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Nachmittagstee
Die Tür knarrte leise, als die Haushälterin Estelle mit dem Tablett hereinkam. Sonst brachte eines der Dienstmädchen den Tee und Mr. Bedford sah dann meist nur kurz von den Büchern auf, die er jeden Nachmittag in der Bibliothek kontrollierte. Doch Estelle betrachtete er lange beim Näherkommen.
Ihre Blicke trafen sich, dann platzierte sie das Tablett mit der großen, silbernen Teekanne, der Teetasse mit dem Rosenmuster, dem Milchkännchen und der Zuckerdose auf jenen Platz, der auf dem Schreibtisch für das Tablett mit dem Nachmittagstee von Mr. Bedford reserviert war.
„Danke, Estelle!“, sagte er und sah ihr dabei zu, wie sie die Flüssigkeit in die Tasse goss und die Kanne wieder behutsam abstellte.
„Ich komme, um mich von Ihnen zu verabschieden, Sir“, sagte Estelle dann. „Sie wissen, ab morgen werde ich bei Hallbrooks in Dienst gehen.“
„Ja“, sagte Mr. Bedford und atmete hörbar aus.
„Hören Sie, ich habe mir die Sachlage noch einmal angesehen“, begann er plötzlich. Dabei richtete er sich im Stuhl auf und seine Stimme bekam den Ton, den er bei Verhandlungen über den Verkaufspreis des Viehs am Markt in Downhill oder beim Einkauf der Futtermittel bei den Bauern in der Umgebung und auch dann anschlug, wenn er mit seinem Verwalter Harrington uneins darüber war, ob eines der Fohlen verkauft oder für die Zucht übernommen werden sollte. „Ich habe mir die Sachlage noch einmal angesehen“, sagte er, „und wäre bereit, Ihren Verdienst weiter aufzustocken, wenn Sie sich doch entschließen könnten …“
„Nein!“, unterbrach sie ihn. Mr. Bedfords Augenlid zuckte. “Nein“, schloss sie dann noch einmal an. „Es steht für mich fest, Sir.“
Aus Mr. Bedfords Körper schien die Spannung mit einem Mal entwichen zu sein; die Energie, mit der er sein Angebot vorgebracht hatte, schien durch ihr Nein wie verpufft und er sackte in seinem Sessel zusammen.
„Ich verstehe“, sagte er leise und sein Blick wanderte von der Tasse mit dem dampfenden Tee zur Kanne, die auf dem Tisch zwischen ihn beiden dastand wie eine unüberwindliche Mauer.
„Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, welch schmerzlicher Verlust Ihr Fortgang für dieses Haus, für alle Beteiligten, nicht zuletzt auch für mich, sein wird“, sagte er dann und blickte sie wieder an.
Estelle hob die Hand. Dann nickte sie zum Abschied und verließ die Bibliothek.