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Nacht
Und mein Kind liegt in meinen Armen und verkümmert, während ich still und rastlos die Sterne am Himmelszelt dahinrasen sehe. Ein Gewitter aus Farben und Formen entgeht mir, als ich mich hinunterbeuge und in das Gesicht des verhungernden Kindes sehe, welches meines zu sein scheint und doch nicht meines zu sein scheint. Die kleine Stupsnase wird angetippt; von meinem Finger? Das kann ich nicht sagen, denn die Farben und Formen zwingen meinen Blick gewaltsam in die Höhe und mein Verstand gerät in Ekstase. Sonnengelb, blattgrün, himmelblau, purpur, altrosa und die Farbe der Veilchen und der Minze vergeben es mir nicht, wenn ich unachtsam bin. Ich trinke die Farben und sehe die Geräusche des rasenden Firmamentes über mir, unter mir und neben mir.
Und mein Kind stirbt. Ich lege es von mir, denn die Formen greifen meine Finger. Und meine Reise beginnt; die Reise zu den Sternen, in das unbekannte schwarze Zelt, das sich um mich herum erstreckt und sich an meiner Faszination zu laben scheint. Ich lasse mich aussaugen. Ich fühle mich schon erschöpft. Es ist schwierig mich wachzuhalten und unmöglich einzuschlafen oder auszuruhen. Die Nacht greift nach mir, verlangt nach mir. Sie braucht mich. Sie liebt mich fast und liebt mich doch nicht, als sie ihre Triebe an mir befriedigt. Und mich kümmert es nicht, dass ich zur Marionette dieses erbarmungslosen Wesens werde. Ich werde ausgenutzt, missbraucht, vergewaltigt?
Und irgendwann lässt sie von mir ab. Lässt mich fallen. Ich bin nichts mehr wert, nur noch das bedeutungslose Fragment des Himmelspiels. Und nun liege ich am Boden, mein totes Kind neben mir. Das ewiglich schlafende Gesicht ausgemergelt und eingefallen, die Haut über die Knochen gespannt und ich finde es wunderschön, so wie es leblos neben mir liegt, mit einem vor Hunger, Angst und ungegebener Liebe verzerrtem Gesicht. Und bald werde ich ein neues Kind gebären. Ein Kind des Himmels, das sich Liebe und Sorge wünscht von einer missbrauchten Mutter.