aus dem Fenster gestürzt ist, muss ich jeden Tag an sie denken.
Hmm, ich glaube, ich bleibe bei meiner Formulierung, denn eigentlich müsste es dann heißen: Seitdem das Mädchen aus dem Fenster gestürzt ist, muss ich jeden Tag an es denken. Und an es finde ich vom Klang her schwierig.

Für deinen letzten Absatz danke ich dir. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich das sehr verwundert, dass mein Text solche Gedanken hervorruft, weil ich bestimmte Sprachen erwähne. Denn das ist ja wirklich der einzige Punkt, die einzige Stelle, die zu den Einwänden führt. Und ich glaube auch, dass das einfach immer im Kontext gesehen werden muss. Es geht hier überhaupt nicht darum, ein Bild des Migranten zu zeichnen, sondern es geht um die Sprachbarriere, die zwischen den beiden Figuren herrscht, welche die Situation noch schwerer einschätzbar macht für die Erzählerin. Und es ist nun mal so, dass diese Sprachbarrieren bestehen - also warum nicht darüber schreiben? Also ja, danke dafür.

Liebe Grüße
RinaWu

Lieber @linktofink,

danke, dass du vorbeigeschaut hast :)

Finde ich unglücklich, weil ich den Umstand: kleines Mädchen fällt eine halbe Etage, also max. 1,5m nicht mit dem Klatschen, das durch den Hof hallt, übereinbringen kann. Ich stelle mir da unter Aufprall eher ein dumpfes Geräusch vor, oder wenn laut, dann fällt sie auf einen Blumenkasten, den sie zerdeppert, oder so.
Okay okay okay, ich sehe schon, das funktioniert nur in meinem Kopf. Weg damit ...

Schwierig, ich kann verstehen, dass Du vermitteln willst, wie deine Prota das aufnimmt, ungeordnet, unsortiert. Damit machst Du aber das Türchen auf für alle kritischen Leser, die dann wahlweise fragen, wie kann sie das wissen oder warum weiß sie das nicht? Auch hier würde ich einen Schritt zurückgehen und das allgemeiner lassen.
Genau, ungeordnet, unsortiert. Eine Ahnung, der Versuch einer Einordung, aber kein Wissen, kein Verstehen.
Hach ja, keine Ahnung warum das Türchen für kritische Leser aufmacht, ich will es wohl gerade auch nicht verstehen. Woher kann sie das wissen? Weil sie türkische oder albanische Freunde hat, weil sie ein Gefühl für Sprachen hat, weil sie die Melodien der Sprachen kennt, die des Mädchens aber eben nicht so ganz einordnen kann. Warum weiß sie das nicht? Weil man nicht jede Sprache so gut kennt, dass man sie genau zuordnen kann.
Warum sollte ich hier allgemeiner werden, wenn ich doch genau sein kann in meinem Schreiben? Wenn ich einen Klang im Kopf habe, der an Türkisch oder Albanisch erinnert und das schreibe ich genau so auf - warum sollte ich da einen Schritt zurücktreten?
Das mag mir einfach nicht einleuchten ...

Den zweiten Satz würde ich streichen, es gibt keinen Anhaltspunkt, Züchtigung zu vermuten.
Ja, sehe ich ein. Vor allem nach der Ergänzung nur nackte Füße, die ich gemacht habe, braucht es diesen Zusatz nicht, hast du recht. Es ist auch so erahnbar, was in ihr vorgeht.

Huch, ich denke, nur die älteren Geschwister sprechen Deutsch. Sie nur Brocken.
Ja, genau. "Wo warst du?" oder "Spielen" oder "Kommst du?" sind für mich Brocken. Das sind ja keine ausformulierten Sätze. Die Älteren sagen "Danke, dass du sich um sie gekümmert hast." Das ist sprachlich schon noch mal was anderes als "kommst du?" Sobald die Erzählerin Worte benutzt, die nicht tausendfach im Deutschen benutzt werden (bspw.: "Ist das eine Einladung?") verfällt die Kleine in ihre Muttersprache. Damit wollte ich ebenfalls die Grenzen der Sprache, derer sie (nicht) mächtig ist, aufzeigen.

Für mich ein Text über Nebeneinander-her-leben und große Fremdheit trotz räumlicher Nähe. Die Prota wird durch ein Ereignis, das sozusagen aus dem Himmel fällt, in Kontakt gebracht, ihre Bubble kollidiert mit der Bubble der Familie der Kleinen und sie läuft mit ihrer Art, ihrem Deutsch-sein auf.
Beim ersten Satz stimme ich dir voll zu. Ich finde es immer wieder spannend, darüber nachzudenken, was für unterschiedliche Lebensgeschichten in Wohnblöcken so nah beieinander wohnen und wie sie manchmal kollidieren.
Das mit dem Deutsch-sein verstehe ich nicht. Ja, ihre Bubble kollidiert mit der der Familie, aber was genau ist denn an ihrem Verhalten "deutsch"? Sie sieht ein Kind aus dem Fenster fallen, sie kümmert sich darum, dass dieses Kind da nicht liegen bleibt. Sie beobachtet, wie es oft allein und ein wenig verwahrlost wirkt und fängt an sich Sorgen zu machen. Will der Kleinen, die immer mal wieder ihre Nähe sucht, irgendwie helfen, ihr irgendwas zurückgeben.
Was ist daran denn "deutsch"?
Ich würde es einfach menschlich nennen.

Ihrer Hilfe wird gedankt, doch ihre Einmischung ist unerwünscht, deshalb wird sie nicht in die Wohnung eingeladen und ihre Frage nach dem Krankenhaus bleibt unbeantwortet. Niemandem ist es wichtig, dass sie etwas erfährt, denn die Bubbles sind wieder auseinander getitscht. Und letztlich ist auch der Lapislazuli genau dafür ein Symbol: ihre Hilfe, ihr Mitgefühl werden nicht benötigt. Das wird nie klar gesagt, sondern durch Unterlassung deutlich, dadurch, dass etwas nicht geschieht.
Hier bin ich wieder voll bei dir :shy:

Lieben Dank, holla die Waldfee, dieser Text lässt meinen Kopf rauchen ...
Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo Rina,

Sobald die Erzählerin Worte benutzt, die nicht tausendfach im Deutschen benutzt werden (bspw.: "Ist das eine Einladung?") verfällt die Kleine in ihre Muttersprache. Damit wollte ich ebenfalls die Grenzen der Sprache, derer sie (nicht) mächtig ist, aufzeigen.
So gesehen, ist das klar. Brocken ist halt eine undefinierte Anzahl, das macht es etwas schwierig.

Das mit dem Deutsch-sein verstehe ich nicht. Ja, ihre Bubble kollidiert mit der der Familie, aber was genau ist denn an ihrem Verhalten "deutsch"?
Typisch deutsch an ihrem Verhalten finde ich diese Erwartung, dass schon irgendjemand auf sie aufpasst. Dieses Überkorrekte, dass für alle Eventualitäten vorgesorgt ist und dass das Kind ins Krankenhaus muss, unbedingt! Auf die Gefahr hin, deiner Prota Unrecht zu tun: Dazu bedarf es schon einer gewissen Saturiertheit, eines gewissen Wohlstandsdenkens und einer Abwesenheit existenzieller Probleme wie Hunger, Gewalt, Not, die einen Sturz aus 1,5m Höhe zusammenschrumpfen lassen, zumal das Kind augenscheinlich keinen Schaden davongetragen hat. Ich will gar nicht bewerten, was richtig oder falsch ist, nur die Unterschiede sehen und die sind teils beträchtlich. Zur Verdeutlichung:
Ich habe mit einem Mietwagen in Griechenland mal einen Hund überfahren, der aus einem Kofferraum direkt vor meinen Wagen sprang. Ich selbst war kurz vor dem Nervenzusammenbruch, wollte alle Notrufnummern wählen. Der Besitzer hat den Hund unter dem Auto rausgezogen. Dann hat er einen Schlauch geholt und ihn mit kaltem Wasser abgesprüht, bis der weglief und meinte: Alles okay, der läuft doch.

Peace, l2f

 

Hallo @RinaWu

Genau - schön, dass du es so gelesen hast, vielen Dank für diese Rückmeldung.

Gern geschehen.

Hmm, muss ich drüber nachdenken, denn der eingeschobene Teil soll ja unterbrechend wirken. Sie überlegt, was sie tun soll, die Kleine anfassen, hochziehen, bewegen und zwischendrin springt ihr der Fetzen in den Kopf: Verdammt, warum schreit sie nicht?!

Also wenn Du den Leser für nen Moment aus dem Fluss reißen möchtest, dann passt das ja. Bei mir wars auf jeden Fall so.

Das trifft nicht ganz das, was ich sagen will. Das abgehackte "Passiert." soll eher in die Richtung gehen: Sowas passiert halt. Ich möchte das hier aber ganz bewusst so knapp halten, wie so eine kurze Rückversicherung an sich selbst, die die Protagonistin da im Kopf ausspricht.

Ok. Das kann ich nachvollziehen.

Ja, ich will hier offen lassen, ob das Mädchen die Kette verloren oder sogar weggeworfen hat, weil sie sich der Symbolik nicht bewusst war. Was übrig bleibt, ist ein Gefühl von Hilflosigkeit der Protagonistin, das ich durch dieses offene Ende andeuten wollte.

Das hast Du sehr gut rübergebracht.

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende und sende liebe Grüße,
Silvita

 

Liebe @Silvita,
Lieber @linktofink,

danke, dass ihr noch mal vorbeigeschaut habt :)

Brocken ist halt eine undefinierte Anzahl, das macht es etwas schwierig.
Hmm, ja, das stimmt schon. Ich dachte irgendwie, bei "Brocken" ist klar, dass es Satzfetzen sind, Redewendungen in abgehackter Form, die das Mädchen aufschnappt. Ich muss mal überlegen, ob und wenn ja, wie ich das genauer machen könnte.

Dazu bedarf es schon einer gewissen Saturiertheit, eines gewissen Wohlstandsdenkens und einer Abwesenheit existenzieller Probleme wie Hunger, Gewalt, Not, die einen Sturz aus 1,5m Höhe zusammenschrumpfen lassen, zumal das Kind augenscheinlich keinen Schaden davongetragen hat. Ich will gar nicht bewerten, was richtig oder falsch ist, nur die Unterschiede sehen und die sind teils beträchtlich.
Danke dir für die Erklärung, ich stand da wirklich auf dem Schlauch :shy: Ich verstehe jetzt, was du meinst, bin mir aber noch immer unschlüssig, ob das "deutsch" ist. Also, wenn in Frankreich oder Schweden oder England oder den USA - whatever - ein Kind aus dem Fenster fällt, dann ist eine aufkommende Sorge und der Gedanke an ärztliche Behandlung oder zumindest einen kurzen Check dort doch auch etwas, was ganz normal ist, oder? Vielleicht, wie du richtig schreibst, ist das Wohlstandsdenken hier ausschlaggebend, nicht die Nationalität. Und die momentane Lebenssituation. Das leuchtet mir ein. Jedes auftretende Problem oder Ereignis wird krasser bewertet, wenn existentielle Nöte nicht vorhanden sind, wenn man sich in einem recht komfortablen Leben befindet. Meine Oma und Opa zum Beispiel, im zweiten Weltkrieg geboren, Kinder von Bauern, die sind komplett anders aufgewachsen als ich, viel grober, viel härter körperlich arbeitend, um für ihren Unterhalt zu sorgen, und würden so eine Situation sicher ein Stück weit anders verarbeiten als ich. Krass, so habe ich das beim Schreiben echt nicht gesehen, ich dachte, sie reagiert total natürlich, jeder würde so handeln. Aber nein, du hast schon recht, da schimmern Unterschiede durch. Danke für diesen Denkanstoß.

Liebe Grüße
RinaWu

 

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