Nein, wir haben keine Probleme
Wumm, schon wieder traf seine geballte Faust ihr Gesicht. Sie spürte wie Tränen und Blut sich vermischten und ihren Hals herabliefen. Wenn er nur endlich aufhören würde.
Wie soll ich das Morgen nur wieder vor den Kindergärtnerinnen von Alexs Kindergarten verbergen, die schauen mich in letzter Zeit immer so komisch an, ob sie wohl etwas bemerkt haben? Sicher glauben sie mir die Geschichte mit dem Sturz nicht mehr. Wenn
jetzt bloss Alexander nicht aufwacht, er soll diese Ausrutscher von seinem Vater nicht miterleben müssen.
Nun schlug er sie sogar mit dem metallenen Teil eines Kleiderbügels. Wie ein
verstossener und beschimpfter Strassenköter kauerte sie sich jetzt in eine Ecke des Schlafzimmers, machte sich möglichst klein um den Schlägen zu entkommen. Schon vor langer Zeit hatte sie es aufgegeben ihn zu beschwichtigen zu wollen, genützt hatte es noch nie etwas.
Warum schaffe ich es nie mich jemandem anzuvertrauen? Obwohl, wer würde mir
schon glauben, meine wenigen Freundinnen beneiden mich um diesen liebevollen
Ehemann, mein Vater ist begeistert von ihm, und an jemanden Fremden würde ich mich nie wenden. Stimmt ja, er ist erfolgreich, und gegen aussen hin liebevoll, aber wie er mich wirklich behandelt weiss niemand. Er war nicht immer so brutal und gemein gewesen. Natürlich nicht, sonst hätte ich ihn ja auch niemals geheiratet.
Seit fast zwei Jahren ging das schon so, und noch nie hatte sie sich gewehrt. Die Schläge liess sie unbeteiligt über sich ergehen, als ob es gar nicht ihr Körper sei. Erst später, wenn sie im Bad vor dem Spiegel stand, ihren verunstalteten und geschändeten Körper betrachtete kamen ihr die Tränen.
Wie lange war ich schon nicht mehr im Schwimmbad? Wann konnte ich das letzte Mal ein T-Shirt tragen? Warum gerade ich?
Er hatte von ihr abgelassen, liess sie am Boden liegen, vor Schmerzen gekrümmt. Abfällig schaute er auf sie herab.
Wie ich diesen Blick verabscheue. Früher, da hat es ihm danach noch leid getan und er hat sich bei mir entschuldigt, doch jetzt behandelt er mich wie Dreck, als ob ich sein privater Boxsack wäre.
Das leichte Grinsen, welches ihr bei diesem abstrakten Gedanken über das Gesicht huschte blieb zum Glück unbemerkt. Ihr Mann hatte sich von ihr abgewendet, kalt präsentierte er ihr seinen Rücken.
Wie gerne würde ich ihm jetzt dass riesige Messer, welches ich seit einem halben Jahr unter meiner Seite vom Bett verstecke, in den Rücken stechen, dann hätte für mich diese Qual ein Ende. Alex und ich wären sicher.
Von diesem Gedanken ahnte ihr Mann nichts, aber es interessierte ihn ja schon lange nicht mehr was sie dachte oder fühlte. Sie sollte auf Alex aufpassen, gekocht haben wenn er von der Arbeit zurückkam und immer genau das tun was er wollte. Noch immer lag sie am Boden, welch erbärmlicher Anblick.
Wenn doch jetzt meine Mutter noch leben würde. Sie könnte mich beschützen, wie sie es früher gemacht hat, als mein Vater mich schlagen wollte. Sie hat die ganzen Schläge auf sich genommen. Weinend bat sie mich dann immer, später nicht den gleichen Fehler wie sie zu machen. Habe ich den gleichen Fehler gemacht? Sieht ganz so aus. Erkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, sagt man.
Als sie sich langsam den Kopf hebt sieht sie unter dem Bett das Messer, es liegt immer noch am selben Ort. Mühselig erhebt sie sich, bleibt mit gekrümmtem Rücken ein paar Sekunden stehen, schleicht dann möglichst unauffällig in das Bad um die Spuren der Schläge zu beseitigen und geht dann in die
Küche um das Abendbrot vorzubereiten.
Was ist nur aus mir geworden? Wo sind meine Träume geblieben? Genau die Dinge, die ich früher verabscheut habe sind eingetroffen: ein gewalttätiger Ehemann, kein eigener Job, Gewalt und Angst. Aber jetzt werde ich etwas ändern, so wird es nicht weitergehen.
Ja, etwas wird geschehen!
Sie öffnet die Küchenschublade, nimmt das grosse Messer heraus und beginnt damit die Zwiebeln zu zerhacken, wäscht es danach ab und versorgt es wieder.
Das Essen verlief wie gewohnt sehr ruhig und zurückhaltend.
Nach dem Essen wusch sie das Geschirr ab, brachte Alex ins Bett und bügelte die Wäsche.
Ich mache die ganze Arbeit und er sitzt vor dem Fernseher. Warum ist mir das früher nicht aufgefallen? Aber lange geht das nicht mehr so weiter!
Sie bügelte die Wäsche und ging zu Bett. Eine halbe Stunde später kam auch er ins Bett und obwohl sie noch am lesen war löschte er das Licht, drehte sich zur Seite und schlief schnarchend ein.
Auch sie drehte sich vorsichtig um, ihr rechter Arm hing wie leblos unter der Bettdecke hervor und baumelte am Bettgestell hinunter.
Unter dem Bett lag, metallig im fahlen Licht des Mondes glänzend, das grosse, lange Messer.