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Nachbarskind

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21.04.2015
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Nachbarskind

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
Die Henkel der Tüten entgleiten meinen Fingern, ich renne zu ihr, knie vor ihrem kleinen Körper. Will sie packen, an mich ziehen – warum schreit sie nicht? –, ihr übers feine braune Haar streichen und sagen, alles wird gut, war doch gar nicht so hoch, nur ein halber Stock, halb so wild.
Was, wenn ich etwas kaputt mache, sie falsch bewege?
Sie hebt den Kopf, rappelt sich auf, ihre Augen viel zu groß. Ich strecke ihr die Hand hin, da zuckt sie zurück und fängt an zu weinen. Leise rede ich auf sie ein, verspreche ihr, dass es bestimmt nicht so schlimm ist, dass wir zusammen ihre Mama holen. Die Kleine schluckt, sieht mich an, versteht mich nicht. Ihre größeren Geschwister sprechen Deutsch, oft höre ich sie im Treppenhaus oder im Hof rufen, aber die Jüngste wirft nur mit Brocken um sich.
Sie sagt etwas, ihre kehlige Stimme bebt. Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne, aber ich nicke, lächle sie an und biete ihr noch einmal meine Hand an. Sie greift danach, schnieft und wir gehen zusammen zur Haustür.
Zwei der Älteren kommen aus der Wohnung im Hochparterre, ihr raues Lachen bricht ab, als sie mich mit der wimmernden Kleinen im Treppenhaus sehen.
„Was ist passiert?“, fragt der Kräftige.
„Sie ist aus dem Fenster gefallen.“
Er bückt sich, nimmt sie auf den Arm und redet auf sie ein. Der andere hämmert gegen die Wohnungstür und brüllt etwas. Dann dreht er sich zu mir um.
„Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.“
„Ihr solltet ins Krankenhaus, sie ist kopfüber aus dem -“
Die Tür wird aufgerissen. Zeternd nimmt eine untersetzte Frau mit grauen Haaren das Mädchen entgegen. Im Wohnzimmer hinter ihr sitzt der Mann, den sie bei schönem Wetter in seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben. Neben ihm stellen sie Klappstühle auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal rauchen sie Shisha und diskutieren. Sie winken mir zu, wenn ich nach Hause komme.
Die genauen Verhältnisse habe ich nie kapiert, viele Leute über mehrere Wohnungen im Block verteilt. Ich weiß nur, dass die Mutter der Kleinen schräg unter mir wohnt, mit einem der zwei Typen zusammen ist und oft in der Wohnung dieser Frau hier vorbeikommt. Vielleicht die Oma.
„Da muss ein Arzt drauf schauen, sie könnte eine Gehirnerschütterung haben oder so was.“
Alle drei nicken, die beiden Männer bedanken sich erneut. Die Diskussion zwischen den dreien geht von vorne los, sie verschwinden in der Wohnung, ein lauter, wuselnder Pulk. Die glasigen Augen des Mädchens starren über die Schulter der alten Frau, bevor die Tür geschlossen wird.

Der Einkauf liegt über den Gehweg verteilt. Jogurt, Milch, Pizza, alles zittert in meiner Hand, als ich die Sachen zurück in die Tüten packe. Oben in der Wohnung öffne ich das Fenster zur Straße. Halte Ausschau. Nach einem Krankenwagen, einem Auto, das wegfährt, irgendeiner Bewegung.
Ich habe sie gesehen, bevor sie fiel. Ihre Hände haben nach dem Blumentopf gegrapscht, die schmalen Arme auf dem Fensterbrett, das Knie als Stütze im Rahmen, damit sie hinaufklettern kann.
Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.

Zwei Wochen vergehen. Mehrfach stehe ich vor der Wohnungstür ihrer Mutter und der älteren Frau im Hochparterre, lausche nach der kehligen Stimme. Ich traue mich nicht zu klingeln. Es ist laut im Haus, immer knallt oder rumpelt etwas, jemand schreit durchs Treppenhaus, lacht oder singt.
Ihr kleiner Lärm fehlt.
Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet.
Meine Freunde sagen, ich reagiere über. Seitdem es aus dem Fenster gestürzt ist, denke ich jeden Tag an das Mädchen. Ich bin als Baby von der Waschmaschine gefallen. Meine Mutter hatte mich nur kurz abgelegt, nur kurz nicht hingesehen. Passiert.
Wie oft ist die Kleine mir spät abends mitten im Winter barfuß und im dünnen Schlafanzug im Treppenhaus begegnet? Manchmal hat sie sich vor mir versteckt, manchmal ist sie mir kichernd bis ins oberste Stockwerk gefolgt.
Sie wirkte okay. Nur nackte Füße. Jeder erzieht anders.
Ich fühle mich zehn Kilo leichter, als sie kurz vor Weihnachten mit ihrer großen Schwester auf den Treppenstufen vorm Haus sitzt. Sie ruft „Hallo“ und versteckt das Gesicht in den Händen. Ihre Augen blitzen zwischen den Fingern hervor, sie grinst, springt auf und rennt weg.
An Heiligabend kaufe ich kleine Schokoschneemänner und Schokoengel mit Flügeln aus goldener Pappe. Abends, als das Treppenhaus dunkel und ruhig ist, verteile ich sie vor den Haustüren. Ich mache das, seit ich hier eingezogen bin.

„Wo warst du?“, fragt sie mich.
Ich leere den Briefkasten, zwinkere ihr zu. „Ich war arbeiten.“
„Kommst du?“ Sie hüpft die drei Stufen zum Hochparterre hinauf.
„Wohin denn?“
„Spielen.“
„Zu dir nach Hause?“
Sie nickt.
„Ist das eine Einladung?“
Sie sagt etwas, das ich nicht verstehe, und rennt die Treppe hoch. Vor ihrer Wohnungstür wartet sie auf mich, dreht eine Haarsträhne zwischen den Fingern.
„Hast du denn deine Mama gefragt?“
Hinter ihr geht die Tür auf. Die Kleine dreht sich um, gestikuliert, plappert auf ihre Mutter los.
Die Frau nickt mir zu und zieht das Mädchen in die Wohnung.

Sie sitzt auf der Schaukel im Innenhof und weint. Eine Gruppe Kinder steht in der Nähe, darunter ihre Schwester. Sie beachten die Kleine nicht.
Ich schmeiße den Müllsack in die Tonne und gehe zu ihr. Hocke mich vor sie.
„Alles okay?“
Sie umklammert die Stahlkette, sieht an mir vorbei. Die Augen sind gerötet, Rotz läuft ihr aus der Nase.
„Hat dich jemand geärgert?“
Nur ein Schniefen. Eins der Kinder schreit etwas zu uns rüber, die Kleine schreit zurück, sieht mich an und brabbelt los. Hin und wieder kriege ich ein Wort zu fassen, der Rest kommt nicht zu mir durch.
„Maus, ich verstehe dich nicht, tut mir leid.“
Sie stoppt, runzelt die Stirn.
„Tut weh“, sagt sie und zeigt auf ihr Knie. Die Hose ist an der Stelle aufgescheuert.
„Hat dich jemand geschubst?“
Sie versteht nicht.
Ich deute auf die Gruppe Kinder.
Sie zuckt mit den Schultern.
„Wollen wir rein gehen? Nach Hause?“
„Nein, nicht nach Haus.“
Ich stehe auf, sehe mich um. Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit und ich weiß nicht, wonach ich eigentlich suche. Meine Hand wandert zum Hals, tastet nach dem kleinen Stein an der Halskette. „Der soll dich beschützen“, hat meine Mutter mir damals ins Ohr geflüstert. Lazulie haben wir ihn genannt. An Lapislazuli hab ich mich als Kind ständig verheddert.
Ich öffne den Verschluss.
„Hier, für dich“, sage ich und hänge ihr die Kette um. Ihre großen Augen ein Fragezeichen. „Der Stein beschützt dich.“
Sie nimmt ihn in die Hand, die Lippen bewegen sich, kein Ton kommt heraus. Ich streiche ihr übers Haar und gehe zurück zum Haus.

Der Innenhof liegt im Dämmerlicht des Abends. Tauender Schnee tropft von Dächern und Bäumen. Ich krame nach dem Schlüssel, als etwas Blaues im Augenwinkel aufblitzt. Links von mir, neben den Fahrrädern, leuchtet der Stein zwischen Matsch und Schneeresten. Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung. Braune Schlieren im Waschbecken, als ich heißes Wasser über die feinen silbernen Glieder laufen lasse.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.

 

Hallo @Rob F,

vielen Dank für deine hilfreichen Anmerkungen.

Damit beschreibst du sehr genau die Gedankengänge, die ich in dieser Situation gut nachvollziehen kann. Die Besorgnis, aber auch immer die Frage an sich selbst, ob es denn überhaupt einen Grund dafür gibt. Und wie weit man geht, wenn eigentlich andere verantwortlich sind. Handeln oder wegsehen.
Das freut mich, vor allem das mit der Nachvollziehbarkeit. Das ist in diesem Text wichtig, denn wenn man nicht versteht, das die Prot da treibt, funktioniert die ganze Geschichte nicht. Also vielen Dank für diese Rückmeldung.

Ich würde nach "Finger" einen neuen Satz beginnen.
Ja, stimmt. Mach ich.

Komma nach "feine" ?
Nein, denn das Komma lässt sich nicht durch ein "und" ersetzen. "feines und braunes Haar", das würde man so nicht schreiben, die Adjektive sind nicht gleichrangig, sondern das "fein" beschreibt ja das "braune Haar", daher glaube ich muss hier auch kein Komma hin.

Vorschlag:
"Ihr übers feine, braune Haar streichen und sagen, alles wird gut, war doch gar nicht so hoch, nur ein halber Stock, halb so wild."
Das ist 'ne gute Idee, danke.

Ist nur ein Detail, aber zuvor war sie sich ja noch nicht sicher, ob es ihre Oma ist.
Ja, das stimmt, ich dachte mir, ich schreibe hier einfach "ihre Oma", weil sie die ältere Dame in ihrem Kopf so nennt, bzw. einsortiert. Aber da sollte ich vielleicht bei der "älteren Dame/Frau" bleiben.

Kein Komma
Auch hier kommt für mein Gefühl eins hin, denn [...], das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, ist ein Einschub, der nach mitbekommt aufhört und somit mit dem Komma vom Hauptsatz Über Familiendramen und wie das Schweigen von Zeugen oft größeres Übel anrichtet abgetrennt wird.

den abschhließenden Nebensatz würde ich streichen, ist inhaltlich m.E. nicht notwendig
Hast du recht.

Kein Komma
Doch auch hier, gleicher Grund wie oben. Hauptsatz wäre Sie sagt etwas und rennt die Treppe hoch. ..., das ich nicht verstehe, ... ist wieder ein Einschub, abgetrennt vom Hauptsatz.

Danke dir auch für die anderen sprachlichen Anmerkungen, das hilft sehr, den Text an diesen Stellen noch einmal zu präzisieren.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hi @RinaWu

starker Text, viel Zwischenraum, den der Leser füllen kann - mit seinen eigenen (Vor-)Urteilen, Erfahrungen und Gefühlen. Je nachdem geht's dann in die eine oder andere Richtung.
Ich lese die Geschichte des kleinen Mädchens, spüre die Verlorenheit, die Hilflosigkeit der Erzählerin, spüre, wie unüberwindbar soziale Abgrenzungen sein können, werde auf die Wirklichkeit zurückgeworfen, von der du erzählst.
Wir haben am Sonntag über den Text gesprochen. Du hast erzählt, dass er auf eigener Erfahrung beruht. So erkläre ich mir auch, was ich mir nicht erklären kann, nämlich die Sprünge in der Wirklichkeit, die eben nicht in jeder Hinsicht logisch ist, uns eine subjektive Wirklichkeit vorgaukelt. Ich kann zB nicht verstehen, warum das Mädchen so schlecht deutsch spricht, ihre Geschwister jedoch nicht. Aber wie so oft, gibt's bestimmt eine Erklärung.
Das mit den Nationalitäten ist natürlich heikel, spiegelt aber eher die Haltung des Lesers. Die ließe sich dekonstruieren, wenn du die Geschichte nicht ganz so nah an dem, was du selbst erlebt hast, ausrichtest, ein paar erfundene Elemente einfügst. Ich fände es jedenfalls spannend, wenn die Erzählerin eben doch die Familie besucht oder mit dem Mann im Rollstuhl gesprochen hätte.

Paar Stellen:

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
ganz starker Anfang, da steckt alles drin
ihre Augen viel zu groß, zu dunkel.
zu dunkel, mm, da steckt eine Wertung drin
Ihre Geschwister sprechen Deutsch, oft höre ich sie im Treppenhaus oder im Hof rufen, aber die Jüngste wirft nur mit Brocken um sich.
siehe oben, leuchtet mir nicht ganz ein
„Hat dich jemand geschubst?“
Sie versteht nicht.
Ich deute auf die Gruppe Kinder.
Sie zuckt mit den Schultern.
„Wollen wir rein gehen? Nach Hause?“
„Nein, nicht nach Haus.“
warum lädt sie das Mädchen nicht zu sich ein?
Ich krame nach dem Schlüssel, als etwas Blaues im Augenwinkel aufblitzt. Links von mir, neben den Fahrrädern, leuchtet der Stein zwischen Matsch und Schneeresten. Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
ein Bernstein, ein Stein eben, den man auch in Deutschland findet, wäre sinniger gewesen mMn, geht aber nicht wegen der Vorgaben. Lapislazuli findet man zB in Afghanistan /daraus ließe sich was machen, aber dann braucht es eine Auflösung und die Leute müssten von dort kommen) oder am Baikal-See.

Zirbenliebe Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims,

ja, wir haben ja am Sonntag schon ausführlich darüber gesprochen, daher danke, dass du auch hier noch einmal vorbeischaust.

Ich lese die Geschichte des kleinen Mädchens, spüre die Verlorenheit, die Hilflosigkeit der Erzählerin, spüre, wie unüberwindbar soziale Abgrenzungen sein können, werde auf die Wirklichkeit zurückgeworfen, von der du erzählst.
Danke, das freut mich sehr zu lesen.

Ich kann zB nicht verstehen, warum das Mädchen so schlecht deutsch spricht, ihre Geschwister jedoch nicht.
Weil das Mädchen kleiner ist (sie hat im Text ja eine ältere Schwester, vielleicht sollte ich davor aber auch besser "ihre größeren Geschwister" schreiben, dann ist das klarer), also vermutlich noch nicht in die Schule geht. Bei uns besteht keine Kindergartenpflicht, bedeutet, wenn sich Eltern dazu entschließen, ihr Kind bis zum Schuleintritt zu Hause zu lassen, dann beeinträchtigt das eben unter Umständen die Sprachfähigkeiten der Kleineren. Fehlende soziale Kontakte mit anderen Kindern, Erwachsenen, etc.
Das wäre eine Erklärungsmöglichkeit :)

zu dunkel, mm, da steckt eine Wertung drin
Hast du recht, mit dem "zu dunkel" hadere ich eh, das muss da nicht stehen. Hau ich raus. Danke für den Hinweis.

warum lädt sie das Mädchen nicht zu sich ein?
Ähmmm, findest du das nicht ein bisschen übergriffig? Man kann doch nicht einfach ein fremdes Kind mit in die eigene Wohnung nehmen ...

ein Bernstein, ein Stein eben, den man auch in Deutschland findet, wäre sinniger gewesen mMn, geht aber nicht wegen der Vorgaben
Versteh ich nicht. Also, ja, der Lapislazuli ist vorgegeben. Aber die Kette mit Stein ist doch ein Geschenk der Mutter. Sie hat ihn der Prot geschenkt, als sie ein Kind war als eine Art Glücksbringer - eben wegen der Bedeutung dieses Steins. Und sie gibt ihn der Kleinen weiter als Symbol, als Annäherung. Diese scheint ihn aber, warum auch immer, verloren zu haben und nun liegt er da samt Kette im Dreck.
Wieso muss das denn ein Stein sein, der in Deutschland vorkommt bei geschenktem Schmuck? Das leuchtet mir nicht so recht ein ;)

Danke dir auf jeden Fall für deine hilfreichen Anmerkungen, have a sunny day =)
LG
RinaWu

 

Ähmmm, findest du das nicht ein bisschen übergriffig? Man kann doch nicht einfach ein fremdes Kind mit in die eigene Wohnung nehmen ...
mm, vielleicht hat das was übergriffiges (was aber mehr unsere eigenen Befürchtungen von solcherart Übergriffigkeit spiegelt), andererseits könnte sich eine Art Privatheit entwickeln, ein geschützter Raum für das Mädchen, ist ja kein Kerl, der ein kleines Mädchen zu sich in die Wohnung mitnimmt.
Also, ja, der Lapislazuli ist vorgegeben. Aber die Kette mit Stein ist doch ein Geschenk der Mutter. Sie hat ihn der Prot geschenkt, als sie ein Kind war als eine Art Glücksbringer - eben wegen der Bedeutung dieses Steins. Und sie gibt ihn der Kleinen weiter als Symbol, als Annäherung. Diese scheint ihn aber, warum auch immer, verloren zu haben und nun liegt er da samt Kette im Dreck.
Wieso muss das denn ein Stein sein, der in Deutschland vorkommt bei geschenktem Schmuck?
Vielleicht denke ich da zu komplex: was ich damit meine: wenn es ein Bernstein wäre, handelte es sich auch um eine Zurückweisung gegenüber dem Land, das dem Mädchen mit Unverständnis begegnet, denn die Frage ist doch die: warum nimmt sie das Geschenk nicht an? Lapislazuli wird in Deutschland nicht gefunden. Aber he, wie gesagt, nur so ein Gedanke.

Liebe Grüße und paar zirbenreiche Sonnenstunden
Isegrims

 

Hallo RinaWu,

vorab: Respekt, wie du es schaffst, die Wörter der Challenge so fließend einzubauen, dass man kein einziges Mal darüber stolpert und merkt "Aaaah, da musste sie jetzt noch Rollstuhl einbauen." Hast du super gemacht, finde ich.

Überhaupt ein guter Text. Ich mag deinen Schreibstil, deine kurzen, einfachen Sätze. Sie haben mich sofort in die Geschichte gezogen.

Inhaltlich bin ich mir nicht sicher, was genau du mit dieser Geschichte sagen wolltest. Für mich wirkt es so, als würdest du mehrere Themen streifen (Vorurteile der Protagonistin, mögliche häusliche Gewalt, ...?), aber mir ist nicht ganz klar geworden, worum es dir eigentlich ging.
Was mir auch so bisschen gefehlt hat, war eine Wendung. Es hat sich nichts bewegt oder verändert. Weder in der Beziehung zwischen der Protagonistin und dem Mädchen, noch in der Protagonistin selbst. Aber vielleicht war das auch Absicht?

Ein paar Stellen hab ich noch rausgepickt:

Die Kleine schluckt, sieht mich an, versteht mich nicht.
Wieso kann sie dann in den späteren Situationen Gespräche führen und versteht die Protagonistin? Das passt für mich nicht zusammen.

Im Wohnzimmer hinter ihr sitzt der Mann, den sie bei schönem Wetter mit seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben.
Schönes Bild.

Neben ihm stellen sie Klappstühle auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal bauen sie die Shisha auf und diskutieren.
Das ist jetzt Meckern auf seeehr hohem Niveau, aber vielleicht fällt dir noch etwas ein, um das doppelte "auf" zu vermeiden.

Oben in der Wohnung öffne ich das Fenster zur Straße. Halte Ausschau. Nach einem Krankenwagen, einem Auto, das wegfährt, irgendeiner Bewegung.
Puh, ob SO schnell ein Krankenwagen da wäre?

Manchmal hat sie sich vor mir versteckt, manchmal ist sie mir kichernd bis ins oberste Stockwerk gefolgt.
Hier klingt es so, als wäre sie sehr zutraulich - das passt für mich nicht mit der Situation zusammen, als sie vor der ausgestreckten Hand zurückzuckt und anfängt, zu weinen.

Sie wirkte okay. Nur nackte Füße. Jeder erzieht anders.
Schön, wie du hier die Vorurteile durchschimmern lässt.

Maus, ich verstehe dich nicht, tut mir leid.“
Diese Ansprache finde ich persönlich zu vertraulich.

Ich hoffe, du kannst etwas mit meinen Kommentaren anfangen. Hab die Geschichte gern gelesen!

Liebe Grüße
Tintenfisch

 

Hallo @Tintenfisch und danke dir für deinen Kommentar!

Respekt, wie du es schaffst, die Wörter der Challenge so fließend einzubauen, dass man kein einziges Mal darüber stolpert und merkt "Aaaah, da musste sie jetzt noch Rollstuhl einbauen." Hast du super gemacht, finde ich.
Cool, das freut mich, danke dir für diese Rückmeldung.

Inhaltlich bin ich mir nicht sicher, was genau du mit dieser Geschichte sagen wolltest. Für mich wirkt es so, als würdest du mehrere Themen streifen (Vorurteile der Protagonistin, mögliche häusliche Gewalt, ...?), aber mir ist nicht ganz klar geworden, worum es dir eigentlich ging.
Was mir auch so bisschen gefehlt hat, war eine Wendung. Es hat sich nichts bewegt oder verändert. Weder in der Beziehung zwischen der Protagonistin und dem Mädchen, noch in der Protagonistin selbst. Aber vielleicht war das auch Absicht?
Hmm, schade, dass für dich nicht ersichtlich war, was ich erzählen möchte. Für mich ist das recht klar, aber logo, ich hab die Geschichte ja auch geschrieben ;) Grundsätzlich war der Gedanke diese Grauzone einzufangen, in die man öfter im Leben gerät, wenn man Bruchstücke des Lebens anderer mitbekommt, die einem Sorgen machen. Sei es nun in Form von Gewalt (psychisch oder physisch) oder aber - wie hier - eine gewisse Form von Vernachlässigung bei Kindern, oder aber andere Schwingungen des Zwischenmenschlichen. Banales Beispiel. Jemand sitzt in der U-Bahn und weint. Geht man hin und fragt, was los ist, nimmt also teil? Oder lässt man diesen fremden Menschen in Ruhe? Zusätzlich dazu schwingt aber natürlich auch die Frage mit, inwieweit man manchmal durch "banale" sprachliche Barrieren gehemmt ist, wirklich aufeinander zugehen zu können, also die Rolle der Möglichkeit der Kommunikation.

Eine Wendung im kleinen Sinne gibt es ja zum Schluss. Das versöhnliche Ende wäre gewesen, dass sie der Kleinen die Kette gibt, sie sich tierisch freut und aus die Maus. Hier steht aber im Raum, weshalb die Kette dann plötzlich im Dreck liegt, lässt also bestimmte Vermutungen offen. Eine Wende im großen Stil, eine Art Wow-Effekt, hätte zu dieser Art von Geschichte nicht gepasst. Und bewegen tut sich meiner Meinung nach schon etwas zwischen Prot und der Kleinen, aber das mag Ansichtssache sein.

Wieso kann sie dann in den späteren Situationen Gespräche führen und versteht die Protagonistin? Das passt für mich nicht zusammen.
In diesem Moment, kurz nach dem Fall steht die Kleine unter Schock. Da schaltet das Sprachzentrum viel mehr in Richtung Muttersprache, vor allem wenn die Zweitsprache erst langsam im Entstehen ist. Die Prot wiederum ist auch erschrocken und redet erst einmal auf die Kleine ein, vermutlich auch sehr schnell. Deshalb kommt das im ersten Moment nicht bei dem Mädchen an. So war mein Gedanke.

Das ist jetzt Meckern auf seeehr hohem Niveau, aber vielleicht fällt dir noch etwas ein, um das doppelte "auf" zu vermeiden.
Danke für dein Adlerauge, hast du recht, habe ich verändert.

uh, ob SO schnell ein Krankenwagen da wäre?
Nein, natürlich nicht. Am Schluss des Satzes steht ja dann auch, sie wartet auf irgendeine Form der Bewegung. Der Gedanke an den Krankenwagen spielt sich in ihrem Kopf ab, weil sie daran denkt, dass die Kleine untersucht werden sollte, das sind natürlich in dem Moment auch irreale und konfuse Gedanken, die aus ihrer Sorge und ihrem Schreck geboren werden.

Hier klingt es so, als wäre sie sehr zutraulich - das passt für mich nicht mit der Situation zusammen, als sie vor der ausgestreckten Hand zurückzuckt und anfängt, zu weinen.
Ich finde nicht, dass das eine dem anderen widerspricht. Ich habe die Erfahrung bei Kindern gemacht, dass sie in Situationen, die mit Schreck, Schock, Schmerz oder Trauer verbunden sind, vor Fremden zurückschrecken, zumindest im ersten Moment. Einfach weil sie in einem emotional fordernden Zustand sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht offen und zutraulich sein können in Momenten, in denen es ihnen gut geht.

Hat mich sehr gefreut, von dir zu lesen :)
Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu,

ich habe rein gar nichts zu meckern an dieser Geschichte, ganz im Gegenteil, du hast mich
mit der Stimmung und dem Plot eingefangen. Ich habe deine Geschichte gern gelesen, nein, so kann ich das nicht schreiben. Sie liest sich selbstredend flüssig, stilistisch schnitzerlos, rund, sie las sich somit gut.

Aber diese Geschichte ist bedrückend. Weil offen bleibt, ob das Kind gut behandelt wird, weil deine Protagonistin, würde sie in Wahrheit unter uns leben, bis heute ihr schlechtes Gewissen nicht los werden wird, weil sie allein bleibt mit ihren Nöten, weil sie von Anfang an allein ist mit ihren Nöten und weil wir in einer Gesellschaft leben, in der sich das so fatal entwickelt hat.

Ich fühle mich als Leserin so unwohl wie deine Protagonistin, stehe ganz dich bei ihr und denke und fühle wie sie. Das ist dir perfekt bei mir gelungen und genau deswegen ist es eine gute Geschichte!

Diese immense Hilflosigkeit, unter der deine Protagonistin leidet, die teile ich als Leserin mit ihr.

Ich bin mir sicher, dass es täglich genau diese Szenen bei uns in Deutschland gibt.
Aufmerksame Menschen versuchen herauszufinden, ob es einem Kind wirklich gut geht und scheitern letztendlich an allem. An den grandiosen Artikeln des Grundgesetzes, das die Familie schützt und somit auch alle Familienmitglieder und nicht zulässt, dass von aussen jemand diesen Schutz einfach durchbricht, um eigene Ermittlungen anzustellen.
Ja, es hat alles seinen Grund, warum das so ist, aber trotzdem bleibt bei mir ein unendlich schales Gefühl, dass diese Antwort zu einfach ist.

Auf der anderen Seite würde das Einschalten z.B. des Jugendamtes eventuell zu einer Katastrophe führen. Entweder das Jugendamt reagiert nicht oder unterlassend oder aber es reagiert über und übergriffig und die Chance, dass es genau richtig reagiert, die gibt es natürlich auch, aber ich habe genau das oft genug vermisst. Was richtet man an, wenn man behördliche Hilfe holt? Eine Abschottung des Kindes? Wird es jetzt unter Verschluss gehalten, damit keine Überprüfungen des Staates erfolgen können?
Gerät dann nicht die Gefahr für das Kind ins Unermessliche? Das schlechte Gewissen der Protagonistin umso mehr, je weniger sie von dem Kind etwas sieht?

Ich bin wirklich ergriffen von dieser Hilflosigkeit, in der deine Protagonistin steckt.
Du hast das Problem super gut aus seiner Schale geholt, denn der Kern ist nun mal, dass trotz der erheblichen Zweifel, ob es dem Kind wirklich gut geht, niemand sofort eingreifen kann.

Sie befindet sich im luftleeren Raum, in dem die Zweifel und das Mitgefühl, das Verantwortungsgefühl herum driften und sie umkreisen.

Ganz dünnes Eis. Ein Dilemma, denn würde die Protagonistin versuchen, mehr zu ermitteln, liefe sie Gefahr mit der Familie des Kindes Ärger zu bekommen, tut sie es nicht, wird ihr schlechtes Gewissen sie irgendwann massiv belasten. Sie kann also nie gewinnen, sondern immer nur verlieren.

Gefallen hat mir das offene Ende. Es bleibt im Dunkeln, weshalb die Kette dort liegt. Vielleicht hat das Kind sie verloren, dort hingeworfen, weil sie ihr nicht gefällt, vielleicht hat jemand aus der Familie sie dorthin geworfen. Gut, dass dies offen bleibt.
Aber ich mag auch diese doppeldeutige Seite daran. Die Kette sollte dem Kind als eine Art Talisman dienen, jetzt liegt sie da.
Ist das Kind nun in Gefahr? Und wie dilettantisch, zu denken, es reiche aus, einfach nur eine Kette zu verschenken, im Grunde genommen gibt es in dieser Geschichte zwei Verlierer, nämlich das Kind und die Protagonistin.

Du siehst, wieviele Gedankenstränge deine Geschichte in mir auslöst, sie hat kräftig Nachhall.
Sehr gut gemacht!

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
Für mich einer der besten spannendsten Anfangssätze seit längerer Zeit. Chapeau!
Im Wohnzimmer hinter ihr sitzt der Mann, den sie bei schönem Wetter mit seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben.
Eigentlich glaubt sie nur, dass er dort sitzt, sehen kann sie ihn nicht. Vielleicht ein "vermutlich" dazu packen?
wuselnder Pulk.
Ich liebe das Wort wuseln.
Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.

Was für ein Eingeständnis der eigenen Teilnahmslosigkeit, aber genau daraus wächst dann ein noch wuchtigeres Verantwortungsgefühl. Weil sie sich schuldig fühlt, auch wenn sie vermutlich gar nichts an dem Rausfallen hätte verändern können, versucht sie jetzt umso mehr aufmerksam zu sein.

Klasse Geschichte!

Lieben Gruß

lakita

 

Hey @RinaWu ,

erstmal Kleinkram:

Die Henkel der Tüten rutschen durch meine Finger. Ich renne zu ihr, knie vor ihrem kleinen Körper nieder. Will sie packen, an mich ziehen – warum schreit sie nicht? –, ihr übers feine braune Haar streichen und sagen, alles wird gut, war doch gar nicht so hoch, nur ein halber Stock, halb so wild.
Was, wenn ich etwas kaputt mache, sie falsch bewege?

Ich fände eine Info nützlich, wie sie beim Sturz gelandet ist, weißt du? Also ob auf sie auf Beinen oder Knien oder gar dem Rücken gelanden ist. Klar ist die Situation immer brenzlig, wenn n Kind aus dem Fenster fällt, aber so kann ich nicht abschätzen, wie haarig die Situation ist.

den sie bei schönem Wetter mit seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben

Ich meine, es müsste in seinem Rollstuhl heißen.

ft in der Wohnung dieser Frau hier vorbeikommt.

Hier wäre ein Streichkandidat.

Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.

Uff. Das hittet. Hat was von griechischer Tragik, wie deine Prot. am Ende doch da landet, wo sie nicht landen wollte. Interessiert sich weiterhin für die Kleine, weil sie sich für sie verantwörtlich fühlt, lässt sie aber dann doch im Stich, weil ... Ahnungslosigkeit? Das ist zumindest, was ich rauslese. Einen Stein als Schutz zu verschenken ist sicher eine nette Geste, aber ich schätze, die Kleine ist schon über den Punkt hinaus, wo sie noch dran glauben könnte, dass der Stein mehr bringt als nur ein gutes Gefühl. Und deine Prot. scheint auch keine Idee zu haben, mit der sich die Situation nachhaltig bessern lässt
Vielleicht auch ne gewisse Peinlichkeit und fehlender Mut. Bei jeder Aktion, die sie zugunsten der Kleinen unternimmt, dringt sie ja auch in den Zuständigsbereich der Eltern ein. Da kann man sich schnell unangenehm bzw. fehl am Platz fühlen. Wenn ich es richtig gelesen hab, sitzen die Probleme ja auch viel tiefer; so schön ein Stein als Zeichen ist, was verändern tut er dann doch nicht.
Ich denke, ich muss dir nicht sagen, dass das alles fein geschrieben ist. Die Sätze sind straff und sitzen. Ich glaube, du warst es, die mich mal zu Flash Fiction überreden wollte. Da hat mich das radikal Gekürzte noch abgeschreckt, aber allmählich werde ich damit warm :D.

Liebe Grüße
Meuvind

 

Hallo @lakita,

wow wow wow, was für ein cooler Kommentar. Ich mag das total, wenn ich einfach den Gedanken von jemandem folgen darf, die mein Text ausgelöst hat. Vielen Dank dafür!

ich habe rein gar nichts zu meckern an dieser Geschichte, ganz im Gegenteil, du hast mich
mit der Stimmung und dem Plot eingefangen
:kuss:

Aber diese Geschichte ist bedrückend.
Ja, das stimmt. Ich war ja am Überlegen, das Ende versöhnlicher zu gestalten, dachte mir dann aber, nee, das muss weh tun, das bleibt jetzt so, einfach weil es dann genau das ausdrückt, was ich erzählen möchte. Ich habe da bei Isegrims Lesung am Sonntag kurz drüber gesprochen und es hier auch schon erwähnt: Teile aus dieser Geschichte (nicht alles) sind echt, also mir passiert. Das kleine Mädchen wohnt bei mir im Haus und ja, du hast recht, da nagt immer noch was an mir. Im Moment wirkt sie sehr gut, lacht wieder mehr und geht oft auf mich zu, gab aber auch schon Wochen, da hab ich sie um halb elf Uhr abends barfüßig im Schlafi allein im Haus rumstreunen sehen, bei Minusgraden, und dachte mir - fuck, irgendwie uncool.

Ich fühle mich als Leserin so unwohl wie deine Protagonistin, stehe ganz dich bei ihr und denke und fühle wie sie.
Das freut mich zu lesen!

Du hast das Problem super gut aus seiner Schale geholt, denn der Kern ist nun mal, dass trotz der erheblichen Zweifel, ob es dem Kind wirklich gut geht, niemand sofort eingreifen kann.
Wie du davor schreibst, es ist ja auch richtig, dass die Familie geschützt wird vor zu schnellen Eingriffen, dass das Ziel immer sein sollte, eine Familie beieinander zu halten. Aber ich sehe das dennoch genauso zwiegespalten wie du - Familie ist nicht immer der beste Ort für Kinder, ist einfach so. Eine sehr nahe Freundin von mir arbeitet als Erzieherin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und war für mich auch eine gute Ansprechpartnerin in dieser Sache. Sie sagte mir, das Beste, was ich im Moment machen kann, ist beobachten, achtsam sein, wenn mir Dinge auffallen, die ich als Zeichen von Vernachlässigung deuten würde, aufschreiben. Erster Schritt des Jugendamts ist es wohl oft, eine Art Familienbetreuung in die Familie zu schicken, die einmal die Woche kommt und vermitteln/helfen soll. Ja, hmm, wenn die Mutter da aber keinen Bock drauf hat, ist das natürlich für die Katz. Ach, einfach 'n echt schwieriges Thema.

Gefallen hat mir das offene Ende. Es bleibt im Dunkeln, weshalb die Kette dort liegt. Vielleicht hat das Kind sie verloren, dort hingeworfen, weil sie ihr nicht gefällt, vielleicht hat jemand aus der Familie sie dorthin geworfen. Gut, dass dies offen bleibt.
Das freut mich sehr, wie oben schon beschrieben, habe ich darüber nachgedacht, das versöhnlicher zu gestalten, mich aber dann dagegen entschieden. So fühlt es sich einfach runder an. Schön, dass es für dich ebenfalls funktioniert.

Eigentlich glaubt sie nur, dass er dort sitzt, sehen kann sie ihn nicht. Vielleicht ein "vermutlich" dazu packen?
Weshalb glaubt sie das nur? Die Tür zu Wohnung geht auf und man hat hinter der älteren Dame Sicht auf das Wohnzimmer. Dort sitzt dieser Mann im Rollstuhl, den die Prot kennt, weil er öfter im Innenhof sitzt. Das sieht sie tatsächlich, sollte keine Vermutung darstellen, sie schaut praktisch in die Wohnung hinein.

Ich liebe das Wort wuseln.
Ich auch :shy:

Was für ein Eingeständnis der eigenen Teilnahmslosigkeit, aber genau daraus wächst dann ein noch wuchtigeres Verantwortungsgefühl. Weil sie sich schuldig fühlt, auch wenn sie vermutlich gar nichts an dem Rausfallen hätte verändern können, versucht sie jetzt umso mehr aufmerksam zu sein.
Besser könnte ich es nicht ausdrücken. Danke dir sehr für's Gedanken-Austauschen!
Liebe Grüße

Hey @Meuvind,

schön, von dir zu lesen!

Ich fände eine Info nützlich, wie sie beim Sturz gelandet ist, weißt du? Also ob auf sie auf Beinen oder Knien oder gar dem Rücken gelanden ist.
Hmm, ich finde ja, das braucht es nicht. Das erklärt etwas, das eigentlich keine Erklärung braucht, damit alles weitere so geschehen kann, wie es passiert. Findest du nicht? Also, egal wie die Kleine jetzt genau landet, der Schock bleibt doch der gleiche, all das, was sich daraus entspinnt.
Außerdem sagt die Prot ja später zu den beiden Älteren, dass das Mädchen kopfüber aus dem Fenster gefallen ist und noch ein wenig später erinnert sie sich an die Hände, die nach dem Blumentopf gegrapscht haben, bevor der Sturz passiert ist. Ich finde, das zeichnet schon das Bild, wie in etwa sie fällt, dass sie eben nicht aus dem Fenster "hüpft" und auf den Beinen landet, sondern mit dem Kopf zuerst (vermutlich versuchend, den Sturz mit den Händen abzufangen) ohne es explizit ausführen zu müssen.

Ich meine, es müsste in seinem Rollstuhl heißen.
Hast du recht, danke dir. Hab ich geändert.

Vielleicht auch ne gewisse Peinlichkeit und fehlender Mut. Bei jeder Aktion, die sie zugunsten der Kleinen unternimmt, dringt sie ja auch in den Zuständigsbereich der Eltern ein. Da kann man sich schnell unangenehm bzw. fehl am Platz fühlen.
Genau, fehlender Mut oder schlichtweg große Unsicherheit. Muss ich handeln oder wäre das übergriffig? Wie du sagst, das kann schnell nach hinten losgehen.
Ich habe mal neben einem Paar gewohnt (mit Kind), die sich so krass gefetzt haben, dass ich dachte, die bringen sich gleich um, da habe ich tatsächlich mal geklopft und irgendwann hat ein Nachbar von oben auch die Polizei gerufen. Das war einfach so offensichtlich, dass ich kaum nachdenken musste, weil die echt ausgeflippt sind wie Irre.
Aber hier in so einem Fall kommen viel mehr Grauzonen hinzu, vor allem wenn eben nicht DEUTLICH ersichtlich ist, dass da was schief läuft. Nur weil meine Eltern mich beispielsweise nicht spät abends durch den Hausflur haben marschieren lassen, muss das nicht gleich bedeuten, dass die Kleine schlecht behandelt wird - evtl. ist man in der Familie einfach unempfindlicher. Lauter solche Dinge, bei denen man sich dann auch fragt: Bin ich anmaßend? Ist es richtig, die gleichen Maßstäbe, die bei meiner Erziehung galten, bei anderen anzulegen?

Ich glaube, du warst es, die mich mal zu Flash Fiction überreden wollte. Da hat mich das radikal Gekürzte noch abgeschreckt, aber allmählich werde ich damit warm
Ja, ja, ja - ich war das :bounce: Boah, du bei FF, das fänd ich dufte! Schön, dass du allmählich warm damit wirst :D

Danke dir für deinen Kommentar und liebe Grüße
RinaWu

 

Liebe Rina,
das wird ein leichter Kommentar, weil ich finde, in deiner Geschichte ist jeder Satz auf dem Punkt. Das ist ganz lebensnah und berührend. Also schreibe ich jetzt, was mir alles gefällt. :)

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.
Du entwickelst ein Faible für knackige Eingangssätze.
Er bückt sich, nimmt sie auf den Arm und redet auf sie ein. Der andere hämmert gegen die Wohnungstür und brüllt etwas. Dann dreht er sich zu mir um.
„Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.“
„Ihr solltet ins Krankenhaus, sie ist kopfüber aus dem -“
Die Tür wird aufgerissen. Zeternd nimmt eine untersetzte Frau mit grauen Haaren das Mädchen entgegen.
Diese Mischung aus Höflichkeit und Fremdheit, wie deine Protagonistin jetzt eigentlich mehr bräuchte, weil sie selber noch unter Schock steht und die Sorge um das Kind nicht so schnell abgeben kann, toll.
Ich bin nicht losgerannt.
Ich dachte, irgendjemand wird schon auf sie aufpassen.
Hätte ja auch sein können. Der Wechsel von der Zuschauerin zur Zuständigen, da war sie mit ihren Einkäufen nicht schnell genug. Aber die Gedanken danach, das passt.
Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet.
Meine Freunde sagen, ich reagiere über.
Und ab jetzt läuft da ein Film bei ihr ab.
Hat dich jemand geärgert?“
Nur ein Schniefen. Eins der Kinder schreit etwas zu uns rüber, die Kleine schreit zurück, sieht mich an und brabbelt los. Hin und wieder kriege ich ein Wort zu fassen, der Rest kommt nicht zu mir durch.
Das ist rührend, wie da etwas entsteht, zwischen den beiden, was aber nicht erwünscht ist. Und die Kommunikation ruckelt einfach.

Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit und ich weiß nicht, wonach ich eigentlich suche. Meine Hand wandert zum Hals, tastet nach dem kleinen Stein an der Halskette. „Der soll dich beschützen“, hat meine Mutter mir damals ins Ohr geflüstert. Lazulie haben wir ihn genannt. An Lapislazuli hab ich mich als Kind ständig verheddert.
Hier empfinde ich das so, als ob auch deine Erzählerin etwas Verlorenes hat, eine Einsamkeit. Fast hatte ich den Gedanken, ob ihre Mutter wohl gestorben ist.
Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
Eine Geschichte über so eine halb missglückte, halb geglückte Beziehung. Die Challenge-Worte sind so geschickt eingewoben, dass ich sie fast nicht bemerkt habe. Sehr gelungen.

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe @Chutney,

:kuss: Danke für deine lieben Worte!

Du entwickelst ein Faible für knackige Eingangssätze.
Das ist seit ein paar Monaten ganz strange. Ich habe ja zwischenzeitlich fast gar nicht geschrieben letztes Jahr, weil in der Arbeit so ein Chaos ausgebrochen ist, und dann, seit Ende letzten Jahres wieder ein bisschen angefangen. Und irgendwie läuft das im Moment immer so, dass da was brodelt und ich weiß aber nicht, wie ich es genau erzählen soll, mir dann plötzlich ein Anfangssatz einfällt, den schreibe ich immer gleich auf, egal wo ich bin, und daraus entspinnt sich dann der Rest. Verrückt irgendwie, aber auch schön, das Schreiben hat mir schon gefehlt ...

Diese Mischung aus Höflichkeit und Fremdheit, wie deine Protagonistin jetzt eigentlich mehr bräuchte, weil sie selber noch unter Schock steht und die Sorge um das Kind nicht so schnell abgeben kann, toll.
Schön, dass du das so liest. Genau, eigentlich würde sie gerne noch mehr erklären, auf was muss geachtet werden, was sollten sie dem Arzt sagen, aber sie wird unterbrochen, die Kleine zur Familie gegeben und schwups ist die Tür zu. Und nun steht sie da und alles beginnt in ihr zu arbeiten.

Das ist rührend, wie da etwas entsteht, zwischen den beiden, was aber nicht erwünscht ist. Und die Kommunikation ruckelt einfach.
Ja, sau schwer, da eine wirkliche Verbindung aufzubauen, die evtl. sogar beiden irgendwie helfen würde.

Hier empfinde ich das so, als ob auch deine Erzählerin etwas Verlorenes hat, eine Einsamkeit.
Hmm, interessant. Ja, das könnte durchaus sein :shy:

Danke danke danke für diese motivierenden Worte zum Abend.
Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo @RinaWu,


hier geht es um ein kleines Mädchen aus einer Migrantenfamilie und die Protagonistin, die ein Auge auf das Mädchen hat, besorgt ist, helfen möchte etc.

Der Anfang schmeißt einen sofort in die Action, das reißt mich direkt mit. Das kleine Mädchen wirkt lebendig. Mir gefällt die Idee der Sprachbarriere als zusätzlicher Konflikt, bzw. als das, was die Konfliktlösung verhindert. Vielleicht ist das auch der einzige Konflikt, das ist für mich nicht klar.

Die Frau nickt mir zu und zieht das Mädchen in die Wohnung.
Das hat mich etwas verwirrt. Es klang wie ein "ja", aber dann ist nichts weiter passiert. Im Nachhinein nehme ich an, dass das ein Ausdruck der Sprachbarriere ist, ein Missverständnis, auch wenn das hier nicht explizit gesagt wird.

Ich hab bei der Halskette das Gefühl, mir würde da ein tieferer Sinn entgehen. Dieses

Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
ruft in mir Assoziationen an Ekel hervor, aber das kann nicht gemeint sein. Irgendwas hält die Prota davon ab, sie gleich zu tragen, aber ich komme nicht drauf, was.
Warum die Kette daliegt, würde ich der kindlichen Sorglosigkeit zuschreiben und mir nicht viel dabei denken.

Ehrlich gesagt hab ich von der angesprochenen Vernachlässigung oder häuslicher Gewalt nichts mitbekommen. Ich finde es normal, dass Kinder sich auch mal im Spiel verletzen. Am Anfang ist sie für mich eindeutig selbst aufs Fensterbrett geklettert. Schrammen am Knie passieren auch mal. Vielleicht wurden die Hinweise darauf auch bereits rausgenommen.

Mir gefällt die Knappheit als Beispiel für eine archetypische Kurzgeschichte. Ich hab zwar irgendwie auch auf eine Auflösung oder eine Entwicklung gehofft, aber es müssen ja nicht immer alle Kriterien erfüllt sein.


Viele Grüße
Jellyfish

 

Hey @Jellyfish,

danke dir für's Vorbeischauen :)

Mir gefällt die Idee der Sprachbarriere als zusätzlicher Konflikt, bzw. als das, was die Konfliktlösung verhindert. Vielleicht ist das auch der einzige Konflikt, das ist für mich nicht klar.
Schön, dass die Idee der Sprachbarriere für dich funktioniert, das freut mich. Der einzige Konflikt ist das nicht, zumindest aus meiner Sicht. Die schwierige Kommunikation trägt dazu bei, aber die Frage, die sich die Prot stellt, also sollte sie sich einmischen oder nicht, ist ja so der Punkt, um den sich das Ganze dreht. Die Frage, wann sagt man was, man tritt man (ungefragt) ein in ein anderes Leben?

Das hat mich etwas verwirrt. Es klang wie ein "ja", aber dann ist nichts weiter passiert. Im Nachhinein nehme ich an, dass das ein Ausdruck der Sprachbarriere ist, ein Missverständnis, auch wenn das hier nicht explizit gesagt wird.
Das Nicken war eher als Gruß gedacht und gleichzeitig als Zeichen, dass die Mutter nicht besonders offen Fremden gegenüber ist. Weil sie danach ja gleich die Kleine in die Wohnung zieht, obwohl sie evtl. sogar mitbekommen hat, dass ihre Tochter mit der Fremden Kontakt aufgenommen hat. Aber deine Vermutung hat natürlich auch ihre Berechtigung.

Irgendwas hält die Prota davon ab, sie gleich zu tragen, aber ich komme nicht drauf, was.
Ich will das nicht bis ins kleinste Detail erklären, weil ich das absichtlich ein bisschen offen gelassen habe. Aber nein, um Ekel geht es nicht, eher um eine Art Hilflosigkeit, ein ungutes Gefühl.

Ehrlich gesagt hab ich von der angesprochenen Vernachlässigung oder häuslicher Gewalt nichts mitbekommen. Ich finde es normal, dass Kinder sich auch mal im Spiel verletzen. Am Anfang ist sie für mich eindeutig selbst aufs Fensterbrett geklettert.
Um explizit häusliche Gewalt ging es auch nicht. Eher um die Filme, die im Kopf der Prot entstehen durch den Sturz am Anfang. Klar verletzen sich Kinder beim Spiel, da bin ich bei dir. Aber wenn man im Haus ein Kind beobachtet, dass offensichtlich oft unbeaufsichtigt ist und das in einem relativ jungen Alter, das barfuß bei Minusgraden nachts im Schlafi durchs Treppenhaus streunert und das dann auch noch aus dem Fenster fällt, weil wohl auch hier niemand ein Auge auf sie hat, dann kann das schon dazu führen, dass man sich Gedanken über die Aufsichts- und Sorgfaltspflicht der Eltern/Familie macht.

Ich hab zwar irgendwie auch auf eine Auflösung oder eine Entwicklung gehofft, aber es müssen ja nicht immer alle Kriterien erfüllt sein.
Kriterium einer (Kurz)Geschichte ist es nicht, am Schluss eine Auflösung zu haben. Gibt dafür ja ganz viele Beispiele, das so genannte offene Ende. Ist ja auch ein ganz oft verwendetes Stilmittel. Das würde ich also nicht als zu erfüllendes Kriterium sehen. Eine Entwicklung (sowohl bei der Prot, als auch zwischen ihr und der Kleinen) gibt es für mich schon, aber klar, das ist auch immer Ansichtssache.

Hab noch einen schönen Abend :)
Liebe Grüße
RinaWu

 

Liebe @RinaWu,

deine Reaktion auf mein Feedback freut mich sehr und ich habe irgendwie den dringenden Wunsch ebenfalls nochmals darauf zu antworten. Im Grunde genommen deswegen, weil dieses Thema so vielschichtig ist, dass man darüber seitenlang diskutieren und sich austauschen könnte.
Ich hoffe, dass wir irgendwann uns mal bei einem Treffen live darüber unterhalten können und all das zusammen tragen können, was uns da auf der Seele liegt.

Ich war ja am Überlegen, das Ende versöhnlicher zu gestalten, dachte mir dann aber, nee, das muss weh tun, das bleibt jetzt so, einfach weil es dann genau das ausdrückt, was ich erzählen möchte.
Nein, nein, bloß nicht. Bitte lass es so wie es ist. Nicht am Ende alles glätten.
Teile aus dieser Geschichte (nicht alles) sind echt, also mir passiert.
Das glaub ich dir sofort und damit erhöht sich aber mein Respekt vor deiner Leistung, es trotzdem so aufschreiben zu können, dass es wie eine Geschichte wirkt und nicht wie eine Aufarbeitung der eigenen Sorgen. Gut gelungen

"Familie ist nicht immer der beste Ort für Kinder, ist einfach so." sagst du.

Stimmt und trotzdem ist es immer dieses Abwägen, was unterm Strich in Zukunft und wer kann schon in die Zukunft konkret schauen, für das Kind das Beste ist. Manchmal sind die miesesten Eltern besser als eine neue ungewohnte Umgebung bei den neuen Pflegeeltern und dem auch damit verbundenen Gefühl, dort nur vorüber gehend zu leben. Mit einem Bein gerettet und trotzdem unglücklich, das ist manchmal das Ergebnis und oft weiß man nicht, ob das Jugendamt die Kinder herausnimmt aus dem elterlichen Haushalt, weil es nicht eine herabwürdigende Schlagzeile in der Bild-Zeitung lesen möchte, also aus eigener Furcht vor Bloßstellung oder ob es grad mal ein besonders pädagogisch locker Empfindender einfach in der Ursprungsfamilien rollen lassen will bis zum Eintritt der Katastrophe.
Ich habe alles erlebt, inklusive der elendig langen Beratungen beim Jugendamt, wo man sich auch nach einer Stunde des vielen Redens nicht von der Stelle bewegte. Aber ich hab auch sehr kluge, ja weise Köpfe beim Jugendamt erlebt und mich gefreut, dass es die dort auch gibt.

das Beste, was ich im Moment machen kann, ist beobachten, achtsam sein, wenn mir Dinge auffallen,
Ja. So sehe ich es auch.
Mir liegt es fern, den Rahmen dieser Geschichte und der jeweiligen Erwiderungen hier sprengen zu wollen. Ich habe selbst auch so ein Erlebnis gehabt und werde es dir per PM berichten.
Erster Schritt des Jugendamts ist es wohl oft, eine Art Familienbetreuung in die Familie zu schicken, die einmal die Woche kommt und vermitteln/helfen soll
Stimmt. Das ist aber oftmals wieder so eine schwierige Gratwanderung. Die Familien fühlen sich beobachtet, teils unter Druck gesetzt, drangsaliert und je nach eigener Resilienz meutern sie, unterlaufen sie und das Kind hat dann unterm Strich vielleicht noch mehr zu leiden, weil es nun mithelfen soll, die Dame vom Jugendamt loszuwerden.
Ich habe aber auch schon erlebt, dass eine derartig freundschaftliche Verbindung zwischen der Person vom Jugendamt und der Kindesmutter entstand, dass eine sachliche und neutrale Beurteilung der Situation nicht mehr möglich war.
Um ehrlich zu sein, habe ich bisher jedweden Jugendamtseingriff als entweder zu lasch und untauglich oder zu krass und übergriffig empfunden.
Und die Fälle nehmen zu! Also die Fälle, in denen Kinder in Not geraten.
Weshalb glaubt sie das nur? Die Tür zu Wohnung geht auf und man hat hinter der älteren Dame Sicht auf das Wohnzimmer.
Sorry, ich habe das falsch gelesen gehabt.

Nochmals danke, dass du dieses nie endende brisante Thema angegangen bist.

Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @lakita,

danke dir für deine erneute Rückmeldung, freut mich sehr. Ich hoffe natürlich auch, dass wir uns bald mal live und in Farbe darüber austauschen können, wenn dieser ganze Spuk hier vorbei ist!

Nein, nein, bloß nicht. Bitte lass es so wie es ist. Nicht am Ende alles glätten.
Nein, nein, mach ich nicht. Ich mag das Ende so wie es ist und es scheint zusätzlich noch zu funktionieren, also alles fein :)

Das glaub ich dir sofort und damit erhöht sich aber mein Respekt vor deiner Leistung, es trotzdem so aufschreiben zu können, dass es wie eine Geschichte wirkt und nicht wie eine Aufarbeitung der eigenen Sorgen.
Erst mal: Danke! Und ja genau, das war die Schwierigkeit, ich glaube, deshalb hab ich das so lange nicht aufgeschrieben. Der Vorfall ist schon zwei Jahre her, also der Sturz. Alles andere, also kleinere Beobachtungen und Vorfälle passieren immer mal wieder. Wahrscheinlich war es gut, das erst mal ne Weile in mir drin liegen zu lassen, um dann wirklich eine Geschichte draus machen zu können.

Manchmal sind die miesesten Eltern besser als eine neue ungewohnte Umgebung bei den neuen Pflegeeltern und dem auch damit verbundenen Gefühl, dort nur vorüber gehend zu leben. Mit einem Bein gerettet und trotzdem unglücklich, das ist manchmal das Ergebnis
Ich höre gerade regelmäßig den ZEIT Verbrechen Podcast und im Zusammenhang mit den Kriminalfällen kommt da eben auch oft die Kindheit zur Sprache und wie da teilweise die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt war. Da gibt es manchmal gute Beispiele, aber leider oft auch Schockierende. Und auch von meiner Freundin bekomme ich da viel mit. Aber ich will da gar nicht pauschal urteilen, ich glaube, das ist so verdammt schwer, da die richtige Balance zwischen erst mal beobachten und übergriffig handeln zu finden. Ich würde da nicht tauschen wollen.

Nochmals danke, dass du dieses nie endende brisante Thema angegangen bist.
Und dir nochmals danke für diesen Austausch :)

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hey @RinaWu ,

erst kurz Ballast abwerfen:

Ich komme vom Einkaufen, als sie aus dem Fenster fällt.

sehr guter erster Satz, finde ich. Gleich doppelt Bewegung.

, nur ein halber Stock,

ich mag solche Einschübe Erlebter Rede.

. Ihre größeren Geschwister sprechen Deutsch, oft höre ich sie im Treppenhaus oder im Hof rufen, aber die Jüngste wirft nur mit Brocken um sich.
Sie sagt etwas, ihre kehlige Stimme bebt. Ich spreche die Sprache nicht, klingt wie ein Durcheinander aus Türkisch oder Albanisch und etwas, das ich nicht erkenne,
den sie bei schönem Wetter in seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben.
Neben ihm stellen sie Klappstühle auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal rauchen sie Shisha und diskutieren.

Diese und weitere Passagen der Art haben mich rausgeworfen. Sehr schön geschrieben sind sie ja. Aber für mich war das eine schnelle Situation, wo viel Adrenalin, Besorgnis, viel Emotion im Spiel ist. Dass sie dann solchen Retrospektiven/Reminiszenzen Raum gibt, fühlte sich super komisch für mich an. Die sind ja ganz im Gegenteil ruhig und schön. Natürlich sind die wichtig. Das ist die Infovergabe. Aber Ort und Stelle passen für mich nicht. Dazu auf jeden Fall gleich mehr.

„Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.“

Auch das. Aus der anderen Perspektive. Das ist zwar nett, schön, wie auch immer. Aber diese Reaktion erwarte ich in so einer Situation nicht. Der ist doch viel zu beschäftigt damit, dass seine kleine Schwester gerade aus dem Fenster gefallen ist. Die Protagonistin müsste in diesem Moment unsichtbar werden, vielleicht erstmal eine Art Fremdheitserfahrung haben, spüren: Das ist die Familie und ich bin hier gerade in deren Welt eingedrungen und spüre deren geballten Eindrücke, Emotionen, weil niemand sich da gerade wehren, verstellen kann etc.

Ihr kleiner Lärm fehlt.

Eine schöne Umschreibung, fand ich.

Meine Freunde sagen, ich reagiere über.

tolle Freunde :Pfeif: So was baut natürlich Spannung auf. Aber der Preis ist hier Authentizität, die deiner Geschichte eigentlich gerade das Fundament gibt, finde ich, und die eher poetischen Stellen trägt. Bin mir bei der Freunde-Reaktion also etwas unsicher.

Mit voller Wucht trifft mich ihre Verlorenheit

Diese paar Worte fand ich besonders stark, auch wenn sie selbst so verloren wirken ohne ihren Kontext :-)

---

Nochmal zu der Sache mit der Infovergabe und der Gewichtung. Ich finde, der Text ist sehr ungewöhnlich (Kompliment) erzählt. Es ist aber an der Grenze zu dem, was ich dann ungünstig gewichtet nennen würde. Das Spannende: Du erzählst ja quasi mehrere Geschichten. Eigentlich sollte der Fokus nach diesem ersten Drittel auf dem Sturz und der Verarbeitung desselben durch die Protagonistin liegen ("wie geht man mit so einem traumatischen Erlebnis um"). Deshalb war ich bis zum Ende auch auf der Suche nach Indizien für eine doppelte Lesart, nach der das Mädchen gestorben ist und das, was die Protagonistin von ihr erzählt Einbildung ist. Habe aber nicht allzu viele Hinweise dafür entdeckt. Es kommt ja dann diese Ausgrenzungsgeschichte dazu und zusammen verschmilzt das zu so einer Art Patenschaft, die die Protagonistin für das Mädchen übernimmt/übernehmen will (durch die Gabe der Kette). Ich fand das irgendwie eine ganz coole Wendung, weil sie mein anfängliches Problem mit der Story etwas ausgehebelt hat. Das war nämlich folgendes: Ich denke (eigentlich auch immer noch), diese retrospektiven Einschübe sind da mitten im Text an falscher Stelle platziert (hab das ja schon weiter oben beschrieben). Das ist für mich ein typischer Fall von Exposition und damit einhergehender Fallhöhe. Du brauchst diese Einschübe oder scheinst sie zu brauchen, damit das emotional was entfacht (weil wenn man den Menschen kennt, sein Leben, dann reagiert man logisch auch empathischer; das gilt natürliche nicht für jedeN, aber dürfte schon so etwas wie die Regel sein). Deswegen, so schön er auch ist, sehe ich ein Problem in diesem in medias res-Einstieg. Der ist schön, ja, aber der entspricht dramaturgisch, finde ich, nicht dem, wohin deine Story dann zielt, nämlich auf die Fallhöhe, die Betroffenheit. Da würde es sich viel mehr anbieten, das erstmal schön breit einzuführen. Und dann: Der Sturz. Dann brauchst du keine Rückblenden oder Reminiszenzen.
Ob das dann mit dieser doppelten Geschichte so ganz aufgeht, ist nochmal eine andere Frage. Ich denke, unterm Strich eher nicht (es sei denn, es ist wirklich diese doppelte Lesart und das Mädchen ist gestorben). Es geht, finde ich, deshalb nicht auf, weil das so erzählt wird wie ein tödlicher Unfall und dann aber kein Ton zur Genesung kommt und dann sogar ein anderes Thema, das mit der Ausgrenzung. Aber: Wieder ein Es-sei-denn. Ist sie aus dem Fenster gestoßen worden (von derselben Person, die später die Kette hinausschmeißt? Oder von einem der Kinder, weil sie sie alle anfeinden?). Das ist auch eine spannende Dynamik, die da mitschwingt, aber selbst wenn es das wäre (wie gesagt auch nur ein paar Anhaltspunkte), wäre es auch ein unauserzählter Konflikt. Und das ist, ohne da jetzt zu viele weitere Worte zu verlieren, das Problem, was, denke ich zumindest, auch andere hier gesehen haben. Das da viele spannende Aspekte und Ideen sind, aber sehr viele Fragen offen bleiben bzw. das ganze darin unentschieden wirkt, wenn es nicht sogar daraus eine fragile Stabilität bezieht.

Wie dem auch sei. Ich finde die vielen Aspekte, wenn auch für mich unentschieden für sich alle doch auch lesenswert. Deswegen bin ich hier auch gerne zum gewesen :-)
So weit mein Eindruck.
Lieben Gruß
Carlo

 

Hey @Carlo Zwei,

danke dir fürs Vorbeischauen!

ich mag solche Einschübe Erlebter Rede.
Ich fand auch, das passt hier besser als die direkte Rede, fließt besser. Schön, dass das für dich auch funktioniert.

Diese paar Worte fand ich besonders stark, auch wenn sie selbst so verloren wirken ohne ihren Kontext :-)
Da war ich erst unsicher, ob das nicht too much ist. Aber ich habe es dann gewagt, da der Rest des Textes ja doch recht knapp gehalten ist und ich habe gehofft, das geht dann hier an dieser Stelle. Umso schöner, dein Feedback dazu zu lesen.

Ich finde, der Text ist sehr ungewöhnlich (Kompliment) erzählt. Es ist aber an der Grenze zu dem, was ich dann ungünstig gewichtet nennen würde. Das Spannende: Du erzählst ja quasi mehrere Geschichten. Eigentlich sollte der Fokus nach diesem ersten Drittel auf dem Sturz und der Verarbeitung desselben durch die Protagonistin liegen ("wie geht man mit so einem traumatischen Erlebnis um"). Deshalb war ich bis zum Ende auch auf der Suche nach Indizien für eine doppelte Lesart, nach der das Mädchen gestorben ist und das, was die Protagonistin von ihr erzählt Einbildung ist.
Erstmal: Danke! =)
Hmm, interessant wie du das liest. Ich finde ja, hier wird ganz klar eine Geschichte erzählt - die zwischen der Prot und dem Mädchen. Die Entwicklung zwischen den beiden steht stellvertretend für die Frage: Wann mische ich mich in das Leben Fremder ein? Natürlich gehören dazu die äußeren Umstände, aber ich persönlich empfinde es nicht so, dass da mehrere Geschichten erzählt werden, sondern sich alles um die Prot und das Mädchen dreht. Der Sturz ist der Auslöser, aber nicht der Hauptpunkt der Geschichte. Und nein, gestorben ist niemand, ich wollte hier keine doppelte Ebene oder sogar am Schluss diesen Twist "Alles nur eingebildet" andeuten, alles was da steht, ist auch so gemeint. Die Leerstellen ergeben sich eher daraus, dass die Prot ja eben nicht weiß, gibt es wirklich Grund zur Sorge oder spielt sich da viel in ihrem Kopf ab, weil sie anders aufgewachsen ist, eigene Vorstellungen hat, die man aber natürlich nicht einfach auf alle Mitmenschen übertragen kann.

Der ist schön, ja, aber der entspricht dramaturgisch, finde ich, nicht dem, wohin deine Story dann zielt, nämlich auf die Fallhöhe, die Betroffenheit. Da würde es sich viel mehr anbieten, das erstmal schön breit einzuführen. Und dann: Der Sturz. Dann brauchst du keine Rückblenden oder Reminiszenzen.
Da bin ich anderer Meinung. Der Sturz ist nicht das Ende, sondern der Auslöser. Davor mag die Prot ab und zu aufgehorcht haben, hat ihre Sorgen aber zur Seite geschoben. Als die Kleine dann aber aus dem Fenster fällt, steht das stellvertretend für alles, was da so brodelt. Wird das Mädchen vernachlässigt? Muss eingegriffen werden. Dieses Ereignis setzt in Gang, was dann passiert. Den Text genau andersherum aufzuziehen würde nicht das einfangen, was ich erzählen möchte. Und ich finde es eben auch interessant, das so zu erzählen. Nicht: Alles steuert auf den großen Knall zu. Sondern: Es knallt! Was löst das aus? Und sind die Vermutungen, die Sorgen gerechtfertigt? Ich finde auch, würde ich mit dem Sturz aufhören, wäre die Gewichtung falsch. Das würde viel mehr dahin steuern, dass in der Familie wirklich was schief läuft. So lasse ich das aber offen und das ist auch so gewollt - weil es einfach verdammt schwer ist, in andere Familien hineinzuschauen und einwandfrei festzustellen, dass da was verkehrt läuft.

Die Einschübe sehe ich eher als Bilder, als kurzes Aufblitzen, nicht als Rückblende. Es ist ja nicht so, dass ich da in der traumatischen Situation plötzlich in die Vergangenheit switche und die Prot erst mal sätzeweise in der Vergangenheit schwelgen lasse. Sondern sind das vielmehr Gedankenblitze, Bildfragmente, die im Kopf der Prot aufblitzen. Z.B. dass ihr einfällt, dass die Kleine nur schlecht Deutsch spricht, weil sie sie eben in genau diesem Moment nicht versteht. Oder dass der Kerl, den sie in der Wohnung sieht, immer mit den anderen draußen im Hof sitzt. Dass sie sich fragt, wem übergebe ich dieses Kind hier gerade eigentlich, weil sie die Verhältnisse nicht recht durchschaut.
Ich mag es nicht, in ICH-perspektivisch-geschriebenen Texten Dinge wie "ich denke" oder "ich erinnere mich an" zu schreiben, also habe ich diese Einschübe einfach wie kurze Bilder oder Infos gesehen, die in ihrem Kopf aufblitzen und denke auch, das ist legitim und nicht unbedingt unwahrscheinlich. Ich glaube, du siehst diese Einschübe als vom Autor gesteuert, ich sehe sie als Bildfetzen im Kopf der Prot, die ja irgendwie in Sprache gepackt werden mussten.

Natürlich bremst das die Geschwindigkeit, da hast du recht. Das liegt aber vermutlich daran, dass ich hier nicht auf Spannung oder Tempo gehen wollte, sondern versucht habe, nah an der Prot zu bleiben und einen klassischen Spannungsaufbau, also Steigerung und Tempo ohne Unterbrechung, ohne jegliche Form von inneren Gedanken oder Bildern, hier für nicht ausschlaggebend für diese Art von Text gesehen habe.

Aber diese Reaktion erwarte ich in so einer Situation nicht. Der ist doch viel zu beschäftigt damit, dass seine kleine Schwester gerade aus dem Fenster gefallen ist. Die Protagonistin müsste in diesem Moment unsichtbar werden,
Auch da muss ich widersprechen. Ein "Danke", nachdem die Prot die Kleine vorbeibringt und offensichtlich noch niemand aus der Familie bemerkt hat, dass sie runtergefallen ist, finde ich überhaupt nicht unwahrscheinlich. Vor allem als erste automatische Reaktion. Das habe ich auch schon oft erlebt, Eltern bedanken sich, wenn auch nur kurz, wenn jemand anderes ihrem Kind hilft, bevor sie dann vollends von der Situation konsumiert werden.
Und wenn du die Szene weiterliest, wird die Prot ja dann unsichtbar, als allen klar wird, was hier eigentlich los ist:
„Ihr solltet ins Krankenhaus, sie ist kopfüber aus dem -“
Die Tür wird aufgerissen. Zeternd nimmt eine untersetzte Frau mit grauen Haaren das Mädchen entgegen.
Sie wird unterbrochen, übertönt, sagt noch einmal, dass die Kleine ins Krankenhaus muss, wird aber dann durch Nicken und "Danke" und Türe schließen aus der Situation gekickt.

Und das ist, ohne da jetzt zu viele weitere Worte zu verlieren, das Problem, was, denke ich zumindest, auch andere hier gesehen haben. Das da viele spannende Aspekte und Ideen sind, aber sehr viele Fragen offen bleiben bzw. das ganze darin unentschieden wirkt, wenn es nicht sogar daraus eine fragile Stabilität bezieht.
Ich glaube, dass der Text deshalb schwerer zu handhaben ist, als andere, weil er viele Leerstellen lässt. Unentschieden empfinde ich ihn nicht, aber er bietet eben keine klare Lösung, keine klare Aufklärung der Geschehnisse, sondern wabert weiter. Genau das wollte ich. Aber ja, ich verstehe, dass genau das es schwer macht, ihn so recht greifen zu können. Ich habe aber das Gefühl, würde ich das klarer und linearer erzählen, wäre es nicht mehr das, was ich ausdrücken wollte.

Viel Denkstoff bringt dein Kommentar :)
Schön, dass du trotzdem gerne hier warst.
Viele Grüße
RinaWu

 

Der ist schön, ja, aber der entspricht dramaturgisch, finde ich, nicht dem, wohin deine Story dann zielt, nämlich auf die Fallhöhe, die Betroffenheit. Da würde es sich viel mehr anbieten, das erstmal schön breit einzuführen. Und dann: Der Sturz. Dann brauchst du keine Rückblenden oder Reminiszenzen.
Da bin ich anderer Meinung. Der Sturz ist nicht das Ende, sondern der Auslöser. Davor mag die Prot ab und zu aufgehorcht haben, hat ihre Sorgen aber zur Seite geschoben. Als die Kleine dann aber aus dem Fenster fällt, steht das stellvertretend für alles, was da so brodelt. Wird das Mädchen vernachlässigt? Muss eingegriffen werden. Dieses Ereignis setzt in Gang, was dann passiert. Den Text genau andersherum aufzuziehen würde nicht das einfangen, was ich erzählen möchte. Und ich finde es eben auch interessant, das so zu erzählen. Nicht: Alles steuert auf den großen Knall zu.

Nur noch kurz als Einwurf zwischendurch. Nee, das meinte ich nicht, dass du mit dem Sturz aufhören sollst. Ich finde das ja auch gerade interessant, dass er den weiteren Verlauf so auslöst. Es ging viel mehr um die retrospektiven Einschübe. Wenn du mit dieser Familie anfängst, den Beobachtungen der Prot und vielleicht auch schon ersten Fragen der Einmischung, des Übertrittes, dann kannst du den Fall erzählen, ohne solche Einschübe machen zu müssen. Und dann kommt der ganze Rest deiner Geschichte. Dazu ist jetzt auch kein riesiges Vorspiel nötig, aber eben so etwas wie eine Hintergrundnarratio, die du dann ja während des Sturzes zu geben versuchst (du erzählst dann während das passiert: ja, normalerweise rauchen sie immer Shisha zusammen etc. etc. diese Hintergrundnarratio erzeugt die Fallhöhe, die brauchst du, weil der Fall ja etwas bei deiner Prot und damit bei deinen Lesern auslöen soll. Und das meine ich mit der Gewichtung. Das ergibt einfach für mich keinen Sinn, dass sie jetzt plötzlich, wo das passiert, dann in so Rückblenden darüber nachdenkt. Das ist Konstruktion. Okay, ich hoffe du verstehst meinen Punkt :D deutlicher kann ich, glaube ich, nicht machen, was mir da durch den Kopf ging.

Die Einschübe sehe ich eher als Bilder, als kurzes Aufblitzen, nicht als Rückblende.

das kann ich aus deiner Perspektive verstehen, aber finde es trotzdem erzähltheoretisch nicht optimal. Aber ich will dir auch nicht meine Meinung aufdrücken, sondern nur mitteilen und begründen.

Es ist ja nicht so, dass ich da in der traumatischen Situation plötzlich in die Vergangenheit switche und die Prot erst mal sätzeweise in der Vergangenheit schwelgen lasse.

Das ist nämlich das Ding bei meinem Leseeindruck. Genau so hatte es sich an den Stellen für mich nämlich angefühlt. Deswegen schrieb ich das.

Ich mag es nicht, in ICH-perspektivisch-geschriebenen Texten Dinge wie "ich denke" oder "ich erinnere mich an" zu schreiben

Und da wäre ich der Letzte, das von dir zu verlangen. Ich habe ja extra gesagt, wie schön ich die Einschübe erlebter Rede finde. Mir geht es da ganz genau so. Natürlich denke ich, müsste das szenisch gelöst werden. Habs ja jetzt schon mehrfach geschrieben. Eine Anbahnung, Exposition statt in medias res.

Das Argument, nicht linear erzählen zu wollen, finde ich auf jeden Fall sehr nachvollziehbar. Es ist eben eine Qualität, nicht linear zu erzählen (meine Meinung). Andererseits befreien dich diese in erlebter Rede verbauten 'Rückblenden' jetzt auch nicht von der ansonsten auch 'recht linearen' Erzählweise, die das hat. Das sind dann eher diese Zeitsprünge später. Zum Beispiel der Sprung zu "kurz vor Weihnachten". Klar wäre so eine Exposition vor dem Sturz linearer. Dann, finde ich, kann man aber auch nicht auf die Art von 'Betroffenheit' bauen. Sonst ist es Tell: Das Mädchen stürzt aus dem Fenster ... hallo Leser, damit du verstehst, was das jetzt emotional bedeutet, hier ein Bild von der Familie in normalen Situationen usw.
Naja, ich mach hier mal einen Punkt. Vielleicht reden wir da auch aneinander vorbei.

Ein bisschen gefragt habe ich mich, wie du das meinst, 'viel Denkstoff ... schön, dass du trotzdem gerne hier warst' :D Natürlich war ich gerne hier. Ich habe deinen Text auch gerne gelesen und finde ihn auch gut. Verstehe nicht, für wen das jetzt viel Denkstoff war. Für mich einfach ein paar Überlegungen zur Dramaturgie. Textarbeit eben. Finde eigentlich immer sehr schön, über solche Fragen zu brüten, weil das ja zum Kerngeschäft gehört, das uns hier zusammenbringt.
Ich hoffe, ich hab dich jetzt nicht blöd zugetextet. Es hat mir nur in den Fingern gekribbelt. Mach mit meinen Anmerkungen, was du willst. Und hab nen guten Sonntach!
Carlo

 

Hey @Carlo Zwei,

ich muss gleich wieder los, wollte dir aber noch fix eine Rückmeldung geben, da ich glaube, dass du meine Schlussworte falsch verstanden hast und das will ich unbedingt zum Sonntag noch richtig stellen :)

Mit viel Denkstoff meine ich: Viel Denkstoff für mich. Denn dein Kommentar hat ja natürlich Hand und Fuß und da brauche ich ein paar Tage, um das sacken zu lassen - also absolut positiv gemeint. Ob ich nun meine Geschichte umbauen will oder nicht, ist ja noch einmal eine ganz andere Geschichte. Aber du hast mir einen anderen Blickwinkel gegeben und das arbeitet im Autor weiter, was immer ein guter Prozess ist. Und das "trotzdem" hat sich automatisch eingeschlichen, weil du schriebst:

Ich finde die vielen Aspekte, wenn auch für mich unentschieden für sich alle doch auch lesenswert.

Was sich für mich so las, dass die Geschichte für dich unentschieden wirkt, du sie trotzdem gerne gelesen hast. Also sollte gar keine doofe Anspielung sein oder gar zickös, sondern war schlichtweg ein sprachlicher Automatismus meinerseits. Also fettes Sorry, wenn das irgendwie blöd rüberkam.

Ich finde das ja auch gerade interessant, dass er den weiteren Verlauf so auslöst. Es ging viel mehr um die retrospektiven Einschübe. Wenn du mit dieser Familie anfängst, den Beobachtungen der Prot und vielleicht auch schon ersten Fragen der Einmischung, des Übertrittes, dann kannst du den Fall erzählen, ohne solche Einschübe machen zu müssen. Und dann kommt der ganze Rest deiner Geschichte.
Okay, verstanden. Durchaus ein valider Punkt. Allerdings sträubt sich da einfach was in mir, das so zu erzählen. Also Beschreibung/Beobachtung der Familie, dann der Sturz, dann der Rest. Es ballt irgendwie alle Beobachtungen so auf einen Punkt gleich am Anfang zusammen. Genau das wollte ich eben nicht.
Ich wollte das alles eher miteinander verweben, nicht erst eine Art Einleitung schreiben und dann mit der Hauptgeschichte weitermachen. Ich verstehe aber deine Sicht und werde vielleicht mal versuchen, das umzubauen und schauen, wie sich der Text dann für mich anfühlt.

Aber ich will dir auch nicht meine Meinung aufdrücken, sondern nur mitteilen und begründen.
Klar, dafür sind wir ja da, dass wir uns gegenseitig sagen, wie und warum der Text auf uns wirkt. Habe das nicht als "Meinung aufdrücken" aufgefasst.

So, ich hoffe, jetzt haben wir uns wieder aufeinander zu geredet, nicht aneinander vorbei. Wollte dir eben nur sagen, dass solche Anmerkungen, die den Aufbau der Geschichte in Frage stellen, sehr wertvoll sind, aber eben auch eine Weile bei mir brauchen und herauszufinden, ob ich da was verändern möchte oder ob das eigentlich so für mich passt.

Ich wünsche dir auch noch einen tollen Sonntag.
LG
RinaWu

 
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Liebe!

Ist immer schwer, wenn man so hinterhergedackelt kommt, alles wurde schon irgendwie gesagt und ach, was soll man denn da nun noch schreiben? Aber ich wollte Dir doch gern ein, sehr gern gelesen dalassen, ist doch schade, wenn einem das durch die Lappen geht, nur weil da schon so viele vorher so viel gesagt haben. Freut doch immer zu hören. Und damit das hier nicht so einsam herumsteht, suche ich mal noch paar Stellen raus, die mir gefallen haben.

Will sie packen, an mich ziehen – warum schreit sie nicht? –, ihr übers feine braune Haar streichen und sagen, alles wird gut, ...
Bis hier hin denkt man ja noch: ach, Du Scheiße!

war doch gar nicht so hoch, nur ein halber Stock, halb so wild.
Und ab hier so: phu, na dann. Ist ja praktisch wie vom Klettergerüst fallen. Kann man als Kind gut überleben.

Er bückt sich, nimmt sie auf den Arm und redet auf sie ein. Der andere hämmert gegen die Wohnungstür und brüllt etwas. Dann dreht er sich zu mir um.
„Danke, dass du dich um sie gekümmert hast.“
Also, auf mich wirkt das jetzt nicht wie Vernachlässigung.

Im Wohnzimmer hinter ihr sitzt der Mann, den sie bei schönem Wetter in seinem Rollstuhl immer zu dem Fleckchen Sonne im Innenhof schieben. Neben ihm stellen sie Klappstühle auf, trinken Kaffee oder Tee, manchmal rauchen sie Shisha und diskutieren. Sie winken mir zu, wenn ich nach Hause komme.
Auch das wirkt auf mich ganz nice.

Ich kenne die Geschichten. Aus Podcasts, der Zeitung, von Freunden. Über Familiendramen, das versteckte Grauen, das niemand mitbekommt, und wie das Schweigen von Zeugen oft noch größeres Übel anrichtet.
Bisher weiß ich als Leser ja noch nicht viel, außer eben von dem Unfall. Solche Dingen passieren. Man kann nicht 24/7 die Augen aufs Kind richten, geht nicht, und einmal umgedreht (den Topf vom Herd genommen und ... Mist! Okay, kam jetzt auch keiner aus der Wohnung gerannt, war wohl ein sehr großer Topf oder das Telefon hat geklingelt + die Milch ist angebrannt und - jedenfalls scheint noch niemand das Kind zu vermissen. Ich will das gar nicht entschuldigen, es hätte auch ein paar Stockwerke weiter oben sein können, dann wäre übel. Ne Kollegin hat mir folgende Geschichte erzählt: Oma war mit ihren Enkeln einkaufen, zurück sind die Kids auf dem Spielplatz vor dem Haus geblieben, Oma wollte nur schnell die Tüten in die Wohnung tragen und ist aufs Klo. Als sie zurück kam, hat sich das Mädel an ihrer Kapuze erhangen. Da biste fertig mit dem Leben, wenn Dir so was passiert. Und wenn ich jetzt dran denke, wie oft ich als Kind allein auf dem Spielplatz war oder wir bei Oma durch die Gegend gezogen sind. Okay, die Zeiten haben sich geändert, ... aber ich würde weder meinen Eltern noch Großeltern "Vernachlässigung" vorwerfen. Und an mir selbst beobachte ich eine totale Überängstlichkeit, wenn die Minis hier sind. Man will den Eltern nicht sagen: Dein Kind ist kaputt. Das ist so ein Horror für mich, auch ungesund. Und die Geschichte der Kollegin hilft mir da null.

Wie oft ist die Kleine mir spät abends mitten im Winter barfuß und im dünnen Schlafanzug im Treppenhaus begegnet?
Das dagegen ist schon ne andere Nummer.

Manchmal hat sie sich vor mir versteckt, manchmal ist sie mir kichernd bis ins oberste Stockwerk gefolgt.
Wird aber auch sofort entkräftigt. Vielleicht hat die ja Spaß dran auszubüchsen. Kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass man ein Kind so ins Treppenhaus abstellt und es dann kichernd oder spielend herumtobt. Würde es weinen, würde ich mir ernsthaftere Sorgen machen.
Du schreibst und hast gesagt, es gibt da dieses Kind in deinem Haus und sicher bauen sich Ängste um das Kind aus vielen kleinen Beobachtungen auf, die in der Gesamtheit dann doch ein anderes Bild ergeben, als das, was ich hier aus dem Text mitnehme. Ja, schwierig einzuschätzen, wie es dem Kind nun wirklich ergeht. Hier, in der Geschichte, ist es für mich ein Kind von vielen Kindern der Familie, das viele Bezugspersonen um sich herum hat, nur ist unter denen keine Helimutter.

„Hier, für dich“, sage ich und hänge ihr die Kette um. Ihre großen Augen ein Fragezeichen. „Der Stein beschützt dich.“
Keiner von den beiden wird wohl glauben, das der Stein da was rockt. Ich sehe das eher als Geste, dem Kind zu zeigen, ich bin nett zu Dir. Ich bin deine Freundin. Das versteht man, ganz ohne Worte. Auch als kleines Kind. Und das finde ich rührend.

Ich hebe die Halskette auf, nehme sie mit in die Wohnung und spüle sie mit heißem Wasser und Seife ab.
Es dauert ein paar Tage, bis ich sie wieder anziehe.
Ich mag das Ende. Sie kann sie verloren haben, sie kann weggeworfen worden sein, beides möglich. Aber für deine Prot. fühlt sich das natürlich wie ein Schlag ins Gesicht an. Ich kann sie verstehen, dass es ein paar Tage dauert.

Du merkst schon, ich lese hier eher die Geschichte der Protagonistin und deren Angst und Sorge um das Kind, und wie sie das alles werten soll, als tatsächlich eine Geschichte von Vernachlässigung. Das Kind lacht, es wird auf den Arm genommen, okay, vielleicht wurde sie im Hof geschubst, vielleicht hat sie die anderen zuvor erbarmungslos genervt. Vielleicht sitzt sie aber öfter allein auf der Schaukel und weint, vielleicht gibt es nicht nur das Knie an diesem Tag ... dann, ja dann ... und als Beobachter von außen steht man so da und fragt sich viele Fragen und die Antworten bleiben hinter verschlossenen Türen, gerade wenn das so uneindeutig alles ist. Für alles, was dem Kind in diesem Text passiert, können Gründe für oder auch dagegen sprechen. ich weiß es am Ende nicht, wie es um das Kind steht und deine Prot. (so scheint mir) auch nicht. Und das fühlt sich so ohnmächtig an. Und dann gucken diese kleinen Augen einen so an ... ey, ey, ey.

Ja, gern gelesen. Ich mag das Zwispältige an dem Text, das Unsichere, das Vage. Jetzt könnte man ihm vorwerfen, er wäre unentschieden, aber wenn er das wäre, wäre er kaputt. Denn für mich geht es genau um diese Grauzone, die irgendwie jeder auch schon mal erlebt hat in irgendeiner Form. Muss man da helfen? Hat man genug getan? Man will am Ende ja eben nicht dastehen und sich vorwerfen müssen, bin nicht losgelaufen, weil da wird schon jmd. mit am Fenster stehen.

Beste Grüße, Fliege

 

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