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Nachts im Regen
Nachts im Regen fährt ein Auto aus einer Garage. Es ist blau, seine Farbe geht hier draußen etwas unter. Drinnen sitzt eine Gestalt, die, abgesehen vom Auto fahren, mit etwas beschäftigt zu sein scheint. So weit ich es hier draußen erkennen kann, kramt sie in einer Tüte auf dem Beifahrersitz.
Ich stehe unter einer kaputten Laterne. Die, die drum rum stehen, wie einsame, pflichtbewusste Wächter, spenden noch genügend Licht.
Nachdem die Gestalt ihr Auto rückwärts, vorsichtig aus der schräg nach unten führenden Einfahrt fahren lässt, steigt sie aus und für mich wird sichtbar, dass es ein Mann mittleren Alters ist. Er trägt eine Brille, an der irgendetwas befestigt ist.
Meine Zigarette geht immer wieder aus. Ich mache mir Sorgen, dass man mich für einen Stalker halten könnte.
Der Mann scheint irgendetwas überprüfen zu wollen. Er schaut konzentriert auf sein Haus, wahrscheinlich in eins der dunklen Zimmer im oberen Stock.
Irgendwann entschließt er sich einzusteigen und ganz langsam, als wenn er Vorsicht walten lassen müsste, die Straße runterzufahren.
Ich folge ihm. Meine Schuhe sind durchweicht, da ich mir nicht die Mühe mache, den Pfützen auszuweichen.
Sein Auto verschwindet hinter einer Ecke.
Als ich dort ankomme, sehe ich, wie er nicht weit von mir angehalten hat. Er sitzt jetzt auf einer Holzbank in der Nähe einer Straße. Dahinter fängt ein sehr kleiner Park an, vielleicht fünf, sechs Bäume, zwei drei Bänke und eine halb zertretene Wiese. Viele herumliegende Zigarettenstummel und der überquillende Papierkorb zeugen von Gelagen an diesem beliebten Treffpunkt, nur nicht zu dieser Stunde.
Der Regen durchweicht Taschentücher und Verpackungen, die um den Papierkorb herum liegen.
Obwohl er im Dunkeln sitzt, kann ich erkennen, dass dieses Etwas an seiner Brille ein Pflaster ist. Scheinbar ist die ihm irgendwann in der Mitte durchgebrochen.
Sein Auto parkt schräg neben ihm an der Straße. Er hat das Licht an und eine Tür aufgelassen. Das Auto scheint sauber und ordentlich zu sein.
Er trinkt. Ich beobachte ihn.
Je weiter die Zeit fortschreitet, je weiter sich die Flasche, ich glaube, es ist Vodka, leert, desto entspannter wird seine Haltung und für mich sieht es aus, als würde er in der Bank hängen, vom Regen gänzlich unberührt.
Nachdem er zwei weitere Flaschen aus dem Auto holt, diesmal werden es wohl Bierflaschen sein, fleezt er sich wieder auf die Bank und trinkt weiter.
Irgendwann lässt er seinen Kopf hinter fallen und gibt irgendwelche sonderbaren Töne von sich, als wenn er gleichzeitig singen und stöhnen würde.
Ich setze mich auf den Rand einer kniehohen Mauer, aus der ein Zaun ragt. Ich spüre kaltes Metall an meinem Arm. Ein tolles Gefühl.
Als er eben zum Auto gegangen war, um nachzutanken, war er schon nicht mehr sicher auf den Beinen.
Irgendwann entschließt er sich, wieder einzusteigen und zurückzufahren. Ich nehme einen Fußweg zwischen den Häusern. Ich kratze, während ich gehe, an den Häusern entlang, bis meine Fingernägel ganz verfärbt sind. Ich genieße die nasse Kälte, die sich in meinem Körper ausbreitet.
Wir kommen zeitgleich an seinem Haus an. Das Innere seines Autos kommt mir schmutziger als vorher vor, als er aussteigt. Außerdem steht es total schräg in seiner Einfahrt.
Er braucht ziemlich lange, bis sein Hausschlüssel das für ihn wohlbekannte Klicken im Schloss bewirkt. Bevor er eintritt, schaut er sich um, als würde er jemanden suchen, oder als hätte er irgendwas vergessen. Mich sieht er nicht. Im Wohnzimmer des Hauses geht ein Licht an.
Da fällt mir auf, dass er die Haustür nicht richtig geschlossen hat. Ich trete ein. Das Wohnzimmer ist direkt vom Hauseingang aus zu sehen. Er sitzt in seinem Sessel, hat den Kopf sehr weit in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, so wie auf der Bank. Lange Zeit betrachte ich ihn, wie er seinen Kopf an der Lehne des Sessels hin- und herrollen lässt. Neben seinen unübersehbaren Spuren in Form von verteilten, schmutzigen Wasserflecken auf dem Flurteppich gehen meine vollkommen unter, obwohl mich jedesmal ein sehr unwohles Gefühl beschleicht, wenn ich in seine Fußstapfen trete, um jegliche Form von Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Bis er irgendwann seine Augen öffnet, seinen Kopf anhebt und vor sich hin starrt. Jetzt scheint er aufstehen zu wollen. Es gelingt ihm aber nicht sofort, er fällt ein paar Male zurück in den Sessel. Kurz nachdem er es doch geschafft hat, stößt er mit seinem Bein gegen den Tisch vor ihm und ruft laut: „Scheiße“. Wütend schmeißt er eine Vase vom Tisch, die mindestens ebenso laut am Boden zerschellt. Er kommt auf mich zu, ich verstecke mich unter der Treppe. Ich höre, wie er hinaufsteigt. Er hat das Licht im Wohnzimmer angelassen. Er verschwindet in einem der oberen Zimmer. Ich gehe ihm nach und lausche an der Tür. Zuerst nehme ich nichts wahr. Dann höre ich, wie er, undeutlich gesprochen aber laut, ausruft: „Was soll das? Lass mich in Ruhe“. Und plötzlich geht ganz unerwartet die Tür auf und er steht mir gegenüber. Ich bin einen kleinen Moment starr vor Schreck.
Hinter ihm durch die Tür durch schaue ich unweigerlich auf seine Frau, die auf dem Bett sitzt und den Blick in meine Richtung gerichtet hält. Aber es ist kein Blick, der verraten würde, dass sie sich bedroht fühlt, sondern ein Blick verträumter Trauer und Sorge.
Der alte Mann ist im ersten Moment verwundert, als er mir so nah ins Gesicht blickt. Aber dann ziehen Falten auf seine Stirn und er lallt mir entgegen: „Was machst du denn hier? Geh sofort wieder ins Bett!“. Sein Atem stinkt nach verfaulten Früchten.
Ich schließe die Augen. Dieser Mann ist nicht mein Vater, geht es mir durch den Kopf.