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Nebenwirkungen
Nebenwirkungen
„Sie werden noch von meinem Anwalt hören“
Wie oft hatte ich diesen Satz schon gehört. Diese Leute konnten einfach keine Kritik vertragen. Sie lasen meine Artikel, dann hassten sie meine Artikel und dann klingelte das Telefon bei mir. Viele Anwälte kamen auf eine Tasse Tee rüber, um den Wunsch ihres Mandanten zu äußern. Jedes Mal kehrten sie enttäuscht zurück. Denn es gab bei uns nur Kaffee und den Hinweis, dass ihr Mandant in meinem Artikel weder beleidigt oder in irgendeiner Weise angegriffen wurde. Es war sachliche Kritik und in diesem Land herrschte nun mal Pressefreiheit.
Wenn man erfolgreich war, dann musste man halt mit diesen Nebenwirkungen umgehen können. Auch viele Menschen in meiner Abteilung waren neidisch auf mich. Das beste Beispiel dafür war Jack Livingston. Jack kam vor fünf Jahren von London nach Berlin, um seinen kulturellen Horizont zu erweitern. Meinte er zumindest. Doch gleich zu Beginn seines Engagements bei der Berliner Morgenpost stapelten sich seine Akten zu einem riesigen Turm zusammen, sodass sein Horizont meistens nicht über den Schreibtisch kam. Während ich regelmäßig Lohnzuschüsse bekam und letztes Jahr befördert worden war, saß er immer noch an dem gleichen abgemoderten Holztisch und sortierte die alten Zeitungen ins Archiv.
Dabei hätte er sich einfach nur um seinen eigenen Kram kümmern müssen. Vor zwei Monaten hatte unser Redakteur eine Beförderung für Jack geplant. Zu diesem Anlass kam er sogar persönlich zu seinem Schreibtisch, um ihm zu gratulieren. Unglücklicherweise war er genau zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt an meinem Stuhl zu sägen. Seine Beförderung wurde gestrichen und sein Lohn gekürzt. Wie das Schicksal so wollte, bekam ich auf dem darauffolgenden Tag einen Lohnerhöhung. Jack kochte vor Wut und gab mir die Schuld für das Ganze. Was konnte ich schon dafür?
Eine Stunde vor Redaktionsschluss entschied ich mich nach Hause zu fahren. Die Arbeit für heute war getan. Als ich an Jacks Schreibtisch vorbeiging, hatte ich das Gefühl, jederzeit von seinen hasserfüllten Armen erwischt werden zu können, die plötzlich durch die Aktenstapel durchgreifen, um mich durch das Gebäude zu schleifen. Zum Glück behielt er die Nerven und versuchte nicht wie letzte Woche mir ein Bein zu stellen. In der Vorfreude, meiner Frau Samantha und meinen zwei Kindern eine Überraschung machen zu können, stieg ich in mein blankgeputztes BMW Cabriolet. Ich roch kurz an den Sitzen. Das Spray mit dem Neuwagengeruch hatte wirklich gewirkt. Völlig fasziniert von dem Aroma, fuhr ich aus meiner Parklücke. Im Rückspiegel bemerkte ich auf einmal einen pechschwarzen Lkw, der immer schneller auf mich zufuhr. Völlig verängstigt drückte ich das Gaspedal durch. Ein Schuss ertönte, jedoch konnte ich bei dieser Hektik nicht wahrnehmen, woher er kam und wen oder was er traf. War mir in dem Moment auch ziemlich egal. Ich wollte nur noch unversehrt verschwinden. Mit einem Riesentempo raste ich auf die Kurve zu, um aus dem Parkplatz rauszukommen. Wie in Trance krachte ich durch die Schranke und entwischte somit meinem Verfolger, der meinen Schätzungen zufolge irgendwo hängen geblieben sein musste.
***
Meine Aussage bei der Polizei machte ich noch am gleichen Abend. Am nächsten Tag war ich mit den Nerven völlig am Ende. Mir wurde von der Redaktion freigestellt, ob ich zur Arbeit komme oder nicht. Trotz großer Bedenken wollte ich hinfahren. Zu Hause noch einmal alles durch den Kopf gehen zu lassen, war für mich keine angenehme Variante es zu verarbeiten. Beschäftigung hatte sich bisher immer als beste Methode bewährt, Sorgen zu kompensieren. Natürlich wusste ich, dass es nicht einfach werden würde, gleich wieder im Büro aufzutauchen, als wäre nichts vorgefallen. Normalerweise fuhr ich sehr gerne zur Arbeit, aber in der Regel verfolgten mich auch keine tonnenschweren Fahrzeuge. Außerdem auch noch dieser schreckliche Schuss aus dem Nichts. Nicht einmal Jack hatte wohl je daran gedacht mich zu erschießen. Würde er das tun? Nein, das würde selbst für ihn echt zu weit gehen.
Heil in der Redaktion angekommen, schauten alle auf mich, als hätte ich Geschenke zu verteilen. Ohne darauf zu reagieren, begab ich mich in mein Büro. Mir fiel auf, dass Jack nicht da war und immer mehr Akten seinen Schreibtisch füllten. War er der Täter? Führten die Spuren zu ihm und hatte man ihn vorläufig festgenommen? Diese Fragen erledigten sich schnell, als Jack völlig wutentbrannt meine Bürotür aufriss und auf mich losstürzte. Er packte mich fest am Kragen und zog mich mit einer Bewegung hoch. Vollkommen überrascht von seiner sportlichen Fitness, versuchte ich mich erst nach einigen Sekunden von ihm loszureißen.
„Du!... Wie kannst du nur?... Mir meinen Job zu klauen, reicht dir nicht oder? Jetzt hast du es auch noch auf mein Auto abgesehen! Aber das bringt dir nichts, Michael. Ich brauch kein Auto, um dich ins Jenseits zu befördern“, schrie Jack und drückte mich nun auch noch gegen die Wand. Meine Kollegen eilten mir zur Hilfe, doch vorerst griff keiner ein. Niemand verstand so, genau was los war.
„Auf dein Auto abgesehen? Wovon sprichst du überhaupt? Auf mich wurde geschossen! Ich wurde von einem Lastwagen verfolgt! Und du redest von deinem Auto. Was ist denn überhaupt los?“ Ich konnte mich endlich losreißen und schaffte mir Distanz zu Jack, der immer noch total von der Rolle zu sein schien.
„Du hast doch meinen Micra zertrümmert! Der Schuss war doch bestimmt Tarnung. Ein ganz Gerissener bist du. Aber nein...das lass ich mir nicht gefallen. Sowieso ein Unding, dass so ein kläglicher Journalist wie du in meinem Büro haust. Du denkst, du kannst mich herumschubsen. Du dachtest dir gestern kurz vor Feierabend...ach, du erlaubst dir einfach einen Spaß. Urplötzlich verschwindest du eine Stunde vorher. Fährst meinen allgeliebten Micra gewissenlos zu Schrott und lachst über mich. Nein...das büßt du mir...mit Jack Livingston kann man so etwas nicht anstellen.“ Jetzt wusste ich, woran der Lkw hängen geblieben war. Jacks Micra hatte mir das Leben gerettet. Wie sollte ich ihm das nun bloß beibringen? Die Wahrheit würde ihm das Herz brechen. Er wollte wieder nach mir greifen, jedoch konnte ich diesmal ausweichen.
„Hört auf mit diesen Kinderspielereien. Der Lkw wurde zehn Kilometer westlich von hier gefunden. Leider ohne Fahrer. Zu allem Übel ist der Wagen auch noch auf niemanden registriert. Aber Jack, du kannst dir sicher sein, dass Michael keine Schuld trägt. Der Polizeipräsident persönlich hat mir versprochen, dass der Übeltäter gefasst wird. Nun wieder alle an die Arbeit! Eine leere Ausgabe verkauft sich nicht so gut“, bemerkte unser Redaktionsleiter, der mittlerweile hinzugekommen war, um uns zu beruhigen.
***
Die nächste Woche verlief ohne besondere Vorkommnisse. Der Alltag war eingekehrt. Trotzdem vermied ich es früher Feierabend zu machen und zog es vor mit der Menge nach Redaktionsschluss das Gebäude zu verlassen. Außerdem konnte ich mich jeden Tag auf eine angespannte Hin- und Heimfahrt einstellen. Jacks Wagen sollte noch eine Weile in der Werkstatt verbringen. Aufgrund dessen schlug unser Redaktionsleiter vor, dass ich ihn zur Arbeit bringe und auch nach Hause fahre. So können wir uns vertragen und lernen besser miteinander auszukommen, meinte er. Fehleinschätzungen diesen Ausmaßes hatte unser Chef eigentlich nie. Fünf Jahre komplette Abneigung entlud sich in meinem Cabriolet.
Nach der alljährlichen Betriebsfeier nahm einer unserer Wortgefechte eine größere Dimension an. Intern wurde in unserer Redaktion jedes Jahr die goldene Feder für den erfolgreichsten Journalisten verliehen. Als er bei mir landete, fand Jack natürlich, dass der Preis völlig unverdient zu mir gefunden habe.
„War ja klar! Michael kriegt die goldene Feder. Für welche Artikel hast du sie denn bitte verdient? Für den reinsten Müll. Preis für den schleimigsten Schoßhund hättest du verdient. Nicht mehr und nicht weniger. Auf so ein Niveau muss ich mich nicht hinab begeben“, sagte Jack völlig erzürnt. Für solche Worte hätte ich ihn eigentlich aus meinem Wagen schmeißen müssen, jedoch versuchte ich die Ruhe zu bewahren.
„Du bist doch schon meistens im Keller und sortierst die Akten. Wohin willst du dich noch hinab begeben? Vielleicht solltest du mal nicht an dem Ast sägen, auf dem du gerade sitzt. Oder nicht an meinem Stuhl. Dann kriegst du auch so einen Preis“, antwortete ich gehässig. Eigentlich wollte ich die Unterhaltung nicht ausarten lassen, aber das musste einfach mal gesagt werden.
„Hast leicht reden. Der Liebling. Der Goldjunge. Kriegst alles hinten reingeschoben. Jetzt auch noch die Feder. Passt ja eigentlich. Für den literarischen Scheiß, den du aus dir rauspresst, muss man echt eine Feder reinstopfen, damit es aufhört. Irgendwann wird deine Glückssträhne aufhören und die Menschen werden erkennen, dass deine Texte in den Schredder gehören.“ Irgendwie fand ich es amüsant, wie sehr sich Jack aufregte. Im Prinzip war er mein aufmerksamster Leser. Er kannte jeden meiner Artikel, um sie danach schlecht finden zu können. Diese Streitereien sollten wohl nie aufhören.
Gleich konnte ich ihn an seinem Haus absetzen und mich entspannen. Zum Glück war es auch still geworden zwischen Jack und mir. Anscheinend war ich auch ganz schön müde von der Feier. Mir wurde ein bisschen schwarz vor Augen. Doch nach mehreren Zwinkern, stellte ich fest, dass das Schwarze nicht von meiner Müdigkeit kam. Vorne auf der Straße standen zwei dunkle Mannschaftswagen und versperrten den Weg. Meine Autohupe führte Selbstgespräche. Niemand reagierte. Ich legte den Rückwärtsgang ein, um die Straße umfahren zu können. Jedoch tauchten auch hinter mir dieselben Fahrzeuge auf, sodass ich feststeckte. Langsam bekam ich ein ungutes Gefühl. Die Blockaden standen wohl nicht aus Spaß da. In einer unbelebten Gegend. Jemand hatte uns ganz klar eine Falle gestellt.
***
„Sie sind also Michael Rosenberg?“, meinte ein kleinwüchsiger älterer Typ mit tiefer Stimme. Hinter ihm standen sechs riesige Männer in dunklen Anzügen. Sollte mich wohl einschüchtern. Wurde auch äußerst überzeugend erreicht. Mitten im prasselnden Regen zwischen vier Mannschaftswagen fühlte man sich enorm eingeengt und hilflos. Ich hatte nur Jack auf meiner Seite und der wartete wohl nur auf den passenden Zeitpunkt, um sich auf die Gegenseite stellen zu können.
„Nein, Sie irren sich, das ist der Kerl neben mir.“ Ich versuchte den Verdacht auf Jack zu lenken, auch wenn ich wusste, dass es nicht die feine englische Art war.
„Was? Du schiebst mir das nicht auch noch in die Schuhe. Ich bringe dich um!“, schrie Jack und holte mit seinem rechten Arm kräftig aus. Einer der Kolosse hielt ihn zurück. Anscheinend war die Bande wirklich nur gekommen, um mit mir zu reden.
„Wir wissen wie sie aussehen, Herr Rosenberg. Sie können uns nicht täuschen. Ich bin Georg Fledel. Sie kennen mich bestimmt. Ich will sie nur um etwas bitten.“ Sein Name kam mir bekannt vor, jedoch konnte ich ihn nicht zuordnen. Trotz seiner Männer wirkte er nicht wie ein kleiner Mafiosi. Seine Stimme wirkte außerdem auch sehr vertraut. Kannte ich ihn aus dem Fernsehen oder Radio?
„Um was für eine Bitte handelt es sich denn?“, fragte ich, als würde ich schon wissen, mit wem ich es zu tun hatte. Jack hatte sich mittlerweile beruhigt und stand wieder neben mir.
„Sie müssen wissen, Herr Rosenberg. Ich bin ein empfindlicher Mensch. Ich mag es nicht, wenn man sich über meine Firma lustig macht. Wir sind ein seriöses Unternehmen. Unsere Pharmazeutika sind das Beste auf dem Markt. Da kommen Sie und ruinieren unseren Ruf. So etwas kann ich nicht dulden. Erst wollte ich Sie aus dem Weg räumen. Gelang nicht. Dann entschied ich mich anders und dachte, das ist viel zu einfach. Sie sollen leiden. Ich will, dass Sie ihren Job aufgeben“, bemerkte Georg. Ich hielt nichts von seiner Idee. Nun wusste ich aber, mit wem ich es zu tun hatte.
„Was kann ich denn dafür, dass Sie ihre Firma Pharma-Karma nennen. Sie wollen mit ihren Mitteln nicht nur die Krankheiten der Menschen heilen, sondern auch ihr Wohlbefinden verbessern. Dafür setzen Sie die Leute unter Drogen. Wie sollte ich das denn bitte in meinem Artikel positiv darstellen? Und was wollen Sie machen, wenn ich nicht meinen Job aufgebe?“, fragte ich neugierig.
„Ich sehe schon. Sie sind ein stures Wesen. Ich werde wohl zu Option eins zurückgreifen müssen“, sagte er und seine Worte liefen mir kalt den Rücken runter.
„Nein! Nein! So meinte ich das nicht. Dann höre ich halt auf. Es ist ja nicht der einzige Beruf auf dieser Welt“, hob ich hervor. Jack strahlte über beide Ohren, als er das hörte. Was für eine Wahl hatte ich schon? Ich hatte eine Familie zu versorgen und konnte nicht einfach so dahinscheiden. Mich machte es stutzig, dass dennoch einer der muskelbepackten Herren hinter Georg eine Waffe zog.
„Hatte ich ganz vergessen. Eine Sache wäre da noch. Da es nicht auffällig wirken darf, dass Sie so plötzlich aus ihrem Beruf aussteigen, haben wir uns entschieden, selber dafür einen Grund zu schaffen. Ein Trauerfall erschien am einleuchtendsten. Aufgrund depressiver Störungen, welche durch den Todesfall verursacht wurden, beenden Sie ihre Karriere als Journalisten, Herr Rosenberg“, meinte Georg.
Was mich dazu trieb, mich in den Schuss zu werfen, um Jack zu retten? Die Nebenwirkungen.