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Negerkönig sagt man nicht

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05.10.2016
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Negerkönig sagt man nicht

Er sah ja nichts mit den Augenklappen, lag den ganzen Tag auf der Couch und konnte nur hören, was um ihn herum passierte. Ja, seine Ohren. Die würden ihm bleiben, dachte er, die müsste er jetzt trainieren, um einen neuen Sinn auszubilden, weil die Augen, die konnte er vergessen. Der Doktor hatte einen Tonfall in der Stimme, das merkte er genau, dass er ernst war, sehr ernst, so ernst, dass es dem Martin ganz schwarz vor den Augen würde, aber sie blickten ohnehin ins Schwarze, auf zwei schwarze Deckel, die ihm der Arzt aufgelegt hatte.
„Frau Kieland, bitte kommen Sie mit heraus“, hörte er den Doktor sagen und da spitzte er seine Ohren, und das leise Flüstern drang zu ihm, als wenn sie neben ihm sprechen würden, weil nichts ihn ablenkte, nicht die dummen Augen, mit denen er durch das Loch gestarrt hatte, stundenlang, und jetzt lag er da, kurz vor der Erblindung, würde der Arzt wahrscheinlich gleich seiner Mutter sagen.

„Konjunktivitis“, drang es deutlich an sein Ohr, „Bindehautentzündung in einer schwereren Form. Wahrscheinlich eine bakterielle Infektion durch einen verschleppten Keim. Auch eine mechanische Reizung der Bindehaut wäre denkbar. Aber die verläuft nicht so gravierend. Möglicherweise hat sich ein Bakterium eingenistet in das gereizte Gewebe. Ich habe einen Abstrich gemacht. Der kommt ins Labor, dann sehen wir weiter. “
„Wird er?“, fragte Ottilie, seine Mutter, und ihre Stimme stockte.
„Man wird sehen. Ist Ihr Sohn allergisch, hatte er Herpes in letzter Zeit, oder war er in der Zugluft?“
„Martin war nicht in der Zugluft“, sagte Ottilie. „Martin, warst du in der Zugluft?“, rief sie in das Wohnzimmer.
„Nein“, antwortete er mit brüchiger Stimme. Und dabei war er natürlich in der Zugluft gestanden, oder besser gesagt, seine Augen standen in der Zugluft und alles wegen der Titten. Alles wegen ein wenig Fleisch in dem gottverdammten Gang, den man sowieso abreißen würde, weil das neue Freibad daneben schon fast fertig war. Und nun hatte ihn der Gang zum Abschied blind gemacht, bevor er zertrümmert wird. Blind sein, wie schlimm wäre das? Mit einem Hund könnte er sich anfreunden, der ihn über die Straße führt, ein langer Stock lag hinter dem Haus. Mit ihm würde er wie mit einer Sense vor sich herumfahren und die Leute im Umkreis von zwei Metern verscheuchen, die ihn mitleidig anglotzten. „Glotzt nicht so dumm“, würde er sie anbrüllen. Aber wie sollte er wissen, dass sie dumm schauten? Er könnte es ja nicht sehen. Und alles wegen der paar Titten und Max meinte, es sei so geil in dem Gang und durch die Löcher könnte man wunderbar die Badenden sehen, wie sie sich ausziehen und anziehen und bei den Mädchen wäre es besonders interessant. Und jetzt sollte er mit seinem Augenlicht dafür bezahlen, dass er geguckt hatte, stundenlang. Max an einem Loch, und er an dem anderen.

Jemand strich über seine Stirn. Es war Ottilie, die lautlos hereingekommen war, und er hatte sie nicht gehört, weil er nur an den Max dachte, den Idioten, der ihn verführte.
„Wie geht es dir?“, fragte ihn Ottilie ganz sanft und strich ihm über die Wange. Er hielt ihre Hand fest und fragte: „Mama, werde ich blind?“
Und dass sie eine Weile mit der Antwort wartete, war für ihn eine Antwort, und er deutete es als schlimmes Zeichen und drückte ihre Hand ganz fest auf sein Gesicht, dass es in den Augen noch mehr wehtat.
„Es wird wieder gut“, brachte sie dann heraus und er merkte, wie ihre Stimme zitterte und wie sie leise schluchzte. Er hörte, wie sie dagegen ankämpfte, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren, um nicht sagen zu müssen: „Wir werden sehen, Martin, möglicherweise verlierst du dein Augenlicht.“ Aber sie strengte sich an und sagte es nicht und dass sie das tat, berührte ihn noch mehr und er spürte, wie sich seine mit Eiter und Schleim überzogenen Augen mit Tränen füllten, dass es höllisch brannte. Dann träufelten sie unter den Augenklappen hervor.
„Versuche, zu schlafen“, sagte sie ganz sanft und ihre Stimme klang wieder fester und tröstlicher als vorher.
„Ja, ich versuche es“, sagte Martin und dachte an die letzte Nacht, in der er kein Auge zugetan hatte, obwohl beide zu waren, obwohl er nichts als Schwarz sah, aber an nichts anderes denken konnte, als an den Gang im Freibad, der für sie verboten war.

„Da ist ein Gang hinter den Kabinen im Badehaus. Und da sind Astlöcher. Und da wirst du staunen“, hatte Max ihn angelockt. Martin folgte ihm und er könnte sich verfluchen dafür, dass er ihm gefolgt war. Weil er jetzt eben die Strafe dafür bezahlte, dass er den ganzen Tag nackte Leute durch das Loch angestarrt hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, bis die Bindehaut ausgetrocknet war, dass sie juckte und brannte. Mit einem Hund würde er leben können und mit einem Stock auch. Und die Ohren würde er spitzen, wie ein Verrückter. Es gab blinde Klavierspieler, das hatte er schon gesehen. Sehen! Nie wieder würde er einen blinden Klavierspieler sehen können. Aber es gab sie und sie spielten unglaublich gut. Und es gab Blinde, die auf den Mount Everest gestiegen sind. Das könnte er auch. Das traute er sich zu. Aber Lesen. Wie sollte er jemals Blindenschrift lernen können?

„Wenn du blind wirst, das ist kein Problem“, sagte der Siegfried, sein Bruder. „Da lernst du Blindenschrift, dann kannst du alles lesen. Da gibt es Bücher, die sind alle in Blindenschrift geschrieben.“

Der Trottel, dachte er. Einmal, im Aufzug im Krankenhaus, als sie Oma besuchten, hatte er neben den Knöpfen mit der Stockwerksangabe die Blindenschrift befühlt. Er spürte nichts als ein paar Erhebungen, die unregelmäßig angeordnet waren. Wie sollte er das jemals lernen? Auf seinem Bauch lag die Wärmflasche aus Gummi. Ottilie hatte sie ihm gebracht, obwohl ihm am Bauch nichts fehlte. Er fühlte die Noppen der Flasche, fuhr darüber und stellte sich vor, dass ein Blinder, der die Blindenschrift beherrschte, daraus wahrscheinlich eine Geschichte herauslesen könnte, oder vielleicht keine Geschichte, aber Wörter, Begriffe, irgendwas. Aber er konnte nichts daraus lesen. Für ihn waren es nur stumme Noppen auf einer Wärmflasche. Niemals würde er das lernen, niemals würde er Geschichten lesen können aus Noppen, die sich kaum vom Grund abhoben.

Dieser verfluchte Gang, der Gang hinter den Kabinen, der dem Untergang geweiht war. Er war verbotene Zone. Nur über das Wachzimmer des Bademeisters konnte man ihn betreten. Aber entweder war der Bademeister, so wusste Max, selbst damit beschäftigt, durch die Löcher in die Kabinen zu glotzen, oder er stand breitbeinig mit seiner roten Badehose vor dem Badehaus und unterhielt sich den ganzen Nachmittag mit blonden Frauen und streckte ihnen seine Hüften entgegen, die sich im Schritt dabei ausbeulten. „Keule“ nannte ihn Max, obwohl er Helmut hieß, und das war auch der Alarmruf, falls er kommen sollte.
„Ich rufe: ‚Keule kommt‘, sobald er sich nähert. Dann schnell den Gang entlang und durch das Fenster da hinten, siehst du? Eine sichere Geschichte. Wir werden unseren Spaß haben“, sagte Max. Aber Keule kam nicht, weil er vor seinem Wachzimmer stand und Frauen anmachte und sie hatten den ganzen Nachmittag Zeit. Hätte er nur nicht auf Max gehört, auf diesen Deppen, der meinte, er wüsste, wie man das macht. Aber er hatte auch Glück. Seine Augen waren in Ordnung am Ende des Tages. Der Wind ging ganz sanft und wenn man die Hand an das Loch hielt, spürte man nur leicht, wie er sich durch die kleine Öffnung hindurchzwängte, fühlte man einen leichten Druck auf der Haut. Dem Max machte es nichts aus. Aber für ihn, für den Martin, da reichte das bisschen Zugluft, dass es für seine Augen war, wie in einem Windkanal. Und er, er könnte sich verfluchen. Er musste ja unbedingt das Auge wechseln, wenn ihm das eine brannte. Da nahm er das andere und wechselte hin und her. Mit einem Auge, da hätte er noch sehen können. In das andere hätte er sich ein Glasauge gestopft, wobei ihn nur die Vorstellung ekelte, in die Augenhöhle zu fassen und ganz hinten kam ja schon sein Hirn. Aber immerhin hätte er ein Auge gehabt und Polyphem, das hatten sie zuletzt in Latein übersetzt, der einäugige Riese, machte auch dem Odysseus das Leben schwer, obwohl er nur ein Auge besaß. Und das stach ihm Odysseus aus mit dem Holzpflock. Aber ihm könnte man nicht einmal mehr ein Auge ausstechen mit einem Holzpflock, weil er gar keines mehr hätte.

Dabei war es ja am Anfang so lustig, wie der dicke Herr Breitsamer in die Kabine kam, der, wie Max immer sagte, eine Wampe hat, dass er sich nach hinten lehnen muss, um nicht umzufallen. Wie er gerade noch in die Kabine passte, das konnte Martin genau beobachten, wie er keuchend die Hose herunterstreifte und seinen behaarten Hintern dem Martin entgegenstreckte. Da winkte er den Max her, und der sah auch den Hintern vom Breitsamer als riesige Scheibe in der Umkleidekabine und sie hielten sich die Nasen zu, weil sie fast geplatzt wären vor Lachen, wie der Breitsamer auch noch anfing zu grunzen, wie ein Vieh, als er sich in seine enge Badehose zwängte und sich zwischen den Beinen rieb. Sie schlichen dann den Gang hinaus durch das Wachzimmer und atmeten nicht, weil sie sonst schon drinnen lauthals gelacht hätten, und dann hätte jeder gemerkt, was sie dort trieben. Also schlichen sie hinaus und durch das Wachzimmer von Bademeister Keule und als sie draußen waren, hielten sie es nicht mehr aus und juchzten in hohen Tönen, dass die Badegäste ringsherum auf sie schauten und sich wunderten. Da kam der Breitsamer aus der Umkleide und ging mit finsterem Gesicht an ihnen vorbei, und sie mussten nur auf seine Badehose schauen und prusteten, bis sie keine Luft mehr bekamen.

Das hatte ja der alte Pastor Helfrich schon im Konfirmationsunterricht gesagt, dass man sich nicht lustig machen soll über das Gebrechen anderer Leute, und das hatten er und Max ja weidlich getan, hatten ihn ausgelacht, den Breitsamer mit seiner knackengen Hose, über die ihm der Bauch hing, wie ein nasser Sandsack. Martin musste in seinem Leid kurz auflachen, wenn er an seinen finsteren Blick dachte und daran, wie er sich zwischen den Beinen rieb. Hatte ihm das also Gott nicht verziehen? Hatte er ihn gestraft, dachte Martin, weil er sich lustig gemacht hatte über einen Fetten, der kaum in die Kabine passte?
„Gott droht zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht gegen seine Gebote handeln“, sagte der alte Pastor Helfrich und schaute sie streng an. Den kleinen Katechismus, den hatte er ja gelernt für die Konfirmation, obwohl ihm der Gott ziemlich egal war. Er freute sich auf Geld und auf Geschenke. Und jetzt hatte er den Dreck, die Strafe in seinen Augen. Und alles wegen dem alten Holzschuppen von Badehaus, das sowieso demnächst abgerissen wird und ihm als letzte Hinterlassenschaft die Blindheit vermachte. Tanzen würde er um den Holzhaufen, ein Streichholz anzünden und Benzin in die Flammen schütten, dass es hoch in den Himmel lodert, weil es ihm Recht geschehe, dass es restlos zertrümmert wird, ausgelöscht, jede Spur getilgt. Aber Martins Spur würde nicht getilgt, er würde immer an das Badehaus denken müssen und an das, was ihm der läppische Gegenwind angetan hat.

„Wenn du blind wirst, das ist kein Problem“, sagte der Siegfried, sein Bruder. „Im Fernsehen wird jetzt ganz viel mit Gebärdensprache übersetzt für die Behinderten.“ Und der Martin schrie ihn an, was er für ein Blödmann sei, weil ein Blinder die Gebärdensprache nicht sehen könnte. Die sei für die Gehörlosen, das kapiere doch jeder Depp.

Vielleicht aber, dachte Martin, war es auch die Strafe wegen der Frau Pelletier, der Französin, die seit langem in der Nachbarschaft wohnte und rief: „Wo ist denn der liebö Martä“, wenn er ihr helfen sollte. Er ging ja gerne zu ihr und riss das Unkraut in ihrem Garten aus, sammelte heruntergefallene Äpfel und mähte den Rasen, weil ihm ganz schummrig wurde, wenn sie ihn ansah mit den langen Wimpern und den tiefblauen Augen, und ihm das Herz in die Hose rutschte, wenn sie ihm über das Haar strich und hauchte: „Die bist eine so Liebör. Ich wünschte mir eine Sonn, wie du.“
„Pelletier, ach komm zu mir“, dichtete Max immer und es half nichts, dass ihn der Martin berichtigte, dass man es französisch ausspricht: „Pelletje.“ Aber dann dachte es Martin selbst, als er sie durch das Loch sah, „Pelletier, ach komm zu mir“, und sein Mund wurde ganz trocken und er bekam ihn gar nicht mehr zu, als sie aus dem luftigen Sommerkleid stieg, das sie sich nur von den Schultern zu streifen brauchte und schon stand sie fast nackt in der Kabine, nur ein kleiner Schwupps, und sie hatte nichts mehr an. Nur den schwarzen Büstenhalter sah er von hinten, den Verschluss, und am liebsten wäre er mit den Fingern durch das Loch geschlüpft und hätte die Haken geöffnet, aber die Pelletier machte das mit ihren anmutigen Händen und streifte den Halter über ihre Brüste. Und dann stand sie seitlich und er sah ihre Brüste im Profil, die zu den Brustwarzen hin anstiegen, wie zwei Skisprungschanzen. Da tauchte die Pelletier ihre Hand in einen Topf. Die Finger waren ganz weiß mit einer Schmiere bedeckt, die sie auf dem ganzen Körper verteilte, und ein Duft drang in Martins Nase, ein Duft aus Mandarinen und gebrannten Mandeln, und er ließ sein Auge offen, obwohl es unbedingt blinzeln wollte, aber er konnte keinen Augenblick verpassen, als sie mit ihren Händen zuerst ihre Beine eincremte bis oben hin, dann den Bauch und dann um ihre Brüste fuhr und die Masse mit schmatzenden Geräuschen in ihre Haut knetete. Er drückte seine Hüfte an die Wand, wetzte daran hin und her und steckte eine Hand in die Hose. Da pfiff Max, der von seinem Loch gerade aufsah, leise herüber und zischte: „He, wichst du?“ Und da erschrak Martin, zuckte zurück und schnellte wieder nach vorne, dass sein Kopf an die Wand knallte. Gleich ging er in die Hocke unter dem Loch und fühlte genau, wie das Auge der Pelletier darin erschien und unruhig hin- und herwanderte. „Ist da wör?“, rief sie und über sich spürte er, wie ein Strahl suchend den Korridor ausleuchtete, wie das Auge vom Polyphem, bevor es der Odysseus ausstach, aber er war darunter und sie konnte ihn nicht sehen.

Ein gnädiger Gott, das hatte der alte Helfrich gesagt, ein gnädiger Gott, danach hätte der Luther gesucht. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“, rief er immer. Dazu machte er große Augen und seine buschigen Augenbrauen richteten sich auf wie schwarze Pinsel. „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Das wäre Luthers Frage gewesen. Dann soll doch, so dachte Martin, der verdammte Gott mit ihm auch gnädig sein, an ihm seine Gnade erweisen und ihn, trotz der Sünden, von der Blindheit verschonen. Nie wieder wollte er, so schwor er, an Brüste denken, nie wieder sich anfassen, nie wieder unkeusch denken, wie es im Katechismus stand. Aber je mehr er versuchte, die Brüste der Pelletier zur Seite zu schieben, desto stärker kamen sie zurück und türmten sich vor ihm doppelt, dreifach, hundertfach zu einem Gebirge aus Brüsten auf, und er fuhr mit den Skiern über die Brustberge hinunter und sprang über die Brustwarze in die Tiefe, die ihn in einer trostlosen Dunkelheit verschlang. Nein, er könnte nicht keusch leben, das würde er nicht schaffen, er würde die Brüste nicht aus seinem Schädel bekommen, immer mehr würden sie zurückkommen, über ihn herfallen und ihn unter sich begraben, dass er nichts mehr sähe, nur noch Schwarz, aber das würde er sowieso. Und seine Hände, die er vorher artig neben die Schenkel gelegt hatte, fuhren wieder in der Körpermitte zusammen und verzweifelt zerrte er an seinem Schwanz, der sich nicht ausreißen ließ und stattdessen anschwoll zu einem beträchtlichen Stamm, der Keule alle Ehre gemacht hätte. Und so lag er da, der Martin, und umklammerte seine aufgepflanzte Stange und schluchzte laut auf vor Mitleid mit seinen Augen, seiner Mutter, seinem Schwanz und sich selbst.

Dann war es Abend und die Sonne stand schon tief. Viele Kabinentüren waren offen, und das Licht drang herein und warf durch die Astlöcher gebündelte Strahlen in den Gang. Martin sah den beleuchteten Staubflocken zu, die darin herumflogen. Er saß auf dem Boden und Max neben ihm, und er blinzelte in die Lichtstäbe, die ihm vorkamen wie aus einer anderen Welt, als hätte jemand Löcher in den Himmel gestoßen, und aus einer fremden Galaxie würde eine fremde Sonne in ihre Gangwelt scheinen. Das Kreischen der spielenden Kinder draußen war leiser geworden, das Raunen der Gespräche und das Wasserplantschen verebbte. Das Bad leerte sich. Da quietschte noch einmal die Tür, und Martin stand noch einmal auf und sah durch sein Guckloch den roten Haarschopf von Rebecca.
Er wendete sich erschreckt zur Seite. Sie hatte ihn am Vormittag noch gefragt, ob er ihr bei der Übersetzung vom Odysseus helfen könnte, weil sie immer mit dem Perfekt Schwierigkeiten hätte und mit dem AcI. Und er bekam einen roten Kopf und sagte: „Klar helfe ich dir, ist nicht so schwierig“, und schaute ihr nach, wie sie mit den langen roten Haaren vor der Schule nach links ging und er nach rechts. Und der Max sagte immer: „Was willst du mit der. Die hat ja Feuer auf dem Kopf.“ Aber das war Martin egal, oder gerade wegen dem Feuer wurde er immer feuerrot, wenn er sie sah und sie sich ihm näherte. Und plötzlich stand sie kurz vor Badeschluss in der Kabine und die Augen vom Martin waren schon gereizt, und er rieb sich immer wieder über das Gesicht und fuhr mit dem Finger in das eine Lid und dann in das andere, weil er meinte, es sei ein Staubkorn drin, oder eine Holzfaser. Und dabei waren die Augen so blutunterlaufen, dass der Max sagte: „Mensch, deine Augen sind ja blutrot.“ So rot wurde Martins Kopf, als Rebecca kam und er sich abwendete, aber dann doch wieder schaute, als sie ihren Bikini auszog. Aber auf einmal schämte er sich und drehte sich weg. Nein, auf keinen Fall wollte er die Rebecca nackt sehen. Nur von hinten wollte er sie anschauen, wie ihr die leuchtenden Haare über den Rücken fielen, oder ihr Gesicht, ihre blasse, schimmernde Haut, von der sich ihr Mund rot geschwungen absetzte. Davon hätte er nicht genug bekommen. Aber sie durch das Loch anstarren, das konnte er nicht und er spürte, wie ihm das Herz im Hals pochte und er war nur froh, durch die Wand Rebecca nahe zu sein und er legte die Hände auf das Holz und streichelte es. Dann hörte er, wie sie drinnen ihr Haar kämmte und leise das Lied sang, das sie am Vormittag in der Musikstunde gesungen hatten: „When I find myself in times of trouble mother Mary comes to me.
Speaking words of wisdom: Let it be.“ Und er lehnte an der Wand und seine Lippen bewegten sich stumm mit den ihren.

Und jetzt lag er da mit den Augenklappen und statt Schwarz sah er Rot, weil er an die Haare Rebeccas dachte und an den AcI und an ihr blasses Gesicht. Und vielleicht würde er das nie mehr sehen können, aber fühlen, das könnte er immerhin noch und er fuhr wieder über die Noppen der Wärmflasche, die, wenn sie schon nicht lesbar waren für ihn, doch fühlbar waren, und fühlen könnte er die Rebecca und mit dem Finger den zarten Schwung ihrer Lippen nachfahren, den sanften Bogen ihrer Nase, die weiche Kurve ihres Kinns. "When I find myself of trouble speak words with me”, improvisierte er mit seiner kratzigen Stimmbruchstimme, schluckte ein paar Mal, weil er an Rebecca dachte, wie sie singend in der Kabine stand und ihr Haar bürstete, und da hoffte er, dass das Hören schon reichen würde und das Riechen und das Fühlen, und dass es schon irgendwie werde. „Let it be, let it be, let it be“, krächzte er weiter und seine Mutter hörte ihn und sagte: „Martin, du singst ja“. Und er antwortete: „Ja Mama, ich singe.“

„Wenn du blind wirst, lese ich dir immer was vor, was du magst“, sagte Siegfried, sein Bruder. „Auch die Geschichten vom Humer, die mich gar nicht interessieren, das griechische Zeugs. Weil die hatten ja nicht mal richtige Pistolen.“ Und der Martin streckte seine Hand aus und suchte nach dem Kopf vom Siegfried und strich ihm über das Haar.


Martin stand neben Keule und sie schauten dem Bagger zu. Der machte sich gerade mit offenem Maul über das Gebälk des Badehauses her und Martin kam der Bagger vor wie ein Tyrannosaurus, der aus seinem Opfer enorme Fleischbrocken herausreißt und sich dann aufrichtet, den Kopf wild schüttelt und mit weiten Augen in die Urlandschaft stiert, während ihm das Blut von den Lippen tropft . Dann löste der Bagger seine Klappe und ließ die Schaufel mit Wucht herabsausen, dass die Dachkonstruktion krachend zusammenbrach.
„Schade“, sagte Keule. „Ich werde sie vermissen, die alte Bude. Da habe ich mich sehr wohlgefühlt.“ Er wippte mit der Hüfte vor und zurück. Martin dachte an Max, der erzählt hatte, dass das neue Freibad blöd sei, weil da gäbe es keinen Gang hinter den Kabinen, das hätte er schon ausgespäht und das mache ja gar keinen Spaß ohne Gang.
„Aber du hast Glück gehabt. Ein Auge ist ja schon wieder frei“, sagte Keule.
„Das andere wird auch wieder, hat der Doktor gesagt“, gab Martin zurück.
„Na also, da siehst du im Herbst ja wieder ganz normal. Und jetzt bleibst Du noch ein wenig, wie der Papa von Pippi Langstrumpf mit der Augenklappe. Wie nannte sie ihn gleich wieder? Ah, Negerkönig“, sagte Keule und lachte.
Martin blieb noch eine Weile stehen und betrachtete stumm, wie der Bagger den Gang einriss und die Bretter der Kabinen zersplitterten. Dann ging er, wendete sich um und rief Keule zu: „Negerkönig sagt man nicht!“

 
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Hallo Dion,
besten Dank für Deinen aufschlussreichen Kommentar, der mich zum Nachdenken bringt, was für eine vielschichtige Sache das ist. Der Hinweis auf Balthus‘ Bild ist natürlich besonders spannend, weil er eine Ebene aufreißt, die dann den Erwachsenen ins Spiel bringt, die Sichtweise, die er auf eine, wie auch immer geartete, kindliche Erotik haben könnte. Lehrkräfte an höheren Schulen haben in der Beziehung professionell zu sein und wegzuschauen, wenn sich prekäre Ansichten auftun. Und dennoch gibt es ein Spiel der Kinder mit Sexualität, das spürt man unmittelbar, das nicht im Sinn einer körperlichen Begegnung gemeint ist aber durchaus in einem Spiel mit dem Körperlichen. Das, glaube ich, hat Balthus gemeint, auch wenn er selbst eine fast spirituelle Seite der Wahrnehmung betont. Die Heftigkeit des Diskurses zeigt aber genau, wie sensibel der Kodex ausgelegt und eingefordert wird. In Bezug auf die Realität finde ich das natürlich gerechtfertigt. In der Kunst steht es meiner Meinung nach anders. Die muss doch Kontroversen anstoßen, um vielschichtige Phänomene offenzulegen. Ich bin Deinen Gedanken sehr gern gefolgt, dass das auch bei Jugendlichen anders gesehen wird. Ihnen gesteht man den mehr oder weniger verstohlenen Blick zu, die noch nicht ausgewachsene Triebkontrolle, die man von Erwachsenen erwartet. In dieser Beziehung war für mich Rebecca weniger moralisch gedacht, eher als andere Facette, als anderer Ton, der in Martins Geschlechterwahrnehmung angespielt wird und die Äußerung zum Negerkönig dann als Zeichen einer Entwicklung, dass er eben den Kodex versteht, warum man das tut und das nicht. Dennoch kann ich den Gedanken des Moralischen gut nachvollziehen.
Sehr interessant fand ich Deinen Abschluss: Reaktionär kann man ja etliche Bewegungen aktuell durchaus bezeichnen. Das Formelle, wie Du sagst, wird als wichtig angesehen. Andererseits, weil Du München ansprichst, gibt es ritualisierte Entgleisungsveranstaltungen, wie das Oktoberfest, in denen in einem bacchanalischen Rausch die Form über den Haufen geworfen wird. Und das vor aller Augen und ohne dabei blind zu werden.
Herzliche Grüße
rieger

Hallo Achillus,
Du hast Dich durch einen Text gelesen, der nicht Deinen Geschmack trifft. Das finde ich respektabel und ich danke Dir herzlich dafür. Mir geht es manchmal so, dass ich Texte beginne und dann nach drei Sätzen weiß, dass ich nicht weiterlesen will, weil ich den Ton nicht mag und so weiter. Und das ist, wie Du sagst, unabhängig von der Qualität der Schreibe. Das ist einfach eine persönliche Präferenz und nicht nur in den Kommentaren des vorliegenden Textes, sondern in sehr vielen anderen hier und woanders, wo über Gestaltetes geredet und geurteilt wird, geht es so zu, dass man ein Für und Wider anführt. Über Geschmack … Dennoch ein paar Bemerkungen zu Deinem Kommentar. Es gibt ja unterschiedliche Arten des Humors. Klar, der bissige, gemeine, der entlarvende, der zynische Humor wird als intellektuell hochwertig eingeschätzt und ich muss zugeben, ich habe auch meine Ressentiments gegen die kalauerdreschenden Horden von Kabarettisten, die sich von Lacher zu Lacher hangeln. Da lehnt sich der Connaisseur zurück und freut sich am absurden, abgründigen Humor Haders, der Lisa Eckhard, der Brucker. Das kann ich absolut nachvollziehen. Nur, ich muss es einfach so sagen, mir hats einfach Spaß gemacht, das Ding zu schreiben und vielleicht wollte ich auch mal etwas machen, das nicht so existenziell und brüchig und abgründig ist. Das kommt Dir nun reaktionär-feuerzangenbowlenmäßig vor. Und damit hast Du natürlich auch nicht Unrecht. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Melange aus Schuldgefühlen, aus Hoffnung, aus Erwartung und Verzweiflung, die den Martin plagt, durchaus keine verklärende Rückschau darstellt und nicht gemütlich-urig ist, sondern einen schon gewichtigen Konflikt darstellt. Gut, der ist in Deiner Sicht wohl überdeckt durch die entbehrlichen spaßhaften Wendungen. Aber das ist dann auch eine Frage der Gewichtung, die, wie Du schreibst, für Dich eher ins Bedrohliche, Tiefschürfende gehen soll, wobei ich die Gedanken nicht untiefschürfend finde. Aber da sind wir wieder bei der Geschmacksfrage angelangt.
Interessant ist Deine Schlussüberlegung. Wenn man sie Wort für Wort nimmt, würde alles, was nicht auf die aktuelle Zeit Bezug nimmt, ohne Aussagekraft sein. Aber es gibt archaische Muster, Matrizes, Pattern, die unabhängig von zeitgebundenen Bildern dargestellt werden können. Und das kann man nicht mit den Begriffen zeitaktuell-relevant – rückwärtsgewandt-naiv-irrelevant gegenüberstellen. Wenn ich es richtig verstehe, wäre mir die Ansicht zu pauschal und zu vereinfachend. Zum anderen ist es nach wie vor ein großer Schritt vom virtuellen zum wirklichen Sehen. Das ist dann tatsächlich immer noch wie in uralten Zeiten.
Besten Dank für Deinen wirklich anregenden Kommentar und Deine Zeit!
Herzlich
rieger

 
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Hallo rieger,

vorweg: Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. Was mir ganz besonders gefallen hat, das ist dein Erzählsound, mit dem du uns aus der Sicht des pubertierenden Martin die (scheinbare) Dramatik der Situation nahe bringst.
Allerdings hatte ich (vermutlich so wie Achillus) auch das Gefühl, dass dein Text ein wenig aus der Zeit gefallen ist, sprachlich und auch über weite Strecken inhaltlich. Sprachlich erinnert mich deine Geschichte an Geschichten, die ich in meiner Jugend gelesen habe (durchaus Spoerl, aber auch Kästner, Britting usw.), inhaltlich scheint sie mir eher in die Zeit der Fünfziger und Sechziger zu passen. Wenn da nicht hin und wieder Einsprengsel wären, die auf die Gegenwart verweisen würden (Gebärdensprache im Fernsehen, die falsche Satzstellung mit ‚weil’ usw.) passte für mich beinahe alles in diese Zeit: der Konfirmandenunterricht und seine Wichtigkeit, die Sprüche des Pastors, der Lateinunterricht, dieser besondere Umgang der pubertierenden Jungen mit ihrer Sexualität. Das alles hat aber mein Lesevergnügen nicht geschmälert. Nur gehöre ich inzwischen zu den etwas angejahrten Lesern. Und deshalb habe ich auch über Achillus Aussage nachgedacht:

Achillus schrieb:
Ich kann verstehen, wenn man sich in die urige Gemütlichkeit einer Zeit der Feuerzangenbowle zurücksehnt.
Aber für mich ist das eine Verdrängungs- und Rücktrittsbewegung. Wir leben nicht mehr in einer Welt in der Bindehautentzündungen wegen Gucklochspannereien das Problem von Jugendlichen sind.
Während ich den ersten Teil und besonders die Schlussfolgerung (zurücksehnen, Verdrängungs- und Rücktrittsbewegung), was deine Geschichte angeht, nicht so ohne Weiteres unterschreiben würde, halte ich den letzten Satz aber für bedenkenswert. Auch ich bin mir nicht ganz sicher, ob alle deine gut ausgedachten Details jüngere und ganz besonders junge Leser ansprechen werden. Mich erreicht deine Geschichte, weil sie in mir Erinnerungen hervorruft an eine Zeit, in der religiös-sittliche Vorstellungen (vermittelt u.a. auch im Konfirmandenunterricht) und pubertäre Empfindungen zu inneren Konflikten führten, was ich mir heute nur noch unter ganz besonderen Bedingungen vorstellen kann.

Und noch etwas zu deiner Antwort auf Achillus:

rieger schrieb:
Wenn man sie Wort für Wort nimmt, würde alles, was nicht auf die aktuelle Zeit Bezug nimmt, ohne Aussagekraft sein. Aber es gibt archaische Muster, Matrizes, Pattern, die unabhängig von zeitgebundenen Bildern dargestellt werden können.

Ganz verstanden habe ich nicht, was du damit sagen möchtest. Gefragt habe ich mich vor allem, was du - im Bezug auf deine Geschichte - mit ‚archaischen Mustern' gemeint haben könntest? Ich sehe die Angst (des Jungen vor Erblindung), die göttliche Bestrafung des ‚bösen Tuns’, die Suche nach Vergebung (durch einen gnädigen Gott) und zum Schluss – und das hat mir eigentlich am besten gefallen – das Herausnehmen der Geliebten (Rebeccas) aus dem ‚bösen Tun’, wie es auch schon Böll in seiner ‚Ungezählten Geliebten’ macht. Hast du an so etwas gedacht?

Aber diese Aspekte machten für mich das Lesenswerte deiner Geschichte nicht aus, einiges fand ich sogar ein wenig zu aufgesetzt und etwas an den Haaren herbeigezogen (u.a. die ganze Geschichte mit dem Konfirmandenunterricht). Mein Spaß beim Lesen lag darin, diesem Jungen und seinen manchmal recht abstrusen Überlegungen zum vorausgegangenen und gegenwärtigen Geschehen zu folgen. Dir ist eine richtig gute und sehr angenehm zu lesende Pubertätsgeschichte gelungen (wann auch immer sie spielen soll/kann). Sprachlich gibt es sehr viele Stellen, besonders auch im Rebecca-Teil, die mir sehr gut gefallen haben. Klamauk habe ich dabei nicht verspürt, lediglich den Namen des Bademeisters fand ich (wie wohl Peeperkorn auch) wirklich daneben.


Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo barnhelm,
freut mich, dass Du die Geschichte gelesen hast und dass sie Dir gefällt. Deine Einwände und Überlegungen habe ich mit großem Interesse gelesen und auf Deine Frage hin musste ich mich selber nochmal sammeln und überlegen, wie ich das sehe.
Mit archaisch meinte ich Triebe, Ängste, Motivationen, die unabhängig von Moden und Zeitströmungen menschliches Handeln bestimmen. Was aus Sexualität, Rivalität, Statusstreben, Existenz und so weiter entsteht. Und das kann meiner Meinung nach in unterschiedlichen Bildern gezeigt werden, die nicht aus der aktuellen Zeit stammen müssen. Im vorliegenden Fall hat mich auch der Begriff Biomacht interessiert, wie in der Gesellschaft Macht verteilt ist, die ein bestimmtes Handeln und bestimmte Ansichten hervorbringt. Das sind hier die Institutionen Gymnasium und Kirche. Das könnten aber auch andere Organisationen sein, darauf liegt für mich nicht der Fokus. Es gibt Mechanismen der Macht, die mehr oder weniger direkt eine Gesellschaft formen und zwar in einem Konsens, ohne, dass es besonders abgemacht werden müsste, wie es Foucault beschrieben hat. Das schien mir interessant und überzeitlich.
Gut, der Einwand von Achillus und von Dir bezieht sich auf die mangelnde zeitliche Passung, dass also die Handlung in der aktuellen Zeit nicht möglich wäre. Ja, da muss ich passen. Ich kenne jetzt nicht alle Badeanstalten. Ich hoffe für meine Geschichte, dass irgendwo so ein hölzernes Ding steht mit möglichst vielen Astlöchern. Und vielleicht gibt es ja noch ein paar altertümliche Jungs, deren Handyakku gerade kaputt ist und die da spannen, um den Text in der Richtung zu retten. Ich hoffe es stark! Aber klar, dass das alte Motive sind, kann ich nicht von der Hand weisen. Was ich aber wichtig finde, dass es zumindest ein anderer Sprachstil ist. Wenn es jetzt ein abgekupferter Stil ist, der nur Kästner, Thoma und andere imitiert, macht das für mich auch wenig Sinn. Wenn alt, dann muss es sprachlich neu sein, finde ich. In der Beziehung stimme ich Achillus völlig zu. Oder zumindest ein Kunstprodukt, das unverwechselbar ist. Da beschreibst Du, dass Du das schon so empfunden hast. Aber es schmälerte nicht die Lesefreude, da bin ich schon ganz froh.
Ja, von Herrn Breitbesamer werde ich mich wohl verabschieden müssen. Kompromiss: Breitsamer?
Sehr herzlich und besten Dank für Deine Zeit!
rieger

 

Hallo rieger

Den Namen Breitsamer gibt es. Ein Honigimporteur aus München ...
Tatsächlich passen derbe Namen ganz gut zu schwäbischen und bayerischen Personen. Im Gesamtbild der Geschichte könnte ich sie gut annehmen. Aber natürlich kann man sie auch entschärfen, ohnedass die Story an Substanz verliert.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Nachdem der Green Day-Song 2004 erschienen ist, könnte es frühestens da spielen.

 

Nachdem der Green Day-Song 2004 erschienen ist, könnte es frühestens da spielen.
Sei unbesorgt, rieger, die Geschichte könnte auch heute spielen. Solche Badeanstalten gibt es nach wie vor. Ich kenne in der Nähe von München eine Naturbadeanstalt, die von einem Fluss mit Wasser versorgt wird. Da kann man für 100 € im Jahr eine Umkleidekabine aus Holz mieten. In der kann man Badesachen und sonstige Utensilien aufbewahren, so dass man nicht erst nach Hause gehen muss, wenn man sich nach Dienstschluss mal erfrischen will. Der Betreiber ist ein Gasthaus, wo man sich zwischendurch oder gleich anschließend stärken kann.

Was immer Smartphones einem bieten können, sie sind kein Ersatz für live Vorstellungen – Beweis: Theater sind immer noch voll, obwohl es seit ewigen Zeiten Kinos gibt.

 

Lieber rieger,

auch mir hat deine Geschichte richtig gut gefallen, ich finde sie sehr dicht, da holpert nix, und du gehst gekonnt von Witz zur Romantik, und alles ergibt Sinn und hat einen Grund. Super!

Einzig der "Negerkönig" kam auch mir zu kurz. Ich würde die Überschrift ändern.

Dass die Geschichte etwas von Erich Kästners Kindergeschichten hat und dann doch heute spielen soll, hat mich zunächst nicht so gestört, erst als ich die Kommentare gelesen habe. Nun habe ich keine Kinder und kann von daher kaum mitreden, aber ich denke mal, die Geschichte spielt auf dem Land, in irgendeiner religiösen Provinz. Klar gibt's da auch Internet und man kann den ganzen Tag Pornos gucken, aber ich frage mich, ob es nicht nach wie vor spannender und aufregender ist, sich an Mädels aus Fleisch und Blut aufzugeilen, noch dazu mit dem zusätzlichen Kick, erwischt zu werden.
Einzig über die Ottilie bin ich gestolpert, also über den Namen. Das war mir irgendwie too much, und ich fand den Namen auch etwas unglücklich eingeführt, nachdem erst nur von der Mutter die Rede war. Das war mir zu klamaukig und passt für mich nicht zur restlichen Geschichte, wo du alles so wunderbar auf den Punkt bringst, ohne klamaukige Einlagen.

Ansonsten hab ich mich sehr amüsiert!

Liebe Grüße von Chai

 

Liebe Chai,
vielen Dank für Deinen Kommentar und schön, wie Du es siehst und beschreibst. Ja, über die zeitliche Plausibilität gehen die Meinungen auseinander. Ohne Zweifel, habe ich schon mehrfach geschrieben, hat der Stoff was von alten Tagen. Woran die Zeit hängt, ist der Song von Green Day und die Behindertensprache. Man könnte einen anderne Song nehmen aus den 60ern und die Bemerkung von Siegfried über die Gebärdensprache oder man modifiziert sie ohne Fernsehen. Dann könnte man das selbst einordnen, ob man es in die 60er Jahre haben will oder wohin auch immer. Mache ich vielleicht noch, weil es an der Geschichte selbst ja nicht viel ändert und dann gesehen werden kann, wie man es meint. Über einen anderen Titel habe ich auch schon nachgedacht. Mir schien er passend und wichtig. Aber nachdem das doch von vielen so dargestellt wird. "Man wird sehen" vielleicht, oder "Auge um Auge", oder auch "Konjunktivitis". Aber eine Titeländerung geht wohl nur über die Moderatoren, soweit ich sehe. Dann steht der Text halt jetzt in der Challenge unter dem Titel seit einiger Zeit. Ich möchte da keine Verwirrung reinbringen. Ich frag mal nach.
Interessant, dass Du die ungünstige Einführung des Namens beschreibst. Mir ging es nämlich auch so. Ich hab es aber dann doch so gelassen. Ich habe mal eine Ottilie gesehen. Ich glaube, in Rott am Inn. Sie trug ein Augenpaar auf einem Buch. Zwei Glubscher, die einen anschauen. Ich habe dann nachgeschaut und gesehen, dass sie als Schützerin der Augenleidenden verehrt wurde. Das hat mir als Bezug gut gefallen. Deshalb der sonderliche Name, der eigentlich nicht ulkig gemeint ist, aber halt so altertümlich klingt.
Sehr herzlich
rieger

 

<<„Konjunktivitis“, drang es deutlich an sein Ohr>
(Ist das nicht das, worunter der Friedrichard leidet?)>>

Nee, der leidet nicht unter "Tunica conjunctiva" Bindehautentzündung, zudem hat er sein Tunica im warmen Zimmer ausgezogen. Und selbst das taube Ohr sieht wer als Gnade an,

lieber Bas ("Mention", die einzige Funktion in der Formatierungsleiste, die gerade angeboten wird. Aber ich kenn ja die Warnung ...)

Tschüss und vorsorglich einen schönen 3. Advent nebst vorgeschobenm Sonnabend ...

Friedel

 

Hallo rieger,

wenn man sich auf den feinen Sarkasmus einlässt, dier durch den Text wabert, die Jammerversatzstücke genießt, die knackigen Dialoge, dann bekommt man eine amüsante Schmunzelgeschichte geliefert, die man von Anfangs bis zum Ende mit großem Vergnügen liest. Ging mi jedenfalls so. Darüber hinaus findet sich das adoleszente Elend, diese gucklochgeschwängerte Atmosphäre in Freibädern, die Fantasien, die der Jungs, all das, was sich im Hirn des Jungen durcheinander abspielt. Sicher kann man sich darüber streiten, ob er die Rothaarige nicht doch lieber nackt gesehen hätte, was der gnädige Luthergott damit zu schaffen hat und was sich unterhalb der Busensprungschanzen der Lehrerin befindet, aber macht nichts, ich mochte die Geschichte sehr und he: Negerkönig klingt ohnehin blöd, ich hab da eher an Pirates oft the Caribbean gedacht.

Paar Textstellen:

Alles wegen ein wenig Fleisch in dem gottverdammten Gang, den man sowieso abreißen würde, weil das neue Freibad daneben schon fast fertig war.
Fleisch ist für mich ein hässliches Wort, assoziiere ich mit Blut und Schnitzel

Es war Ottilie,
Ottilie, was ein Name, völlig oldoldschool

Da gibt es Bücher, die sind alle in Blindenschrift geschrieben.“
du verwendest relativ häufig in den Dialogen einleitend: „da“, das funktioniert, würde ich aber ein wenig reduzieren, sonst wirkt es unnatürlich.

und unterhielt sich den ganzen Nachmittag mit blonden Frauen und streckte ihnen seine Hüften entgegen, die sich im Schritt dabei ausbeulten. „Keule“ nannte ihn Max, obwohl er Helmut hieß, und das war auch der Alarmruf, falls er kommen sollte.
obwohl stell ist, geschickt verpackt.

Und jetzt hatte er den Dreck, die Strafe in seinen Augen. Und alles wegen dem alten Holzschuppen von Badehaus, das sowieso demnächst abgerissen wird und ihm als letzte Hinterlassenschaft die Blindheit vermachte.
auch das gefällt mir, wie er die Gründe, die er sich zurechtgelegt hat, wiederholt.


schluchzte laut auf vor Mitleid mit seinen Augen, seiner Mutter, seinem Schwanz und sich selbst.
gute Stelle:thumbsup:

„Summer has come and passed, the innocent can never last. Wake me up when September ends.“ Und er lehnte an der Wand und seine Lippen bewegten sich stumm mit den ihren.
sehr schön:Pfeif:

Ein Auge ist ja schon wieder frei. Und mit dem Zweiten sieht man ja besser“, sagte Keule.
grenzwertiger Witz

liebe Grüße und einen guten Start in die Weihnachtskönigwoche
Isegrims

 

Hallo Bas,
ich habe ziemlich viele Anregungen von Dir übernommen und den Text auch noch nach den Anmerkungen anderer Kommentatoren durchgesehen und abgeändert. Vielen Dank für Deine akribische Draufsicht, die sehr hilfreich war. Da gibt es ja doch immer was zu schleifen und zu glätten.
Die Sache mit der Spannung kann ich gut nachvollziehen. Im Grunde wird es erst konkret mit dem Herrn, der jetzt Breitsamer heißt. Das ging mir sogar selbst beim Lesen so, dass ich mir dachte: Wann kommt das Ding jetzt endlich mal zu Potte. Das zu bewerkstelligen ist etwas mehr, als an ein paar Wörtern rumzuschrauben. Das schaffe ich nicht von jetzt auf gleich und Weihnachten fordert beí mir eine Menge Tribut. Also, mal sehen.
Die Mogelpackung Negerkönig wurde schon einige Male angesprochen. Ich habe das auch schon ein paar Mal dargelegt, warum ich das anders sehe. Was aber sicher plausibel ist, dass es so eine Randerscheinung ist, die dann die Sensation des Titels nicht einlöst. Das ist nicht ganz koscher, gebe ich zu. Mir hat der marktschreierische Titel natürlich auch gefallen. Da der Text jetzt hier aber unter dem Titel in der Challenge steht, ist es vielleicht verwirrend, wenn er ausgetauscht wird.
Den Schluss weglassen: Ja, daran habe ich auch gedacht. Ursprünglich plante ich eine wirkliche Begegnung, dass Rebecca zu ihm nach Hause kommt und vielleicht aus der Schule was vorbei bringt. Aber das kam dann so weit von der Gangeschichte weg und wurde zu konkret. Jetzt ist es halbkonkret, was ich als Kompromiss empfunden habe. Aber ganz weg ginge natürlich auch. Dann müsste man mit der offenen Entwicklung Erblindung-Nicht-Erblindung leben, was auch spannend wäre.
Besten Dank also für Deine Zeit und Deine Anregung, die mich nochmal in den Tonfall des Textes geschickt hat. Und es freut mich natürlich sehr, dass Dir die Geschichte insgesamt gefallen hat.
Sehr herzlich
rieger

 

Hallo Isegrims,
besten Dank für Deinen Kommentar. Über "Fleisch" stolpere ich auch immer, wenn ich an die Stelle komme. Mir ist aber noch keine sinnvolle Alternative eingefallen. Tatsächlich bin ich bei der gerade eben erfolgten Korrektur noch nicht so genau an die "da" herangegangen. Das steht noch aus. Sie werden weniger. Witzig: Den abgedroschenen "Mit-dem-Zweiten"-Witzversuch habe ich gerade gestrichen. Kanji hat ihn auch schon moniert. Obwohl ich eigentlich finde, dass es ja den Herbert/Keule charakterisiert als mäßigen Scherzkeks. Das sagt ja nicht der Schreiber, sondern eben derjenige, der spricht, oder sehe ich das falsch? Man verdreht die Augen, weil eben derjenige als nicht so geistreich rüberkommt. Aber man bezieht den Tonfall dann doch auf den ganzen Text wahrscheinlich. Mir ist die Wirkung der Dialoge noch nicht ganz klar, erhlich gesagt.
Sehr herzliche Grüße und auch ne angenehme Vorweihnachtswoche!
rieger

 

Hallo rieger,

frohes Neues Jahr!

Endlich komme ich dazu, Dir meinen kleinen Kommentar zu Deiner Geschichte zu schreiben. Ich hatte sie schon relativ kurz nach dem Einstellen gelesen.

Inzwischen sind auch viele Kommentare zusammengekommen und ich weiß selbst, dass man gar nicht alles verarbeiten kann.

Daher mache ich es kurz:

ich habe mich gut amüsiert, auch wenn ich zwei winzige Punkte im Gepäck habe, die man als Kritik ansehen kann, wenn man denn möchte:

1) Die Sprache + Setting verortet für mich die Geschichte in die 50/60er Jahre, da würden Jungs aber wohl kaum "Titten" sagen (das war in meiner Kindheit schon mehr als verpönt und ich habe weder die 50 noch die 60er Jahre persönlich erlebt). Das ist ein kleiner Widerspruch.

2) Ich finde dieses "Titten"-Thema ein wenig sehr pubertär. Aber irgendwie auch urkomisch, aber so pubertär komisch. Wahrscheinlich werde ich einfach langsam alt. Ich glaube, man muss schon sehr auf Titten fixiert sein, dass man eine derartige Bindehautentzündung bekommt, nur um ...

Übrigens finde ich den Titel ganz witzig und wie Du die Erkenntnis einbaust, dass es vielleicht nicht ok ist, eine Frau auf ihre, du weißt schon, zu reduzieren. Natürlich spielt da der Autor den göttlichen Stichwortgeber, aber trotzdem finde ich es gelungen.

Gruß

Geschichtenwerker

 

Hallo rieger,

eine wirklich schöne und anrührende Jugendgeschichte hast du da geschrieben. Sprachlich einfach eine Wucht, der Klang erinnert mich ein bisschen an unseren Challenge-Sieger von vor zwei Jahren, den "Sprung" von Peeperkorn. Ich bin ziemlich sicher, dass auch dein Text schon einen Platz auf dem Treppchen gebucht hat.

Bei aller gezielten sprachlichen Unbeholfenheit (mir fällt kein besseres Wort ein), mit der du diesen Jugendklang erzeugst, spielst du auch sehr gekonnt mit den Bildern, vor allem mit den Farben: das immer wiederkehrende Schwarz der Augenklappe bzw. der Blindheit, das aber auch in anderen Zusammenhängen aufgegriffen wird; das Rot von Rebeccas Haar, das das Schwarz vor Martins innerem Auge verdrängt usw.

Rührend fand ich auch Martins Gedanken zu seinem vermeintlich bevorstehenden Leben ohne Augenlicht: dass er sich die Ersteigung des Mount Everest eher zutraut als das Lesen von Brailleschrift und sich schon mal vor den leeren Augenhöhlen ekelt. Man könnte einwenden, dass heutige Pubertierende wohl nicht mehr wirklich so naiv wären, aber ich habe das beim Lesen nicht ernsthaft in Frage gestellt, es fühlte sich sehr stimmig an. Es hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass mir zu Beginn des Textes nicht klar war, wie alt Martin sein soll. Das hat sich für mich erst später erschlossen, als du den Latein- und Konfirmationsunterricht erwähnt und seine sexuelle Erregung beim Betrachten von Frau Pelletier beschrieben hast; vorher hätte ich ihn jünger geschätzt. Nackte Frauen angeguckt haben wir damals jedenfalls schon vor der Pubertät :naughty: - wohl ohne recht zu wissen, was wir im Ernstfall mit einer weiblichen Brust anfangen sollten. :dozey:

Ebenfalls verschätzt hatte ich mich hinsichtlich der Zeit, in der die Geschichte spielt. Dass Kinder durch Astlöcher in Schwimmbadkabinen spähen, hat für mich so ein bisschen Sechziger-Jahre-Feeling. Meinetwegen auch Siebziger; die Eis-am-Stiel-Filme gingen ja sogar bis in die Achtziger. Heutzutage brauchen das die Kids doch gar nicht mehr, wo es massenhaft nackte Haut (und mehr) im Internet zu sehen gibt. Und das war ja auch schon 2005 so, als der Song von Green Day rauskam, der erst sehr spät im Text klarmacht, wann das alles spielt. Insofern ist das ein bisschen anachronistisch; mindestens führt es mich auf eine falsche Fährte. (Auch der Hausbesuch des Arztes und der Name Ottilie deuten für mich in diese Richtung.) Da wäre meine Idee, entweder die Handlung tatsächlich ins letzte Jahrhundert zu verlegen; dafür müsstest du womöglich nur das Lied gegen ein anderes austauschen. Oder zumindest früher klar zu machen, in welcher Zeit wir uns befinden.

„Wenn du blind wirst, das ist kein Problem“, sagte der Siegfried, sein Bruder. „Im Fernsehen wird jetzt ganz viel mit Gebärdensprache übersetzt für die Behinderten.“ Und der Martin schrie ihn an, was er für ein Blödmann sei, weil ein Blinder die Gebärdensprache nicht sehen könnte. Die sei für die Gehörlosen, das kapiere doch jeder Depp.
:lol: Siegfried ist echt ein Knaller. (Noch so ein leicht anachronistischer Name übrigens.) Ist der eigentlich älter oder jünger als Martin? Bei der ersten Erwähnung dachte ich noch, er sei älter (weil er mehr über die Bücher für Blinde zu wissen schien). Hier wirkt er jünger, jedenfalls naiver, ebenso wie hier:
„Wenn du blind wirst, lese ich dir immer was vor, was du magst“, sagte der Siegfried, sein Bruder. „Auch die Geschichten vom Humer, die mich gar nicht interessieren, das griechische Zeugs. Weil die hatten ja nicht mal richtige Pistolen.“ Und der Martin streckte seine Hand aus und suchte nach dem Kopf vom Siegfried und strich ihm über das Haar.
"Humer" Simpson? :rolleyes:

und verzweifelt zerrte er an seinem Schwanz, der sich nicht ausreißen ließ
Autsch! :eek:

Und der Max sagte immer: „Was willst du mit der. Die hat ja Feuer auf dem Kopf.“ Aber das war Martin egal, oder gerade wegen dem Feuer wurde er immer feuerrot, wenn er sie sah und sie sich ihm näherte. (...) So rot wurde Martins Kopf, als Rebecca kam und er sich abwendete, aber dann doch wieder schaute, als sie ihren Bikini auszog. Aber auf einmal schämte er sich und drehte sich weg. Nein, auf keinen Fall wollte er die Rebecca nackt sehen. Nur von hinten wollte er sie anschauen, wie ihr die leuchtenden Haare über den Rücken fielen, oder ihr Gesicht, ihre blasse, schimmernde Haut, von der sich ihr Mund rot geschwungen absetzte. Davon hätte er nicht genug bekommen. Aber sie durch das Loch anstarren, das konnte er nicht und er spürte, wie ihm das Herz im Hals pochte und er war nur froh, durch die Wand der Rebecca nahe zu sein und er legte die Hände auf das Holz und streichelte es.
Och, wie süß - den Jungen hat es ja schwer erwischt! Mann, waren das Zeiten, als man noch so verknallt sein konnte ...

"Summer can innocent, the come and passed”, improvisierte er mit seiner kratzigen Stimmbruchstimme
Okay, durch Singen wird er bei ihr nicht landen können. Wohl eher mit Latein ...

Martin blieb noch eine Weile stehen und betrachtete stumm, wie der Bagger den Gang einriss und die Bretter der Kabinen zersplitterten. Dann ging er, wendete sich um und rief Keule zu: „Negerkönig sagt man nicht!“
Und das Ende ist zwar ganz hübsch, aber auch irgendwie beliebig. Anstelle des Negerkönigs könnte auch irgendein anderer Dialogfetzen am Schluss stehen, denn der hat ja keinen tieferen Bezug zur Geschichte. (Oder habe ich war verpasst? Wegen der Farbe Schwarz vielleicht?) Das dann auch zum Titel der Geschichte zu erheben, hat etwas Willkürliches, Künstliches.

Aber das ist Gemecker auf sehr hohem Niveau. Eine wirklich feine Geschichte und ein Favorit auf den Sieg! :thumbsup:

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Geschichtenwerker,
besten Dank für Deinen Kommentar. Das T-Thema ist natürlich schon Geschmackssache. Das ist klar. Da muss man sich drauf einlassen. Oder man findet es eben ein wenig abgeschmackt und, wie Du schreibst, pubertär. Mich hat das Spannungsverhältnis Schuldgefühl - pralle Lebensnähe daran gereizt, der Kontrast zwischen sehr direktem Erleben aus Jugendsicht und den kreisenden Gedanken. Die Zeitfrage stellst Du zu Recht. Das wurde schon kontrovers diskutiert. Ich habe jetzt den Song ausgetauscht, wie es The Incredible Holg vorgeschlagen hat. Dadurch ist eine Verortung auch in vordigitaler Zeit möglich. Vielleicht müsste man noch einen eindeutigeren Hinweis geben, wann es spielt. Ich lass es jetzt mal so stehen.
Besten Dank für Deine Zeit!
rieger

Hallo The Incredible Holg,
Deine Besprechung freut mich sehr! Besten Dank für den ausführlichen Kommentar und das Lob. Jetzt habe ich, wie Du es vorschlägst, das Lied ausgetauscht. Rebecca singt jetzt "Let it be", was, wie ich finde, ganz gut passt. Da heißt es ja unten: "And in the hour of darkness ..." Das kam Anfang der 70er raus und da passt die Geschichte ganz gut hin. Allerdings ist es auch ein Klassiker, der wohl auch heute noch gesungen wird. Von daher ist der Zeitrahmen offener. Oder ist eine noch klarere Einordnung besser?
Siegfried stelle ich mir eigentlich jünger vor. Humer soll vielleicht auf Simpson anspielen, eigentlich aber Homer meinen, der die Odyssee geschrieben hat. Da es aber zu Let-it-be-Zeiten keine Simpsons gab ... Dann spricht Siegfried wohl den Namen falsch aus.
Die Sache mit dem Titel wurde schon oft angesprochen. Ich dachte, man könnte es so gewichten, weil sich darin der Reifeprozess Martins ablesen lässt, dass er empfndlich wird und empfänglich für das, was man ethisches Denken nennen könnte. Ein Denken und Handeln nach Wertmaßstäben, das nicht mehr kindlich unkontrolliert und triebhaft ist, sondern am Beginn eines reflektierten Agierens und Wahrnehmens steht. Das war eigentlich die Idee und deshalb habe ich den Titel stimmig empfunden. Das ist aber wohl nicht so deutlich. Im Lauf der Challenge wollte ich dann aber auf einen Titelwechsel verzichten, weil die Geschichte damit im Umlauf war.
Besten Dank für die Anregungen und herzliche Grüße
rieger

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber rieger

eine wunderbare Geschichte, die dir da gelungen ist.

Er sah ja nichts mit den Augenklappen, lag den ganzen Tag auf der Couch und konnte nur hören, was um ihn herum passierte. Ja, seine Ohren. Die würden ihm bleiben, dachte er, die müsste er jetzt trainieren, um einen neuen Sinn auszubilden, weil die Augen, die konnte er vergessen.

ich sehe, was du hier vorhattest, aber für mich holpert es ein bisschen. Die Anlage finde ich aber gut! Das erste »ja«, das du setzt, hat - außer dass es ein kleiner Schnörkel ist - keine weitere Funktion. Es fehlt förmlich das, wozu er das Sehen braucht (etwas wie: »Sein Ankommen bemerkte er zu spät, er sah ja nichts«

Nächster Stilismus, der Punkt nach den »Ohren«. Fällt für mich hier auch nur als Schnörkel auf. Das Komma wäre cooler, find ich.

weiter ist klar, dass du Erlebte Rede schreibst. Da brauchst du das »dachte er« meines Erachtens nach nicht.

, das nahm er genau wahr, dass er ernst war,

das wahr - war hört sich nicht so prima an

sehr ernst, so ernst,

auch diese Steigerung in Form einer Parallelisierung. Ich habe an dieser Stelle geglaubt, dass sich das durch den ganzen Text durchziehen würde.

„Konjunktivitis“

habe ich auch manchmal beim Schreiben hehe, da bedeutet es aber, dass ich ein bisschen zu würde-voll schreibe. An dieser Stelle btw. gefiel mir die Emotionalität

seine Augen standen in der Zugluft und alles wegen der Titten.

oje ^^ das Wort »Titten« gefällt in diesem Kontext :)

Alles wegen ein wenig Fleisch in dem gottverdammten Gang, den man sowieso abreißen würde, weil das neue Freibad daneben schon fast fertig war. Und nun hatte ihn der Gang zum Abschied blind gemacht, bevor er zertrümmert wird. Blind sein, wie schlimm wäre das? Mit einem Hund könnte er sich anfreunden, der ihn über die Straße führt, ein langer Stock lag hinter dem Haus. Mit ihm würde er wie mit einer Sense vor sich herumfahren und die Leute im Umkreis von zwei Metern verscheuchen, die ihn mitleidig anglotzten. „Glotzt nicht so dumm“, würde er sie anbrüllen. Aber wie sollte er wissen, dass sie dumm schauten? Er könnte es ja nicht sehen. Und alles wegen der paar Titten und Max meinte, es sei so geil in dem Gang und durch die Löcher könnte man wunderbar die Badenden sehen, wie sie sich ausziehen und anziehen und bei den Mädchen wäre es besonders interessant. Und jetzt sollte er mit seinem Augenlicht dafür bezahlen, dass er geguckt hatte, stundenlang. Max an einem Loch, und er an dem anderen.

wunderbar, wie sich hier die Geschichte entfaltet. Die Idee gefällt mir auch. Die Konsequenzen der Kinderspiele.

Ottilie

schöner Name

fragte: „Mama, werde ich blind?“
Und dass sie eine Weile mit der Antwort wartete, war für ihn eine Antwort, und er deutete es als schlimmes Zeichen und drückte ihre Hand ganz fest auf sein Gesicht, dass es in den Augen noch mehr wehtat.

traurig ..

„Wir werden sehen, Martin, möglicherweise verlierst du dein Augenlicht.“ Aber sie strengte sich an und sagte es nicht und dass sie das tat, berührte ihn noch mehr und er spürte, wie sich seine mit Eiter und Schleim überzogenen Augen mit Tränen füllten, dass es höllisch brannte. Dann träufelten sie unter den Augenklappen hervor.

super gut!

„Ja, ich versuche es“, sagte Martin und dachte an die letzte Nacht, in der er kein Auge zugetan hatte, obwohl beide zu waren, obwohl er nichts als Schwarz sah, aber an nichts anderes denken konnte, als an den Gang im Freibad, der für sie verboten war.

gefällt mir auch: der verbotene Gang

„Da ist ein Gang hinter den Kabinen im Badehaus. Und da sind Astlöcher. Und da wirst du staunen“, hatte Max ihn angelockt. Martin folgte ihm und er könnte sich verfluchen dafür, dass er ihm gefolgt war. Weil er jetzt eben die Strafe dafür bezahlte, dass er den ganzen Tag nackte Leute durch das Loch angestarrt hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, bis die Bindehaut ausgetrocknet war, dass sie juckte und brannte.

Finde diesen Teil ein bisschen doppelnd. Du erzählst hier nicht viel Neues.

Er fühlte die Noppen der Flasche

schönes Bild. An dieser Stelle kann ich sagen (zum Glück), dass du es dir mit den anfänglichen Stilismen noch einmal anders überlegt hast.

Für ihn waren es nur stumme Noppen auf einer Wärmflasche.

»stumm« finde ich hier etwas überstrapaziert. Noppen auf einer Wärmflasche, in seiner Schmucklosigkeit, würde für mich mehr überzeugen.

Dieser verfluchte Gang, der Gang hinter den Kabinen, der dem Untergang geweiht war. Er war verbotene Zone. Nur über das Wachzimmer des Bademeisters konnte man ihn betreten.

hier fängst du wieder an, das nochmal zu erzählen (also ich meine, ich folge dir, aber aufgefallen ist es mir doch)

die sich im Schritt dabei ausbeulten. „Keule“ nannte ihn Max, obwohl er Helmut hieß, und das war auch der Alarmruf, falls er kommen sollte.

super!

Aber für ihn, für den Martin, da reichte das bisschen Zugluft, dass es für seine Augen war, wie in einem Windkanal. Und er, er könnte sich verfluchen. Er musste ja unbedingt das Auge wechseln, wenn ihm das eine brannte.

hier die Auflösung.

dicke Herr Breitsamer

die Namengebung vielleicht etwas zu eindeutig

in die Kabine kam, der, wie der Max immer sagte

der, wie Max immer sagte ... ?

anfing zu grunzen, wie ein Vieh

wie ein Schwein?

Pastor Helfrich

hier auch?

machen soll über d

Leerzeichen zu viel zwischen »soll« und »über«

zu einem Gebirge aus Brüsten

Leerzeichen zu viel zwischen »Gebirge« und »aus« - btw. ich lese gerade sehr vergnügt :) es macht Spaß!!


Und jetzt lag er da mit den Augenklappen und statt Schwarz sah er Rot, weil er an die Haare Rebeccas dachte und an den AcI und an ihr blasses Gesicht.

super!

krächzte er weiter und seine Mutter hörte ihn und sagte: „Martin, du singst ja“. Und er antwortete: „Ja Mama, ich singe.“

traurig und witzig

... Auflösung gefällt

So, Zusammenfassung: Die Story, die du hier erzählst, ist sehr reizvoll und rundum wunderbar geschrieben. Am Anfang störe ich mich sehr an der Fülle an Stilismen und hier und da (auch später im Text) treffe ich sie wieder an. Sonst habe ich nichts zu meckern. Ich habe mich an »Schmetterling und Taucherglocke« von Julian Schnabel erinnert gefühlt. Toll auch, dass es dir gelungen ist, das Ende positiv aufzulösen (ohne dass es in Kitsch abgerutscht ist). Eine Sache noch: Das Ende fand ich etwas herausgegriffen. Das war mir irgendwie nicht pointiert genug. Da kommt was Neues rein (nicht, dass es zum Gesamttext nicht passen würde, aber es war mir hier eben dafür, daes es etwas Neues ist, nicht klar genug). Für mich ist das so der Hinweis darauf, dass diese kleinen Kritelleien in einem sonderbaren Verhältnis zu dem eigenen Tun stehen, dass viel weniger unschuldig ist, als das Wort Negerkönig vielleicht. Insofern passt es ja auch zum Text. Aber eigentlich ging es, fand ich, nicht unbedingt um Schuld, sondern um Konsequenzen, und das ist mehr als ein feiner Unterschied. Wie auch immer. Sehr gern gelesen. Stimmung und alles tip top!

LG Carlo Zwei

 

Moin rieger,

ein Titel, der mich gleich nach dem Einstellen zum Lesen verlockt hat und ich hab jetzt noch mal drüber gelesen. Welch ein Spaß!

Er sah ja nichts mit den Augenklappen, lag den ganzen Tag auf der Couch und konnte nur hören, was um ihn herum passierte. Ja, seine Ohren. Die würden ihm bleiben, dachte er, die müsste er jetzt trainieren, um einen neuen Sinn auszubilden, weil die Augen, die konnte er vergessen.
Klasse, was wird das wohl. Na, okay, ich mag selten Geschichten aus Kindersicht (wobei mich raindog gerade eines Besseren belehrt hat), also wird dies wohl kein allzu konstruktiver Kommentar. Vieles ist ja nun auch schon gesagt.

Wahrscheinlich eine bakterielle Infektion durch einen verschleppten Keim. Auch eine mechanische Reizung der Bindehaut wäre denkbar. Aber die verläuft nicht so gravierend. Möglicherweise hat sich ein Bakterium eingenistet in das gereizte Gewebe. Ich habe einen Abstrich gemacht. Der kommt ins Labor, dann sehen wir weiter. “
Echt? Bakterieller Infekt? Wie lange hat das Kerlchen denn durch besagtes Loch gestarrt?

„Glotzt nicht so dumm“, würde er sie anbrüllen. Aber wie sollte er wissen, dass sie dumm schauten? Er könnte es ja nicht sehen. Und alles wegen der paar Titten und Max meinte, es sei so geil in dem Gang und durch die Löcher könnte man wunderbar die Badenden sehen, wie sie sich ausziehen und anziehen und bei den Mädchen wäre es besonders interessant. Und jetzt sollte er mit seinem Augenlicht dafür bezahlen, dass er geguckt hatte, stundenlang. Max an einem Loch, und er an dem anderen.
wirklich süß, mir gefallen die Wiederholungen, immer wieder die Ursache des Dramas dick in den Vordergrund

„Wenn du blind wirst, das ist kein Problem“, sagte der Siegfried, sein Bruder. „Da lernst du Blindenschrift, dann kannst du alles lesen. Da gibt es Bücher, die sind alle in Blindenschrift geschrieben.“

„Wenn du blind wirst, lese ich dir immer was vor, was du magst“, sagte Siegfried, sein Bruder. „Auch die Geschichten vom Humer, die mich gar nicht interessieren, das griechische Zeugs. Weil die hatten ja nicht mal richtige Pistolen.“

Tja, wer Geschwister hat, braucht keine Feinde, nett dargestellt, das Verhältnis der Beiden

Dieser verfluchte Gang, der Gang hinter den Kabinen, der dem Untergang geweiht war.
Ich glaube zu verstehen, das Du das Wort "Gang" hier immer wieder als den Dreh- und Angelpunkt des Tages der Jungs darstellst, aber subjektiv ist es mir hier zu viel, da bin ich steckengeblieben ...

Und jetzt bleibst Du noch ein wenig, wie der Papa von Pippi Langstrumpf mit der Augenklappe. Wie nannte sie ihn gleich wieder? Ah, Negerkönig“, sagte Keule und lachte.
Martin blieb noch eine Weile stehen und betrachtete stumm, wie der Bagger den Gang einriss und die Bretter der Kabinen zersplitterten. Dann ging er, wendete sich um und rief Keule zu: „Negerkönig sagt man nicht!“
Ich mag solche "Rückkopplungen" sehr, einen geschlossenen Kreis bei Geschichten

Vielen Dank für die unterhaltsame Geschichte und Dein wirklich gut beschriebenes Personal. Ich hatte meine Spaß an dieser Lausbubengeschichte, genauso wirkte sie auf mich - harmonisch altmodisch und das meine ich absolut positiv.
Beste Wünsche
witch

 

Hallo rieger,

mein Kommentar wird kurz. Denn mir fällt absolut nichts ein, was ich hier kritisieren wollte. Das ist eine Geschichte, die für mich auf allen Ebenen auf ganz hohem Niveau angesiedelt ist. Es ist eine von den seltenen Geschichten, bei der mein innerer Lektor abschaltet, einfach nur genießen will und dafür entlohnt wird, am Ende zufrieden grunzt und nur danke sagen möchte.
Wow und nochmals wow.

ie schlimm wäre das? Mit einem Hund könnte er sich anfreunden, der ihn über die Straße führt, ein langer Stock lag hinter dem Haus. Mit ihm würde er wie mit einer Sense vor sich herumfahren und die Leute im Umkreis von zwei Metern verscheuchen, die ihn mitleidig anglotzten.
was für ein Doppelhammer. Allein, gleich auf den Hund zu kommen, dann den Stock als Sense, genial
Er fühlte die Noppen der Flasche, fuhr darüber und stellte sich vor, dass ein Blinder, der die Blindenschrift beherrschte, daraus wahrscheinlich eine Geschichte herauslesen könnte, oder vielleicht keine Geschichte, aber Wörter, Begriffe, irgendwas. Aber er konnte nichts daraus lesen. Für ihn waren es nur stumme Noppen auf einer Wärmflasche.
verdammt, ist das gut!

Aber ihm könnte man nicht einmal mehr ein Auge ausstechen mit einem Holzpflock, weil er gar keines mehr hätte.
auf was für starke Ideen du gekommen bist, rund ums Sehen ...

Eine Geschichte, die sich in meinen Augen souverän mit den besten der Challenge messen kann.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo rieger,

Jugendgeschichten gibt es ja einige in der Challenge, und viele von denen haben mir gut gefallen. Aber deine ist mein Favorit. Ich habe so viel gelacht!

Außerdem bin ich begeistert von den Figuren, die sind sehr lebensnah und die Dialoge wirken sehr echt.

Am allerliebsten mag ich den kleinen Bruder, Siegfried. Der ist so entzückend mit seinen Tröstungsversuchen, und das sind auch alles so Sachen, von denen ich mir absolut vorstellen kann, dass so ein kleiner Knopf die sagen würde in der Situation.

Und den Martin hast du auch toll hingekriegt. Das mit der Spannerei ist ja nun nicht gerade sympathisch und er hat sich seine Augenentzündung ja eindeutig selber eingebrockt, aber ich hatte trotzdem sehr viel Mitgefühl und war am Schluss sehr erleichtert, dass er nicht erblindet ist.

Ein paar Detailanmerkungen:

„Wird er?“, fragte Ottilie, seine Mutter, und ihre Stimme stockte.
Ottilie ist ja ein total schöner Name. Schade, dass der so selten ist. Ich glaube, der ist mir bisher nur in einem Kinderbuch begegnet, da hieß ein Nilpferd so :lol:. Aber jetzt wird er mich bestimmt immer an diese Geschichte erinnern.

Und dabei war er natürlich in der Zugluft gestanden, oder besser gesagt, seine Augen standen in der Zugluft und alles wegen der Titten.
Das ist eine der kreativsten Interpretationen vom "Gegenwind" in der Challenge, finde ich. Außerdem finde ich "Alles wegen der Titten" wäre auch kein schlechter Titel gewesen. Würde auf jeden Fall für hohe Klickzahlen sorgen! :D

Mit einem Auge, da hätte er noch sehen können. In das andere hätte er sich ein Glasauge gestopft, wobei ihn nur die Vorstellung ekelte, in die Augenhöhle zu fassen und ganz hinten kam ja schon sein Hirn. Aber immerhin hätte er ein Auge gehabt und Polyphem, das hatten sie zuletzt in Latein übersetzt, der einäugige Riese, machte auch dem Odysseus das Leben schwer, obwohl er nur ein Auge besaß. Und das stach ihm Odysseus aus mit dem Holzpflock. Aber ihm könnte man nicht einmal mehr ein Auge ausstechen mit einem Holzpflock, weil er gar keines mehr hätte.
Es gibt ganz viele Stellen, wo ich es toll finde, wie du die Gedankengänge von Martin nacherzählst. Diese hier mag ich besonders. Bezüge zur griechischen Mythologie finde ich sowieso immer gut, und das ist so lustig, wie er ausgerechnet da dran denkt als Beispiel dafür, dass ein Auge besser ist als keins. :)

„Gott droht zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht gegen seine Gebote handeln“, sagte der alte Pastor Helfrich und schaute sie streng an. Den kleinen Katechismus, den hatte er ja gelernt für die Konfirmation, obwohl ihm der Gott ziemlich egal war. Er freute sich auf Geld und auf Geschenke.
Das finde ich spannend, dass er eigentlich nicht großartig religiös ist, aber wo er so direkt eine negative Konsequenz einer moralisch fragwürdigen Handlung erlebt, denkt er dann doch in den Kategorien Sünde/Bestrafung. Ich glaube, das ist ganz oft so, dass diese alten religiösen Vorstellungen irgendwo in einem Menschen drin stecken, auch wenn der gar nichts damit am Hut hat und selbst wenn der vielleicht gar keinen Konfirmandenunterricht hatte. Als würde man diese Ideen durch Osmose aufnehmen. Die prägen halt die Kultur doch sehr, also auch Bücher, Filme, etc., auch wenn die Kirche selbst stark an Bedeutung verloren hat.

Nie wieder wollte er, so schwor er, an Brüste denken, nie wieder sich anfassen, nie wieder unkeusch denken, wie es im Katechismus stand. Aber je mehr er versuchte, die Brüste der Pelletier zur Seite zu schieben, desto stärker kamen sie zurück und türmten sich vor ihm doppelt, dreifach, hundertfach zu einem Gebirge aus Brüsten auf, und er fuhr mit den Skiern über die Brustberge hinunter und sprang über die Brustwarze in die Tiefe, die ihn in einer trostlosen Dunkelheit verschlang.
Tja, das ist halt das Problem. Diese Idee, dass das "sündhaft" ist und Gott ärgert und man dafür bestraft wird, die hilft halt nicht wirklich. Schon gar nicht in der Pubertät. :)

Was besser funktioniert, das hast du in der Geschichte auch schön rausgearbeitet, mit der Rebecca. Wenn einem etwas an einem anderen Menschen liegt, dann macht man so was nicht, den heimlich nackt zu beobachten. Für Leute, die ihm nicht nahe stehen, wie den Herrn Breitsamer, fehlt ihm noch die Empathie. Bei der Frau Pelletier hat er schon eher ein schlechtes Gewissen. Und bei Rebecca kann er nicht hinsehen, weil sie ihm zuviel bedeutet.

Ich glaube, deshalb habe ich dann doch sehr viel Mitgefühl für Martin empfunden. In der Pubertät ist man halt nicht so 100% zurechnungsfähig, mit diesem Hormonüberschuss, der einen plötzlich überfällt. Aber es ist ihm trotzdem bewusst, dass er was Falsches getan hat, und man hat das Gefühl, er lernt einiges im Verlauf der Geschichte.

Ich glaube, das wäre eine viel bessere Art, Jugendlichen das Thema "Moral" nahezubringen. Statt die den Katechismus auswendig lernen zu lassen, vielleicht einfach zu sagen: wenn ihr etwas tut, dann stellt euch vor, das würde jemandem passieren, den ihr liebt. Das würde bestimmt einen besseren moralischen Kompass abgeben, als dass man sich einen drohenden, strafenden Gott vorstellt.

"When I find myself of trouble speak words with me”, improvisierte er mit seiner kratzigen Stimmbruchstimme, schluckte ein paar Mal, weil er an Rebecca dachte, wie sie singend in der Kabine stand und ihr Haar bürstete, und da hoffte er, dass das Hören schon reichen würde und das Riechen und das Fühlen, und dass es schon irgendwie werde. „Let it be, let it be, let it be“, krächzte er weiter und seine Mutter hörte ihn und sagte: „Martin, du singst ja“. Und er antwortete: „Ja Mama, ich singe.“
:lol: Das kommt so echt rüber! Wirklich super gemacht.

„Wenn du blind wirst, lese ich dir immer was vor, was du magst“, sagte Siegfried, sein Bruder. „Auch die Geschichten vom Humer, die mich gar nicht interessieren, das griechische Zeugs. Weil die hatten ja nicht mal richtige Pistolen.“
Ach, der Siegfried :herz:
Aber schön finde ich auch, dass Martin anscheinend "das griechische Zeugs" nicht nur wegen der Schule liest.

„Na also, da siehst du im Herbst ja wieder ganz normal. Und jetzt bleibst Du noch ein wenig, wie der Papa von Pippi Langstrumpf mit der Augenklappe. Wie nannte sie ihn gleich wieder? Ah, Negerkönig“, sagte Keule und lachte.
Martin blieb noch eine Weile stehen und betrachtete stumm, wie der Bagger den Gang einriss und die Bretter der Kabinen zersplitterten. Dann ging er, wendete sich um und rief Keule zu: „Negerkönig sagt man nicht!“
So, da hat er's überstanden und dann macht er gleich einen auf Moralapostel, was? :lol:
Das finde ich aber gut, weil ich glaube das ist auch ziemlich typisch für das Alter, halt immer so ein bisschen übers Ziel hinausschießen.

Grüße von Perdita

 

Lieber Carlo Zwei,

besten Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Das „Ja“ hat mich gereizt, weil, wie Du es beschreibst, dafür die Motivation fehlt. Irgendwie fand ich es reizvoll, mit der Irritation in die Geschichte geschubst zu werden, als wäre sie schon am Laufen, als hätte man den Anfang verpasst und würde mittendrin starten. Daher würde ich es stehenlassen. Die Ohren wollte ich extra so rausstellen als einzelnes Bild. „Genau wahr“, stimmt. Das hab ich ersetzt.
Die Wiederholungen werden manchmal als langatmig empfunden. Das ist eine wichtige Rückmeldung. Wie es maria.meerhaba so plastisch geschrieben hat: Sie musste Geduld haben mit dem Text, bis er mal in die Gänge kam. Über stumme Noppen kann man wirklich streiten. Mir gefällt Dein Begriff „Stilismen“ da gut. Das ist ein schmaler Grat. Breitsamer hieß vorher „Breitbesamer“. Das war für viele zu dick aufgetragen und ich entschärfte den Namen. Man könnte vielleicht noch einen Breitamer draus machen. Nachdem es aber nach der Auskunft von wieselmaus einen Honighändler in München gibt mit dem Namen, habe ich ihn übernommen. Das „der“ bei Max habe ich gestrichen. Dadurch sind die ders jetzt schon deutlich reduziert. Es waren etliche mehr vor Wochen. Leerzeichen gelöscht. Sehr genaues Lektorat! Respekt. Brustgebirgeleerzeichen ebenfalls gelöscht.
Korrekt und das wurde ja auch schon von verschiedenen Seiten beleuchtet: Der Schluss bringt nicht ganz eindeutig die Sache zur Sprache, die der Titel meint, nämlich eine Wandlung der Einstellung bei Martin. Das bleibt ein wenig vage und ist ein labiler Punkt neben der zeitlichen Einordnung, die ich mit „Let it be“ versucht habe zu entschärfen. Perdita hat unten eine schöne Deutung unternommen, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlägt und es kurzzeitig zu einer Übermoralität kommt, was mir recht gut gefällt. Um Konsequenz geht es in der Tat. Aber eben auch um das Gefühl, dass man sie verdient hat aus einem Schuldgefühl heraus. Das seltsame Konstrukt, dass man bei negativen Folgen eine Kausalkette konstruiert, mit der man dem Schicksal irgendwie einen Sinn abringen möchte vielleicht.

Vielen Dank also für Deine Zeit und die lobenden Worte. Hat mich sehr gefreut!
Beste Grüße
rieger


Guten Abend greenwitch,
danke für Deinen Kommentar. Ja, das war wohl einige Zeit am Astloch, sonst haut das mit der Entzündung nicht hin. Freut mich, dass Dir die Wiederholungen gefallen und der Schluss. Altmodisch kann die Geschichte jetzt sein. Man kann sie auch modern sehen, wenn einem fehlende Handys nichts ausmachen. Let it be ist zeitlos.
Herzliche Grüße
rieger

Hallo weltenläufer,
wow und nochmals wow zu Deinem Kommentar, der mich sehr freut. Die Einwände sind ja immer berechtigt, aber dass es bei Dir geölt runterging, ist einfach schön. Danke für Dein Lob!
Schöne Grüße
rieger


Hallo Perdita,
vielen Dank für Deinen ausführlichen und schönen Kommentar, der mich echt gefreut hat. Ottilie ist schon eine Seltenheit, stimmt. Ich habe zufällig mal gelesen, dass sie Patronin der Augenkranken ist. In Süddeutschland gibt es das. Sie wird dargestellt mit einem Buch, auf dem zwei Augäpfel liegen. Ich dachte, das passt als Muttername für einen Augenkranken. Nebenbei ist der Name irgendwie exotisch, klingt fast nach Karikatur, so altmodisch und verknöchert. Aber eben auch besonders. Ein Nilpferd, das Ottilie heißt, finde ich allerdings auch ganz gut.
Eine tolle Idee: Alles wegen der Titten. Warum nicht früher! Allerdings hätte ich Prügel einstecken müssen wegen Traffic-Steigerung mit unlauteren Mitteln.
Was Du über Religion schreibst, finde ich sehr interessant. Tatsächlich gab es den Einwand, dass Religion als Strafinstanz nicht mehr vermittelt wird oder auch nicht mehr ernst genommen wird. Ich denke aber auch, dass in Phasen, in denen Unberechenbares hereinbricht, Denkmodelle greifen, die spirituell oder irrational sind aus den Gründen, die Du beschreibst. Weil es tiefer liegende Schichten einer Gesellschaft sind, in der sich Systeme eingeschrieben haben, deren Ursprung oder Bezug verlorenging, die aber dennoch greifbar sind. Auch deine abschließende Bemerkung ist eine schöne Interpretation, die ich so noch nicht gesehen habe. Dass er übers Ziel hinausschießt. Das finde ich sehr passend als Idee.

Herzlichen Dank für Deine Zeit und die lobenden Worte!
Beste Grüße
rieger

Hallo Ronnie,
besten Dank für den Punkt.
Herzlich
rieger

 

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