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Nachtspaziergang eines Betrunkenen
Ich stehe hier auf der Straßenseite, auf der der Eisbär lebt. Es ist Nacht und ich schaue rüber, zwischen dem Haus der Bäcke und dem Pfefferhof hindurch. Links von mir ist die Bäcke und drei Fenster sind noch beleuchtet. Ich weiß nicht, was da drin vor sich geht, ich sehe nur Licht. Aber was mich so fasziniert ist der Anblick des Himmels, der in düsterem Grau, in verschiedenen Tönungen der Wolken, die sich wie zerfressene Watte ausgebreitet haben, über die Welt spannt. Was mich fasziniert ist die Stelle genau geradeaus, zwischen dem Haus der Bäcke und dem großen Stall des Bauern Pfeffer. Das ist die Stelle, an der der Mond scheint.
Der Mond ist nicht zu sehen. Er steht irgendwo hinter einer ziemlich schwarzen Wolke. Was aber das Spannende daran ist – es ist nicht nur eine Wolke, es sind viele kleine, zerfetzte Wolkenteilchen, die da vor dem Mond hängen. Sie sind viel schwärzer, als die Wolken sonst überall am Himmel. Sieht irgendwie kriegerisch aus. Höllisch. Und die kleinen Wolkenteilchen, die schwarzen, sind von hinten beleuchtet, als würde eine riesige Laterne dort brennen. Nur nicht rot, sondern gelb.
Ich weiß nicht, warum ich das jetzt alles erzählen muss. Aber ich möchte es später noch wissen.
Gerade fährt ein Auto vorbei. Wohin fährt es? Ich weiß es nicht. Vielleicht wird es noch einen tödlichen Unfall haben. Inzwischen steht der Mond frei am Himmel. Ich kann kaum mehr geradeaus laufen. Bin inzwischen am Ortsausgang. Bin sogar schon nach links abgebogen, Richtung Witthau. Schwanke von links auf der Straße nach rechts und wieder nach links. Schau wieder den Mond an – die Wolken haben sich leicht nach Osten verschoben. Und hier möchte ich noch anmerken, dass ein verrückt gewordener Motorradfahrer die Strecke zwischen Hörvelsingen und Beimerstetten mit laut hörbarem Geräusch und mindestens 200 km/h bestreitet. Ich möchte gern wissen, wie lange dieser junge Mann – denn ich gehe davon aus, dass es ein junger Mann ist – noch lebt.
Nun aber, trotz allem Übel auf der Welt, ich muss weiter. Und ich laufe geradeaus, die Straße entlang, links und rechts kleine Maisfelder - nicht klein, sondern groß, aber von niedrigem Wuchs. Und vorne kommen die drei Bäume wie schwarze Schatten näher, zwischen den Bäumen habe ich mal mit meinem Bruder Matze - den wir inzwischen alle nur noch Knabe nennen – mit ihm habe ich dort eine Schatzkarte vergraben. In einer zerbrochenen Weinflasche, genau in der Mitte der ersten zwei Bäume. Der letzte Baum, der dritte, ist nur da, damit die Möglichkeiten größer sind.
Das heißt, ich laufe jetzt auf Witthau zu. Wie oft ich das jetzt schon gesagt hab, weiß ich nicht. Ich muss dazu anmerken: Der Mond ist inzwischen wirklich sehr frei, die Wolken sind ziemlich weit nach Osten gerutscht. Es sieht aus, als würde eine Grillzange sie ziehen.
Über mir drei dünne Striche. Rechts von einem Mast ausgehend. Links ebenfalls ein solcher Mast. Ich rede hier nicht von Masten, die aussehen wie der Eifelturm, es sind schlichte Masten, wie die Telegraphenmasten in Westernfilmen vielleicht. Und die Striche sind natürlich Stromkabel.
Ja und des Weiteren – oh, ich bin inzwischen wirklich betrunken! – des Weiteren wünsche ich hiermit dem Diktiergerät und allen, die vielleicht eines Tages den Text lesen, den ich Morgen über diese Aufzeichnung verfassen werde… ich wünsche allen: Gute Nacht!