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Nachtspaziergang eines Betrunkenen

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29.06.2005
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Nachtspaziergang eines Betrunkenen

Ich stehe hier auf der Straßenseite, auf der der Eisbär lebt. Es ist Nacht und ich schaue rüber, zwischen dem Haus der Bäcke und dem Pfefferhof hindurch. Links von mir ist die Bäcke und drei Fenster sind noch beleuchtet. Ich weiß nicht, was da drin vor sich geht, ich sehe nur Licht. Aber was mich so fasziniert ist der Anblick des Himmels, der in düsterem Grau, in verschiedenen Tönungen der Wolken, die sich wie zerfressene Watte ausgebreitet haben, über die Welt spannt. Was mich fasziniert ist die Stelle genau geradeaus, zwischen dem Haus der Bäcke und dem großen Stall des Bauern Pfeffer. Das ist die Stelle, an der der Mond scheint.

Der Mond ist nicht zu sehen. Er steht irgendwo hinter einer ziemlich schwarzen Wolke. Was aber das Spannende daran ist – es ist nicht nur eine Wolke, es sind viele kleine, zerfetzte Wolkenteilchen, die da vor dem Mond hängen. Sie sind viel schwärzer, als die Wolken sonst überall am Himmel. Sieht irgendwie kriegerisch aus. Höllisch. Und die kleinen Wolkenteilchen, die schwarzen, sind von hinten beleuchtet, als würde eine riesige Laterne dort brennen. Nur nicht rot, sondern gelb.
Ich weiß nicht, warum ich das jetzt alles erzählen muss. Aber ich möchte es später noch wissen.

Gerade fährt ein Auto vorbei. Wohin fährt es? Ich weiß es nicht. Vielleicht wird es noch einen tödlichen Unfall haben. Inzwischen steht der Mond frei am Himmel. Ich kann kaum mehr geradeaus laufen. Bin inzwischen am Ortsausgang. Bin sogar schon nach links abgebogen, Richtung Witthau. Schwanke von links auf der Straße nach rechts und wieder nach links. Schau wieder den Mond an – die Wolken haben sich leicht nach Osten verschoben. Und hier möchte ich noch anmerken, dass ein verrückt gewordener Motorradfahrer die Strecke zwischen Hörvelsingen und Beimerstetten mit laut hörbarem Geräusch und mindestens 200 km/h bestreitet. Ich möchte gern wissen, wie lange dieser junge Mann – denn ich gehe davon aus, dass es ein junger Mann ist – noch lebt.

Nun aber, trotz allem Übel auf der Welt, ich muss weiter. Und ich laufe geradeaus, die Straße entlang, links und rechts kleine Maisfelder - nicht klein, sondern groß, aber von niedrigem Wuchs. Und vorne kommen die drei Bäume wie schwarze Schatten näher, zwischen den Bäumen habe ich mal mit meinem Bruder Matze - den wir inzwischen alle nur noch Knabe nennen – mit ihm habe ich dort eine Schatzkarte vergraben. In einer zerbrochenen Weinflasche, genau in der Mitte der ersten zwei Bäume. Der letzte Baum, der dritte, ist nur da, damit die Möglichkeiten größer sind.

Das heißt, ich laufe jetzt auf Witthau zu. Wie oft ich das jetzt schon gesagt hab, weiß ich nicht. Ich muss dazu anmerken: Der Mond ist inzwischen wirklich sehr frei, die Wolken sind ziemlich weit nach Osten gerutscht. Es sieht aus, als würde eine Grillzange sie ziehen.
Über mir drei dünne Striche. Rechts von einem Mast ausgehend. Links ebenfalls ein solcher Mast. Ich rede hier nicht von Masten, die aussehen wie der Eifelturm, es sind schlichte Masten, wie die Telegraphenmasten in Westernfilmen vielleicht. Und die Striche sind natürlich Stromkabel.

Ja und des Weiteren – oh, ich bin inzwischen wirklich betrunken! – des Weiteren wünsche ich hiermit dem Diktiergerät und allen, die vielleicht eines Tages den Text lesen, den ich Morgen über diese Aufzeichnung verfassen werde… ich wünsche allen: Gute Nacht!

 

Hallo Karlsson,

du hast hier einen schwer kommentierbaren Text hinterlassen. Sprachlich gibt es nicht viel zu meckern, außer vielleicht, dass die doch teilweise recht komplexen Satzstrukturen nicht zur Denkweise eines Betrunkenen passen.

Aber der Inhalt? Ist soetwas eine Geschichte? Handlung? Spannungsbogen?

Da du ja schon ein paar Beiträge hinter dir hast, weißt du vielleicht, dass Schilderungen von Drogenerlebnissen/Wahrnehmungen hier regelmäßig aufschlagen. Was bei dir (angenehmerweise) fehlt, ist das sonst übliche Trash-Vokabular.

Und dann ist da noch der Aspekt mit dem Diktiergerät und der direkten Ansprache des Lesers . Hmm. Du mischst zwei Ebenen, die betrunkene und die wache im Moment des Aufschreibens. Dadurch finde ich mich selbst etwas hin- und hergeworfen, im Stile von also was jetzt?

Der Text enthält eine Reihe von mehr oder weniger tiefsinnigen Anrisspunkten (Sarumans Auge, der Motorradfahrer). Alle diese Punkte werden aber nur kurz angetickt und dann torkelt dein Prot weiter, nicht ohne zu unterstreichen, dass er betrunken ist.

Ich denke, was an sprachlichen und intellektuellen Qualitäten aus deinem Text durchschimmert, lässt auf mehr hoffen. Kopf hoch und weitermachen,

LG,

N

 

Hi Nicole!
Wämsten Dank für deine Kritik und das "Kopf hoch". Ich bin jetzt nicht wirklich geknickt, der Text ist ja nicht die Welt und ich wusste schon vorher, dass ich mich der Kritik preisgeben werde :-) Aber du hast schon Recht, der Text ist keine Geschichte. Ich habe ihn wohl veröffentlicht, um rauszufinden, was er eigentlich ist. Ein Extrakt des Lebens vielleicht.
Wie du treffend bemerkt hast, sind die Satzstrukturen wohl etwas zu komplex für die eines Betrunkenen - trotzdem war ich betrunken, als ich ihn in mein Diktiergerät sprach. Das war ja gerade das Experiment. Da es gewissermaßen geplant war, konnte ich mich wohl sprachlich doch etwas gewählter ausdrücken, ohne zu lallen. Klar, ich will mich nicht rechtfertigen, der Text ist eher ein Fragment, aber ich bin eben gespannt, wie er auf andere wirkt und ob er sich eventuell überarbeiten ließe. Daher danke nochmal!
Bin gespannt, ob sich noch weitere Leser zu Worte melden.

Gruß Karlsson

 

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