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Nicht geliefert
"Sie können es machen, wie Sie wollen“, erklärte der Besucher nüchtern. Max überlegte. Bisher hatte er nie Bedenken gehabt, an andere Staaten zu liefern. Nicht bei Pakistan, nicht bei Nigeria – es waren befreundete, friedliche Länder; es gab politische, tragfähige Beziehungen; die Geheimdienste kooperierten. Wenn die Militärs zur Schulung in Deutschland waren, wurden sie bei den Firmen herumgeführt und man knüpfte freundschaftliche Kontakte – es bestand praktisch kein Risiko. Auch die schwierige Geschäftsanbahnung konnte er zum Teil anderen überlassen, den Konzernen und dem Dienst. Der sprach nun mit ihm, verkörpert durch einen unauffälligen, blassen jungen Herrn mit militärischen Manieren und sonst nicht gerade soldatischer Ausstrahlung.
„Es gibt einen Konsens, das Land umfangreich zu unterstützen. Es entspricht den politischen und wirtschaftlichen Interessen unseres Landes. Und - unsere Freunde tun es auch.“
„Denen macht das ja auch nichts aus; die kennen keine Grenzen“, entgegnete Max. „Sind die mit unserer Beteiligung einverstanden?“, fragte er nach.
„Sie meinen, ob jemand Sie als Konkurrenten abschießen möchte und deshalb das Kriegswaffenkontrollgesetz bemüht?“, fragte der Mann zurück. Er hatte sich als Verhove vorgestellt, aber was sagte das schon? Es war eine dienstliche Identität, wie sie alle hatten, die aus der verschwiegenen Behörde im Norden Münchens kamen und Außenkontakte unterhielten. Es lohnte sich fast nicht, sich den Namen zu merken. Konnte sein, dass er nächstes Jahr als Jaschinski auftrat.
„Man macht sich natürlich Sorgen“, antwortete Max. Zu oft war es vorgekommen, dass jemand einen sicheren Deal zu machen glaubte und doch angegriffen wurde – sei es, dass ein Konkurrent verärgert darüber war, ausgeschlossen zu sein, sei es, dass er die falsche Verbindung gewählt hatte. Aber jetzt schien alles sicher zu sein. Die Freunde aus Übersee hatten ihr Okay gegeben, die deutsche Wirtschaft wollte das Geschäft und war auf dem Sprung, das Kanzleramt hatte der Sache zugestimmt. Die Dienste hatten enge Verbindungen zu dem Land aufgebaut und scheinbar alles im Griff. „Geben Sie uns die Anforderungen, wir werden ein Angebot vorlegen“, sagte Max.
Der Mann stand auf. „Bis bald dann.“
„Es muss schnell gehen. Bereiten Sie das Angebot bis nächste Woche vor. Achten Sie nicht auf Details, wir haben den Auftrag schon.“ Max saß mit seinen Bereichsleitern am langen Tisch im Besprechungsraum.
„Wir haben noch nie dorthin geliefert“, gab einer zu bedenken. „Sind Sie sicher, dass das gut geht?“ Max zog nervös an seiner Pfeife, nahm das Mundstück ab, blies hindurch, so dass der Teer auf den Teppich spritzte. Wenn er aufgeregt war, gluckerte es jedesmal in der Pfeife, weil er so hektisch daran saugte.
„Lieferung der Geräte ohne Firmen- und Typenschilder“, wies Max an. Das war wichtig wegen der Reporter, die überall in Krisenregionen herumliefen und aus jedem Schrott, den sie fanden, eine Schlagzeile zu machen wussten. Aber es gab auch die Terrorgefahr: Man machte die Hersteller erbeuteter Geräte ausfindig und gab Anweisungen an die militanten Gruppen in den entsprechenden Ländern, Anschläge auf die Firmen und die Familien der Inhaber und Mitarbeiter auszuführen. Auf diese Weise hatte es bei der Konkurrenz schon einige Bombenanschläge gegeben.
„Wie viele Geräte sind am Lager?“, wollte Max wissen.
„Einhundertfünfzig“, war die Antwort, „aber die sind lieferbereit für die Schweiz. Wir haben den Termin schon überschritten.“
„Macht nichts“, befand Max. „Wir brauchen zweihundertfünfzig. Sehen Sie zu, dass wir die einhundertfünfzig gleich liefern und die fehlenden einhundert so schnell wie möglich bauen. Die Schweiz kann warten. Ich werde mit denen reden.“
Marie und Jürgen saßen noch beim Tee. Max, der Vater, war schon aufgestanden. Voll unter Dampf ging er im Wohnzimmer auf und ab, band sich grob den Schlips, zwängte sich mit seiner ganzen Leibesfülle in das Jackett.
„Was haltet ihr davon, wenn wir an Saddam liefern?“, fragte er und ließ seinen Blick schweifen, ohne einen von beiden direkt anzusehen.
„Du bist doch verrückt!“, erwiderte Marie. Jürgen sah ihn mit weiten Augen an und schüttelte dann aber nur mit dem Kopf.
„Was denkst Du denn selbst darüber?“, setzte seine Frau nach.
Max schnaubte nervös. „Na ja, Gewissen habe ich ja keines“, meinte er. „Aber man will natürlich auch sicher sein, dass man nicht aus seinem Haus gebombt wird.“
„Lass die Finger davon“, sagte Marie eindringlich. Max antwortete nicht und stürmte aus dem Haus. Der Motor heulte auf, als er den Weg durch den Garten auf die Straße fuhr. Marie setzte sich wieder an den Tisch. Jürgen schlürfte weiter den heißen Tee. Sie schwiegen.
Max war gerade in sein Büro gestürmt, da rief ihm die Sekretärin nach und sagte: „Der Personalrat möchte Sie dringend sprechen.“
„Weswegen denn? Der kann warten“, schnaubte Max zurück.
„Ich denke, sie sollten ihn diesmal nicht warten lassen“, antwortete sie höflich, aber nachdrücklich.
„Na gut, soll kommen.“ Herr Adelung, ein grauhaariger, schlanker Mann mit etwas zu locker fallendem Anzug und dunkler Hornbrille, kam ruhig und gefasst in das Zimmer. Er hatte es gelernt, die große Anspannung, unter der er jetzt stand, zu bezwingen. Umständlich nahm er sich den Stuhl und platzierte sich vor den großen Schreibtisch, auf dem die Akten so hoch gestapelt waren, dass er sitzend kaum darüber blicken konnte.
„Was wollen Sie?“, fragte Max rundheraus, „Ich habe eigentlich keine Zeit.“
Herr Adelung räusperte sich. „Es wird erzählt, wir sollen Geräte an den Irak liefern. Die Beschäftigten sind dabei, einen Protest zu organisieren. Morgen soll eine außerordentliche Betriebsversammlung stattfinden.“ Herr Adelung war zwar ein schüchterner und höflicher Mensch, aber er wusste, dass er seinen Chef nur wütend machte, wenn er sich mit Höflichkeiten abgab und um die Sache herumredete.
„Wer erzählt denn den Quatsch?“, bekam er zur Antwort. Max schnaubte ihn drohend an.
„Man erzählt es“, antwortete Herr Adelung. Er kannte das Ritual der Suche nach Schuldigen zu genau, um hier auf Glatteis zu geraten. Sollte der Chef sich mal daran gewöhnen, dass es in der Bereichsleiterversammlung keine Geheimnisse geben konnte. Irgendeiner machte sich immer mal Luft, und sei es nach dem fünften Bier in der Betriebskegelgruppe.
Max besann sich. Jetzt durfte ihm kein Fehler unterlaufen. „Es ist richtig, dass wir eine Anfrage hatten“, gab er freimütig zu. „Aber wir haben uns dagegen entschieden. Ich denke, dass wir damit auch den Bedenken der Belegschaft Rechnung tragen. Die Betriebsversammlung findet nicht statt. Noch etwas?“
Herr Adelung erhob sich. Max stand ebenfalls auf und begleitete ihn zur Tür. „Sagen Sie das den Mitarbeitern. Und halten Sie mich auf dem Laufenden.“ Herr Adelung wandte sich wortlos um und ging.
„Verbinden Sie mich mit Smith von Royal Dynamics“, wies Max die Sekretärin an.
Es dauerte ein paar Minuten, bis die Verbindung da war.
„Hi Max, how are you“, fragte Smith.
"Thanks, fine, Pete”, antwortete Max.
"What’s the matter? We are joined in a fascinating deal, are n’t we?”, meinte Smith.
"Yes, we are”, antwortete Max, “but we ‘ve got some trouble here.” Max erklärte mit wenigen Worten seine Lage.
"So you want us to buy your equipment and sell it in a package deal“, fasste Smith zusammen.
"That ‘s it”, bestätigte Max. “We ‘ll send you the offer tomorrow. Bye.”
Max wählte die Nummer des Vorzimmers. „Piepenbrink und Schnell bitte sofort”, wies er an. Der Bereichsleiter Produktion und der Prokurist standen wenig später vor ihm. „Ich erwarte absolute Vertraulichkeit“, setzte Max den Rahmen und zeigte mit der Hand auf die Sessel. Alle drei setzten sich in die Runde um den flachen Glastisch. „Wir ziehen uns aus dem Irak-Auftrag zurück“, leitete Max ein. „Ich glaube, damit ist uns allen wohler.“ Er zog an seiner Pfeife. Die beiden anderen machten erstaunte Gesichter. „Wir liefern an Royal Dynamics in London. Sie, Herr Piepenbrink, machen bitte die Angebote fertig. Alles, wie gehabt. Sie, Herr Schnell, bereiten die Lieferung vor. Einhundertfünfzig Stück noch in dieser Woche. Ohne Typenschilder. Stellen Sie eine kleine Gruppe von absolut loyalen Mitarbeitern für die Auslieferung zusammen. Haben Sie die?“ Schnell zuckte zusammen. Loyal, ja, das waren seine Leute fast alle. Aber so loyal? In seinem Kopf arbeitete es einen Augenblick, dann hatte er die Gesichter vor Augen, die er auswählen würde. Er nickte.
Herr Adelung sagte die Betriebsversammlung ab. Es gebe keine Veranlassung für die Betriebsversammlung, ließ er die Mitarbeiter wissen, und es habe auch nie eine gegeben. Der Frieden war wiederhergestellt. Als am Freitagmorgen die ersten Mitarbeiter auf den Betriebsparkplatz fuhren, war alles wie immer. Niemand hatte die großen Lastwagen gesehen, die nachts zwischen drei und vier Uhr auf den Hof gefahren, beladen wurden und wieder verschwunden waren. Herr Piepenbrink sah übernächtigt aus und freute sich auf das Wochenende - wie so oft. Als ihn am Abend seine Frau fragte, was aus der Sache mit Saddam geworden sei, antwortete er: „Wir haben nicht geliefert.“